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Thougs

Sie saßen beim Whiski und nahmen sich gegenseitig im »Vierblatt« das Geld ab. Der eine, dem der Kahlschnitt des Haupthaares und der minimal gestutzte Schnurrbart nicht von deren brennendroter Farbe halfen, warf plötzlich die Karten hin.

»Is ja ekelhaft dumm, Jimmy … Du nimmst mir ab, ich nehm' dir ab … schließlich nimmt doch jeder, was er will … wenn ich was brauch und du gibt's mir nich – na, nich wahr?!«

Der andere nickte. Ein feines, blasses Gesicht von kühler Unbeweglichkeit … In den mattblauen Augen der letzte Grad von erbarmungslosem Egoismus.

Sie rauchten ihre Shagpfeifen. Der Rote schlug schnell und geschickt eine Volte nach der andern. Dann steckte er die Karten mit einem Griff zusammen und warf sie in meterbreitem Fächer über den ganzen Tisch.

»Tipp' eine, Jimm!«

Der Blasse zeigte mit den Augen auf das Kartenhalbrund.

Der Rote nahm Herzdame.

»Die … was?«

»Ja … und damit hast du früher Geld gemacht?«

Der Rote nickte.

»Nachdem ich wegen Falschspielens verurteilt war … Gott … zehn Jahre …«

Der Blasse lachte:

»Hast du gesessen?«

»No … is es her … war damals vierundzwanzig!«

»Na, hätt'st doch wieder Ingenieur werden können.«

»Hast du 'ne Ahnung … das gibt's hier nicht! … Drüben, ja … aber … na ja … das ist die Herzdame, Jimmy … kuck her!«

Er ließ die Karte auf dem rechten Handrücken einen Augenblick tanzen, balancierte sie scheinbar, die umkippte – im nächsten Moment war sie fort, verschwunden, wie von der Luft aufgesogen.

»Reizend!« sagte Jimmy. »Ganz reizend! Das ist das Hübscheste, Fred, und verblüfft am meisten!«

»Well,« sagte der Rote, »die Herzdame heißt Mary Müller.«

»Wieso?« meinte der Blasse unsicher.

»Wieso? Na, weil sie ebenfalls verschwinden muß!«

»Ach!«

»Na, hör' mal, vor zwei Wochen ist die Rentiere Hanstedt in einem Vorort ermordet worden. Die Frau hatte tags zuvor über hunderttausend Mark auf eine Hypothek ausbezahlt erhalten. Das müssen die beiden gewußt haben, die da draußen waren. Sie habens vielleicht gar nicht gewollt, aber … nehmen wir mal an: sie waren gerade am Safe … das Schloß aufgeschmolzen … die Schiebestangen knaxten, und mit einem Male steht die Alte da mit 'nem Revolver … muß übrigens Courage gehabt haben … Na, 's knallt, und dann hat sie ihr Ding weg, die Alte … dumm natürlich, aber nicht zu ändern. Sonst scheint alles glatt gegangen zu sein … bloß der eine von den beiden Leuten ist, wie gewöhnlich, dickköpfig gewesen – 'dam your eyes! – un hat durchaus 'n Smaragdring für seine Liebste mitgenommen … fehlte natürlich nachher, der Ring, aber die Blätter schreiben: Außer dem Geld fehlt nichts! Das war Falle, ganz ordinärer Schmus! … Der eine hat's gleich gesagt … aber der andere, der weiß's natürlich besser und schenkt den Ring seiner – Coeurdame … na, und nach acht Tagen wird die Falle zugezogen. »Jetzt hat sich herausgestellt, daß doch ein Smaragdring fehlt, der sieht so und so aus«, sagten die Zeitungen … Haha! solche Dummheit! Herzdame hat 'n gleich erkannt, den Ring; sagt aber nichts, bis ihr klargemacht wird, daß sie hier bleiben muß, wenn ihr Liebster wieder übers Wasser geht …«

»Hör' doch auf, hör' auf!«

Der Blasse drückt wütend seine weißen, schmalen Hände an die Ohren. Der Rote grinst kopfschüttelnd:

»Nutzt nichts … vor den Tatsachen kann man sich nicht verkriechen!«

Und er nahm abermals die Karte, stellte sie von neuem auf den Handrücken, ließ sie dort noch länger und geschickter tanzen, bis sie umfiel – um wieder wie durch Zauber zu verschwinden. Dann nahm er ein kleines, mit goldgepreßtem Leder überzogenes Kästchen vom Schreibtisch, – darin lag Herzdame.

