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Neuntes Kapitel.

Am Abend des 6. März saßen Mühlheim und Durand rauchend in des letzteren Arbeitszimmer.

»Gut,« sagte Durand, »gut, es ist in Königs Wohnung eingebrochen worden, es ist daraus allerlei abhanden gekommen, und es hat irgend jemand von dorther die Rettungsgesellschaft angerufen. Diese drei Tatsachen sind nicht hinwegzuleugnen, aber wie sie auf Wahrheit beruhen können, können sie auch ebensogut nichts als eine wohlberechnete Täuschung sein. Einbruch, Diebstahl, Überfall – wie oft ist das alles schon fingiert worden, um damit eine andere Handlung zu verdecken. Kann nicht etwa mit Königs Einwilligung all das geschehen sein, was geschehen ist?« Durand streifte nach dieser Frage seine Zigarre ab und schaute gedankenvoll auf den tief verschneiten Park hinunter.

Der Kommerzienrat sah aufgeregt und unmutig aus, als er entgegnete: »Es peinigt mich, daß Sie immer wieder auf den Gedanken zurückkommen, daß König alles vielleicht nur in Szene gesetzt hat, um sich von meinem Kinde frei zu machen.«

»Vielleicht weniger zu diesem Zweck, als um sich jenes schöne Weib, das ihn vielleicht vor ein Entweder – Oder stellte, in letzter Stunde noch zu sichern.«

»Doch nicht eine Stunde nach seiner Verlobung!«

»Wissen wir, ob sie nicht schon vorher ihren Einfluß auf ihn geltend machte, und er nur aus konventionellen Gründen sich mit Fräulein Lena verlobte?«

»Aus konventionellen Gründen! Herr, Sie geben mir viel Unangenehmes zu hören.«

»Entschuldigen Sie, Herr v. Mühlheim,« entgegnete Durand ruhig, »es ist notwendig, daß zwischen uns in dieser Sache volle Klarheit herrsche. Sie müssen meinen Gedankengang genau kennen um mir sagen zu können, das und das kann König getan haben und das und das nicht. Sie verkehrten ja seit einem Jahre intim mit ihm und müssen ihn daher besser kennen als irgend jemand. – Ich habe nämlich in Erfahrung gebracht, daß ihn von all seinen Bekannten eigentlich niemand genau kennt. Man weiß im Grunde gar nichts Sicheres über seinen Charakter, seine Beziehungen, seine Lebensweise. Seine Berufsgenossen kennen seine Seele ebensowenig wie – nun wie etwa sein Rad, das hier übrigens, wie Sie mir mitteilten, auch niemand erkennen würde.«

Beide Herren mußten über diesen Redeschluß lächeln, und der Kommerzienrat sagte: »Weiß ich denn, ob König mir, ob er uns sein wirkliches Wesen gezeigt hat? Er schien mir ein ruhiger, gemütlicher Mann zu sein, der nur heiß und leidenschaftlich werden konnte, wenn es Fragen der Kunst oder gar Meinungsdifferenzen darüber galt. Wir zweifelten niemals an seiner Ehrenhaftigkeit – aber freilich, wenn ich so recht nachdenke, weiß ich eigentlich keinen triftigen Grund für unser festes Vertrauen anzugeben.«

»König hatte wohl zufällig niemals Gelegenheit, seine Ehrenhaftigkeit durch etwas anderes als allenfalls durch Worte zu beweisen, und Worte allein beweisen eben gar so wenig,« warf Durand ein, als Mühlheim schwieg.

Dieser nickte. »Merkwürdig,« sagte er, »jetzt komme ich erst darauf, daß ich mein Kind einem mir in Wahrheit ziemlich fremden Menschen anvertraut habe.«

Der Kommerzienrat sah bei dieser Entdeckung schier bestürzt aus.

