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Die Rasenflächen in den Anlagen funkelten in der Nachmittagssonne und das helle Grün der Frühlingsbäume gab mit dem leuchtenden Weiß ihrer Blüten und dem Blau des Firmamentes ein heiteres Konzert, in das die Finken und Drosseln freudig einstimmten.
Rechts war die breite Straße, auf der die Elektrischen mit kurzem stampfenden Klingelton hin- und hersausten. Die roten Sprengtonnen mit ihren blaugekleideten Führern fuhren langsam und dämpften mit ihren sprühenden Wassern den Staub der Straße. Und rechts und links, zu beiden Seiten des breiten Dammes, schob sich die Masse der Ausflügler gemächlich dahin, unter den alten Rüstern und Platanen, die mit ihrem jungen Grün den Sonnenstrahlen wehrten.
An der Selterwasserbude, nahe bei der Stadtbahnunterführung, standen zwei Mädchen in hellen, geputzten Kleidern, die Sonnenschirme aufgespannt über den auffallenden Hüten und mit sehr ungenierten Blicken die Vorübergehenden musternd.
»Wat will denn der?« sagte die jüngere, keck auf einen Herrn deutend, der sich die Mädchen ebenfalls ansah.
»Pst!« machte die andere – sie war älter und wohl auch erfahrener – »det stinkt nach Sitte … siehste woll, er kommt ran!«
Die jüngere machte eine Bewegung, als wollte sie fliehen, aber ihre Kollegin hielt sie am Arm fest.
»Um Jotteswillen nich, Jrete! … Wat kann der dir denn?! Allens, aber nich türmen!« sie flüsterte, »lach'n mal 'n bisken an, er will am Ende bloß mitjehn …«
Die jüngere, die nebenbei auch kleiner war als ihre schwarzhaarige, langnasige und wenig anziehende Begleiterin, gab ihrem zartfarbigen Gesicht einen schwärmerischen Ausdruck und lächelte wie ein Kind, das seinem Freunde begegnet. Dabei richtete sie sich auf, schob ihren hübschen Busen vor und wandte das blaue, leuchtende Auge nicht von dem Näherkommenden.
Das war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren. Groß, sehr stark in den Schultern und mit leichtem Bauchansatz. Sein Benehmen hatte etwas außerordentlich Sicheres, und man gewann den Eindruck, als habe er seine Muskeln und Nerven vollkommen in der Gewalt. Wie er die koketten Bewegungen der kleinen Blonden sah, lächelte er.
»Na«, meinte das ältere der beiden Kontrollmädchen, dessen schwarze Augen einen stechenden, auf böse Instinkte deutenden Ausdruck hatten, »Sie wollen woll ooch eens ›mit ohne‹ drinken?«
Er antwortete ihr gar nicht und sagte zu der kleinen Hübschen:
»Komm mit!«
»Nee«, erwiderte die halb ängstlich, halb trotzig, »will ick denn?«
Die ältere stieß sie heimlich an: sie sollte doch mitgehen. Aber die Blonde fürchtete sich:
»Ick jeh nich mit! … heite ibahaupt nich! …«
»Hm«, machte der Mann, der einfach gekleidet war und einen sehr starken Stock, einen jener aus Papiermache mit Stahleinlage gefertigten Lebensretter trug, »denn kuck mal her!«
Die Kleine wurde blaß.
»Wat hab ich denn jemacht?!« sagte sie weinerlich, »hier, meine Freundin Tekla, die war doch bei … det ick nischt jemacht habe! … man wird doch woll noch jehn kennen! … wat woll'n Se denn von mir?«
Schon blieben Passanten stehen, zwei junge Männer kamen auf die Verkaufsbude zu, und die alte Frau, die drin saß, bat, man möchte doch ein bißchen bei Seite treten.
»Also los!« sagte der Beamte, »ich hab' nich soviel Zeit!«
»Na, denn adjöh, Tekla … uff Wiedersehn! … Se könn' ma ja nischt! … adjöh! …« Die Blonde schob der Schwarzen beim Abschiedshändedruck rasch das Portemonnaie zu, was der Kriminalist absichtlich übersah.
Dann ging sie mit ihm mit, nach der Stadt zu. Und war nicht wenig überrascht, als er einige hundert Schritt weiter in ein kleines Gartenlokal einbog und sie aufforderte, in einer der Fliederlauben des alten Gartens neben ihm Platz zu nehmen.
