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Am nächsten Morgen, als Hermann Hempel am Frühstückstisch erschien, fiel es ihm sofort auf, daß Frau Gottschalk vollkommen verstört aussah.
Ihre Hände zitterten, als sie Hempel die Tasse reichte.
Vera plauderte ahnungslos und berichtete von dem gestrigen Nachmittag. Sie müßte nachher sofort üben, da Doktor Sorel am Nachmittag käme.
Nachdem die Tochter sich verabschiedet und die Türe ins Schloß gezogen hatte, wandte sich Frau Gottschalk an Hempel:
»Ich bin außer mir! Da, lesen Sie!«
Sie reichte ihm die Zeitung, die sie bis jetzt unter ihrer Serviette auf dem Schoß verborgen hatte.
Geheimnisvoller Mord
an dem bekannten Wiener
Rechtsanwalt Doktor Wendland
Darunter der ausführlichere Bericht:
»Gestern in später Abendstunde entdeckten Vorübergehende auf der Schmelz die Leiche eines gutgekleideten alten Herrn, dem der Schädel eingeschlagen war. Ein Stock, mit dem die Tat möglicherweise ausgeführt wurde, lag in der Nähe. Die Wunde war so schwer, daß sie wahrscheinlich sofort den Tod des Unglücklichen zur Folge hatte. Über dem Motiv zu seiner Ermordung, dem Hergang der Tat und der Person des Täters schwebt noch völliges Dunkel. Der Umstand, daß kein Raubmord vorliegt, ist jedenfalls sehr zu beachten, denn er deutet auf einen vorangegangenen Streit oder einen Racheakt hin.«
Hermann Hempel ließ das Blatt sinken.
»Daß dies gerade jetzt passieren mußte, wo wir Aufschlüsse von Doktor Wendland zu erhalten hofften . . .«
Frau Gottschalk sah den Detektiv bittend an:
»Sie reisen doch hin, nicht wahr? Heute noch!«
»Heute? Das ist unmöglich! Ihr Sohn ist ja noch nicht zurück. Man kann Sie hier nicht allein lassen.«
»Um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich verspreche Ihnen, das Haus nicht zu verlassen.«
Sie redete so aufgeregt auf ihn ein, daß Hempel nichts übrig blieb, als sich ihrem Wunsche zu fügen. Die ganze Sache schien ihm verfahren zu sein.
Kaum hatte er sich bereit erklärt, den Mittagsschnellzug zu nehmen, als Frau Gottschalk schon vorschlug, er solle lieber mit dem Auto fahren.
»Bis zum Mittagsschnellzug sind es noch drei Stunden, und außerdem müßten Sie von hier mit dem Personenzug nach Bruck fahren, da der Schnellzug hier nicht hält. Das ist ein unnötiger Zeitverlust. Marbler ist ein tüchtiger Chauffeur, auf den Sie sich verlassen können. Wer weiß, ob es nicht in Wien von Vorteil für Sie sein wird, einen Wagen zur Verfügung zu haben?«
»Das ist allerdings wahr«, meinte Hempel und fügte dann noch hinzu: »Ich werde wahrscheinlich mehrere Tage abwesend sein.«
»Wie Sie es für notwendig halten. Denken Sie immer daran, daß ich alles daran setzen möchte, um endlich Gewißheit zu erhalten.«
»Ich werde versuchen, Sie auf dem Laufenden zu halten. Nur, bitte, eins: versprechen Sie mir, daß Sie sich nicht aus dem Hause entfernen! Unter keiner Bedingung! Auch nicht zusammen mit Ihrer Tochter.«
Der Chauffeur Marbler erwies sich als sehr tüchtig. Sie legten die Strecke von Tannroda nach Wien in fünf Stunden zurück.
Hempels erster Weg war zur Kriminalabteilung der Polizeidirektion, deren Vorstand ihm ebensogut bekannt war wie die meisten andern Beamten, da er seit Jahren immer wieder mit ihnen gearbeitet hatte.
Unterwegs hatte er sich seinen Plan bereits zurechtgelegt. Vorläufig durfte der Behörde nichts von dem seltsamen Tod Kluges und dem Mordversuch an Frau Gottschalk bekannt werden. Auch wollte er nicht von dem entwendeten Revers sprechen. Zusammenhänge waren ja bis jetzt auch noch gar nicht erwiesen. Daß sie bestanden, das vermutete Hermann Hempel zwar bestimmt. Sie würden sich auch beweisen lassen . . .
Mit dieser Absicht betrat der Detektiv die Polizeidirektion.