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Der Clown Butzebach (er nannte sich Senor Alvarez!) und der kleine Graf von Tassetor, früherer Rennreiter und Ulanenoffizier, nun Spieler gewagtester Fashion und ein wenig verrufen in den Kreisen seiner Geburt, – die saßen gegen vier Uhr im Café Trokadero, das ziemlich an der Peripherie der Stadt liegt. Man zeigt den Gästen dort dressierte Schweine, kurzgekleidete und nacktbusige Damen, die vorgeben, zu singen; eine Akrobatentruppe, die fünf Rigelows, treten auf, und ein Zauberkünstler, Bellachini der zweite, bemüht sich, vom Publikum Gegenstände zu erlangen, die er verschwinden lassen will. Die Pausen füllt der alte Butzebach, dessen junge Frau im Publikum sitzt und jedem der Artisten, ihrem Manne am meisten, Beifall klatscht.
Mäßiger Kunstgenuß im verbauten Raum eines verkrachten Cafés, das ehemals nur den Priesterinnen der Venus vulgivaga gewidmet, noch immer den Straßenmädchen eine angenehme Abwechslung und Erholung im ewigen Kreislauf ihres nächtlichen Daseins bietet.
»Du mußt rauf, Butze, der Alte kuckt schon!« Die blasse Frau von zwanzig Lenzen mit den wie in stetem Fieber brennenden Lippen berührte mit ihren leichten Fingern den Arm des, einer weißgeschminkten Mumie ähnlichen Clowns, der sogleich roh mit dem Ellenbogen nach ihr stieß und fluchte:
» Caracho! Caramba! Mala coberta!« Und er schimpfte im gemeinsten Spanisch Worte, die die deutsche Zunge nicht kennt. Aber er ging dann doch wankenden Schrittes auf die Bühne, wo er sofort Kopf stehend mit gräulichen Grimassen, bellend, grunzend und den heiseren Ruf der Autohupe gröhlend, sein Publikum belustigte. Die Vorstellung begann am Abend um zehn Uhr und endigte nicht vor dem Morgen. Und der Clown, als einziger von seinen Kollegen, mußte durcharbeiten, er war trunken und irrsinnig vor Müdigkeit und Wut, wenn ihn die blasse Frau bei Sonnenaufgang heimbrachte.
»Befrei' mich von ihm! … oder ich laufe fort und du siehst mich nie wieder, Gert! … ich halt' es nicht mehr aus, sage ich dir! … Jedesmal schlägt er mich … und wie! … Ah, dieser Lump, dieser Schuft! … schließt die Tür ab … und dann mit der Reitpeitsche … um den Tisch rum … die Wände lang, über die Stühle! … ich wehr' mich! … da wird er rein rasend! … ich soll schrein, das will er, der Satan! … aber ich schreie nicht! … ich schrei' nicht, und wenn ich tot liegen bleibe!«
Die Frau sprach das alles mit einer verhaltenen, ganz leisen Stimme, in der doch der wütendste Haß, aller Abscheu und der drohende Mord tobten. Sie blieb dabei weiß im Gesicht, wie unter einer Schicht paste blanche, aber ihre Lippen brannten, als spränge das gemarterte Blut daraus, und die großen, mandelförmigen Augen loderten wie die Hölle.
Der kleine Adelige sah sie mit seinen hellblauen, ein bißchen stieren Augen scheu an. Auch ihn hatte lange der Alkohol beim Schopf, ein anderes Getränk wie Kognak kannte er kaum mehr. Aber er liebte die Frau. Sie war Tänzerin gewesen, eine große Nummer an allen Varietés. Doch das Morphium spielte ihr die tollsten Streiche. Mitten im Tanzen fing sie zu toben an, zerriß ihr Schleierkleid und tanzte dann nackt, wie sie Gott geschaffen, weiter, engelsschön, aber von der Art jener gefallenen Engel, die Gott verfluchen und die an der blutenden Wundheit ihrer Seele vergehen, wie an einer übermächtigen Flamme.
Gert von Tassetor sah sie scheu an:
»Soll ich ihn etwa ermorden? … was?«
In dem vollen Saal, über dem im gelben Licht der zerrissenen Seidenschirme der Rauch in Schwaden wogte, gab es Lärm. Betrunkene hatten Streit mit Mädchen, die sie hierher verschleppten. Die Kellner in weißen Jacken, der Geschäftsführer im speckigen Gehrock und die Gäste in ihrer Vorstadtbuntheit liefen zusammen, alle auf einen Haufen. Wütende Stimmen, Gekreisch und schrille Schreie, dann wurde jemand, der laut fluchte und schimpfte, hinausgestoßen; der Knäuel löste sich, es gab Ruhe, Gelächter, und von der Bühne her machte Señor Alvarez »Kikeriki! kikeriki!« und stolzierte, seine Hennen lockend, hin und her.