»Also wollte er doch weiter nischt!« jubelte sie innerlich und betrachtete voller Freude die Hühner, die hier, in diesem noch ganz patriarchalischen Lokal zwischen den Tischen und Stühlen umherliefen und um Brotstückchen bettelten. Es war ein Kraftmesser da, dessen dumpfe Schläge in das Gespräch der beiden dröhnten, und am Ende des Gartens, neben dem Karussel und der Schießbude standen Erwachsene und Kinder vor einem hohen, drahtvergitterten Käfig, in dem zwei Paviane ihre blauroten Gesäßschwielen und noch andere Späßchen produzierten, die mit Gelächter und derben Scherzen kommentiert wurden … Dazu dudelte der Leierkasten des Karussels und beim Blumenlotto quietschte aus einem Phonographen die Stimme eines Sängers herzzerreißend.
Die blonde Grete war jetzt fest überzeugt, daß der Kriminalbeamte sich einer Übertretung seiner Amtsbefugnisse schuldig gemacht hatte, indem er sie arretiert habe, nur um mit ihr zu poussieren. Übrigens wollte sie alles tun, sogar die Nacht bei ihm bleiben, um morgen früh sofort nach dem Alexanderplatz zu fahren und ihn zu denunzieren bei seiner Behörde … Wenn's noch der in ihrer Straße gewesen wäre! … Aber so einer, n' janz fremder! … das wäre ja noch varrickta!
»Haben Sie nich im vorigen Jahr auf'm Alexanderplatz im Café Königsstadt verkehrt?« fragte der Beamte, ihre kleine, mollige Hand tätschelnd.
Sie nickte, sah ihn groß an und fragte:
»Haben Sie mir da jesehn?«
»Ja, weiße Nelke!«
Sie wurde unter der Schminke rot:
»Dis wissen Se ooch?«
Daß er ihren Schemen (Spitznamen) kannte, den ihr Boulettenmaxe, ihr damaliger Liebster, gegeben, das machte sie einfach baff.
Indem sprach der Beamte auch von ihm, dem Zuhälter … Sie ginge wohl nicht mehr mit ihm? … Schon lange nicht mehr … So? … Weshalb denn? …
Schrill auflachend und mit einer Röte, die ihr bis in die gekräuselten Haarlöckchen emporstieg, sagte sie hastig, in sich überstürzenden Worten:
»Der? … der? … hahaha! … Mit den faulen Kopp wer' ick doch nich mehr jehn! … Det is doch Dalles von oben bis unten! Un krank is a ooch! … Son Schlamassel! … Nee, wissen Se, den stoß ick nich mehr mit de Fußspitze an, wenn ick 'n sehe … Er jeht mit die vasoffne Klara! … Det olle Paket, zu die paßt er jrade! Die hat ooch schon keene Neese mehr in't Ponim! … Und wenn se erscht janz fertig is, det man den Raupenfraß durch 'n Schleier durchsieht, denn kenn' se beede zusamm' jehn uff de Hefe mit'n Leiakasten! … Un wenn se bei mir komm'n, denn schmeiß' ick 'n Sechsa runta! …«
Es war nicht schwer für den Kommissar – ihr gegenüber hatte er sich als einfachen Kriminalschutzmann ausgegeben –, aus dem wütenden Gezisch der Prostituierten die helle Eifersucht herauszuhören. Und er hatte sie aufgesucht, weil er wußte, daß sie zu Boulettenmaxe, der wegen schwerer Straftaten gesucht wurde, in Beziehung stand oder doch gestanden hatte … So, wie sie war, wollte er sie gerade haben, auf die Wut ihrer verratenen Liebe baute er seinen Plan.
»Die Klara ist vorgestern in die Charite gebracht worden, wegen Tobsucht«, sagte er langsam, scheinbar ohne jede Absicht.
In ihrem bei aller Jugend schon vom Laster markierten Gesicht kam und ging die Farbe. Aber ihre Lippen, die sich bewegten, wie wenn sie reden wollten, blieben dennoch still.
