Ernst August Neumeister
Das Leben Mohammeds, des arabischen Propheten
Ernst August Neumeister

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Zweiunddreißigstes Capitel.

Zeinabs, der Tochter des Propheten, Tod. – Geburt seines Sohnes Ibrahim. Deputationen von entfernten Stämmen. – Poetischer Wettstreit in Gegenwart des Propheten. – Seine Empfänglichkeit für die Reize der Dichtkunst. – Die Unterwerfung der Stadt Tayef; Zerstörung ihrer Götzenbilder. – Unterhandlung mit Amir Ibn Tafiel, einem stolzen Beduinenhäuptling; unabhängiger Geist des Letzteren. – Adi's, eines andern Häuptlings, Zusammenkunft mit Mohammed.

Kurz nach der Ankunft in Medina wurde Mohammed durch den Tod seiner Tochter Zeinab in Trauer versetzt, derselben Tochter, welche ihm für ihren ungläubigen, in der Schlacht von Beder gefangenen Gatten Abul Aaß zurückgegeben worden war. Groß war der häusliche Kummer des Propheten, und tief fühlte er diesen Verlust; durch die Geburt eines Sohnes von der Lieblingsbeischläferin Mariyah wurde er jedoch getröstet. Er nannte das Kind Ibrahim und ergötzte sich an der Hoffnung, daß dieser Sohn seines hohen Alters, sein einziger lebender Sprößling männlichen Geschlechts, seinen Namen auf die späteren Geschlechter fortpflanzen würde.

Der Ruf von ihm, entweder als von einem Propheten oder als von einem Eroberer, drang in die entlegensten Theile Arabiens, und beständig trafen Deputationen von entfernten Stämmen in Medina ein, einige, um ihn als Propheten anzuerkennen und den Islam anzunehmen, andere, um sich ihm als weltlichem Oberherrn zu unterwerfen und Tributzahlung zu bewilligen. Mohammeds Talente wuchsen mit der Forderung des Augenblicks; seine Ansichten erweiterten sich mit seinem Glücke, und jetzt begann er die Geldverhältnisse seines schnell wachsenden Reiches mit staatsmännischer Geschicklichkeit zu regeln. Unter dem schönen Namen »Almosen« wurde von wahren Gläubigen eine Steuer erhoben, welche ein Zehntel der Erzeugnisse des Landes betrug, wo es durch Bäche und Regen fruchtbar gemacht wurde, und ein Zwanzigstel, wo die Fruchtbarkeit das Ergebniß von Bewässerung war. Von je zehn Kameelen wurden zwei Schafe, von vierzig Stück Rindvieh Eine Kuh, von dreißig Stück Eine zweijährige Kalbe, von je vierzig Schafen Eins gefordert. Wer mehr als diesen Betrag steuerte, wurde in gleichem Maße für frömmer erachtet und sollte in den Augen Gottes angemessene Gnade erlangen. – Der Tribut, welcher von denen, die sich dem weltlichen Scepter unterwarfen, aber im Unglauben verharrten, eingefordert wurde, belief sich für jede erwachsene leibeigene oder freie Person auf Einen Denar (4½ Ngr.) in Geld oder Gütern.

