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Als Durand von der Mutter und der Braut Malachows schied, fragte ihn letztere ein wenig ängstlich, ob sie in dieser Angelegenheit werde nach Wien reisen müssen. Da lächelte er ganz seltsam und sprach die Vermutung aus, daß diese Reise wohl nicht notwendig werden dürfte.
»Und Wasili –«
Nadja konnte vor peinvoller Bewegung nicht weitersprechen.
Durand zuckte die Achseln. »Wenn er sich nicht mehr hat zu schulden kommen lassen, als was man ihm jetzt schon nachweisen kann, werden Sie ihn bald hier haben,« meinte er und setzte tröstend hinzu: »Vielleicht treibt der furchtbare Ernst, der jetzt an ihn herangetreten ist, ihn zur Umkehr.«
Aber Durand glaubte selbst nicht so recht an diesen Trost.
Als er – es war schon Nacht geworden – wieder nach Warschau fuhr und sich über das so plötzlich eingetretene Tauwetter wunderte, das ihn seinen Pelz nicht ertragen ließ, dachte er an den jungen Russen. »Es wird dir schon auch warm werden, mein lieber Wasili Kissilew, wenn du hören wirst, daß man's jetzt weiß, inwiefern du Colmar in der Hand hast. Ein Erpresser – ei ja, es ist nicht schwer, zu glauben, daß du ein Erpresser bist, und nur, um deine rätselhafte Geldquelle nicht zu verstopfen, über Colmar nichts aussagen willst!«
Als Durand hinkend wieder in seinem Zimmer angekommen war, fand er daselbst ein Telegramm.
Der russische Detektiv, den er Colmar zum Begleiter gegeben, hatte es abgesandt. Es lautete: »Wir sind auf dem Wege nach Radom.«
Selbstverständlich,sagte Durand lächelnd.
Am nächsten Tage hatte er vollauf Zeit, Klesing telegraphisch nach Warschau zu berufen und mit Doktor Chodorowski eine diesen genau instruierende Besprechung abzuhalten.
Gegen zehn Uhr Abends traf Colmar wieder im Hotel ein. Er sah um Jahre gealtert aus.
Durand fühlte ein ganz unzeitgemäßes Mitleid mit ihm, das sich jedoch um vieles verkleinerte, als Colmar ganz überflüssig breitspurig zu erzählen begann, wie eifrig er in Lodz nach Nadja geforscht habe und wie seine Mühe leider ganz ohne Erfolg geblieben sei.
»Na, da haben wir beide hier eben kein Glück gehabt,« entgegnete Durand. »Ich war so unvorsichtig, auszufahren, weil mich die Langeweile plagte, und habe dadurch mein Leiden um vieles verschlechtert. Der Doktor riet mir soeben vorhin, je eher, je besser nach Hause zu fahren.«
»So?« Colmar schien sichtlich erleichtert.
»Ja, denn später würde eine Reise vielleicht unmöglich werden. So eine Sehnenzerrung sei öfters mit Komplikationen verbunden, sagte der Arzt. Da reise ich also besser gleich ab und bin froh, daß Sie bei mir sind, denn allein könnte ich jetzt nicht reisen.«
In Colmars Gesicht hatte sich anfangs schlecht verhehlte Befriedigung gezeigt, die aber rasch verschwand, als er aus dem Redeschluß erkannte, wie ganz sicher Durand auf sein Mitkommen rechnete.
Natürlich sagte er es ihm zu, ja beeilte sich, Durand zu versichern, wie es ihm ein Vergnügen sei, ihm dienlich sein zu können. Danach nahm er in seinem Zimmer, in Gesellschaft Durands, sein Abendessen ein. Er hatte indes wenig Eßlust.
»Ihre Hand schmerzt Sie wohl noch immer?« sagte Durand einmal, als Colmar, vielleicht nur achtlos, die Gabel fallen ließ. »Mit einem Nagel haben Sie sich verletzt?«
»Mit einem Nagel,« antwortete der Maler kurz.