Der Bleiche stopfte seine Shagpfeife. Sein längliches, wie bei einer rassigen Frau geformtes und ganz bartloses Gesicht war voller Unruhe und Widerwillen, als er sprach:

»Wie denkst du dir denn das? Mary ist doch keine Karte!«

Der Rote nickte langsam und preßte sein breites Negermaul zusammen, daß das Kinn schrecklich hervortrat. Er zeigte auf das goldene Lederkästchen:

»Statt dessen nehmen wir den großen Koffer. Die Wohnung ist auf ein Halbjahr gemietet. Wir verreisen, schließen ab. Den Koffer ins Mittelzimmer, die Fenster oben offen. Ehe der Geruch durch die Türen dringt, sind wir lange drüben. Sie kommt doch nachher, nicht?«

Der Blasse schüttelte sich:

»Ich kann's nicht!«

Der Rote nickte wieder, seine grünlichen Augen wurden unnatürlich groß, und da die Nase über dem wulstigen Mund hakig gebogen, die abstehenden Ohren klein und spitz waren, so erhielt diese seltsame Physiognomie auf einmal einen satanischen Ausdruck; das Gesicht starrte wie aus einem jener altholländischen Bilder, die den Gottseibeiuns in phantastischer Laune zeigen – grotesk, schauerlich.

»Paß auf, Jimmy! … Und denke dran, daß sie uns beiden die rote Binde umlegen, wenn sie pfeift, die Mary! … möchst du, ja? … Ich nich! … na! … also, sie kommt, nicht wahr? … Du ganz Liebe und Zärtlichkeit … da auf dem Sofa …«

Er erhob sich, ging den Schritt hin zu dem kleinen, lehnenlosen Kanapee, hinter dem ein Kelim die Tür zum Nebenraum deckte. Die Stofffalten zog die rötlich behaarte Hand auseinander: da gähnte ein faustgroßes Loch im Gewebe, auch in der Füllung der dahinterliegenden Tür – in Kopfhöhe. Dann zog der Rote eine kleine Repetierpistole aus der Tasche:

»Knallt fast gar nicht.«

Er nahm den Patronenrahmen heraus:

»Siehst du, die Patronen sind vorn abgefeilt, eine genügt … Du legst deinen Kopf in ihren Schoß …« Er grinste, daß es den Blassen, der doch auch kein Neuling war, schauderte, und setzte hinzu:

»Daß ich nicht aus Versehen dich treffe. Jimmy!«

Da ging die Klingel.

Mary war's. Als sie eintrat und nur Jimmy sah, leuchtete ihr hübsches Dirnengesicht.

»Is das Ekel weg? … Gott sei Dank! … Ich könnt'n immer ins Gesicht schlagen … das heißt: Gesicht! … Der hat ja keins! … Wie 'n Pavian sieht er aus, aber von hinten … pfui Deibel!«

Der Bleiche lachte, gab sich Mühe zu lachen … Und sagte:

»Haste mir was mitgebracht?«

»Ja, du Süßmaul!«

Sie holte Pralinees aus ihrer großen Silbertasche. Er legte sich auf die Kissen des Kanapees, Sie saß vor ihm. Und er bekam's fertig, da sie noch nicht ganz richtig saß, um abgeschlachtet zu werden, sie ein bißchen weiter hinaufzuziehen.

Da nahm sie den Spiegel aus der silbernen Tasche und putzte an ihren flimmernden Stirnlöckchen.

Und wurde plötzlich wie Stein.

Im Spiegel hatte sie hinter sich eine Bewegung des Kelims gesehen. Die Falten schoben sich leise.