»Du willst nicht, Liebster, du willst nicht?!«
»Aber ja, Juana, ja, ich will alles, was du willst … nur … ich bin doch kein Straßenräuber! … ich kann doch keinen totschlagen.«
Sie starrte, die langen, spitzen Nägel in das Fleisch der weißen Hände bohrend, vor sich hin. Wie gestorben, hing sie bewegungslos in ihrem Stuhl. Dann mit der stets und selbst in letzter Ekstase berechneten Pose der Hysterischen warf sie den bleichen Kopf mit seiner blauschimmernden Flechtenkrone zurück und sagte, wie in einem unwiderruflichen Entschluß:
»Also muß ich's selber tun! Den Morgen erlebt er nicht!«
Den einstigen Rennreiter, der sein Leben hundertmal verwettet hatte, den die Pistolenkugel so wenig schreckte wie ein Pferd, das niemand sonst reiten konnte, der kleine Gert von Tassetor schauderte.
»Ich werd' mit ihm um deinen Besitz spielen, Juana …, willst du? … er verliert sicher! … er muß ja verlieren!«
Sie lachte ganz heiter, niemand hätte ihrer Seele Hohn und Verzweiflung aus dem Lachen erraten:
»Dann gewinnt er sicher!«
»Nein, er kann nicht gewinnen!«
»Und wenn du falsch spielst und er verliert – denkst du etwa, er läßt mich gehen? Das gilt doch nicht, vor keinem Gericht! Ha! … albern! Wir sind doch verheiratet, Gert, verheiratet!« Sie zog das Wort schmerzhaft lang und vergaß zum erstenmal, leise zu reden.
Nebenan am Tisch horchten zwei Dirnen. Die eine machte der anderen Zeichen, die paßte nun auch auf, daß der Adelige und die bleiche Frau verstummten.
Butzebach torkelte an den Tisch. Oben sang im Zigarrenqualm ein Komiker:
Freude, schöner Götterfunken!
Ach, wie sind die Menschen dumm!
Ich bin siebenmal betrunken.
Und dann ist die Woche 'rum!«
»… Die Woche 'rum …« lallte der Clown, »ich geh' jetzt, Janne … komm … du … du … du auch, Gert?«
So lud er sie beide ein, mitzukommen und – ihn zu töten.
Die Straße lag im träumenden Licht der ersten Frühe. Ein Wagen rasselte weit vor ihnen, das Geräusch verklang in der Seitenstraße. Ein paar ziellose Wanderer, Mädchen, die enttäuscht heimkehrten, der Polizist, der an der Bordschwelle stand und – argwöhnisch? – hersah. Dann ein dunkler Hausflur, eine lange, unendlich lange Treppe … aufzuckendes Licht von Streichhölzern … Juanas Gesicht im fahlen Schein, der keuchende, krächzende Clown im verschlissenen Radmantel – war ihm nicht sein Hut herabgefallen? Die Frau suchte. Dabei steckte sie dem Adeligen etwas in die Hand … kalt … Metall … Revolver … Sie waren schon in der Wohnung.
Der Alte schrie's. Und wie die Frau nicht sofort lief, schlug, trat er nach ihr.
Gert und er allein. Und Tassetor, auf einmal kalt entschlossen, hatte schon im Kopf, was er später sagen wollte vor Gericht: Butzebach habe ihn mit der Waffe, die sein war, bedroht, im Suff. Er, Tassetor, hätte danach gegriffen, der Schuß sei im Ringen losgegangen und hätte den Clown getroffen. Das mußte man ihm glauben! Sie waren ja Freunde gewesen, hatten nie Streit gehabt … hahaha!
»Was lachste … lachste denn?«
Wo er nur auf einmal den Haß herhatte, den mörderischen Haß?! Der kleine Adelige sah sich um, eine Sekunde nur, da hinter ihm stand sie … ihr blasses Gesicht unter gelösten Haaren mit den totfunkelnden Augen und den Raubtierlippen, die stumm wie Steine waren und doch mit tausend Stimmen schrien:
»Töte! töte! Mach' ihn tot! Er darf nicht den Tag erleben!«
Gert von Tassetor hob die Waffe und zielte.
Claus Butzebach in seinem schmutzigen Pierrotkleid, von dem der alte Mantel herabgeglitten war, den verregneten Schlapphut auf dem weiß geschminkten Kopf, stützte zuckend, einknickend, seine beiden Hände auf den Tisch, der zwischen ihnen stand. Er sah in die Revolvermündung, seine zahnlosen Kiefer gingen von einander, er grinste und blökte auf:
»Willst mich erschießen, du? … Gert? … mich totschießen?«
Dem anderen zitterte die Rechte. Vor seinem Angesicht huschten rötliche Schatten. Aber er wollte … er wollte nicht nachgeben. Die Augen in seinem Rücken befahlen Mord! Und er zielte wieder und straffte alle Muskeln seines Leibes … Der Finger ging an den Abzug … Da war ein Poltern vor ihm … Die Stelle, wohin der Revolver zielte, war leer … Ein Mensch röchelte am Boden …
Gert stürzte dahin:
»Butze! … was is … was is denn?«
Der stieß nach ihm, verdrehte die weißlichen Augen, japste noch auf und starb.
An der bleichen Frau vorüber, sie fast umstoßend, von Furien gehetzt, floh Gert von Tassetor aus der Wohnung.