Auch Durand lächelte trüb, als er sagte: »Wir müssen uns immer ›ziemlich fremden‹ Menschen anvertrauen, Herr v. Mühlheim. Sind und bleiben wir selber uns doch bis zum Grabe auch ›ziemlich fremd‹, wie sollen wir denn erst andere erkennen? Wie wollen wir wissen, wie andere sich in dieser und jener Lebenslage benehmen werden, da wir doch nicht einmal für unser eigenes Verhalten einstehen können, sobald Leidenschaften ins Spiel kommen? – Sie brauchen sich also gar keinen Vorwurf zu machen, verehrter Herr. Und wir haben ja auch noch gar kein Recht, an der Ehrenhaftigkeit des Mannes zu zweifeln, dem Sie Ihr Kind anvertrauen wollten. Wir reden vielleicht von einem Toten.«

Mühlheim fuhr sich nervös über die Stirn. »Bei Gott, ich wünschte fast, daß er tot wäre,« sagte er, »denn wenn er's nicht ist, dann ist er –«

»Ehrlos – wollen Sie sagen,« unterbrach Durand seine heftige Rede und schüttelte den Kopf. »Aber auch in diesem Falle muß er noch lang nicht ehrlos sein.«

»So? Wenn er eine so erbärmliche Komödie aufführt, um meines Kindes ledig zu werden?«

»Läge nicht eben in dieser umständlichen Komödie der Beweis, daß er Fräulein Lena schonen wollte? Daß er das Odium des Verlassenseins von ihr fernhalten wollte?«

»Schöner Beweis von Liebe! Und auf diese hin hat er sich doch mit meiner Tochter verlobt.«

»Zuweilen ist eine Leidenschaft der Sinne mächtiger als eine Herzensliebe.«

»Sie nehmen also an, daß diese Nadja –«

»Vielleicht. Jedenfalls hat König sich für Nadjas Schönheit bedeutend interessiert. Das beweist sein Ausruf: ›Was? Die ist schön!‹ und der Umstand, daß er, wie Frau Winter bemerkte, ganz merkwürdig dabei ausgesehen hat.«

»Etliche Stunden vor der Verlobung mit meiner Tochter!« warf der Kommerzienrat bitter ein. »Es ist schändlich.«

»Ich finde darin noch nichts Schändliches,« entgegnete Durand lächelnd. »Sie urteilen über Königs Tun nur so schroff, weil Ihre Tochter damit in Verbindung steht. Handelte es sich hier um zwei ganz fremde Personen, so würden Sie des Mannes Entzücken beim Anblick eines so prächtigen Frauengesichtes begreiflich finden. Persönliches Empfinden macht immer ungerecht.«

»Sie haben recht,« gab Mühlheim offen zu. »Aber – sollte es sich so verhalten, wie wir einstweilen annehmen, sollte er sich in letzter Stunde darüber klar geworden sein, daß er von jener Nadja nicht lassen kann, dann konnte er doch einfach mit ihr durchgehen.«

»War er gar nicht eitel?«

»Wer ist das nicht?«

»In welcher Art war er eitel, oder sagen wir besser empfindlich für das Urteil der Welt?«

»Er hielt riesig viel darauf, in seinem Fache als Autorität anerkannt zu sein und – für makellos bezüglich seines Charakters zu gelten.«

»Nun also! Ähnliches hat man mir auch schon in der Redaktion gesagt, und da Sie es bestätigen, gewinnt es für mich großen Wert.«

»Was erklären Sie sich daraus?«

»Daß er, falls er noch lebt, durchaus für gestorben gelten will; denn ein Ermordeter kann ein Eheversprechen eben nicht einhalten.«

»Aber –«

»Erlauben Sie mir eine Frage.«

»Bitte.«

»Hat Fräulein Lena oder haben Sie sich zuerst für König entschieden?«

»Allerdings – ich zuerst,« gab Mühlheim zögernd zu.

»Sie haben vielleicht Ihrer Tochter vorgestellt, was für einen angesehenen Namen sie als die Gattin dieses Mannes tragen wird.«

»Das tat ich. Aber Lena schwärmte schon für ihn, ehe sie ihn noch gesehen hatte.«

»Weil sie seine geistreichen Schriften kannte.«

»Gewiß –«

»Junge Damen schwärmen in dieser Beziehung für manchen geistig hervorragenden Mann. Wenn dann der Vater solch einen Mann ins Haus bringt, und dieser Mann solch eine fein erzogene und auch liebliche junge Dame kennen lernt und von dem Behagen eines vornehmen Hauswesens umfangen wird, kommt er – besonders wenn er vom Vater noch dazu ermutigt wird – leicht auf den Gedanken, als Werber aufzutreten.«

»Herr Herr Durand, was wollen Sie damit sagen?«

Der Kommerzienrat war plötzlich sehr steif geworden.

