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Ein Stückchen schwarze Hornschale

In acht Tagen war Weihnachten, und dann noch eine Woche … Ja, bis zum ersten Tage des neuen Jahres gab er sich Zeit … Wenn sich dann noch nichts geändert hatte, dann hing er sich auf! … Aber was sollte sich ändern? … Er war verurteilt, zum Tode verurteilt, hatte Revision eingelegt … oder der Anstaltsgeistliche hatte es für ihn getan, er selbst war ja vollkommen irre gewesen in der Zeit … Die Revision wurde verworfen … er stand oder saß in seiner Zelle und weinte unaufhörlich … dann kam die Begnadigung … lebenslänglich …

Das war zwei Jahre her … Und Ferdinand Retter war einunddreißig Jahre alt … Ja, er hatte ein gut Teil seines Lebens verbummelt. Und wenn er zuerst Pech gehabt hatte und seine Stellungen ohne sein Verschulden verlor, später war er nachlässig geworden und hatte überhaupt nicht mehr gearbeitet … Die Weiber! … besonders die Lilli, die hätt' er nicht kennen lernen müssen! Und was für'n Bild von Frauenzimmer war sie doch gewesen, damals, als er mit den Kollegen aus dem Geschäft seinen Geburtstag feierte und sie zuletzt noch in den »Paradiesgarten« gingen, wo sie bediente … Gleich den ersten Abend ging sie mit ihm, war wie toll vernarrt in seine dunklen Locken … ach, wo waren die Locken hin, die Locken und alles andere!

Ja, da hatte es angefangen. Sie verdiente, erst in der Kneipe und dann allerwärts … und er rutschte verdammt schnell auf der dreckigen Bahn mit herunter … Die Nächte durch wurde gespielt und gesoffen, den Tag über rumgebummelt und Dummheiten gemacht mit den sogenannten »Brüdern«, deren ordinärer Stumpfsinn ihn innerlich anwiderte … Er hatte ja keinen mehr, mit der Familie war er vollständig zerfallen … Dann kam der große Krach mit der Lilli, die zeigte ihn an, wegen Zuhälterei, und er bekam ein Jahr Arbeitshaus … Das gab ihm doch einen furchtbaren Ruck! Er wollte umkehren. Aber es war schon zu spät. Es behielt ihn keiner: er war nicht mehr fähig, sich zusammenzunehmen und hintereinander zu arbeiten … Wiewohl er erkannte, daß er immer tiefer sank … Später, da hatte er eine, die Gustava hieß, eine Polin, die ging in die Warenhäuser, auf Bekanntschaften, und gleichzeitig räuberte sie da auch … von der hatte er's gelernt … von da an stahl er.

Ein paarmal war er in Untersuchung … aber ihm war nie was zu beweisen … seine Intelligenz und Ruhe retteten ihn jedesmal vor dem Gefängnis und das machte ihn sicher. Er fing an, Einbrüche zu verüben. Zuerst allein – wenn er dabei geblieben wäre! – aber für große Sachen reichte seine Kraft nicht aus; ihm fehlte die handwerksmäßige Geschicklichkeit. Und so tat er sich mit dem »Schnepper« zusammen, der eigentlich Karl Ladewig hieß und ein verkommener Ingenieur war.

Der Zuchthausgefangene wickelte sich fester in seine Decken. Die Dezembernacht war bitterkalt. Die Warmheizung ging noch nicht, sonst summte und zischte es in den eisernen Röhren. Draußen schlich auf seinen Filzschuhen der Nachtaufseher den Korridor entlang. Der würde Augen machen am Neujahrsmorgen, wenn er den »kahlen Nante« sehen würde wie er am Fensterriegel hing und ihm die blaue Zunge raussteckte.

… Hm … der Schnepper … mit dem hatte er drei Jahre zusammengearbeitet, das heißt: gestohlen und eingebrochen. Hernach hatte die Gustava, das alte Frauenzimmer, sie auseinandergebracht. Und kaum drehte der Schnepper das erste Ding alleine, da atrappierte ihn einer von der Wach- und Schließgesellschaft, holte die Polente, und der gute Schnepper, der natürlich gleich seine Kanone raushatte und schoß, bekam ein paar Kugeln in den Bauch. Später waren sie sich aus den Augen gekommen. Denn Schnepper, zäh wie eine Katze, hatte sich doch wieder ausgeheilt.

