Annie Hruschka
Das silberne Auto
Annie Hruschka

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14

Hempel führte den jungen Mann in Chauffeurkleidung in sein Arbeitszimmer.

»Die Polizei hat Sie geschickt?«

»Jawohl, Herr Hempel, Herr Polizeirat Ullmann. Er sagte mir, daß ich nun auch noch zu Ihnen gehen und alles wiederholen solle, was ich auf dem Amt ausgesagt habe. Ich bin nämlich der Chauffeur, der am 15. April abends den Rechtsanwalt Doktor Wendland auf die Schmelz gefahren hat.«

Hempel nickte bloß.

»Haben Sie schon zu jemand darüber gesprochen?«

»Nein. Ich war auf einer Überlandfahrt und kam gestern abend zurück. Da las ich von dem Mord.«

»Und was wissen Sie zu berichten?«

»Über den Mord selbst nichts. Aber den Mann, der ihn wahrscheinlich begangen hat, den habe ich gesehen und auch sprechen hören . . .«

Hempel brummte nur etwas Unverständliches vor sich hin und fragte ziemlich unvermittelt:

»Wie heißen Sie eigentlich?«

»Staufer, Konrad Staufer.«

»Ja und . . . was wollen Sie mir jetzt erzählen?«

»Ich fuhr am 15. April abends nach einer kurzen Fahrt wieder auf meinen Stand zu, als ich am Schottenring von einem alten Herrn angerufen wurde. Er wollte nach der Schmelz gefahren werden.«

»Um wieviel Uhr war das?«

»Kurz vor zehn. Er sagte noch, ich solle in der Hütteldorferstraße an der Rudolfshöhe halten. In etwa zwanzig Minuten waren wir dort. Er stieg aus, und ein Herr, der ihn offenbar erwartet hatte, trat auf ihn zu.«

»Was war das für einer?«

»Ich sah ihn nicht deutlich. Er wollte sich anscheinend nicht zeigen, wie mir schien. Er trug einen dunklen Mantel und einen Hut. Von seinem Gesicht war so gut wie nichts zu sehen. Außerdem stand er noch so, daß ihn kein Lichtschimmer traf, und in der Schmelz ist's ja mit der Beleuchtung schon eh' nicht weit her.«

»Wurde etwas gesprochen?«

»Ja. Der Fremde fragte nur ›Doktor Wendland?‹ Worauf der alte Herr nickte und sich an mich wandte: ›Warten Sie hier auf mich . . .‹ Aber da mischte sich der Fremde ein und sagte: ›Herr Doktor, schicken Sie das Taxi nur fort – es würde zu lange dauern; ich werde Sie ohnehin in meinem Wagen heimbringen, wenn Sie gestatten!‹

›Gut‹, sagte Doktor Wendland und bezahlte. Die beiden Herren, das sah ich noch, gingen nicht den Steig zur Rudolfshöhe hinan, sondern sie schlugen einen Richtweg ein, der quer über den alten Exerzierplatz führt.«

»Hatten Sie den Eindruck, daß Doktor Wendland dem Unbekannten wirklich ohne Mißtrauen folgte?«

»Ja, eigentlich schon.«

»Und nun beschreiben Sie mir mal den Mann im dunklen Mantel, so gut Sie es können. Er war groß, nicht wahr? Schlank und breitschultrig?«

»Breit in den Schultern, ja, das stimmt, aber groß und schlank war er eigentlich nicht. Eher mittelgroß. Und wenn er auch nicht gerade dick war, so hatte er doch immerhin Neigung zum Dickwerden.«

»Was machte er sonst für einen Eindruck?«

»Er sah aus wie ein behäbiger Landarzt. Aber dann sah ich seine Hände, die er einen Augenblick aus der Tasche genommen hatte – als er sich nämlich den Kragen seines Überziehers höher zog –, und da bemerkte ich, daß er an der einen Hand einen Ring mit einem Brillanten trug.«

»Und die Stimme?«

»Die Stimme war auffallend unangenehm. Heiser, wenn auch nicht tonlos. Es klang, als habe der Mann keine richtige Stimme im Halse. Vielleicht war er krank. Kehlkopfkatarrh oder so etwas. Das gibt's ja. Aber ich würde die Stimme unter Tausenden heraus kennen!«

*

Am nächsten Morgen erhielt Hempel einen Brief von Frau Gottschalk. Es war ein langes Schreiben.