Mary schluckte ein paarmal, holte tief Atem und sagte, stockend:

»Ach, da wird mir wieder so … so … mein Herz … ich bekomme keine Luft … «

Das letzte stieß sie in qualvoller Angst heraus, sprang auf, stürzte zu dem geschlossenen Fenster hin, riß beide Flügel auf und lächelte, mit dem Gesicht einer Leiche sich umwendend, dem Geliebten zu:

»Gott sei Dank … das kriegt ich jetzt so oft … der Arzt sagt, ich muß eine Kur machen.«

Er war auch aufgestanden, war ihr nachgegangen, unsicheren Schrittes, voll tödlicher Angst, der andere könne reinkommen und mit offener Gewalt ein Ende machen.

»Was hast du denn?« sagte sie, der der geschminkte Mund wie Blut im weißen Antlitz stand, »was ist denn mit dir, Jimmy?«

»Ich ängstige mich … um dich … Liebchen!«

»Wir wollen fortgehen … ja … raus … da wird mir bald besser …

»Ja, ja …«

Er eilte, daß nicht Fred doch noch käme.

Der kam nicht. Hatte sich vorgenommen, die Sache durch die Tür zu machen, hatte alles gehört, aber nicht den Spiegel in Marys Hand gesehen; so sagte er sich: sie kommt wieder, Jimmy wird sie schon nicht aus den Fingern lassen.

Nach zehn Minuten kam Jimmy – allein.

»Sie ist so krank geworden, ich hab' sie nach Haus bringen müssen.«

»Meinst du, sie hat was gemerkt?«

»Aber keine Ahnung! Das hat sie schon öfter gehabt, Herzspann, sagt sie, ist es.«

Der Rote rieb mit seiner großen Hand das kantige Kinn:

»Leider nicht genug, um uns die Arbeit abzunehmen … dumm, wenn sowas nicht beim ersten Male klappt … würde am liebsten abfahren … gleich … aber die hinter uns lassen – nein, es geht nicht … Also morgen zweiter Akt … zu dumm! … was machen wir denn jetzt, gehen frühstücken, was?«

»Wie du willst, Fred … Hunger hab' ich ja keinen, danach …«

»Schlappier! Wirklich, du bist ein linker Prinz, Jim!«

Das Telephon klingelte. Der Rote nahm den Hörer:

»Hallo! … ja … wie ist der Name? … jawohl, Mister Scott, ein gutes Geschäft mach' ich immer! sehr gern! … in zehn Minuten, sagen Sie? … well … aber nicht länger, bitte! Der Vormittag ist kurz.«

Er wandte sich zu seinem Genossen:

»Ein Mstr. Scott … der uns durch Felderhaus kennt … ein Geschäft sagt er … sicher und Bargeld … na, wir werden ja sehen … hierbleiben müssen wir doch noch … auf alle Fälle, bis das Mädchen …«

Seine große, haarige Kralle machte eine häßliche Bewegung. Und der Komplice, dessen Nerven nicht so fest waren, sah einen weißen, zuckenden Hals und wild in die Luft greifende, mit Brillanten geschmückte Frauenhände.

Er blickte zu dem Roten hin, der ans offene Fenster getreten war, und sah, obwohl jener nur die breiten Schultern, den Stiernacken und darüber den rothaarigen Schädel zeigte, doch das Gesicht des Raubmörders, seine Basiliskenaugen und die tierischen Kiefer, die geformt schienen, das Opfer mit den Zähnen zu zerreißen.

Da graute dem blassen Menschen. Er dachte an ferne Tage, wo eine weinende Mutter seine Hände festhielt und ihn beschwor umzukehren auf dem Wege, den er doch weitergegangen war und der ihn – das fühlte er in dieser Stunde mit klarem Bewußtsein – bald zu einem dunklen Ende führen würde.

Es klingelte.

Fred ging öffnen. Jimmy folgte in banger Ahnung.

Die Treppe stand voller Polizisten.

Der Kommissar hielt den gespannten Browning in der Rechten.

»Ergebt Euch!«

»Was wünschen Sie?« fragte der Rote scheinheilig. Das ist wohl eine Verwechselung …«

Dabei suchte er nach einer schwachen Stelle in der Reihe der Beamten.

Und sprang plötzlich zu. Wie ein Tiger!

Es knallte. Ein paar Mal. Der Blasse lag röchelnd am Boden. Der andere ward überwältigt und gefesselt abgeführt.


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