Der Mond kam ins vergitterte Fenster. Auf der hellbeschienenen Wolldecke lagen schräg und verbogen die eisernen Traillen … Nein, hier wollte Ferdinand Retter nicht bleiben! … Er hatte es dem Pfarrer in die Hand versprochen: wenn Gott ihm helfen würde, seine Unschuld zu beweisen und rauszukommen, dann wollt' er arbeiten, Tag und Nacht! Wollte keinen Schnaps trinken und kein Bier und die Frauenzimmer meiden, wie die Pest! Auch seine Rache wollt' er vergessen, an diesem Satan, der Gustava!

Er hatte sie satt gehabt, bis dahin! Und es war zu den scheußlichsten Szenen gekommen, eckelhaft! … Aber wo er auch hinging, wo er sich auch verbergen wollte, sie war hinter ihm her, wie das Wetter! Und wenn er sie halbtot schlug, sie kroch ihm nach und winselte wie ein Hund an seiner Schwelle … Aber er konnte nicht mehr, er konnte sie nicht mehr sehen! Der Ekel und der Abscheu fraßen ihn auf, wenn sie ihn bloß anguckte! … Endlich dachte er: jetzt bist du sie los! Da kam ein Brief: »Wenn du mich nicht reinläßt, laß ich dich hochgehen!« Er lachte – und wurde am folgenden Morgen, früh um 6 Uhr, aus dem Bette geholt, von der Kriminalpolizei … na, sie konnten ihm ja nichts, aber's war doch scheußlich; die denunzierte immer weiter, die Gustava … Und dann vollzog sich sein Schicksal …

Damals handelte er mit Lotterielosen, zum Schein … Und gleichzeitig »spannte« er feste, wo sich irgend was machen ließe … Er hatte dummerweise aus dem Adreßbuch eine Liste herausgezogen von lauter alleinstehenden Frauen, und die trug er bei sich, als er verhaftet wurde. Er hatte ja noch das Papier rasch runterschlucken wollen, aber sie hatten's ihm aus dem Mund gerissen! Und da stand der Name der alten Frau Hallband auch drauf …

Der Liegende atmete schwer. Trotz der Kälte in seiner Zelle, die die beiden Decken nicht vollkommen abhielten, ward es ihm auf einmal glühend heiß … Er knirschte vor Wut und sprang mit nackten Füßen vom Bett, das an der Wand in eisernen Haspen hing, auf den eisigen Asphaltboden. Dabei lachte er irr und schauerlich, heiße Tränen stürzten aus seinen, vom vielen Weinen entzündeten Augen.

Nein, das hatte er dem Pfarrer, so lieb er ihn hatte – denn er war der einzige Mensch, der zu ihm hielt und der den Beteuerungen seiner Unschuld glaubte – das hatte er ihm nicht versprochen, daß er dies verfluchte Dasein aushalten würde, zehn, zwanzig Jahre, vielleicht noch länger, bis er verkommen und verblödet, wie ein altes Tier drüben im Lazarett krepierte … Da war einer, der hatte seine Frau erschlagen, der schleppte sich so hin seit dreißig Jahren … Ach, nein! … bis Neujahr! … Dann wurde er sein eigener Retter! Dann wurde der »kahle Nante« entlassen, aus eigener Gnade! Und seinetwegen in die blanke Hölle 'rein, bloß raus aus diesem Hause der Verdammten!

Er hatte ja die Frau in seinem Leben nicht gesehen! … vorher … er kommt da rein! … die Küchentür nach dem Flur ist offen! … Da liegt sie! … zerstochen, wie'n Sieb! …

Beinah ohnmächtig war er geworden bei dem furchtbaren Anblick zuerst … Und im nächsten Augenblick sagt er sich: bloß weg! … wenn dich hier einer findet, bist du verloren! …

Indem klingelt's draußen!