»Lieber Herr Hempel,

Ihre kurzen Eilbriefe über das, was Sie bisher über das schreckliche, mich noch immer tief erschütternde Ende unseres alten Rechtsanwaltes in Erfahrung bringen konnten, habe ich dankend erhalten. Doch vermisse ich Ihre eigene Meinung darüber. Glauben Sie, daß der argentinische Farmer mein . . . ist? Sicher ist er ja derselbe Mann vom Semmering, aber ob dieser wiederum identisch ist mit . . . das kann und will ich nicht glauben. Verzeihen Sie, daß meine Gedanken immer wieder zu dem einen Thema zurückkehren! Für mich gibt es eben kein anderes.

Der eigentliche Zweck dieses Briefes ist, Ihnen etwas sehr Merkwürdiges mitzuteilen. Ich weiß nicht, ob Sie sich an jenes rothaarige Mädchen erinnern, das Anna Miller heißt und in der Gärtnerei gearbeitet hat?

Ich selbst kannte das Mädchen kaum und habe sie nur auf Empfehlung des Gärtners hin angestellt.

Nun ist sie vor zwei Tagen plötzlich davongelaufen und hat all ihr Gepäck mitgenommen.

Als mir der Gärtner das berichtete, maß ich dem keine große Bedeutung zu, weil es ja gelegentlich vorkommt, daß irgendein Angestellter davonläuft.

Was mich seltsam berührte, war folgende Bemerkung des Gärtners. Es sei nämlich am Abend vorher zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Mädchen gekommen.

Diese Anna Miller sei ohnehin ein recht merkwürdiges Mädchen gewesen: still, verschlossen, und habe sich von den anderen Angestellten immer zurückgezogen. Der Gärtner habe nur beobachtet, daß sie viel und häufig geschrieben habe und ihre Briefe regelmäßig abends auf den Sechsuhr-Schnellzug ins Dorf gebracht habe.

Nun habe der Gärtner ihr vor drei Tagen befohlen, die Bohnenstauden aufzubinden, auch wenn es über die gewohnte Arbeitszeit hinausginge. Als er jedoch gegen sechs Uhr vom Dorfe nach Tannroda zurückgekehrt sei, wäre ihm Anna in den Weg gelaufen. Als er sie deswegen zur Rede stellte, habe sie ihm frech geantwortet.

Schließlich habe er bemerkt, daß sie einen Brief, den sie zuerst in Händen gehalten habe, in ihrer Schürzentasche zu verstecken suchte.

So beschloß der Gärtner, am andern Tag, als sie auf dem Feld arbeitete, in ihrem Zimmer Nachschau zu halten. Er fand dort ein paar merkwürdige Briefanfänge, die er mir dann später überbrachte.

Ich kam nicht gleich dahinter, was diese zu bedeuten hätten, auf alle Fälle wunderte es mich, daß dieses doch einfache Mädchen eine bis in die kleinsten Dinge gehende Beschreibung unseres Lebens auf Tannroda gab.

Wozu dies? Es wunderte mich, wer der Adressat sei. Denn daß das Mädchen nicht zu seinem Vergnügen diese Briefe schrieb, war mir von vornherein klar. Ich beschloß also, das Mädchen zur Rede zu stellen. Hätte ich es nur sogleich getan. Denn am folgenden Morgen war sie eben verschwunden, wie ich es Ihnen bereits sagte.

Ich habe sofort den Gärtner ins Gebet genommen und ihn gefragt, wer eigentlich diese Anna Miller sei. Er erklärte mir, er habe sie vor ungefähr vier Monaten auf Empfehlung eines in Wien lebenden Bekannten in Dienst genommen. Es sei ein Schuhmacher namens Karl Weiß, der in der Alserstraße 5 einen kleinen Laden betreibe.

Anna Miller habe sich als sehr fleißig erwiesen, so daß er bisher nur Gutes über sie hätte sagen können.

Ich bin sehr gespannt, was sie darüber denken. Könnten Sie bei dem Schuhmacher Weiß etwas über das Mädchen in Erfahrung bringen? Aber vielleicht gibt es einen Schuhmacher solchen Namens gar nicht. Bitte berichten Sie mir bald wieder.

Ihre Leonie Gottschalk.«

Hempel mußte etwas lächeln über diesen Brief. Neben all dem Ernsten nahm der Fall doch Züge eines billigen Kriminalromanes an. Aber das Leben war manchmal noch merkwürdiger, noch ausgeklügelter, noch ordinärer, als es in Büchern zu stehen pflegte.

Aber er mußte wohl oder übel diesen Schuhmacher aufsuchen. Vielleicht wurde dieses verschlossene Mädchen von Leuten ausgenützt, die mit dem Fall Kluge zusammenhingen.

Es war ja seine Pflicht, nichts außer acht zu lassen, auch den kleinsten Hinweis nicht. So machte er sich eben auf den Weg in die Alserstraße.

 


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