»Ich will Ihnen was sagen«, meinte der Kommissar eindringlich, »Sie können da zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: einmal rächen Sie sich, und zweitens übergeben Sie einen schweren Verbrecher der Gerechtigkeit …«
Ihr höhnisches Lächeln belehrte den Kommissar schnell, daß die moralischen Gründe sicherlich nicht die Wage in Gretes Herzen herunterziehen würden, auf deren anderer Schale die Erinnerung an ihren ehemaligen Zuhälter lag. So setzte der Beamte hinzu:
»Und ein Fünfzigmarkschein, den ich Ihnen dafür auszahlen könnte, der ist am Ende auch nicht zu verachten!«
Sie war ganz unschlüssig. Aber die Dirnentreue, die in ihren Luden, besonders wenn sie nebenher Verbrecher sind, Helden sieht, kam sie offenbar nicht so leicht hinweg. Auch wußte sie, daß der starke Korpsgeist dieser Kreise ihr das Leben nachher schwer genug machen würde. Aber das Temperament dieser kleinen Blonden mit den blaßrosa Wangen war stärker, als all ihre Ängste und Bedenken. Und so machte sie ihren Pakt mit dem Kriminalkommissar.
Der empfing am vierten Tage danach einen Brief, in dem hieß es: »Komm Sie heite Abend zeen Ur zu mir, Palissadenstr. 102 dritta Hof, rechter Aufjang, vierte Etasche, rechts die dritte Tier. Aber mehr, den er iß sehr schtark.«
* * *
»Na, ßieh da doch aus!« schmeichelte die weiße Nelke, während sie sich an den auffallend schön gewachsenen Menschen anschmiegte, über dessen langer, spitzer Nase zwei wahre Dolchaugen funkelten.
Er nahm den runden, steifen Filzhut ab und entledigte sich des langen Paletots von heller Farbe, wobei sein Schoßrock, zurückgleitend, ein starkes, in der Scheide getragenes und hinten am Beinkleid befestigtes Dolchmesser sichtbar werden ließ …
»Trägste denn dis noch imma?« fragte sie, während ihr rundes Gesichtchen einen Schein blasser wurde …
»Na, Sache! … Bei mir jibbts Rötel (Blut), wenn 't nich anders jeht …« Er nahm, immer mit denselben schnellen, wie geschliffenen Bewegungen ein silbernes Etui aus der Brusttasche und zündete sich eine Zigarette an. Dann setzte er sich auf's Sofa, trank von dem Bier, das sie ihm eingoß, und zog sie spielend aufs Knie …
Das Fenster der Mansarde stand offen und die warme Luft der Mainacht schwellte die weißen Mullgardinen. Auf dem Tisch, zwischen dem Photographiealbum und einem Teller mit belegtem Butterbrot, stand die Lampe, deren Licht ein Schirm aus rotem Seidenpapier geheimnisvoll und traulich machte.
Des Mädchens Herz, voll von Erinnerungen an ihre erste Jugend, wo dieser Mann sie verführt und zu dem gemacht hatte, was sie heute war, schwoll vor Rührung. Und wie Zentnerlast preßte ihr Verrat die wiedererwachte Liebe.
Die Uhr war dreiviertel zehn … Ihr schien, als schwinge der Pendel des Regulators über dem Sofa immer hurtiger … Der aber, auf dessen Knien sie saß, dessen Arm sie zärtlich umfaßte, atmete hastig und küßte sie voller Leidenschaft … Noch war's vielleicht nicht zu spät … Eine Anstrengung, wie wenn sie in ihrem Innern etwas durchreißen müßte, dann sagte sie, vor Furcht und Liebe bebend:
»Maxe! …«
Er hörte gar nicht, er keuchte vor Begier.
Und zwischen zwei Küssen wiederholte sie flehentlich:
»Maxe! … hör' doch mal, du … ja, ja! … aber hör' doch mal …«
»Was denn?« lachte er, »was willste denn?«
»Es … ich … ich … ich habe … na … die Polente (Polizei) weiß, daß du hier bist …«
Wie eine Feder schnellte er in die Höhe und stand da mit straffen Sehnen und gespannten Sinnen, wie ein Raubtier, dessen Spur die Hunde haben … Dann, wie sein Ohr noch nichts hörte, zuckte sein blankes Auge nach dem Mädel:
»Du Aas hast jepfiffen?! Warte!«
Indem schlich es draußen, lautlos beinahe, aber zu laut für das Ohr des Verbrechers … Er stand wie aus Erz, einen Moment … Dann machte er einen raschen Schritt auf das Mädchen zu, das mit einem Angstlaut zurückfuhr. Aber so schnell, daß sie den Stoß eher fühlte, als sah, traf sie das Messer … Und mit einem gurgelnden Schrei griff sich die Blonde nach der Bluse, über deren Spitzeneinsatz das Blut schoß …
Krachend flog die Tür der Mansarde auf. die Greifer fanden nur das verröchelnde Mädchen … Ein vom Fensterbrett herabgestürzter Geranientopf zeigte den Weg, den Bouletten-Maxe genommen hatte.