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Mohammed war jetzt zwölf Jahre alt, aber er hatte, wie wir gezeigt haben, eine weit über seine Jahre hinausgehende Verstandesreife. Der Trieb zur Nachforschung war in ihm rege und wurde durch den Umgang mit Pilgern aus allen Theilen Arabiens genährt. Dazu war sein Oheim Abu Taleb, außer seinem priesterlichen Stande als Aufseher über die Kaaba, einer der unternehmendsten Kaufleute des Stammes Koreisch, und hatte viel mit den Karavanen zu thun, die sein Ahnherr Haschem, der nach Syrien und Yemen Handel trieb, in Gang gebracht hatte. Die Ankunft und Abreise dieser Karavanen, welche sich an Mekkas Thoren drängten und seine Straßen mit fröhlichem Lärmen füllten, waren für einen Jüngling wie Mohammed anregende Ereignisse und trugen seine Einbildungskraft nach fremden Ländern. Er konnte die brennende Wißbegierde, welche auf diese Art erregt worden war, nicht länger unterdrücken, sondern hing sich eines Tags an seinen Oheim, als dieser sein Kameel besteigen und mit der Karavane nach Syrien abreisen wollte und bat denselben inständig um die Erlaubniß, ihn begleiten zu dürfen. »Denn wer wird, o mein Oheim,« sagte er, »für mich Sorge tragen, wenn du fort bist?«
Die Bitte war bei dem gutherzigen Abu Taleb nicht vergeblich. Dieser erwog außerdem bei sich, daß der Jüngling in einem Alter wäre, wo er die bewegte Bühne des arabischen Lebens betreten, und eine Fassungskraft hätte, durch welche er bei der Erfüllung der Pflichten gegen die Karavane wesentlichen Nutzen stiften könnte. Daher gewährte er ihm bereitwillig die Bitte und nahm ihn mit sich auf die Reise nach Syrien.
Die Straße führte durch Gegenden, welche an Fabeln und Sagen fruchtbar sind; es ist das Vergnügen der Araber, diese an den abendlichen Haltepuncten der Karavane zu erzählen. Die ungeheuern Einöden der Wüste, in welchem dieses wandernde Volk einen so großen Theil des Lebens zubringt, sind zur Erzeugung abergläubischer Gebilde geeignet. Dem zufolge haben sie dieselben mit guten und bösen Geistern bevölkert und in Zaubermährchen mit wundervollen Ereignissen gehüllt, welche in alten Tagen sich ereignet haben sollen. An diesen abendlichen Halteplätzen der Karavane sog Mohammeds jugendliches Gemüth ohne Zweifel viele jener abergläubischen Meinungen der Wüste ein, welche nachher stets in seinem Gedächtnisse blieben und einen mächtigen Einfluß auf seine Einbildungskraft hatten. Wir können besonders zwei Sagen bemerken, welche er zu dieser Zeit gehört haben muß, und die wir in nachfolgenden Jahren durch ihn im Koran aufbewahrt finden. Eine bezieht sich auf den gebirgigen District Hedjar (Heddschar). Hier wurden, als die Karavane auf dem Wege durch schweigsame und verlassene Thäler sich fortwand, Höhlen in den Seiten der Berge gezeigt, welche einst die Beni Thamud, d. i. Kinder Thamuds, einer der »verlornen Stämme« Arabiens, bewohnten. Die Sage über sie ist folgende:
Sie waren ein hochmütiges Riesengeschlecht, das vor der Zeit des Patriarchen Abraham lebte. Da sie in blinde Abgötterei gefallen waren, so sandte Gott einen Propheten Namens Saleh, um sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Sie weigerten sich jedoch ihm zu gehorchen, wenn er die Göttlichkeit seiner Sendung nicht dadurch bewiese, daß er ein trächtiges Kameel aus dem Innern eines Berges herauskommen ließe. Saleh betete demgemäß und siehe ein Fels öffnete sich und ein weibliches Kameel kam hervor, welches bald ein Fohlen warf. Einige der Thamuditen wurden durch dieses Wunder überzeugt und durch den Propheten von ihrer Abgötterei bekehrt; der größere Theil jedoch verharrte im Unglauben. Saleh ließ das Kameel zu einem Zeichen bei ihnen, sie bedeutend, daß ein Gericht vom Himmel auf sie fallen würde, würden sie ihm ein Leid zufügen. Eine Zeit lang ließen sie das Kameel auf ihren Weideplätzen sich ruhig nähren; es ging am Morgen hinaus und kehrte am Abend zurück. Es ist wahr, daß es den Kopf, wenn es ihn zum Trinken aus einem Bache oder einer Quelle niederbeugte, nie eher erhob, als bis es den letzten Tropfen Wasser eingesogen hatte; aber alsdann gab es bei seiner Rückkehr Milch genug, um den ganzen Stamm zu versorgen. Als es jedoch die andern Kameele von der Weide verscheuchte, so wurde es bei den Thamuditen ein Gegenstand des Aergernisses; sie fingen und tödteten es. Hierauf geschah ein fürchterliches Geschrei vom Himmel und ein ungeheurer Donnerschlag, und am Morgen wurden alle Uebelthäter todt, auf den Gesichtern liegend, gefunden. So wurde der ganze Stamm von der Erde vertilgt und sein Land wurde nachher für immer mit dem Fluche des Himmels belegt.