Einige Schwierigkeit zeigte sich bei der Einsammlung der milden Beiträge; der stolze Stamm Tamim leistete offenen Widerstand und verjagte den Einsammler. Eine Schaar arabischer Reiter wurde wider ihn abgeschickt und eine Zahl Männer, Frauen und Kinder gefangen fortgeführt. Eine Deputation der Tamimiten kam an, um die Gefangenen zurückzufordern. Vier der Abgeordneten waren als Redner und Dichter berühmt, und anstatt sich vor Mohammed zu demüthigen, hielten sie Vorträge in Prosa und Versen, die Moslemen zu einem poetischen Wettstreite herausfordernd. »Ich bin von Gott nicht als Dichter gesandt«, entgegnete Mohammed; »auch suche ich keinen Ruhm als Redner.« Einige seiner Anhänger nahmen jedoch die Herausforderung an, und ein Tintenkrieg folgte, in welchem sich die Tamimiten für überwunden erklärten. Ueber den Geist ihrer Ausforderung, über ihre Dichtkunst und über die freimüthige Anerkennung ihrer Niederlage war Mohammed so sehr erfreut, daß er ihnen nicht allein die Gefangenen auslieferte, sondern sie auch mit Geschenken entließ. Ein anderes Beispiel seiner Empfänglichkeit für die Reize der Dichtkunst wird in der Angelegenheit Caab Ibn Zohair's, eines gefeierten mekkanischen Dichters, mitgetheilt. Dieser hatte ihn zum Gegenstand satyrischer Verse gemacht und war demzufolge unter den Geächteten gewesen; aber er war nach der Einnahme der heiligen Stadt geflohen. Caab kam jetzt nach Medina, um sich zu versöhnen; und als er sich Mohammed näherte, während er in der Moschee war: so begann er in einem Gedichte, welches unter den Arabern nachmals als ein Meisterstück berühmt wurde, den Ruhm desselben zu besingen. Mit besonderer Lobpreisung seiner Milde schloß er also: »Denn an dem Propheten Gottes ist unter allen Tugenden die Verzeihung von Beleidigungen diejenige, auf welche man sich mit der größten Gewißheit verlassen kann.« Von dem Verse gefesselt und von der Schmeichelei besänftigt, machte Mohammed des Dichters Wort zur Wahrheit, da er ihm nicht allein vergab, sondern auch den eigenen Mantel abnahm und ihn auf die Schultern desselben warf. Der Dichter bewahrte das heilige Gewand bis an seinen Todestag, und wies goldene Anerbietungen für dasselbe zurück. Der Kalif Moawyah kaufte es von den Erben desselben für zehn tausend Drachmen (gegen 1400 Thlr.) und fortan wurde es von den Kalifen bei Aufzügen und an feierlichen Tagen bis zum sechsunddreißigsten Kalifat getragen, wo es von Holâgu, dem tartarischen Eroberer, dem Kalifen Al Most'asem von dem Rücken gerissen und zu Asche verbrannt wurde.

Während bei den arabischen Stämmen Stadt auf Stadt, Schloß auf Schloß den Glauben annahm und gegen Mohammed die Unterthanenpflicht erfüllte: so verharrte Tayef, die Burg der Thakefiten, halsstarrig in der Anbetung der berühmten Göttin Al Lat. Die Bewohner verließen sich auf ihre gebirgige Lage und auf die Festigkeit ihrer Mauern und ihres Castells. Aber obschon gegen eine Bestürmung gesichert, sahen sie sich von den Moslemen allmälig eingeschlossen und vom Verkehre abgeschnitten, so daß sie zuletzt über die Wälle nicht hinausgehen konnten, ohne angegriffen zu werden. Auf diese Weise bedroht und ermüdet, schickten sie Gesandte an Mohammed, um wegen des Friedens zu unterhandeln.

Der Prophet nährte einen tiefen Groll wider diese hartnäckige und höchst abgöttische Stadt, welche ihn zu einer Zeit aus ihren Thoren getrieben, zu einer andern von ihren Mauern zurückgeschlagen hatte. Bekehrung und unbeschränkte Unterwerfung waren seine Bedingungen. Die Abgesandten versprachen, daß sie selbst den Islam annehmen wollten; aber sie erörterten die Gefahr, die Bevölkerung Tayefs durch die Forderung, dem alten Glauben zu entsagen, plötzlich aufzuregen. Für diese baten sie daher um die Erlaubniß, noch weitere drei Jahre ihre alte Göttin Al Lat verehren zu dürfen. Diese Forderung wurde entschieden zurückgewiesen. Nun baten sie zum wenigsten um einen Monat Aufschub, um die öffentliche Stimmung vorzubereiten. Dies wurde ebenfalls verweigert, weil jeglicher Götzendienst mit der Anbetung Gottes unverträglich wäre. Hierauf stellten sie das dringende Gesuch, von der Beobachtung der täglichen Gebete entbunden zu werden. »Ohne Gebet kann es keine wahre Religion geben,« erwiderte Mohammed. Kurz sie waren zur unbedingten Unterwerfung gezwungen.