Durand ließ sich jedoch dadurch nicht abhalten, in seinen Auseinandersetzungen fortzufahren. »Ich sage damit, daß ein ganz achtbarer Mann auf solchem Wege leicht der Bräutigam eines liebenswerten Mädchens werden kann, ohne daß auf irgend einer Seite übergroße Liebe dabei entschieden hat. Nehmen wir nun an, daß dieser Bräutigam mit einer alten Leidenschaft fertig zu sein gemeint hat und diese – vielleicht von ihm selber ganz unerwartet – wieder aufloht, oder daß eine junge Leidenschaft ihn plötzlich ganz und gar in ihre Gewalt bekommt – was kann der tun? Einer Lena v. Mühlheim, mit der man sich soeben öffentlich verlobt hat, kann man nicht sagen: Es ist alles wieder zwischen uns aus – nein, das kann man Ihrer Tochter, Herr Kommerzienrat, nicht sagen. Wenn man sich ihr entziehen will, dann muß man einfach unter irgend einem Vorwand verschwinden.«

»Das ist mir zu romantisch, das verstehe ich nicht,« warf kopfschüttelnd der Kommerzienrat ein. »Glauben Sie nicht, Herr – Herr Durand, daß Sie Ihre Phantasie zu sehr arbeiten lassen?«

Der junge Mann lächelte gleichmütig. »Ja, verehrter Herr Kommerzienrat,« sagte er, »wenn unsereins keine Phantasie hätte, stünde es oft recht mißlich mit unseren Untersuchungen. Nur mit uns durchgehen dürfen wir unsere Phantasie nicht lassen. Nun, die meinige geht nicht mit mir durch. Ich verrenne mich durchaus nicht in dem Gedanken, daß es unbedingt so sein muß, wie zu sein es den Anschein hat. Ich habe immer beide Fälle im Auge: daß König tot ist, und daß er noch lebt. Jetzt beleuchten wir eben alle Momente, die für letzteres sprechen – das ist alles.«

»Es ist richtig. Man soll jede Möglichkeit erörtern,« mußte Mühlheim zugeben. »Also holen Sie mich nur weiter aus.«

»Ich werde Sie nicht mehr viel belästigen müssen,« meinte Durand. »Daß König während des Verlobungsfestes unter einem peinlichen Eindruck stand, das haben auch Sie gemerkt. Nicht wahr?«

»Ja, das habe auch ich bemerkt. Ich redete darüber auch mit Colmar, und der hatte denselben Eindruck erhalten.«

»Auch Herr Colmar hatte diesen Eindruck?« fragte Durand und schaute sinnend den bläulichen Rauchringeln nach, die sich aus seiner Zigarre drängten.

Und dann fragte er noch etwas, das gar nicht in Beziehung zu dem bisher gepflogenen Gesprächsthema stand.

»Herr Kommerzienrat, haben Sie Herrn Colmar ein Gastzimmer zur Verfügung gestellt?«

Mühlheim nickte. »Colmar ist entzückt von der Winterstimmung des Parkes. Er will einige Partien davon malen. Er hat solche Studien noch nie gemacht.«

»Er selbst hat Sie um Quartier ersucht?«

»Er selbst.«

»Wann?«

»Nach dem Eintreten des Schneefalls.«

»Er will also hier wohnen und malen, und er verbindet damit wohl noch einen weiteren Zweck?«

»Haben Sie es schon erraten?« meinte Mühlheim schmunzelnd. »Nun, es war nicht schwierig. Er hat eine große Leidenschaft für Edwine gefaßt und gibt sich keine Mühe, es zu verbergen.«

»Wollen wir lieber von der anderen Sache reden.« Damit schnitt Durand das Thema, das er doch selber angefangen, wieder ab. »Ich nehme auch als wahrscheinlich an, daß König sich in einer Zwangslage befand. Diese Nadja, die ihm am 27. Februar ihr Bild gegeben hat, mußte gewollt haben, daß König sie nicht vergesse. Ein Weib aber, das nicht vergessen sein will, das liebt noch, und ein Weib, welches liebt, das entsagt nicht so leicht. Nadja wußte vielleicht, daß Königs Liebe ihr, ihr allein gehöre, und wußte vielleicht, daß nur ein laues Empfinden den neuen, noch so lockeren Bund geschlossen hatte – da hat sie, die sicherlich Temperamentvolle, ihn vielleicht wieder an sich gerissen, ihn wohl auch noch mit Überlegung zu solchem Verschwinden bewogen, denn danach gab es keine Rückkehr mehr, danach gehörte er ihr für immer. – Scheint Ihnen dieser Ideengang sehr unwahrscheinlich, Herr Kommerzienrat?«

