Jean Paul
Titan
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Fünfunddreißigste Jobelperiode

Siebenkäs – Beichte des Oheims – Brief von Albanos Mutter – das Kron-Rennen – Echo und Schwanengesang der Geschichte

140. Zykel

Lange lag Albano im einsamen finstern Abgrund, bis endlich Licht die Schlucht und die grüne Höhe erleuchtete, von welcher er herunterstürzte. Das sonst lebensfärbige männliche Gesicht des Freundes lag weiß vor ihm, der rote Mantel erhöhte noch den Leichenschnee. Der Hund lag mit dem Kopfe auf der Brust, als woll' er sie wärmen und schützen. Als Albano den nackten Degen sah: blickte er im Kreise umher, schauderte vor dem kalten Oheim, vor dem lebendigen Bruderbild des Toten und vor dem ersten Argwohn zwischen fremdem und Selbstmord und fragte leise: »Wie starb er?« – »Durch mich,« (sagte Siebenkäs) »an unserer Ähnlichkeit, er glaubte sich zu sehen, wie dieser Herr hier versichert.« Der Oheim erzählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und Auge von ihm ab; aber in den warmen Widerschein der befreundeten Gestalt senkt' er den Blick, dem das Tageslicht der Freundschaft untergegangen war. Siebenkäs schien sich in einer seltenen männlichen Haltung zu behaupten. Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg seinen Jammer, daß er so viel verloren und daß nun sein Waisen-Herz ausgesetzt sei wie ein hülfloses Kind in die Wüste des Lebens.

Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd zur Reise in die Stadt noch schicken solle. »Mir? Ich jemals mehr in die Stadt?« (fragte Albano) »Nein, guter Vater, ich und Schoppe gehen heute in den Prinzengarten.« Er entsetzte sich vor der bloßen schwarzen Kirchhofs-Landschaft der Stadt, wo einmal ein goldner Sonnenschein und Laubengänge und Himmelspforten voll Blumengewinde für ihn geblühet hatten. O der junge Honig der Liebe, der alte Wein der Freundschaft, beide waren ja vom Schicksal in Gräber gegossen! –

Der Tote wurde in das neue Schloß des Prinzengartens gebracht. Nur Albano und Siebenkäs folgten ihm nach. Als sie allein waren, sah Albano erst, daß der Freund seines Freundes bebe und wanke und daß bis jetzt nur der Geist den Körper getragen. »Nun wir beide« (sagte Albano) »dürfen voreinander trauern; aber nur Ihnen glaub' ich. Gott, wie war denn sein Ende?« Siebenkäs ließ vor ihm die letzten Mienen und Laute des Armen vorübergehen. »O Gott,« (sagte Albano) »er starb nicht leicht, wenn der Wahnsinn der Monate zu einer Minute wurde – reißend mußte der Höllenfluß sein, der ein so festes Leben wegriß.« – Siebenkäs nahm schwer den Glauben an dessen Wahnsinn an, weil der Tote so oft in seinen schönsten Momenten auf ähnliche Weise verkannt worden; aber Albano überwand ihn endlich. Er erzählte weiter, daß er auf der Heimreise begriffen gewesen, als ihn die wiederholte Verwechslung seiner Person mit dem Toten auf die Vermutung geleitet, hier müsse sein lang entbehrter Leibgeber wandeln, wiewohl er vor der ersten Erscheinung und Vergleichung sich fast fürchten müssen: »Denn, Herr Graf,« (sagt' er) »Jahre und Geschäfte, juristische vollends, ach das Leben selber ziehen den Menschen immer weiter herab, anfangs aus dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf die Erde – Wird er mich kennen? sagt' ich. Ich bin ja nicht mehr, der ich war, und die physiognomische Ähnlichkeit möchte wohl die einzige und festeste noch geblieben sein. Aber auch diese war vergangen; der Selige sieht noch aus wie vor zehn Jahren. O nur eine freie Seele wird nicht alt! – Herr Graf, ich war sonst ein Mann, der einen und den andern Spaß mit dem Leben trieb und mit dem Tode auch, und ich konnte ausrufen: Himmel! wenn die Hölle aufging, und derlei mehr – – Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat weiche, kleine Wellen, aber am Ende wird doch der eckigste, schärfste Kiesel darin glatt und stumpf.« –

»Zählen Sie mir jede Kleinigkeit seiner Vorzeit,« (bat Albano) »jeden Tautropfen aus seinem Morgenrote zu, er war so karg mit seiner dunkeln Geschichte!« – »Und das gegen jeden« (sagte der Fremde) – »So viel will ich Ihnen einmal aus wahren, an Ort und Stelle gesammelten Datis beweisen, daß er ein Holländer ist wie Hemsterhuis und eigentlich Kees heißet wie Vaillants Affe, woran er Sieben oder Seven gesetzt; denn Siebenkäs ist sein erster Name. Aus der Amsterdamer Bank bezog er seine Intraden. An jedem Neujahrsabend verbrannt' er die Papiere des vorigen Jahrs; und wie seine Clavis Leibgeberiana bekannt geworden, begreif ich noch nicht.« – Darauf erzählte er ihren ersten Namen-Wechsel, wo Schoppe von ihm den Namen Leibgeber annahm, dann jede Stunde und Tat seines treuen Herzens gegen den vorigen Armen-Advokaten, dann ihren zweiten Namenstausch, wo Siebenkäs sich namentlich begraben ließ und als Leibgeber fortfuhr, und ihren ewigen Abschied in einem voigtländischen Dorf.

Als Siebenkäs hier stand bei der Erzählung, faßte er die kalte Hand mit den Worten: »Schoppe, ich dachte, ich fände dich erst bei Gott!«und neigte sich weinend über den Toten. – Albano ließ seine Tränen stürzen und nahm die zweite tote Hand und sagte: »Wir fassen treue, reine, tapfere Hände.« – »Treue, reine, tapfere«, wiederholte Siebenkäs und sagte mit einem Schoppischen Lächeln: »Sein Hund sieht zu und bezeugt es einmal.« Aber er wurde von der Bewegung blaß und sah jetzt ganz wie der Tote aus. Da berührten er und Albano sinkend sich auf dem kalten Gesicht, und Albano sagte: »Sei auch mein Freund, lebendiger, wir können uns lieben, weil er uns liebte. – Blasser, deine Gestalt sei das Siegel meiner Liebe gegen deinen alten Freund.«

Albano riß jetzt das Fenster auf und zeigte ihm ein Grab in Osten und eines in Süden neben dem offnen dritten in der Nacht und sagte: »So weint' ich dreimal über das Leben.« – Siebenkäs drückt' ihm die Hand und sagte bloß: »Die Parzen und Furien ziehen auch mit verbundnen Händen um das Leben, wie die Grazien und die Sirenen.« Er sah den seltenen schönen feurigen Jüngling mit innigster Liebe an; aber Albano, der nur wenig geliebt zu sein voraussetzte und den die Feuerzeichen eines Dians und Roquairols verwöhnt, wußt' es nicht, wie sehr er das ruhigere Herz gewonnen hatte.


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