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Danse macabre

Kommen Sie mit zu Dr. Bingmann heute abend?«

»Wieso? … Was ist da los?«

»Da wird getanzt!«

»Na, und?«

Die kleine Kunstgewerblerin mit einem geheimnisvollen Lächeln:

» Danse macabre!«

Sie sagte es und verschwand im Schneegeriesel des Vorweihnachtsabends. Die Häuser standen in weißer Wehmut, und der Himmel weinte dicke Nebeltränen über die sündige Großstadt.

Der Dichter, der der kleinen pelzumhüllten Zierlichkeit nachsah, schüttelte ein wenig den Kopf … Danse macabre? … Totentanz? … Wer weiß, vielleicht hatte der Psychopath, der Bingmann, wirklich was Neues ausgeknobelt … Sich zum Entschluß durchringend, er wollte da hin heute abend, hob der Poet das lange Bein und versank im Nebel.

Auf der Treppe traf er den Japaner Sen-iro-da, einen Verschwiegenen, der Samurai war in seiner Sonnenheimat und die schönsten Bronzestichblätter von der Welt besaß. Sie traten zusammen ein bei dem verrückten Doktor. Kalakaua, der Zwergmestize, dessen Haut das widerlichste Gelb zeigte, noch entsetzlicher durch seine gelbblaue Harlekinlivree, öffnete und stand Kopf, bis der Dichter drei Takte des Batavialiedes pfiff. Dann kam das zahme Gürteltier, das der Dokter statt eines Hundes hielt, und rasselte ein bißchen an Sen-iro-da's schwarzen Beinkleidern.

In diesem Augenblick jubelte etwas die Treppe herauf. Der Poet öffnete, und die kleine Dagny wurde von ihren Trabanten hereingetragen. Da man sie aus weißwolligem Slinx und feuerblauem Sammet herausgeschält hatte, stand sie halbnackt mit vergoldeten Brüsten, in einer Hose aus schwarzem Zickelfell, brandrote Pantoffel an den Füßchen, die sich auf infernalisch hohen goldenen Stöckeln hoben. Von ihrem Gesicht in der glutfarbenen Perücke sah man nur Augen, brennende, strahlende, glühende, Wonnen verheißende Augen.

Ihre Satelliten, ein Student und ein Sänger, trugen sie unter lauten Heilrufen durch den kleinen, mit drei Portieren nacheinander verhängten Korridor, der in jeder Phase anderes Licht zeigte und einen anderen Geruch atmete. In der Mitte grünes Silber mit Irisduft – was der Dichter scheußlich fand. Der kleine Saal war sehr hell. Man lag auf Teppichen und tausend Kissen am Boden. Große chinesische Lackbretter zwischen sich, mit Leckereien und Getränk aller Arten bestellt – doch Schnäpse wogen vor und süße Weine.

Da trat Hippolyt – mit Recht nannte sich Friedrich Emil August Schultze als Lyriker so! – in den durch schwere Genueser Sammete im Achteck fensterlos gehaltenen Saal. Das Licht der vielen, an Seidenschnüren hängenden matten Glasblüten brach sich in diesen weichen, bunten Flächen, schliff tausend Facetten in den mit goldenen Emblemen applizierten Stoff und taute auf die Mädchen und Frauen, die mit ihren Freunden am Boden lagen, sich küßten, plauderten und sich neckten, wie Papageien im Urwald. Hippolyt sah beim Eintreten, wie Dagnys Herren sie eben aus der schwarzen Pelzhose heraushoben. Sie trug nur noch eine güldene Spange, Handbreit unter dem Nabel. Seidenbänder flossen davon hernieder, bei jeder Bewegung schwingend, sich hebend und flatternd. Ihre Schenkel aber waren mit Blumen bemalt, und die kleinen Füße mit Ringen, die Waden mit Armbändern und funkelnden Ketten geziert. Sie hatte die Größe eines zwölfjährigen Kindes, ihre Stimme klang hoch und fein, wenn sie wie ein exotischer Vogel schrie und den beiden Riesen, welche sie dauernd auf ihren Schultern trugen, Befehle zurief. Diese aber, die Sklaven des vielgeliebten Mädchens, gingen im Frack und weißer Binde, wie zu einem Fürstenempfang.