Er steht wie vertattert … was soll er tun? … weg? … ja, aber wohin denn? … die Wohnung hat ja bloß den einen Ausgang durch die Küche! …

Nun schleicht er sich an die Tür, die Küchentür …

Da draußen sprechen 'n paar … ziemlich leise … aber es sind Frauenstimmen …

Voller Angst, in einer gräßlichen Aufregung kann er nicht zum Entschluß kommen … Er möchte die Tür aufreißen, die beiden Weiber über den Haufen rennen und die Treppe runter … aber er wagt's nicht! …

Indem sagt die eine draußen:

»Ach, Herr Müller, sehen Sie doch bloß mal, bei der alten Frau Hallband, da ist Blut an der Klinke und da, sehen Se, da auf der Matte auch 'n paar große Troppen … was is da bloß los?.

»Ja, ja,« fällt die zweite ein, »und aufmachen tut auch keiner … Ich habe schon vor 'ne halbe Stunde bei se geklingelt … un vorhin, jetz' eben, da war's, als wenn einer sich drin langschleicht.

Mehr hört Ferdinand Retter nicht. Auf den Zehenspitzen steigt er ins Zimmer, über den Leichnam der Erstochenen weg, ans Fenster, das – es war ja Sommer damals! – weit offen steht.

Es ist Hochparterre, vielleicht vier Meter … und unten ein kleiner Garten … kein Mensch zu sehen … der Eingeschlossene zögert und zaudert … es sind schon viel mehr Stimmen draußen auf der Treppe … jetzt klappert's am Schloß … Da ist er auf der Fensterbank … er springt! … und liegt unten mit verknaxtem Knöchel, daß er keinen Schritt gehen kann.

Der Tischler im Parterre, der hat ihn zuerst gesehen … fragt ihn … hilft ihm auf … da guckt oben aus dem Fenster ein Weib und schreit:

»Da ist er! … Das ist er ja!! …«

… Sie hätten ihn beinah umgebracht! … Und, wahrhaftigen Gott, es wäre besser gewesen, wenn sie's getan hätten! … Ach, zuerst, wie er in Moabit saß, da hatt' er gar keine Angst! … was konnte ihm denn geschehen?! … Er hatte ein paar Einbrüche gemacht, das war an der Hand der Liste, die er dummerweise bei sich trug, bewiesen, und er hatte es auch nicht geleugnet! – Den Mord? – Den hatte er doch nicht begangen, da war er ja so unschuldig dran wie das Kind im Mutterleibe!!

Es kam zur Hauptverhandlung … Sein Anwalt hatte gesagt: »Ängstigen Sie sich nicht, ich kriege Sie frei!«

Da, drei Tage vor'm Termin, meldet sich eine gewisse Gustava Wielopolska, gibt an, der Angeklagte Retter sei jahrelang ihr Zuhälter gewesen. Und wenn sie ihn auch zuerst nicht hätte reinlegen wollen, ihr Gewissen ließe ihr doch keine Ruhe: das Stückchen schwarzer Hornschale, was bei der Leiche gelegen hätte, gehörte zu einem Dolchmesser, das sie selber dem Angeklagten geschenkt hätte.

Der Züchtling, der wieder auf seinem harten Lager ruhte, ballte die mageren Hände und krallte sie ineinander, als hätt' er dazwischen den Hals der Frau, die ihn zum lebendigen Tode verdammt hatte mit ihrem gleißnerischen Zeugnis … Seine Zähne knirschten, was ein Menschenherz an Haß und Rache sinnen kann, das kocht in ihm! Jetzt, in diesem Augenblick, könnt' er wirklich zum Mörder werden an der, die ihn ja auch morden wollte und die ihn nun an jedem Tage tausend martervolle Tode sterben läßt!.

Sie hatte ihm ja ein Dolchmesser geschenkt, ja! Aber doch ein ganz anderes … Vor Jahren schon … Und das war rot gewesen, so aus braunrotem Holz war die Schale … Aber nicht allein sie, dieses Schandmensch, nein, auch die Wirtin, wo sie damals gewohnt hatte, natürlich auch so'n Stück Unglück, und noch eine sogenannte Freundin, ein hysterisches Weib, die nicht den Mund aufmachen kann, ohne zu lügen – alle drei beschwören es und nehmen's auf ihren Eid: das Stückchen schwarze Hornschale gehört zu dem Messer, das ihm die Gustava geschenkt hätte!