Durand bemerkte daraus: »Ja, so ein abgebrochenes Eisen kann einem gefährlich werden.«
Colmar schaute betreten auf. »Abgebrochen? Der Nagel war ja gar nicht abgebrochen,« sagte er unsicher, Durand dabei mit einem scheuen Blick streifend.
Jener aber sagte mit großer Bestimmtheit: »O doch, das Eisen war abgebrochen.« Und danach fragte er: »Sie haben ja wohl einen Revolver bei sich?«
Der Maler starrte ihn daraufhin eine gute Weile an. Er war erbarmungswürdig bleich geworden, und seine Lippen zitterten so stark, daß er das, was er reden wollte, nicht hervorzubringen vermochte.
Er gab es schließlich auf, reden zu wollen. Er sank ganz in sich zusammen und starrte vor sich hin.
»Sie wollen schlafen gehen – ich auch,« sagte Durand, erhob sich und ging mit Hilfe seines Stockes mühselig in sein Zimmer.
Am nächsten Tage reisten die beiden ab.
Colmar hatte sich wieder gefaßt. Ein Zug von Trotz und wilder Entschlossenheit zeigte sich in seinem merkwürdig rasch verfallenen Gesicht.
Aber dieser Ausdruck verschwand, als Durand und er vor dem Warschauer Bahnhofe ausstiegen. Ersterer hatte sich nämlich einer kleinen Inkonsequenz schuldig gemacht. Er hatte einen Augenblick lang vergessen, daß er eine nicht unbedenkliche Sehnenzerrung hatte, und war ganz so wie ein gesunder Mensch aus dem Wagen gesprungen. Er ward sich seines Tuns auch sofort bewußt, das merkte Colmar an der tiefen Röte, welche in Durands Gesicht stieg, und merkte es auch daraus, daß Durand es von nun an aufgab, den Kranken zu spielen.
Als auch Colmar den Wagen verlassen hatte, war sein Gesicht aschgrau und von Wut und Angst verzerrt.
»Sie haben mir also eine Komödie vorgespielt, und der Mensch, der gerade vorhin noch den Arzt bei Ihnen spielte, der war mit Ihnen im Bunde?«
So zischte Colmar, beim Wagen stehen bleibend, dem Doktor zu.
Dieser hatte den ihm eigenen Gleichmut schon wieder erlangt. »Natürlich war's eine Komödie,« gab er gemütlich zu. »Ich habe sie aus Rücksicht für Sie inszeniert. Sie haben dadurch entschieden gewonnen – ein paar Stunden wenigstens.«
Durand hatte inzwischen sein Köfferchen aus dem Wagen genommen.
»Nun?« sagte er jetzt und deutete auf Colmars noch darin befindliches Reisegepäck.
Da richtete sich der Maler auf. »Und wenn ich nun nicht mit Ihnen fahre?« sagte er in wieder erwachendem Trotz.
Da schaute Durand ihm mit zwingendem Blick ins Auge, und wieder schwand der Trotz aus den Mienen des Unseligen, und er griff nach seinem Reisegepäck.
Eine halbe Stunde später fuhren sie dem Süden zu.
In dem Nachbarcoupé saß ein Mann, dessen halber Kopf in Bandagen steckte.
Colmar hatte sich gleichwie bei der Herfahrt in eine Ecke zurückgezogen und stellte sich schlafend. Durands Augen streiften zuweilen mitleidig seine zusammengekauerte Gestalt.
So ging Stunde um Stunde vorüber. Man hatte schon die Hanna durchquert, als Colmar sich aufrichtete.
Wie warm es geworden war in den letzten vierundzwanzig Stunden!
Die dichte Schneedecke, welche der auch hier wiedergekehrte Winter neuerdings über die Erde gebreitet hatte, wies schon viele Risse und Löcher auf.