Mühlheim, der den Auseinandersetzungen Durands aufmerksam gefolgt war, mußte zugeben, daß alles so sein könne, wie dieser folgerte. »Was hat Sie denn eigentlich zuerst zu dieser Auffassung veranlaßt?« fragte er interessevoll.

»Das Fiederblättchen eines Farnkrautes. Ich fand es auf dem Polster des Fensters, durch welches man eingestiegen war.«

»Nun, und –?«

»Solche Farne gibt es derzeit nur in Warmhäusern und in Wintergärten.«

Mühlheim beugte sich weit vor. »Ich habe einen Wintergarten,« sagte er hastig.

Durand nickte. »Und dieselbe Farnart darin, davon ein Teilchen auf jenem Polster klebte –«

»Das der Fuß dessen, der dort eingestiegen ist, berührt hat?«

»Ja. Und dieser Fuß – so nehme ich an – ist vorher durch Ihren Wintergarten gegangen. Ich bekam danach aber noch einen äußerlichen Anhaltspunkt für meine Annahme, daß alles auf Täuschung berechnet war.«

»Welchen Anhaltspunkt?«

»Der Mann, welcher das Rad in den Donautümpel, stieß, trug eine Pelzmütze und dazu einen pelzbesetzten, kurzen Rock.«

»Nun?«

»Auch König besaß eine Astrachanmütze und einen kurzen, pelzbesetzten Rock.«

»So?«

»Er ist natürlich hier niemals damit erschienen, denn, wenn er hierher kam, war er im Salonanzug.«

»Bitte – weiter.«

»Die Mütze und dieser Rock finden sich in Königs Quartier auch nicht mehr vor. Sie sind, gleich etlichen anderen seiner Kleidungsstücke und gleich ihm selber, verschwunden. Freilich, Frau Winter sagt aus, daß Königs Pelzrock hell gewesen sei, und der Mann, der das Fahrrad aus dem Tümpel zog, sagt, der Mann, der es hineingestoßen hat, habe einen dunklen Rock getragen. Aber seinerseits kann leicht ein Irrtum vorliegen.«

»Sie meinen also, König habe bei sich selber eingebrochen, die Mordgeschichte inszeniert und sich auf dem Wege zu dem Nord- oder Nordwestbahnhof seines Rades entledigt?«

»Daß das möglich, sogar nicht unwahrscheinlich ist, nehme ich so lange an, als ich ihn nicht tot vor mir gesehen habe.«

»Stimmt denn alles bezüglich Ihrer Annahme? Zum Beispiel die Zeit, die König zur Ausführung all dessen brauchte, was da getan er werden mußte?« fragte Mühlheim.

»Mit der Zeit stimmt es schon,« antwortete Durand, »wenn er von einem gut bespannten Wagen in der Nähe Ihres Hauses erwartet wurde, und wenn vielleicht Nadja ihn da erwartet hat, um ihn zur Tat zu drängen. Er verließ – es war noch nicht elf Uhr – Ihr Haus. Er konnte um halb zwölf Uhr in der Nähe des seinigen anlangen. Dann hatte er dreißig Minuten vor sich, um die nötige Unordnung herzustellen, das Fehlende an sich zu nehmen und die Rettungsgesellschaft anzurufen. Der Wagen, der – so nehme ich einstweilen an – ihn nicht vor, sondern nur in die Nähe seiner Wohnung gebracht, hatte vielleicht Nadja gleich zur Bahn geführt, denn sicherer war es jedenfalls, wenn jedes allein an dem Abfahrtspunkt eintraf –«

»Aber der Kutscher, der da im Spiele war, der hätte sich doch schon gemeldet,« warf der Kommerzienrat ein.

Durand entgegnete: »Muß es denn ein Wiener Kutscher gewesen sein? Und lehrt nicht Geld Schweigen?«

Mühlheim nickte. »Bitte, weiter!« sagte er.