Da mußten ihn die Geschworenen ja schuldig sprechen! … Blut war auch an seiner Hose … wer weiß, wie er dazu gekommen war! … Und konnte von Glück sagen, daß man ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt hatte … Von Glück … Ja, ja, er hatte immer viel Glück gehabt in seinem Leben … Na, sein Leben war nur noch kurz! … Am Neujahrsmorgen …

… Donnerwetter, was kloppte denn der alte Esel da fortwährend! … Er wollte keine Gespräche mehr führen! Er hatte genug von den Halunken, drin ebensogut, wie draußen! …

Da schnarrte ein Räuspern an der Heizklappe … Also der wußte Bescheid, nebenan … Und nun klopfte es wieder … wie? … tack tack tack … tack … tack tack … tack tack tack …

Der Gefangene setzte sich im Bette auf … Wenn das nicht ein Zufall war … Das Zeichen kannte nur »Schnepper« … Im Nu hatte er seine zwei Decken um den Leib genommen, den Sitzschemel an die Wand, unter die Heizklappe gerückt und reckte sich, um, trotz seines langen Körpers, die hohe Öffnung zu erreichen.

Schnepper war kleiner. Aber er hatte sich, wie er gleich sagte, auf irgendeine Art ein Sprachrohr konstruiert, das er in die geöffnete Klappe schob … so hörte ihn sein alter Komplice deutlich …

»Drei Jahre hab' ich diesmal,« sagte er im Flüsterton, »die alte Geschichte … Schaufenster … ich kann jetzt, so alleine, schwer an was Großes rangehn … Ja, wenn du noch dabei gewesen wärst!«

Ferdinand Retter wollte sagen: »Bei mir is's aus! Ich mach so was nicht mehr!« – aber er verkniff sich das.

»Der ›Rollede‹ is auch hochgegangen, dichte vor mir,« erzählte Schnepper weiter, »der hat so alte Frauen jemacht, weißte, die alleine ihre Bleibe haben …«

In des kahlen Nantes Seele spannte sich eine Saite, während der andere erzählte:

»Se haben auch'n Zettel gefunden bei ihm … na, du weißt ja, gerade so wie bei dir … is ja eigentlich 'ne Dummheit … kolossale Dummheit … sowas … Und wir hatten gerade noch was bedibbert, 'n Abend vorher, weißte! … Bloß, ich wollte nich recht ran, der kriegt immer gleich sone kullrigen Augen, der Kerl! … und hat ewig 's blanke Messer aus de Tasche … das trägt er so eingenäht mit Leder, wie in 'ner Scheide … Und weißt du, Fernand, das Allerdollste, den Abend vorher gibt er mir doch das Messer, ich sollt's wieder 'n bißchen zurecht machen … ein Stück von de Hornschale war losgegangen …«

»So 'ne schwarze Hornschale?« fragt Ferdinand und die Saite in seinem Herzen schwingt zitternd.

»Ja, hast du's denn mal bei ihm gesehn?«

»Ich glaube … 's war so'n langes, spitzes Messer …«

»Ja, ja … 'n paar Hämmer sind drauf eingraviert, darunter steht Remscheid …«

Ein schwerer Seufzer kam von drüben her Schnepper horchte auf und fragte:

»Biste noch da, Nante?«

»Ja,« klang es leise, wie aus einer Brust, die Zentnerlasten pressen … Und wieder ein wenig lauter und fester:

»Ich hab 'n gut gekannt … wie hieß er doch mit seinem wirklichen Namen gleich?«

»Warte mal, Mensch, warte mal! … Ach ja, richtig, Willert! … Max Willert …«

Ferdinand Retter hatte diesen Menschen nie gesehen, aber er erblickte ihn vor sich, hier im Dämmerlicht des Mondes … er sah ihn, ein langes, spitzes Messer mit einer schwarzen Hornschale am Griff schwingen, über einer alten Frau, die in Strömen von Blut verröchelte.

»Biste noch da?« fragte Schnepper.

»Ja …« und mit einem furchtbaren Scherz fügte er hinzu, »ich bleibe hier … lebenslänglich!«

»Armer Kerl … Wie kannste aber auch so'ne Sache machen?!«

»Ich habe den Mord nicht begangen.«

»Na ja, gewiß, aber hör' mal, Nante … wir sind doch hier ganz alleine unter uns …«

»Was haste denn mit dem Messer gemacht?« unterbrach ihn der andere.