Überall schrillten und zymbelten Glockenstimmchen wie leise lachende Kinder. Der Hausherr, der vielen seiner Gesellschaften ganz fernblieb, andere nur auf eine Viertelstunde besuchte und sehr selten den Abend über da war, – Dr. Bingmann trat ein. Zwei Diener eines Blumengeschäftes schleppten Fliederbüsche und weiße Magnolien, die nun auf die Frauen herabregneten. Der Saal, sehr geschickt in der Höhe ventiliert, duftete auf einmal wie ein Maigarten. Dann ließ sich der Doktor nieder. Kein Mensch bekümmerte sich um ihn, nur die kleine Matthé von der Kunstschule und ein Kollege von ihr saßen bei ihm, mit denen lachte er; man hörte seine tiefe Stimme manchmal über den übrigen.

Dagny wollte natürlich zuerst tanzen. Ihre Elfengestalt war eigentlich nur denkbar in solcher Gelöstheit von allem Gebundenen, aller Schwere. Zwei aus der Runde spielten, einer die Balaleika, der andere die Flöte – eine unmögliche Musik, doch wie mit feurigen Ruten die Seelen peitschend. Eine Russin sang dazu, klagend, hilfeheischend. Und Dagny tanzte. Der Dichter wendete kein Auge von ihr … Was tanzte sie eigentlich? Wer schrieb ihr das? … Eine rasende Eifersucht faßte nach ihm mit ihren vergifteten Krallen.

Jetzt schwieg die Balaleika, dann auch die Flöte. Zwei Spanier ließen, der eine Kastagnetten, der andere seine schlanken, nervigen Hände klappen und riefen taktmäßig: »Hollé! Hollé!«

Da sah Hippolyt die sonnenheiße Placa major in St. Esteban vor sich. Ein paar Akazien gaben vor den unansehnlichen Häusern wenig Schatten. Die Sonnenscheibe stand tief und golden über dem Abend. Auf der Placa war das ganze Städtchen versammelt. Und auf einmal tönte von irgendwo eine Melodie, die wie süßer Peitschenschlag wirkte. Alles spannte sich an den heißen Menschen; die gingen – standen plötzlich; die saßen, erhoben sich auf einmal! Und wie durch Blitzesschlag entzündet, stand in Sekunden der ganze Platz im Feuer der Chota!! … Der Chota, jenes Nerventanzes, der den sterbenden Spanier vom Schmerzenslager reißt, den Toten aus dem Grabe ruft.

Ja, diese Sirene, dieser süße Satan, da unter den hängenden Lichtkugeln tanzte die Chota! … Und wie ein Trunkener, nein, wie einer von jenen, die nur noch im Dämmer der Seele, ihrer selbst unbewußt, leben, ging der Dichter auf die Tanzende zu, fiel vor ihr nieder und küßte ihre weißen Füße in den brandroten Sandalen.

Da erhob sich Dr. Bingmann und sagte laut und doch dunkel, daß es wie chinesischer Gongschlag aus Tempelhöhe klang:

» Danse macabre!«

Das Licht erlosch … Nein, es verflimmerte, es starb beinahe, daß nur das Sehbild eines Blinden noch im Raume war … Und wie die Schatten längst Verstorbener, die zur blutlos tollen Totenfeier dem Grab entstiegen sind, schwebten Paare durch den Raum, den eine Musik füllte, die nicht von jetzt war, die wie Reigen schmeichelte und Walzer schluchzte, die die Seele verdarb und das Herz zerriß in Wehmut und nekrophiler Inbrunst; die die Glieder verrenkte den Tanzenden, daß sie ineinanderwuchsen zu schwüler Umschlingung; die alles Menschliche abstreifte, wie sie die Farben, die Linien, die Worte und selbst das Flüstern verschlang … Nicht Lebende tanzten mehr, Tote schlangen ihre Leiber ineinander zur letzten lebenverfluchenden Wollust …

Der Japaner, der daheim ein Samurai war – und diese schlitzen sich die Leiber mit haarscharfen Schwertern auf, wenn ein geliebter und verehrter Mensch stirbt – Sen-iro-da sagte auf der Treppe beim Fortgehen mit seiner harten Stimme zu dem Dichter: »Bei uns in Japan würde man diesen Doktor foltern und am Feuer rösten. Er ist ein Vampyr, ein Gule! Er saugt aus den Seelen und Herzen das Blut und das Leben.«


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