Abu Sofian Ibn Harb und Al Mogheira wurden nach Tayef abgeordnet, um Al Lat's Bildsäule, welche aus Stein war, zu zerstören. Abu Sofian schlug an dieselbe mit einer Spitzaxt, aber indem er den Streich führte, fiel er auf das Gesicht nieder. Die Bevölkerung brach in ein Freudengeschrei aus, da sie dies für ein gutes Vorzeichen hielt; doch Al Mogheira zertrümmerte durch einen einzigen Schlag mit einem Schmiedehammer ihre Hoffnungen und das Standbild. Alsdann beraubte er sie der köstlichen Kleider, der Armspangen, des Halsbandes, der Ohrringe und andern Schmuckes von Gold und Edelsteinen, womit sie von ihren Verehrern bedeckt worden war, und ließ sie bei den Frauen von Tayef, welche weinten und klagten, in Stücken auf dem Boden liegen.Die Thakefiten sind bis auf den heutigen Tag ein mächtiger Stamm, welcher die fruchtbare Gegend am östlichen Abhange der Gebirgskette von Hedjas (Heddschas) besitzt. Einige bewohnen die alte Stadt Tayef, andere hausen in Zelten und haben Heerden von Ziegen und Schafen. Sie können zweitausend Luntenschlösser aufstellen und vertheidigten ihre Festung Tayef in den Kriegen mit den Wechabiten.

Unter denen, welche der Macht Mohammeds noch trotzten, befand sich der Beduinenhäuptling Amir Ibn Tufiel, der Führer des mächtigen Stammes Amir. Er war berühmt wegen persönlicher Schönheit und fürstlicher Pracht; aber er hatte einen hochmüthigen Geist und seine Herrlichkeit trug das Gepräge der Prahlerei. Auf dem großen Markte von Okaz, zwischen Tayef und Naklah, wo sich Kaufleute, Pilger und Dichter aus allen Theilen Arabiens gewöhnlich versammeln, pflegte ein Herold auszurufen: »Wer ein Lastthier bedarf, der mag zu Amir kommen; ist Jemand hungrig, der mag zu Amir kommen und er wird gesättigt werden; ist er ein Verfolgter, so mag er zu Amir fliehen und er wird beschützt werden.« – Amir hatte Jedermann durch Freigebigkeit geblendet, und sein Ehrgeiz hatte mit seiner Volksthümlichkeit Schritt gehalten. Die steigende Macht Mohammeds flößte ihm Eifersucht ein. Als ihm gerathen wurde, mit demselben sich zu vereinigen, so erwiderte er hochmüthig: »Ich habe geschworen, niemals zu ruhen, bis ich ganz Arabien gewonnen habe, und diesem Koreischiten soll ich huldigen?« Die neulichen Eroberungen der Moslemen bewogen ihn jedoch, den Rathschlägen seiner Freunde Gehör zu geben. Er reiste nach Medina, und da er vor Mohammed kam, fragte er ihn freimüthig: »Willst du mein Freund sein?« »Niemals, bei Allah!« war die Antwort, »wofern du nicht den Islam annimmst.« »Und wenn ich es thue, willst du dich dann mit der Herrschaft über die Araber in den Städten begnügen und mir die Beduinen der Wüste lassen?« Mohammed antwortete verneinend. »Was werde ich denn durch die Annahme deines Glaubens gewinnen?« Die Gemeinschaft aller wahren Gläubigen.« »Mich gelüstet nicht nach solcher Gemeinschaft!« entgegnete der stolze Amir, und mit einer kriegerischen Drohung kehrte er zu seinem Stamme zurück.

Ein Beduinenhäuptling anderen Charakters war Adi, ein Fürst des Stammes Tai. Sein Vater Hatim war nicht allein wegen kriegerischer Thaten, sondern auch wegen seiner gränzenlosen Großmuth berühmt gewesen, so daß die Araber zu sagen gewohnt waren, »so edelmüthig wie Hatim.« Adi der Sohn war Christ, und wenn er auch die Großmuth des Vaters geerbt haben mochte, so fehlte ihm doch dessen Tapferkeit. Beunruhigt über die verheerenden Kriegszüge der Moslemen, befahl er einem jungen Araber, welcher die Kameele desselben in der Wüste hütete, einige der kräftigsten und schnellsten bereit zu halten und von der Annäherung eines Feindes augenblickliche Nachricht zu geben. Es traf sich nun zufällig, daß Ali, welcher diesen Theil des Landes mit einer Reiterschaar durchstreifte, mit zwei Bannern, einem weißen und einem schwarzen in Sicht kam. Der junge Beduine sah sie von fern und eilte zu Adi mit dem Rufe: »Die Moslemen sind in der Nähe; ich sehe ihre Banner in einiger Entfernung!« Augenblicklich setzte Adi seine Frau und seine Kinder auf die Kameele und floh nach Syrien. Seine Schwester, Saffana d. i. die Perle, zubenannt, fiel in die Hände der Moslemen und wurde mit andern Gefangenen nach Medina gebracht.