»Ach, das is ja das Dumme, das haben sie mir abgenomm'n, wie ich verschütt ging … Das liegt bei meinen Akten … und denn, weißte, Nante, die dich reingelegt hat, die Gustava …«

Der drüben sprach gewiß noch weiter, sagte, was mit Retters Todfeindin geschehen sei – aber Ferdinand Retter hörte ihn nicht.

Der Züchtling war von seinem Schemel herabgestiegen und stand im hellen Mondschein, in seiner Decke einer gespenstischen Erscheinung gleich – denn der fast kahle Schädel über dem todblassen Gesicht entsprach ganz diesem Bilde! – er stand mitten in der Zelle, groß und unbeweglich.

Und seine Augen weiteten, seine Nasenflügel blähten sich, und die Saite in seinem Innern war straff, als müßte sie zerreißen!

Was die Seele dieses Mannes in den zwölf Stunden, die bis zum nächsten Vormittag vergingen, was da die zur letzten, großen Wanderung schon bereite Seele durchkämpfte und durchlitt; wie sie blutend hinaufkletterte am schroffen Grat der Hoffnungen und hunderttausendmal herabstürzte in den schwarzen Abgrund aller Verzweiflungen; wie sich alles, was noch gut war in ihr, zusammenschloß zu dem demütigsten Gelübde an Gott und die Menschen, und wie doch der Trotz wieder herkam und zerschlug alles Gelobte zu Scherben; wie die Sekunden zu Messern wurden, die jedes unbarmherzig in ein zuckendes Leben stachen, und wie überall in den Ecken, drinnen in der Zelle und draußen auf dem verschneiten Zuchthaushof, der Wahnsinn kicherte; und wie dann Ferdinand Retter sich am nächsten Morgen zum Pastor führen ließ, als sei es der Henker, der ihn jetzt erwartete – das löschte in dem Buche des großen Richters droben die Schuld, die der »kahle Nante« in seinem Leben auf sich geladen hatte, blank und rein aus.

»Ich will nur wünschen, daß Sie recht haben,« sagte der Greis im schwarzen Rock, »bitten Sie Gott, daß er Ihnen beisteht!«

Damit ging der Geistliche und suchte jenen Max Willert auf, den sie draußen »Rollede« nannten.

»Ich komme zu Ihnen im Auftrage eines Lebenden und einer Toten«, sagte der alte Mann feierlich.

Der Verbrecher verfärbte sich, tastete mit den großen Händen hinten an die Wand, als ob er eine Waffe suche, und sagte:

»Wieso?«

»Der Lebende ist der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Strafgefangene Ferdinand Retter, die Tote ist die ermordete Frau Hallband, und zwischen beiden liegt ein bluttriefendes Messer … das ist das Ihre!«

Der Verbrecher lachte heiser. Sein Kopf wurde rot, seine bösen Augen flogen hin und her … Die Lippen gingen ihm voneinander und Schaumbläschen traten dazwischen hervor … Auf einmal stieß er einen Schrei, ein wildes, tierisches Geheul aus und stürzte sich auf den Pastor!

Der packte den Sitzschemel und verteidigte sich … Er wäre dem Rasenden erlegen, wenn nicht im nämlichen Moment der Aufseher, aus Sorge um den verehrten Mann, durch den Spion geblickt, die Gefahr gesehen hätte und hereingedrungen wäre.

Da wandte sich der Tobende gegen den Bewaffneten, bis dessen Säbel ihn durch und durch stieß.

Er lebte, er atmete aus roten Quellen, und über den Asphalt floß sein schäumendes Blut. Da packt ihn die Angst, und sich an den Pfarrer, der bei ihm kniete, festklammernd, bat er ums Leben.

Aber der Tod kam und gebot Frieden … Und mit schon verfärbten Lippen gestand Max Willert den Mord ein.

An einem hellen Tag ging Ferdinand Retter in die Freiheit. Der alte Geistliche gab ihm das Geleit.

»Da vorn,« er deutete in die sonnige Welt, »da liegt für Sie ein neues Leben! Vergessen Sie das alte und werden Sie glücklich in dem, das Sie erwartet!«


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