Von den Häusern und Zäunen rann das Wasser, und die Bäume schüttelten, froh der sie durchströmenden Wärme, die glitzernden Schneelasten ab.
Die junge Wintersaat zeigte sich wieder, und immer öfter kamen die braunen Furchen zum Vorschein, welche der Pflug gerade vor des Winters Wiederkehr gezogen hatte. Hungrige Krähen suchten in ihnen nach dem Futter, das die Sonne auf die Oberfläche der Erde lockte, und der Feldsperling schwirrte lustig über die Ackerbreiten hin.
Es war ein stilles, aber reges Leben in der Natur, die sich soeben anschickte, den Winterschlaf endgültig von sich abzuschütteln.
Die beiden Männer, welche sich gegenübersaßen, schauten oft auf dieses erwachende Leben hinaus. Der eine, weil es ihm ein Bedürfnis war, sich zuweilen auszuruhen von der Pein, welche seines Gegenübers Gesicht so deutlich verriet; der andere, der unglückselige Eigner dieses Gesichts, schaute auch oft hinaus – sehnsüchtig, denn da draußen war die Freiheit. Zwar voll verzweifelnden Leides, denn auch diese Freiheit barg für ihn nur noch Angst und Reue, aber sie lockte ihn doch – o sie lockte ihn doch noch, denn selbst der Elendeste will das Leben, und mag es noch so verdorben, für immer verdorben sein, nicht aufgeben.
O ja, die Sehnsucht, frei, weit, weit weg zu sein von all denen, die sich jetzt so sehr für ihn interessierten, die lebte ganz gewaltig stark in dem bleichen Menschen, der jetzt sich erhob und zu dem Fenster trat, das an der anderen Seite des Wagens lag.
Er schaute lang hinaus und stellte sich langsam so, daß er die Klinke der Tür verdeckte.
So blieb er eine gute Weile stehen.
Da sagte Durand: »Bemühen Sie sich nicht. Die Türen sind beiderseits vorschriftsmäßig abgesperrt. Davon habe ich mich bereits überzeugt.«
Colmar wandte sich langsam seinem schrecklichen Reisegenossen zu und sah ihn mit wutsprühenden Augen an »Wozu sagen Sie mir das?« zischte er.
»Weil Sie eben überlegt haben, ob Sie auf diesem Wege sich nicht von mir befreien können.«
In Colmars Gesicht war derzeit nicht mehr viel Menschliches. Er sah wie ein gefolterter Teufel aus. Er fuhr sich mit geballten Händen über die fahlen Schläfen, er drückte die Fäuste darauf, und dabei stöhnte er wie ein wundes Tier. Und dann – dann griff er blitzschnell in die Innentasche seines Rockes.
»Lassen Sie das,« sagte Durand. »Ich habe nämlich auch einen Revolver bei mir, und im Nachbarcoupé befindet sich jemand, der genau weiß, warum ich diese Reise machte.«
Colmars Hand war schlaff niedergesunken. Einige Augenblicke lang vermochte er sich noch aufrecht zu erhalten, dann aber fiel er schwer wie ein Stein auf den hinter ihm befindlichen Sitz.
Etwas, das recht sehr einer Ohnmacht glich, hatte ihn befallen. Aber es war keine Ohnmacht im eigentlichen Sinne des Wortes, es war nur ein plötzliches Versagen aller Kräfte, denn des Unglücklichen Augen blieben offen, schauten auch Durand mit einem Ausdruck so verzweiflungsvollen Leides an, daß sich des guten Doktors Herz vor Weh zusammenzog.
Und als er, gleich nach Colmars körperlichem und seelischem Zusammenbruch, schwere Tränen über dessen Wangen rollen sah, da setzte er sich zu ihm, ergriff seine eiskalte Hand und sah ihm voll Teilnahme in die Augen.