Durand fuhr fort: »Nadja braucht ja gar nicht in Wien den Zug bestiegen zu haben. Die beiden trafen wohl überhaupt erst irgendwo auf der Strecke zusammen. Kurz, ich nehme einstweilen an, daß König bald nach zwölf Uhr auf seinem Rade wegfuhr. Von seiner Wohnung bis zu dem bewußten Tümpel fährt man in zweiundzwanzig Minuten. Ich habe diese Tour probeweise selber gemacht. Jenes Rad wurde, laut Aussage des Augenzeugen, versenkt, als Mitternacht längst vorüber war, und danach ging der Mann mit dem kurzen Pelzrock in der Richtung der Leopoldstadt weiter, das ist zugleich die Richtung, in welcher recht nahe beieinander zwei Bahnhöfe liegen, und vom Nordwestbahnhof geht ein Zug um acht Uhr zwanzig Minuten Morgens weg, und vom Nordbahnhof geht ein Zug um sieben Uhr fünf Minuten nach Norden.«

»Ich verstehe,« sagte Mühlheim. »Und nun denke ich auch schon, wie es recht wohl möglich ist, daß wir mystifiziert wurden.«

Er hatte sich erhoben und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.

Auch Durand war aufgestanden. »Nach dem Abendessen werde ich heute wieder Wiens Nachtleben studieren,« sagte er lächelnd.

»So! Haben Sie in unserer Sache in der Stadt zu tun?« fragte der Kommerzienrat.

»Ich habe mir für zehn Uhr etliche unserer Leute bestellt. Vielleicht hat doch der eine oder der andere etwas zu berichten.«

»Arbeiten diese Leute unter Ihrer Anleitung?«

»Auch unter der meinigen, wiewohl auch Herr v. Eichen mancherlei Verfügungen trifft. Es muß ja da von allen Seiten zusammengearbeitet werden.«

»Ein merkwürdig kompliziertes Arbeiten.«

»Ja, man muß an allerlei denken,« gab Durand zu. »So war ich heute früh wieder bei jenem Tümpel.«

»Ah!«

»Und da fiel mir etwas auf.«

»Was denn?«

»In seiner Mitte etwa schwamm ein Stück Papier. Ein handtellergroßer, rosenroter Papierfetzen.«

»Nun?«

»Dieses Stück Papier wird Ihnen, Herr v. Mühlheim, etwa vierzig bis fünfzig Gulden kosten.«

»Wieso denn?«

»Sie waren so liebenswürdig, dem Herrn Oberpolizeirat v. Eichen gegenüber zu erklären, Sie würden gern die Kosten tragen, welche eventuell aus einer besonders eifrigen Verfolgung der vorhandenen Spuren erwachsen würden.«

»Das halte ich natürlich aufrecht. Aber was hat das mit jenem schwimmenden Papierfetzen zu tun?«

»Er ist, wie gesagt, rosenrot.«

»Nun, und –?«

»Im erbrochenen Schrank, aus welchem die Schmuckstücke gestohlen wurden, lagen – das erfuhr ich gestern von Frau Winter, der nachträglich immer noch allerlei einfällt – lagen also etliche am 3. März abgelieferte Wäschestücke, die – wie auch sonst immer – in rosenrotes Papier eingeschlagen waren.«

»Es gibt viel rosa Papier in Wien.«

»Sehr viel. O ja – selbst so glänzendes, nach vielen Stunden Naßseins immer noch so glänzendes Papier gibt es gewiß auch in ungeheuren Mengen in Wien. Aber in einem Wassertümpel, in den ein vielleicht Flüchtender sein Rad versenkt, fällt solch ein Papierstreifen doch auf, wenn man vorher erfahren hat, was mir Frau Winter bezüglich der Wäsche des Doktors erzählte, und wenn man bestimmt weiß, daß solch ein rosenfarbenes Paket nach dem Einbruch sich nicht mehr in dem Kasten befand.«

»Hat das der Dieb also auch mitgenommen?«

»Die Wäschestücke nicht. Die sind noch alle vorhanden, wohl aber das weiche und doch recht widerstandsfähige Papier. Dieses fand sich wenigstens in dem Schrank nicht mehr vor.«

