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VIII.

Thomas schritt über den Kamm der Berge im Morgenrot, wenn auf den Gräsern Frühtau lag.

Er schritt über die Gipfel am Mittag, wenn die Sonne glühte und alles in ihr weißes Licht tauchte.

Und wenn das Rot des Abends heraufzog und Wälder und Höhen golden machte, so stand er da oben und blickte verträumt mit glänzenden Augen in die versinkende Helle. Kein Haus ... kein Strauch ... kein Mensch.

Er horchte in Einfalt und Andacht auf die Einsamkeit. Er hörte das Rauschen ihrer Flügel ... er vernahm ihre lautlosen Lieder.

Seine bleichen Züge waren von der Sonne braun geworden, seine sehnige Gestalt wurde noch schlanker bei dem steten Wandern.

Kein Ton entging ihm. Er hörte mit verfeinerten und geschärften Ohren; und diesem Horchen und Lauschen gab er sich hin. Darin empfand er den Rausch seiner Einsamkeit.

Eine tiefe gläubige Ruhe durchdrang ihn. Über ihn kam Festigkeit und Freude; eine seltsam geartete Milde, die er vorher nicht an sich gekannt zu haben meinte, nahm von ihm Besitz.

Er kam sich gewandelt vor ... Aber diesen Wandel fand er natürlich, er wunderte sich darüber nicht.

Alle Dinge sah er plötzlich anders. Ihm war es, als ob bisher sein Blick verschleiert gewesen wäre. Immer wieder sagte er leise zu sich: ich habe nicht nur erkannt – ich werde auch nach meiner Erkenntnis leben. Er hatte das unabweisbare Empfinden, daß er nur so die Zweifel und Wirrnisse des Daseins, all das Dunkel, das im Hintergrunde seiner Seele kauerte, aufzulösen vermochte. Man war nicht dazu da, um für sich allein zu leben. Man trug nur dann das ewige, nie verlöschende Licht in sich, wenn man eins wurde mit dem All.

Und diese Vorstellung erfüllte ihn mit einer weiten Freudigkeit.

Man mußte in sich graben, sein eigenes Erdreich aufwerfen, Scholle auf Scholle. Den Boden bestellen in hingebender Arbeit, bevor man zu sich selbst gelangte.

Wie wird ein Lebewesen? Durch wieviel organische Prozesse, durch wieviel Bahnen hat es zu schreiten, bevor es in seiner Vollendung da ist? Das konnte man auf Schritt und Tritt in der Natur verfolgen!

War es im Verhältnis dazu wunderbar, wenn die reine, hüllenlose Wiedergeburt des Geistes eine Wanderung, deren Weg unendlich und ewig war, wie der Geist selber, erforderte?

Wie eine Biene blühenden Klee umschwirrt, alle Süße aus ihm zieht, um ihr Werk zu vollenden, so sog er sich an dem Begriff »Wiedergeburt« voll.

Das Wort bekam für ihn einen Umfang und eine ungeahnte Bedeutung. Es war nicht mehr ein Wort, ein leerer Schall ... es war etwas Wachsendes, Blühendes, Ewiges ... es war für ihn eine Erfüllung – ein Ziel zu anderen Zielen.

Er kam sich wie ein Reisender vor, der an verschiedenen Stellen des Landes wichtige Geschäfte zu besorgen hat und auf einer seiner Stationen nach langer und beschwerlicher Fahrt glücklich angelangt ist ...

Als er nach Wochen die Rückreise antrat, wußte er, daß von nun an erst das Leben für ihn begann.

Ihm war, als ob hinter den letzten Ereignissen nicht Wochen, sondern Jahre lagen.

Er war ein Fremder, ein Neuer, ein Gewandelter, der, wenn er den Blick rückwärts richtete, sich kaum noch erkannte. Aber andererseits empfand er deutlich, daß er ein Wanderer war, für den es keine Rast und Ruhe gab. Steile Wege, finsteres Dickicht und Gestrüpp, weite Strecken ohne Strauch und Halm, von Sonnenbrand ausgedörrt, Nachtdunkel und Überlicht, das blendete, lagen vor ihm.

Und alles das schuf in ihm einen tiefen Ernst und eine Kraft, die ihn stark machte.


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