»Colmar,« sagte er herzlich, »lassen Sie uns miteinander reden. Seien Sie wahr in dieser Stunde, es wird Ihnen dann leichter werden.«
Colmar regte sich nicht, es kam kein Wort über seine Lippen, nur die großen Tränen rollten noch immer über sein Gesicht – diese Tränen, die er um der Hilflosigkeit willen weinte, in der er, schuld- und reuebeladen, seinem Untergang verfallen war.
Eine gute Weile noch flog die Gegend an den zweien vorüber, ehe wieder Leben in Colmar kam.
Dann aber lag er plötzlich an Durands Brust und weinte laut und herzzerreißend.
Und in des wackeren Grödens Seele hatte nun nichts mehr Raum als das tiefe Mitleid, das jeder gute Mensch für einen anderen empfindet, der ganz ohne Hoffnung, der ganz elend ist.
Er fand liebe gute Worte, die den Unseligen nach und nach aufzurichten schienen.
Colmar wurde ruhiger und schaute jetzt fast verwundert auf den, den er erst vor wenigen Tagen kennen, vor wenigen Stunden erst fürchten gelernt hatte, und der nun sein ferneres Geschick in der Hand hielt, der ihn tröstete, dessen Verachtung in großem Mitleid untergegangen war und ein weiches, dankbares Lächeln erhellte sein verfallenes Gesicht.
Durand nickte ihm zu. »Ich will Ihnen über das Schwerste, über ein offenes Geständnis, so gut ich kann, hinaushelfen, und Sie – nicht wahr, Sie werden mir rückhaltlos antworten?«
»Ich werde es,« antwortete Colmar ernst. »Es wird mir die entsetzliche Last von der Seele wälzen.«
»Sie haben König in Mühlheims Haus getötet?«
»Ja, in Mühlheims Haus. In dem von den Pflanzen maskierten Flurwinkel ist es geschehen. Ich wartete auf König. Auf der Treppe kam er mir nach. Er selbst zog mich in den Winkel, riet mir noch einmal, von Wien wegzugehen und nicht mehr als Maler gelten zu wollen, widrigenfalls es schon am folgenden Morgen ganz Wien wissen würde, daß ich ein Betrüger sei, der einem großen Künstler den verdienten Ruhm gestohlen habe. Ich habe nämlich – «
Colmar hielt ein. Eine flammende Röte hatte sich über sein Gesicht ergossen.
Durand fiel ihm rasch in die Rede. »Darüber brauchen Sie mir nichts zu berichten,« sagte er. »Ich weiß, daß König in Concarneau war und dort aus Malachows Skizzen erkannte, wer den ›Aufstand polnischer Bauern‹ gemalt hatte.«
»Das wissen Sie?«
»Ja. Ich war vorgestern, während Sie nach Radom fuhren, bei Nadja Kissilew.«
Wieder flammten Colmars Wangen auf. Er senkte für eine Weile die mit Schweiß bedeckte Stirne, dann fuhr er heiser fort: »König hatte mich für den Nachmittag zu sich beschieden. Ich ging auch zu ihm. Ich ahnte nicht, daß er alles wisse, ahnte nicht, was er wolle. Ich sagte ihm, daß ich mich so schnell nicht zu meiner moralischen Selbstvernichtung entschließen könne, er solle den über mich und Malachow schon geschriebenen Artikel noch nicht an die Zeitung senden, ich würde ihm, wenn wir Abends bei Mühlheims zusammentreffen, sagen, ob ich verschwinden oder den Kampf mit ihm aufnehmen wolle. Mit ihm – ja mit ihm allein, denn daß Malachow mich nicht verraten würde, dessen war ich sicher. Iwan hatte mir ja bei Abschluß unseres Vertrags auch sein Ehrenwort gegeben, daß jedes seiner Bilder mir gehöre, daß er, solange er lebe, nur für mich malen wolle, und unser Übereinkommen ein streng bewahrtes Geheimnis bleiben würde. Er hat freilich dieses Ehrenwort nicht gehalten. Er hat es seiner Braut gesagt, warum er niemals einen ›Namen‹ haben würde. Aber das wußte ich am 3. März noch nicht. Sonst hätte ich selbstverständlich Königs Rat befolgt.«
Wieder hielt der Unglückliche im Reden inne.