Als dieselbe Mohammed nahe beim Orte ihrer Haft vorübergehen sah, so rief sie ihm zu: »Habe Mitleid mit mir, o Gesandter Gottes! Mein Vater ist todt, und derjenige, welcher mich hätte beschützen sollen, hat mich verlassen. Habe Mitleid mit mir, o Gesandter Gottes, wie Gott mit dir Mitleid haben mag!« »Wer ist dein Beschützer?« fragte Mohammed. »Adi, der Sohn Hatims.« »Er ist ein Flüchtling vor Gott und seinem Propheten,« entgegnete Mohammed und ging vorüber. Als Mohammed am folgenden Tage im Begriffe stand vorüberzugehen, so flüsterte Ali, welchen die Schönheit und der Kummer des Weibes gerührt hatte, derselben zu, aufzustehen und den Propheten noch einmal inbrünstig anzuflehen. Demgemäß wiederholte sie ihre Bitte. »O Prophet Gottes! mein Vater ist todt; mein Bruder, welcher mein Beschützer hätte sein sollen, hat mich verlassen. Habe Barmherzigkeit mit mir, wie Gott mit dir Barmherzigkeit haben wird.« Mohammed wendete sich wohlwollend zu ihr. »Es sei also,« sagte er, und setzte sie nicht nur in Freiheit, sondern gab ihr auch Kleidung und ein Kameel und schickte sie mit der ersten nach Syrien bestimmten Karavane ab. Als sie bei dem Bruder ankam, so machte sie ihm Vorwürfe, daß er sie verlassen hatte. Er erkannte seinen Fehler und erhielt Vergebung. Nun drang sie in ihn, sich mit Mohammed auszusöhnen; »er ist wahrlich ein Prophet«, sagte sie, »und wird bald die Weltherrschaft haben; daher eile, um bei Zeiten seine Gunst zu gewinnen.«

Der staatskluge Adi hörte auf den Rath der Schwester, eilte nach Medina und begrüßte den Propheten, welcher in der Moschee war. Die eigene Erzählung desselben von der Zusammenkunft zeigt uns ein treffendes Gemälde von der einfachen Haltung und Lebensweise Mohammeds, jetzt, wo er sich in der vollständigen Ausübung unbeschränkter Macht und auf der Bahn zu schnellen Eroberungen befand. »Er fragte mich«, sagt Adi, »nach meinem Namen, und als ich ihn angab, lud er mich ein, ihn in seine Wohnung zu begleiten. Unterwegs redete ihn ein schwächliches, abgemagertes Weib an. Er blieb stehen und sprach mit ihr von ihren Angelegenheiten. Dies, dachte ich bei mir, ist nicht sehr königlich. Als wir in seiner Behausung ankamen, gab er mir ein ledernes, mit Palmblättern ausgestopftes Kissen, um mich darauf zu setzen, während er auf dem bloßen Boden saß. Dies, dachte ich, ist nicht sehr fürstlich! Hierauf bat er mich drei Mal, den Islam anzunehmen. Ich erwiderte, ich habe meinen eigenen Glauben. »Ich kenne deinen Glauben besser als du selbst«, sagte er. »Als Fürst nimmst du ein Viertel der Beute von deinen Leuten. Ist das christliche Lehre?« An diesen Worten merkte ich, daß er ein Prophet wäre, der mehr als andere Menschen wüßte. »Du hast keine Neigung zum Islam«, fuhr er fort, »weil du siehst, daß wir arm sind. Die Zeit ist nahe, wo wahre Gläubige ein größeres Vermögen haben werden, als sie zu verwalten verstehen. Vielleicht wirst du zurückgeschreckt, weil du siehst, daß die Zahl der Moslemen im Vergleich mit den Heeren ihrer Feinde geringfügig ist. Bei Allah! in kurzer Frist wird ein moslemisches Weib im Stande sein, von Kadesia bis in den Tempel Gottes in Mekka auf ihrem Kameel allein und furchtlos eine Wallfahrt zu machen. Du glaubst wahrscheinlich, daß die Macht in den Händen der Ungläubigen ist; wisse, daß die Zeit nicht fern ist, wo wir unsere Standarten auf den weißen Schlössern von Babylon aufpflanzen werden.«

Der kluge Adi glaubte an die Prophezeihung und nahm sofort den Glauben an.


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