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Schoppens Geschichte war nach Wehrfritzens und des Oheims Aussagen diese: er war aus dem Notschlummer glühend aufgefahren, auf dem schnaubenden Streitroß der Rachsucht gegen den Spanier wurd' er fortgerissen. Im Gasthofe des letztern wies ihn der Bediente mit einer Lüge nach dem Schlosse. Hier gelangt' er, im verworrenen Getümmel um den leidenden Fürsten, ungefragt, ungesehen in das Spiegelzimmer, wo er einmal die Gräfin Linda um Idoinens Friedenswort für den wahnsinnigen Freund gebeten hatte. Als der Zylinder-Spiegel, der die langen Jahre des Alters auf das junge Gesicht gräbt und Moos und Schutt der Zeit darauf schüttet, ihm sein Bild vermooset und verraset entgegenwarf, sagt' er: »Ho ho, der alte Ich steckt wo in der Nähe« und schauete grimmig umher.
Aus den Spiegeln der Spiegel sah er ein Ichs-Volk blicken. Er sprang auf einen Stuhl, um einen langen Spiegel loszumachen. Indem er den Nagel desselben rückte, schlug in der Wand eine Uhr zwölfmal. Hier fiel ihm die Weissagung Gaspards ein, die sein Freund ihm anvertrauet hatte, und alle Regeln, die diesem zur Lösung der Rätsel vorgeschrieben waren. In der Weissagung war zwar die Rede von einem Bilderkabinette, aber ein Spiegelzimmer ist auch eines, nur flüssiger und tiefer hinter der Wand. Er nahm (folgsam den von Gaspard gegebnen Regeln) den Spiegel herab – fand und öffnete die Tapentür in der Größe des Spiegels – die hölzerne weibliche Gestalt mit dem offnen Souvenir in der Linken und dem Crayon in der Rechten saß darhinter – er drückte (nach der Vorschrift) den Ring am linken Mittelfinger – die Gestalt stand, innen rollend, auf – trat in das Zimmer hinaus – hielt an der entgegengesetzten Wand still, zeichnete daran mit dem Crayon in der Hand eine Linie herab, er zog die Wandleiste auf – das Perspektiv und der wächserne Abdruck des Sargschlüssels lagen in einem Fach darhinter – Jetzt drückt' er den Ringfinger, die Figur setzte den Crayon aufs Souvenir und schrieb: »Sohn, gehe in die Fürstengruft in der Blumenbühler Kirche und öffne den Sarg der Fürstin Eleonore, so findest du die schwarze Stufe.« –
Wenn das geschehen, hatte der Ritter zu Albano gesagt, und die Marmorstufe doch nicht im Sarge gefunden sei: so soll' er den dritten Ring am Ohrfinger drücken, worauf etwas geschehe, was er selber nicht vorauswisse. Schoppe versuchte vorher, eh' er in die Blumenbühler Kirche ging, den Druck dieses Fingers – die Figur blieb stehen – aber innen fing es zu rollen an – die Arme dehnten sich aus und fielen ab – Räder rollten heraus – endlich zerlegte sich die ganze Gestalt durch einen mechanischen Selbstmord, und ein alter Kopf von Wachs erschien.
Hier ging Schoppe davon, um nach Blumenbühl zu laufen und aus der Gruft die Leuchte für dieses Nachtstück zu holen. Eben waren mittags Kirche und Gruft – vielleicht weil man dem neuen sterbenden Höhlen-Gast Raum vorbereitete – offen gelassen. Ohne erst den wächsernen Schlüssel in einen eisernen zu verwandeln, erbrach er ungestüm mit einem Arbeitseisen den Sarg und holte die Marmorstufe und Albanos Porträt schnell heraus. Er zerschlug jene hinter einem Busch. Als er die Aufschrift las, untersucht' er nicht weiter; er eilte in Albanos Haus, um alles zu übergeben. Beide aber suchten sich wechselseitig umsonst. Indes traf er den rechtschaffenen Wehrfritz an, durch welchen allein er eine so wichtige Beute abschicken konnte; er selber war jetzt dem Todfeinde, dem Spanier, auf der Spur, und keine Gewalt konnt' ihn aus der zornigen Jagdbahn treiben.