»König selbst also hat Sie in den Flurwinkel geführt?« fragte Durand.
Colmar nickte. Sein Gesicht war aschfarben, er redete mit Anstrengung. »Er selber hat mich hingeführt, und als er mich einen feigen Schurken nannte, da waren meine Hände an seiner Kehle. Ich bin sehr stark, wie stark, das weiß ich eigentlich erst seit jener Nacht. Er sank unter meinen Händen zusammen. Es waren schon vor uns Gäste weggegangen. Als er niedersank, gingen eben wieder welche weg. Es war ziemlich viel Lärm im Treppenhause, so hörte es niemand, daß ich mit dem Leblosen, den ich aufgehoben hatte, durch die Tür, die dort in den Garten führt, ins Freie gelangte. Ich wußte, daß es dort, in der großen Kastanienallee, eine tiefe Grotte gibt. Dorthin trug ich König. Ich fühlte nach seinem Herzen. Es war ganz still. Ich schob ihn tief in die Grotte hinein und wälzte einen der großen Tuffsteine vor die Öffnung. Dann rannte ich zum Gitter und war bald auf der Straße.«
Colmar mußte sich die feuchte Stirn trocknen. Er konnte augenblicklich überhaupt nicht weitersprechen, denn die Zähne schlugen ihm aufeinander.
Deshalb setzte Durand das gräßliche Bekenntnis fort, sagte ihm, daß er alsdann bis zur Elisabethbrücke fuhr, von dort zu Fuße in seine Wohnung eilte, sich dort der zum Radfahren unbequemen Kleider entledigte, um sie mit einem kurzen Pelzrock und einer Mütze zu vertauschen, und daß er danach in Königs Wohnung einen Einbruch fingierte. »Und doch nicht nur fingierte,« sagte Durand nach einigem Nachdenken, »denn Sie wollten sich des Manuskriptes bemächtigen, das König gewiß schon geschrieben hatte, und das Ihr Verderben war. – Ist es so? Waren Sie auch deshalb in Königs Wohnung?«
Colmar nickte. »Auch deshalb,« gab er kaum vernehmlich zu.
»Und haben Sie die Schrift gefunden?«
»Nein. König hat sie wahrscheinlich bei sich gehabt.«
»Und hat sie noch bei sich.«
»Und hat sie noch bei sich,« wiederholte der Maler.
Durand fuhr fort, zusammenzufassen, was dann noch geschah, daß Colmar, um die Täuschung voll zu machen, die Rettungsgesellschaft anrief – denn auch der Mord mußte als in Döbling geschehen gelten. Glaubte man dies, dann fiel es natürlich niemand ein, den Ermordeten im Mühlheimschen Park zu suchen. »Daß vor Königs Haus Ihr Rad gestohlen wurde,« fuhr Durand fort, »zwang Sie, auf Königs Maschine das Weite zu suchen. Sie entledigten sich dieses Rades dann bei jenem Donautümpel, in welchen Sie auch die Schmuckgegenstände warfen, die Sie ja um keinen Preis der Welt behalten hätten.«
Colmar nickte wieder. Er wunderte sich vermutlich darüber, daß man all dies schon wußte, aber er fand es nicht mehr der Mühe wert, dieser Verwunderung Ausdruck zu geben.
Er nickte auch nur müde dazu, als Durand bemerkte, wie es ihm nun auch aufgeklärt sei, warum Colmar all die Zeit her so fieberig gewesen und weshalb er trotz seines üblen Zustandes im Garten gemalt habe. Er habe eben nicht so sehr als Maler stundenlang in der bitteren Kälte ausgeharrt, sondern sei damals nur ein Hüter seines entsetzlichen Geheimnisses gewesen.
