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Wandlung

Frau Henriette war tieftraurig.

Sie saß in ihrem Boudoir, vor der Spiegeltoilette aus italienischem Buntglas und ließ die Hände in den Schoß ihres rotsammetnen Morgenkostüms hängen. Die zarten Lider mit den langen, blonden Wimpern, welche ihren blaßblauen Augen einen so seelenvollen Ausdruck gaben, waren gerötet, und die glänzenden Oberzähne nagten unmutig an der feinen Lippe, deren Farbe etwas von dem blassen Rot der Korallen hatte.

Dann nahm sie eine Photographie von dem buntschillernden Glasbord herab, die ihren Gatten, einen schönen, stolzen Menschen mit starkem Haar- und Bartwuchs darstellte:

»… Ich will dir ja nicht wehe tun!« flüsterte sie, »aber ich kann doch nicht … wirklich nicht!«

Und als wäre die Photographie imstande gewesen, ihr zu widersprechen, setzte sie hinzu:

»Tu was du willst, Hugo, aber laß mich in Frieden! … Ich bin einmal nicht für solche Dinge! … Ich gebe dir jede Freiheit … aber laß mich in Frieden!«

Und plötzlich sich über die Komik dieses Zwiegesprächs mit einem, der nicht da war, klar werdend, fing sie an zu lachen, stellte das Bild wieder an seinen Platz und begann sich anzukleiden.

Sie entblößte ihren Oberkörper, der von einer entzückenden Schlankheit war, und wusch sich, indem sie erst ihre Arme und dann den milchweißen, noch ganz jungfräulichen Busen abrieb. Als sie damit fertig war, trat sie lässig graziös vor den Spiegel und freute sich der eigenen Schönheit … Diese Frau, die die Berührung ihres Mannes peinlich und widerwärtig empfand, fühlte eine große Befriedigung im Anblick der eigenen Formen. Und sie behandelte ihren Körper auch mit einer wahren Andacht. Zuerst auf den bloßen Leib zog sie den Pariser Gürtel, darüber kam erst das Hemd, das gab dann der fertigen Figur den Anschein, als bedürfe sie zu ihrer Vollendung des Fischbeins gar nicht. Nun kamen die Höschen, aus Seide selbstverständlich, dann der Jupon, amarantrot mit blaßgrauen Spitzen, und schließlich das Kleid, eine ganz glatte Toilette aus fahlblauem Sammet mit einer raffiniert einfachen Perlenstickerei in mattem Silber. Dazu graue Schuhe, ebensolche Handschuhe aus Sämischleder und ein Felbelhut mit einer einzigen, riesigen lichtblau gefärbten Straußenfeder.

Sie war daran gewöhnt, daß sich auf der Straße die Leute nach ihr umsahen. Aber man konnte auch Herrn Hugo Strahlmann begreifen, daß er, als der legitime Gatte dieser Frau, der noch kaum die Rechte eines ganz knapp gehaltenen Liebhabers ihr gegenüber besaß, oft ganz toll wurde vor Eifersucht auf einen Nebenbuhler, der vorläufig wenigstens noch nicht existierte.

Wie der Paradiesvogel sich in der Sonne wiegt, so schwebte die junge Frau in dem Glast des herrlichen Frühlingstages über die Straße. Sie fühlte die Blicke der Männer, und diese stummen, wenn auch nicht immer bescheidenen Huldigungen machten ihr Freude. Nie gab sie einen dieser Blicke zurück, sie nahm sie einfach wie Geschenke, welche man nicht zu erwidern gezwungen ist.

Dabei dachte sie fortwährend an ihren Mann. Wahrhaftig, wenn er weniger stürmisch gewesen wäre und es verstanden hätte, sie zu lieben, ohne ihr jenes Grauen einzuflößen, das sie sofort überfiel, wenn sie an »den eigentlichen Zweck der Ehe« dachte – sie hätte ihn vielleicht lieben können. So war sie nur seine beste Freundin, die ihm in seinem Künstlerberuf mit gutem Rat zur Seite stand und ihre feine, geschmackvolle Person in den Dienst seiner Bilder stellte … Und sie dachte gerade daran, daß er vielleicht nur schüchterner, sanfter und ein wenig unschuldiger hätte sein brauchen, um auch in ihr dieses Gefühl hervorzurufen, das er so wahrscheinlich im Entstehen getötet hatte.

Da hörte sie, wie jemand hinter ihrem Rücken sagte:

»Verzeihen Sie, gnädige Frau …«

Sie wandte sich erstaunt um, ein Herr stand vor ihr, den sie sich erinnerte, neulich in einer Gesellschaft kennen gelernt zu haben.

Er war etwa ebenso groß wie ihr Gatte, aber wie sich bei Hugo eine tiefbrünette Farbe, dunkle, brennende Augen und ein pechschwarzes Haar vereinten, so war der andere durchweg von dem zartesten Kolorit. Über seinen Lippen, die denen eines Mädchens ähnlich waren, krauste sich goldig der Schnurrbart, seine Haut war frisch, wie bei einem Kinde, und seine lichten Augen sahen so harmlos in die Welt, als hätten sie nie etwas Schlechtes gesehen. Dazu war seine Sprache ein richtiges Lachen, und in jeder seiner Bewegungen lag eine ungesuchte und doch bestrickende Galanterie. Hugo galt in seinen Kreisen für einen schönen Mann, aber diesen hier konnte man direkt einen Beau nennen! Und dabei war das Gesicht gar nicht einmal charakterlos, Ernst von Höfer sprach gewählt und nicht ohne Witz, Frau Henriette war in ganz kurzer Zeit in der besten Unterhaltung mit ihm.