Bei Sonnenuntergang erblickte Schoppe den Spanier, der aus dem Prinzengarten, dem Ebenbilde Siebenkäs entfliehend, ihm in die Hände gelaufen kam – Er erstarrte vor des Wahnsinnigen Anblick, rief: »Herr und Gott, seid Ihr hinter mir und vor mir? seid Ihr rot und grün?« – und stürzte seitwärts in die alte Kreuzkapelle hinein, um die heilige Jungfrau kniend anzurufen. Schoppe spannte seine Kontursschwingen aus, schoß hinzu und schlug sie vor der Kapelle zusammen: »Dreh dich um, Spaniard, ich fresse dich von vorne«, sagte er. »Heilige Mutter Gottes, hilf mir – guter böser Geist, steh mir bei, o Finsterer!« betete der Kahlkopf. – »Rutsche herum, Spitzbube, ohne weitern Spaß!« sagte Schoppe, indem er mit dem gezognen Stockdegen in der Luft von hinten ein Hufeisen vor dessen Gesicht beschrieb. Er drehte sich elend auf den Knien herum, und der Kopf hing schlaff vom Halse herab. Schoppe fing an: »Nun hab' ich dich, Missetäter, du betest mich ohne Nutzen auf den Knien an – ich habe das Richtschwert – toll bin ich auch – in wenigen Minuten, wenn wir uns ausgesprochen haben, stech' ich gegenwärtigen Stockdegen in dich – denn ich bin ein Toller voll fixer Ideen.« – »Ach Herr,« (versetzte der Kahlkopf) »Ihr seid gewiß sehr verständig und bei Verstand und bei sich, ich bitte zu leben, es ist so große Todsünde, das Totmachen.« – Schoppe versetzte: »Von meinem Verstande ein andermal! In effigie hab' ich dich schon erschossen, nun will ich die Todsünde und den Gewissensbiß nicht umsonst herumtragen, sondern mich in natura dazutun, du Seelen-Henker, du Herz-Trepan!«
»Schoppe, Schoppe!« rief es jetzt einigemal von fernen mit Albanos Stimme. Er sah sich schnell um, nichts war zu sehen. »Guter Schoppe,« (fuhr es fort) »lasse meinen Oheim gehen!« Jetzt entbrannte Schoppe und hob den Dolch zum Stich: »Du gar zu versteinerter Bauchredner! Sollte man nicht gleich ins Zeug hineinstechen wie in ein blessiertes Pferd? Siehst du denn nicht den höllischen verdammten Mord und Totschlag vor der Nase, deinen Pestwagen schon angespannt, das ausgepolsterte Gerippe des Todes in mein Fleisch gesteckt und jetzt die Sense heben? – Beichte, Spaniard, um Jesus willen, beichte, Fliege, eh' ich spieße, steche! Etwas präkavierst du dich doch damit vor den Teufeln in der Hölle; bist sonst drüben ein ganz ruinierter Mann.«
»Wo sitzt der Pater? Ich beichte ja wohl«, sagte der Spanier.
»Hier steht dein Galgenpater, schau die Schur«, sagte Schoppe, vom gebückten tonsurierten Kopf den Hut abschüttelnd.