Als in dieser Hinsicht nichts mehr klarzustellen war, fragte Durand, welche Rolle Wasili Kissilew in Colmars Leben gespielt habe, und erfuhr, daß dieser ganz so, wie König, nämlich durch Malachows Skizzen, die er vor Jahren gesehen, darauf gekommen sei, daß Bilder, deren Reproduktionen in Zeitungen gewesen waren und welche den Namen Colmars trugen, von seinem künftigen Schwager herrühren mußten. Er hatte diese Entdeckung wohlweislich nur Colmar mitgeteilt. Er war auch nur um dieser Entdeckung willen nach Wien übersiedelt, damit er Colmar immer nahe sein könne. Er hatte seit etwa einem Jahr von dieser Entdeckung die vielen Luxusbedürfnisse, die er hatte, gedeckt.
So war auch diese Sache aufgeklärt.
Es herrschte danach lange Zeit Schweigen zwischen den beiden Männern. Colmar zog sein Notizbuch heraus, wartete dann, bis der Zug auf einer Station hielt und schrieb einige Zeilen in das Büchlein und setzte dann seinen Namen unter das Geschriebene.
»Genügt das?« fragte er, das Büchlein Durand reichend.
Dieser überlas das klar und kurz abgefaßte Schuldbekenntnis des Unglücklichen und steckte das Büchlein zu sich.
Es enthielt schon viele Notizen, deren Schrift natürlich vollständig mit den zuletzt eingetragenen Zeilen gleich war.
Und wieder setzte sich der Zug in Bewegung, und wieder jagte er in der weiten Ebene dahin.
Colmar war in tiefes Sinnen versunken. Durand machte keinen Versuch, ein Gespräch zu beginnen.
Was hätten denn diese beiden auch jetzt noch besprechen können?
In Lundenburg kaufte Durand etliche Wiener Blätter. Er begann eines derselben durchzusehen. Es war ein Abendblatt. Er richtete sich plötzlich auf, als er es entfaltet hatte. Es war eines jener Blätter, die, den Geschmack des Publikums kennend und berücksichtigend, in auffallenden Überschriften sich hervorzutun suchen.
Solch eine Überschrift war soeben Durand ins Auge gefallen. Sie lautete: »Die Leiche in der Tuffsteingrotte! Der verschwundene Doktor König aufgefunden!«
Durand las nicht weiter. Was hätte ihm denn das Blatt noch Neues sagen können?
Er reichte es Colmar.
Der las auch die bedeutungsvolle und für ihn schließlich jetzt doch schon ganz bedeutungslose Überschrift und nickte gleichgültig.
Dann gab er die Zeitung an Durand zurück und griff, als er sah, daß dieser eifrig darin las, in die Tasche seines Überrockes, der ihm gegenüber auf dem Sitz lag.
Er zog ganz sachte einen Revolver heraus, den er hinter seinem Rücken verbarg.
Er war ganz grau im Gesichte.
Eben ging ein Mann, dessen Kopf verbunden war, an dem Coupé vorüber. Dessen Tür stand offen.
Durand beugte sich zu ihm hinaus.
In diesem Augenblick fiel ein Schuß.
An der zweiten Tür des Coupés lag ein Mann mit durchschossener Schläfe auf dem Boden. Seine brechenden Augen sahen es noch, wie sich ein bleiches Gesicht über ihn beugte.
Gleich danach kamen noch andere Leute herein. Der Stationschef, der diensthabende Beamte und der Mann mit dem bandagierten Kopf.
Der Zug hatte nun noch einige Minuten Aufenthalt.
Dann fuhr Durand allein nach Wien weiter.
Klesing hatte den Auftrag erhalten, bei der Leiche Colmars zu bleiben.