Diese Geschichte machte einen mächtigen Eindruck auf Mohammeds Gemüth, so daß er in der Folgezeit seine Leute in der Nachbarschaft kein Lager aufschlagen ließ, sondern ihnen gebot, von dort als aus einer verfluchten Gegend wegzueilen.
Eine andere Sage, welche er auf dieser Reise kennen lernte, bezog sich auf die am rothen Meere gelegene Stadt Eyla. Dieser Platz, erzählte man ihm, wurde in alten Zeiten von einem Judenstamme bewohnt; dieser fiel in Abgötterei und entweihte den Sabbath, indem er am heiligen Tage fischte, weshalb die alten Leute in Schweine und die jungen in Affen verwandelt wurden.
Wir haben diese zwei Sagen besonders erwähnt, weil beide von Mohammed als Zeugnisse des göttlichen Gerichts über das Verbrechen der Abgötterei angeführt werden und beweisen, daß sein jugendliches Gemüth schon diesen wichtigen Grundbegriff auffaßte.
Die moslemischen Schriftsteller erzählen uns, wie gewöhnlich, von wundervollen Vorkommnissen, welche dem Jünglinge während dieser Reise angeblich begegneten und den Beweis von der beständigen Obhut des Himmels lieferten. Zu einer Zeit schwebte über ihm, als er den glühenden Sand der Wüste durchschritt, ungesehen ein Engel, welcher ihn mit seinen Flügeln beschirmte; das ist jedoch ein Wunder, welches offenbar nicht auf der Aussage eines Augenzeugen beruht; ein anderes Mal wurde er von einer Wolke bedeckt, welche während der Mittagshitze über seinem Haupte hing, und als er bei noch einer andern Gelegenheit den spärlichen Schatten eines verwelkten Baumes suchte, so trieb dieser plötzlich Blätter und Blüthen.
Die Karavane kam endlich in Bosra oder Bostra an, einer Stadt auf der Gränze Assyriens in dem Gebiete des Stammes Manasse jenseits des Jordans. In der biblischen Zeit war es eine Stadt der Leviten gewesen, aber jetzt wurde sie von nestorianischen Christen bewohnt. Es war ein großer Handelsplatz, welcher von den Karavanen alljährlich besucht wurde. Hier gelangten unsere Reisenden zu einem Haltepunkte und schlugen neben einem Kloster nestorianischer Mönche das Lager auf. Von dieser Brüderschaft wurden Abu Taleb und sein Neffe mit großer Gastfreundschaft bewirthet. Einer der Mönche, von Einigen Sergius, von Andern BahiraEinige behaupten, dass diese zwei Namen zwei Mönche bezeichnen, welche mit Mohammed Unterredungen hielten. genannt, erstaunte bei der Unterhaltung mit Mohammed über dessen frühe Verstandesreife und wurde durch sein heftiges Verlangen nach Belehrung, welche sich hauptsächlich auf Religionsgegenstände bezogen zu haben scheint, angezogen. Sie hatten über solche Dinge häufige Unterredungen mit einander, in deren Verlauf die Bemühungen des Mönches vorzüglich gegen die Abgötterei in welcher der junge Mohammed bisher erzogen worden war, gerichtet gewesen sein müssen. Denn die nestorianischen Christen berurtheilten streng nicht allein die Anbetung, sondern sogar die zufällige Aufstellung der Bilder; ja sie trieben die Bedenklichkeiten in diesem Punkte so weit, daß sogar das Kreuz, dieses allgemeine Sinnbild der Christenheit, in dieses Verbot eingeschlossen war.
