Annie Hruschka
Das silberne Auto
Annie Hruschka

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18

Hermann Hempel sah nun ein, daß es höchste Zeit sei, die Bekanntschaft Andagolas zu machen. Vielleicht kam er dann auch dem verschwundenen Franz Walter wieder auf die Spur.

Schon am nächsten Tag fuhr Hempel mit zwei großen Überseekoffern und einigem Handgepäck zum Hotel Imperial und verlangte ein Zimmer im ersten Stock. Er ließ sich verschiedene zeigen, die gerade frei waren, und entschied sich dann nach einigem Zaudern für Nr. 12.

Auf dem Meldezettel hatte er sich als Doktor Hans Merker, Privatier aus Linz, eingetragen. Alter fünfundvierzig Jahre.

Nachdem Hempel sich in seinem Zimmer eingerichtet und ein paar gelehrte Werke nebst Schreibmaterial auf dem Schreibtisch untergebracht hatte, verließ er das Hotel, um sich zur Kriminalpolizei zu begeben und Inspektor Ullmann von seinem Wohnungswechsel zu verständigen.

Er beabsichtigte, Andagolas Namen einstweilen gar nicht zu erwähnen, sondern alles mit Walters Verschwinden zu erklären.

Doch erwartete ihn im Arbeitszimmer des Polizeiinspektors eine große Überraschung, die ihn zwang, seine Pläne zu ändern.

Inspektor Ullmann empfing ihn sehr erregt.

»Ein Glück, daß Sie kommen, Hempel. Seit dem frühen Morgen gebe ich mir alle Mühe, Sie ausfindig zu machen. Ihre Haushälterin scheint über Ihre Schritte nicht im Bilde zu sein, und auch in der Alserstraße habe ich dreimal vergeblich angerufen. Endlich antwortete mir eine alte Frau, Sie seien ausgezogen. Ihre Haushälterin meldete dann etwas später, daß Sie mit Gepäck abgereist seien.«

»Ja, das stimmt«, sagte Hempel. »Ich wohne jetzt im Hotel Imperial. Aber warum haben Sie mich gesucht. Gibt's etwas Besonderes?«

»Allerdings, allerdings.« Der Polizeiinspektor trommelte mit dem Bleistift auf seinem Pult herum, und warf ihn dann auf die Papiere, die sich dort angehäuft hatten.

»Es wird auch Sie interessieren.« Er war aufgestanden und zündete sich eine Zigarette an.

»Wir haben nämlich Bericht bekommen, daß im Wienerwald eine weibliche Leiche aufgefunden worden sei. Und wissen Sie, wer diese Tote war –«

Hempel sah gespannt auf. Fieberhaft überlegte er, in welchem Zusammenhang eine weibliche Tote mit dem Fall Wendland stehen könne.

»Anna Miller!«

Hempel fuhr auf.

»Die Gärtnerin auf Tannroda?«

Ullmann nickte.

»Wir vermuten, daß sie von ihrem sogenannten Bräutigam beseitigt worden ist, der sie auch dazu aufgefordert hat, die Familie Gottschalk auszuspionieren.«

Hempel nickte. Es war ihm unangenehm, daß die Polizei immer mehr auf den Verdacht kommen mußte, daß der Fall Wendland mit der Familie Gottschalk in irgendeinem Zusammenhang stehen könne.

»Und dann noch etwas«, fuhr Ullmann fort.

»Wir haben auch die Akte der Familie Gottschalk wiedergefunden.«

Hempel wurde nun unruhig. Ganz gegen ihre Gewohnheit schien die Polizei dieses Mal besser zu arbeiten, als er es für möglich gehalten hätte.

»Und wer hat diese Akte gefunden?« wollte er nun wissen.

»Ein Polizist. Die Mappe war wohl zu umfangreich, um sie einfach wegzuwerfen oder zu verbrennen, ohne Aufsehen zu erregen. Der Dieb hat sie auf einer städtischen Müllabladestelle unter dem Kehricht vergraben. Ein Knabe, der in der Nähe herumstrolchte, beobachtete ihn und fand die Sache verdächtig. Er lief zur nächsten Polizeistation, und einer der Wachtposten begleitete ihn. Der Polizist fand auch bald das Paket. Zu seiner Überraschung enthielt es die gesuchten Akte.«

»Vollständig?«

»Das kann ich nicht sagen. Auf alle Fälle die Abrechnung Doktor Wendlands über das von ihm verwaltete Vermögen der Familie Gottschalk. Auch einige Briefe. Aber auch wenn nicht mehr alles darin wäre, so ist es doch immerhin genug, um der Sache Wendland eine neue und überraschende Wendung zu geben.«

»Wieso?«

Inspektor Ullmann blieb stehen und betrachtete Hempels Gesicht.