Es frappierte sie, daß er ihr nicht den Hof machte, sondern von den Dingen der Kunst sprach, um gleich darauf wieder ein wenig zu medisieren und daran anschließend eine ethische Frage zu erörtern.

Sie gingen zusammen durch die mit gelbem Herbstlaub bestreuten Wege des Tiergartens, und es entging Henriette nicht, wie sie beide die Aufmerksamkeit aller Passanten erregten, die dem in der Tat seltenen Paar mit ihren Blicken folgten.

Auf einmal kam der jungen Frau eine seltsame Idee … Und mit dem Moment, wo dieser Gedanke in ihr auftauchte, wurde sie ihn auch nicht wieder los. Der junge Mann an ihrer Seite konnte reden, was er wollte, sie war nicht imstande, ihm ganz zu folgen, immer und immer wieder kam ihr diese merkwürdige Idee …

Allmählich wurde er ihre veränderte Stimmung gewahr. Und nun betrachtete er sie prüfend von der Seite, was sie bemerkte, um sich erst recht Mühe zu geben, unbefangen zu erscheinen … Es half ihr nichts, sein feines Empfinden war sich darüber klar geworden, daß irgendein Umstand in diesem Frauenherzen ihm günstig war, und sofort fing er an, seine Stimme etwas inniger zu färben, das Mienenspiel seines rosigen Gesichtes ausdrucksvoller zu gestalten und in seine Worte mehr von Zärtlichkeit und Anbetung hineinzulegen.

Sie wollte darauf kalt und abweisend gegen ihn sein und wollte ihn sogar verabschieden, aber sie bekam es nicht fertig … Der Gedanke: »Wie mag dieser Mann in der Liebe sein?« hatte sich so hineingebohrt in ihre Seele, daß sie nicht mehr davon loskam und daß der, welcher ihn in ihr hervorgerufen hatte, ihr fast unentbehrlich wurde.

Mit dem Instinkt des Tieres, das vor seinem Verfolger der schützenden Höhle zueilt, hatte sie den Weg nach ihrer Wohnung eingeschlagen. Jetzt stand sie an dem Vorgartengitter ihres Hauses, und als er sich dort notgedrungen von ihr verabschiedete, hätte wenig gefehlt, daß sie ihn gebeten hätte, mit hinaufzukommen in ihre Wohnung.

Dann stieg sie, die Augen auf den die Marmorstufen bedeckenden Teppich geheftet, langsam die Treppe hinauf und bemühte sich, aus aller Kraft die Erregung, welche ihre Pulse jagte, niederzukämpfen.

Sie ging erst in ihr Boudoir, kühlte sich die Schläfen mit Eau de Cologne und verweilte dort, bis sie sich beruhigt hatte. Dann ging sie hinüber ins Speisezimmer, wo ihr Mann, schon auf sie wartend, stirnrunzelnd auf und ab ging.

»Wo warst du denn so lange?« fragte er, ohne sie anzusehen. Sie erwiderte irgendeine Unwahrheit. Dann setzten sie sich schweigend zu Tisch und aßen. Hatte Hugo jetzt nicht so permanent den Blick von ihr abgewandt, so würde er das eigenartige Flimmern, den ganz ungewöhnlich weichen Glanz in ihren Augen wahrgenommen haben. Und wer weiß, wenn er diese seltene Stimmung in ihr vorsichtig benutzt hätte, ob ihm nicht endlich der sehnliche Wunsch, seine Frau als liebendes Weib in die Arme zu schließen, in Erfüllung gegangen wäre! … So aber war er böse auf sie, ihr nicht zu besiegender Widerwille hatte ihn zu sehr geärgert. Und kaum, daß er sich sattgegessen hatte, so stand er auch schon auf und empfahl sich, ohne nur ihre Stirn geküßt zu haben.

Als er fort war, erhob sich auch Frau Henriette. Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich prüfend. Dann nahm sie ein Buch in die Hand und kam nicht über die ersten fünf Zeilen fort. Eine Seidenstickerei, an der sie sonst mit vielem Vergnügen arbeitete, erschien ihr gräßlich, und selbst das Klavier, dem sie ihre geheimsten Stimmungen anvertraute, däuchte ihr heute abgeschmackt.

Wieder trat sie vor den Spiegel, ihre Züge, die eine nervöse Gespanntheit zeigten, und ihre Toilette betrachtend, mit der sie zufrieden war. Dann sich mit raschem Entschluß wendend, klingelte sie, ließ sich vom Mädchen Hut und Mantel geben und verließ die Wohnung.

Unten im Hausflur, an dem prächtig geschmiedeten Eingangstor blieb sie zögernd stehen. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen … Wie töricht war doch das! Glaubte sie denn wirklich, jener Mann würde stundenlang vor dem Hause auf sie warten?! Und die Hand auf ihr bebendes Herz pressend, trat sie hinaus.

Sie sah niemand, und in einem seltsamen Zustande zwischen Enttäuschung und förmlicher Erlöstheit, ging sie die stille Straße hinab.

An der nächsten Ecke stand sie still, unschlüssig, ob sie weiter gehen oder umkehren solle. Da hörte sie hinter sich wieder die Worte:

»Verzeihen Sie, gnädige Frau …«

Und als habe eine jähe Flamme ihr Hals und Gesicht mit rotem Schein übergossen, drehte sie sich um.

Dann gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander her. Bis eine geschlossene Droschke herankam. Die rief er an … Mochte sie im schlimmsten Falle denken, daß er sie verlassen und allein davonfahren wollte.

Aber sie dachte das nicht. Als die Droschke heran war und er den Schlag geöffnet hatte, ließ sie sich ohne die geringste Widerrede von ihm hineinheben.


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