»Hört meine Beichte! – Aber nachts leidet es der Finstere nicht, daß ich die Wahrheit sage – er kommt gewiß, er holt mich, Vater, räuchert mich, wässert mich ein gegen den Teufel.«
»Stief-Beichtsohn und Dieb, bin ich dir nicht Beichtpaters und Beichtvaters genug, der dich schon einwässern wird? Sage nur, Hund, alles, ich absolviere dich und schlage dich dann tot zur Pönitenz. – Sage an, du Krönungsmünze des Teufels, bist du nicht der Kahlkopf und der Vater des Todes und der Mönch zugleich, dessen Figur voll Gas in Mola gen Himmel fuhr, und hattest Bauchrednerei und Wachsbilderei und einige Spitzbüberei bei der Hand?«
»Ja, Vater, Bauchredne rie und Wachsbildne rie, und den Spitzbuben. Aber der böse Geist war überall dabei, ich sagte oft nichts, und es wurde doch gesagt, und die Gestalten liefen.« –
»Mordian,« (sagte Schoppe, darüber ergrimmt) »faß den Hund! – Noch lügst du, du Kloak ins Paradies gegraben, noch ins Ohr der großen Parze hinein, du mimische Mumie, dein Totenkopf ohne Lippe und Zunge regt sich noch zur Lüge? O Gott, was sind deine Menschen!«
»O Pater, nicht Lügen! Aber der Finstere will sie nachts, ich habe einen Bund mit ihm angestiftet – Ich hab' ihn heute abends gesehen, er sah wie Ihr aus und grün – O Maria, o Pater, ich habe die Wahrheit gesagt, dort kommt er grün – o Pater, o Maria, und hat Eure Gestalt und ein feuriges Auge in der Hand – –«
»Niemand hat meine Gestalt« (sagte Schoppe erschüttert) »als der Ich.«
»O umguck! Der böse Geist kommt zu mir – absolviere – stich – ich will wegsterben!«
Schoppe schauete sich endlich um. Der schreitende Abguß seiner Gestalt bewegte sich her – das Feuerauge in der Hand stieg in das Gesicht – die Ichs-Larve war grün gekleidet – »Böser Geist, ich bin doch in der Ohrenbeichte, du kannst nicht her, ich bin heilig«, rief der Spanier und faßte Schoppen. Ihn faßte der Hund. Schoppe starrte die grüne Gestalt an – der Degen entfiel ihm. »Mein Schoppe,« (rief sie) »ich suche dich, kennst du mich nicht?«
»Lange genug! Du bist der alte Ich – nur her mit deinem Gesicht an meins und mache das dumme Sein kalt«, rief Schoppe mit letzter Mannes-Kraft. »Ich bin Siebenkäs«, sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. – »Ich auch, Ich gleich Ich«, sagt' er noch leise, aber dann brach der überwältigte Mensch zusammen, und dieser reinigende Sturm wurde ein seufzendes, stilles Lüftchen. Mit weiß werdendem Gesicht, krampfhaft sich selber die starren Augen zuziehend, stürzte er um, die spielenden Finger schienen den Hund noch anzulocken, und die Lippen wollten sich zu einem Spottwort spitzen, das sie nicht sagten – Sein Freund Siebenkäs, der nichts erraten konnte, hob weinend die kalte, festgeschlossene Hand an sein Herz, an seinen Mund und rief: »Bruder, blick auf, dein alter Freund aus Vaduz steht ja neben dir und sieht dich in der Todesnot, er sagt dir tausend Lebewohl, Lebewohl!« –
Das schien durch die dem Leben noch offnen Ohren ins brechende Herz noch süße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewigen Liebe zu führen – der Mund fing ein kleines Lächeln an, von Lust und Tod zugleich gezogen – die breite Brust stieg noch einmal voll auf zu einem frohen Seufzer – es war der letzte des Lebens, und lächelnd blieb der Verstorbne auf der Erde zurück.
Nun hast du hienieden geendigt, strenger, fester Geist, und in das letzte Abend-Gewitter auf deiner Brust quoll noch eine sanfte, spielende Sonne und füllte es mit Rosen und Gold. Die Erdkugel und alles Irdische, woraus die flüchtigen Welten sich formen, war dir ja viel zu klein und leicht. Denn etwas Höheres als das Leben suchtest du hinter dem Leben, nicht dein Ich, keinen Sterblichen, nicht einen Unsterblichen, sondern den Ewigen, den All-Ersten, den Gott. – Das hiesige Scheinen war dir so gleichgültig, das böse wie das gute. Nun ruhst du im rechten Sein, der Tod hat vom dunkeln Herzen die ganze schwüle Lebens-Wolke weggezogen, und das ewige Licht steht unbedeckt, das du so lange suchtest; und du, sein Strahl, wohnst wieder im Feuer.