»Ja, Herr Hempel. Ich kenne ja Ihre Methoden der Polizei gegenüber. Aber dieses Mal waren wir die Schnelleren. Ich bin wohl über den ganzen Fall besser im Bild als Sie. Dieser »Bräutigam« der Anna Miller scheint mit dem Manne identisch zu sein, den uns der Taxichauffeur beschrieben hat. Jener Mann mit der merkwürdigen Stimme.«

Hempel zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.

»Die Beschreibung paßt auch auf den Mann, der die Akte an der Müllabladestelle vergraben hat. Daher ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß es sich stets um ein und dieselbe Person handelt, nämlich um den von Ihnen gesuchten Franz Walter.«

Hempel sagte gelassen:

»Ja, das stimmt, es ist immer der gleiche. Ich habe ihn inzwischen persönlich kennengelernt.«

*

»Aber Herr Hempel, warum haben Sie ihn dann nicht gleich verhaften lassen?«

Hempel fuhr erregt auf: »Verhaften, Herr Ullmann? Wir haben doch nur Vermutungen und keinen einzigen Beweis . . .«

»Sie hätten Streit mit ihm beginnen und ihn durch einen Polizisten abführen lassen können. Alles Weitere hätte sich dann schon gefunden. Die Hauptsache wäre gewesen, ihn erst einmal hinter Schloß und Riegel zu haben. Freilich ahnten Sie wohl nicht, wen Sie vor sich hatten und welch interessanter Vogel Ihnen entschlüpft ist!«

Bei diesen Worten sah Hempel auf. Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich seiner. »Was wollen Sie damit andeuten?«

»Ich habe heute nacht kein Auge zugemacht, sondern die Gottschalkschen Akten studiert. Dabei haben sich Zusammenhänge ergeben, die auf den ersten Blick zwar unglaubwürdig erscheinen, die aber durch die Tatsachen bestätigt werden und uns endlich einen festen Faden aus dem Gewirr der beiden Mordfälle geben!«

»Und was haben Sie da herausgefunden?«

»Der Mann mit der seltsamen Stimme, der Doktor Wendland und Anna Miller getötet haben muß, ist meiner Vermutung nach Ulrich Gottschalk, der älteste Sohn der jetzigen Besitzerin von Tannroda! Vor zwanzig Jahren wurde er wegen lebensgefährlicher Verletzung seines Klassenkameraden vom Gericht verurteilt. Er wanderte dann nach Argentinien aus. Die Familie sagte sich von ihm los, und seither gilt er als verschollen. Dieser Mann nun ist drüben offenbar verkommen, mittellos geworden. Er besann sich wahrscheinlich darauf, daß er in der alten Heimat Rechte geltend machen könnte, wenn er es einigermaßen geschickt anstellt . . .«

Inspektor Ullmann blickte Hempel prüfend an. Aber der schwieg und verzog keine Miene.

Der Inspektor fuhr daher fort:

»Das Weitere war mir sofort klar. Ulrich Gottschalk ist seit zwanzig Jahren nicht zu Hause gewesen. Die Verhältnisse daheim sind ihm daher unbekannt. Sein Vater ist gestorben. Welche testamentarischen Verfügungen hat er hinterlassen? Das mußte er zunächst feststellen. Der Familienanwalt, der damals die Verhandlungen mit ihm geführt hatte, lebte noch. Er war über alles genau im Bilde. Also war er der Gegner, der am meisten zu fürchten war. Zweifellos besaß Doktor Wendland auch diese Dokumente.«

»Haben Sie unter den Akten etwas Derartiges gefunden?« unterbrach ihn Hempel. »Etwa einen Erbverzicht?«

»Nein, natürlich nicht! Das ist ja der Grund, weshalb die Mappe gestohlen wurde. Auf alle Fälle wird der älteste Sohn in einer beigelegten Testamentsabschrift überhaupt nicht erwähnt. Frau Gottschalk wird darin als Universalerbin genannt, die Kinder erhalten den gesetzlichen Pflichtteil. Da Doktor Wendland durch mündlichen Einspruch die Ansprüche des Heimgekehrten zu Fall bringen konnte, mußte er unbedingt beseitigt werden. Vor dem Gesetz war er der älteste Sohn und, wenn kein Einspruch erfolgte, der Erbe. Er hätte auch das Testament mit vollem Erfolg anfechten können, weil er darin überhaupt nicht erwähnt wurde. Das konnte darauf schließen lassen, daß es unter der irrtümlichen Voraussetzung abgefaßt worden sei, er lebe nicht mehr. – Hatte er also diesen wichtigsten Widersacher beseitigt, dann hatte er freie Bahn . . .«

Der Inspektor setzte sich nun und sah Hempel erwartungsvoll an. Er war der Meinung, daß diese Vermutungen sicher den Kern aller dieser merkwürdigen Vorgänge bildete, denen sie bis dahin ratlos gegenübergestanden hatten.

Er hoffte, daß sich auch Hempel dieser Ansicht anschließen würde. Dann galt es nur noch, die Beweise für diese Vermutungen zu erhärten.

 


 << zurück weiter >>