Viele haben die Kenntniß der Grundlehren und Geschichte des christlichen Glaubens, welche Mohammed im nachherigen Leben bewies, jenen früheren Unterredungen mit diesem Mönche zugeschrieben; es ist jedoch wahrscheinlich, daß er, im Laufe nachfolgender Reisen, welche er nach Syrien machte, weiteren Verkehr mit dem Letzteren hatte. Moslemische Schriftsteller behaupten, daß der Antheil, welchen der Mönch an dem jungen Fremdlinge nahm, daraus entstanden wäre, daß er zwischen dessen Schultern das Siegel des Prophetenthums zufällig bemerkt hätte. Er ermahnte Abu Taleb, sagen sie, daß er, wenn er im Begriffe wäre, sich auf den Rückweg nach Mekka zu machen, Sorge trüge, daß sein Neffe nicht in die Hände der Juden fiele; denn er sah die Anfeindung und den Widerstand, welche er in Ansehung dieses Volkes bekämpfen mußte, mit prophetischem Auge vorher.
Es erforderte jedoch kein Wunderzeichen, daß ein sectirerischer Mönch, welcher ängstlich um Anhänger seiner Partei bemüht war, sich für einen helldenkenden und wißbegierigen Jüngling interessirte, der den Aufseher über die Kaaba zum Oheim hatte und den in sein zartes Gemüth gestreuten Saamen des Christenthums mit sich nach Mekka zurücktragen konnte; es war ferner natürlich, daß der Mönch begierig sein mußte, seinen zu erwartenden Bekehrten, bei dem jetzigen ungeordneten Zustande seiner religiösen Meinungen, an dem Uebertritte zum jüdischen Glauben zu verhindern.
Mohammed kehrte nach Mekka zurück. Seine Einbildungskraft war mit den Mährchen und Erzählungen, welche er in der Wüste vernommen hatte, geschwängert; seinem Geiste waren die Lehren, welche ihm im nestorianischen Kloster mitgetheilt worden wären, tief eingeprägt. Er scheint eine geheimnißvolle Ehrfurcht vor Syrien später stets genährt zu haben, wahrscheinlich wegen der dort empfangenen religiösen Eindrücke. Es war das Land, wohin sich Abraham aus Chaldäa begeben hatte, mit sich nehmend die ursprüngliche Anbetung des Einen wahren Gottes. »Wahrlich«, pflegte er in späteren Jahren zu sagen, »Gott hat stets die Hüter seines Wortes in Syrien erhalten; vierzig an der Zahl; wann Einer stirbt, wird ein anderer an seine Stelle gesendet; durch sie wird das Land gesegnet.« Und wiederum: »Heil den Völkern von Syrien, denn die Engel des freundlichen Gottes breiten die Flügel über sie aus.«
Anmerkung. Die Bekehrung Abrahams vom Götzendienste, in welchen die Welt nach der Sündfluth gefallen war, wird in der sechsten Sure (Abtheilung) des Korans erzählt. Abrahams Vater Azer (Asar), oder Therah (Tharah), wie sein Name in der Schrift gegeben wird, war ein Bildschnitzer und Götzendiener.
»Und Abraham sagte zu seinem Vater Azer: Warum nimmst du gehauene Bilder zu Göttern. Wahrlich du und dein Volk sind in Irrtum.
Hierauf wurde Abraham das Gewölbe des Himmels geöffnet, daß er sehen möchte, wie die Welt regiert würde.
Als die Nacht kam und die Erde überschattete, so betrachtete er einen glänzenden Stern, welcher am Firmament schien, und rief seinen Volksgenossen, welche Sterndeuter waren, zu: Das ist nach euren Behauptungen der Herr.
Aber der Stern ging unter und Abraham sagte: Ich habe keinen Glauben an Götter, welche untergehen.
Er sahe den aufgehenden Mond und rief aus: Wahrlich das ist der Herr. Aber der Mond ging gleicherweise unter, und er wurde irre und betete zu Gott, indem er sagte: Führe mich, daß ich nicht werde wie einer von diesen Leuten, welche vom rechten Wege abgehen.
Als er die aufgehende Sonne sah, rief er aus: Das ist der Ruhmvollste unter allen; das ist gewißlich der Herr. Aber die Sonne ging auch unter. Hierauf sprach Abraham: Ich glaube nicht, o meine Landsleute, an diese Dinge, welche ihr Götter nennet. Wahrlich, ich wende mein Gesicht zu Ihm, dem Schöpfer, welcher Beides, die Himmel und die Erde gemacht hat.«