»Ah!«

»Ich weiß es seit heute früh ganz bestimmt.«

»Sie waren auch noch einmal in Königs Wohnung?«

»Ja. Ich habe mir auch noch einmal die Staubspuren auf dem Sitz des Vorzimmersofas angesehen. Die mag jemand hinterlassen haben, der sich die Beinkleider, die ihn beim Radfahren genierten, ›drosselte‹ und dabei den Fuß auf den Sofasitz stellte. Königs Hosenspangen fehlen nämlich auch. Nun aber wieder zu dem ebenfalls verschwundenen Papier. Sehen Sie, Herr Kommerzienrat, weil auch das fort ist, hat heute früh das Papierstückchen, welches auf dem Tümpel schwamm, meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.«

»Jetzt begreife ich,« entgegnete Mühlheim lebhaft. »Aber,« fuhr er fort, »sahen Sie es denn erst heute, am 6. März, wenn es doch schon in der Nacht vom 3. auf den 4. dort verloren wurde?«

»In jener Nacht herrschte ein ziemlich starker Wind.«

»Nun eben darum –«

»Wenn einer außer dem Rade damals vielleicht auch noch ein Paketchen in jenen Tümpel warf – und der Mann im Pelzrock hat so etwas wie eine Wurfbewegung gemacht – wenn er also ein Paketchen hineinwarf, von dessen Hülle aus irgend einem Grunde ein Stück abriß, konnte der Wind dieses Stück gegen die Sträucher tragen, welche jenes Wasser teilweise einsäumen.«

»Das konnte geschehen,« gab Mühlheim zu.

»Es sind auch Hartriegelsträucher darunter,« sagte Durand.

»Die ihr Laub großenteils behalten,« fiel Mühlheim ein.

»Die ihr Laub großenteils bis zum Frühling behalten,« wiederholte Durand, »und zwischen deren vielen Stämmchen ein so biegsames Ding, wie solch ein Stückchen Papier es ist, sich so lange anklammert, bis ein neuer kräftiger Windstoß es wieder losreißt.«

»Und es weiterträgt.«

»Und es weiterträgt, zum Beispiel in den benachbarten Tümpel.«

»Auf dessen Grunde man vielleicht etliche Schmuckstücke finden könnte,« setzte Mühlheim gespannt hinzu, dann legte er plötzlich seine Hand auf Durands Arm und rief: »Da muß man ja baggern.«

»Geschieht heute mittag,« entgegnete ruhig der andere. »Ich sagte es Ihnen ja schon, Herr Kommerzienrat, das Stückchen Papier wird Sie vermutlich vierzig bis fünfzig Gulden kosten, denn –«

»Was gibt's?« Mit diesen Worten wandte im selben Augenblick Mühlheim sich zur Tür. Dort stand Wilhelm.

»Ein Mann will Herrn Durand sprechen,« meldete dieser.

»Wollen Sie ihn in Ihrem Zimmer empfangen?« fragte Mühlheim.

»Gestatten Sie vielleicht, daß dies hier geschieht?« lautete die Gegenfrage.

»Gern. Der Herr möge eintreten. – Sollte etwas Wichtiges entdeckt worden sein?« bemerkte Mühlheim, als der Diener gegangen war.

»Vermutlich, denn nur für diesen Fall kommt man hierher.«

Draußen wurden Schritte laut, und einige Sekunden später betrat ein ältlicher, hagerer Mensch das Zimmer.

Er sah ungemein harmlos aus, gab sich auch ein wenig unbeholfen. Er schloß Wilhelm vor der Nase die Tür zu, dann verbeugte er sich vor den beiden Herren.

»Sie sind's, Siebold!« sagte Durand leise, und dabei horchten alle drei auf Wilhelms Schritte, die sich im Korridor draußen verloren.

»Ja, Herr Doktor –« Siebold hielt ein wenig inne. Er hatte den warnenden Blick seines Vorgesetzten aufgefangen. Dann fuhr er unbefangen fort: »Der Klesing schickt mich her. Wir haben bis jetzt nur dieses gefunden.«

Dabei reichte er Durand etwas, das in ein Stückchen Zeitungspapier eingeschlagen war, und das er aus seiner umfangreichen Brieftasche genommen hatte.

»Gut,« sprach Durand, »warten Sie unten auf mich. Sie haben doch einen Wagen?«

»Ja.«

Siebold ging.

»Er kommt von dem Tümpel,« sagte Durand und trat zum Schreibtisch, wo er das Papier auseinanderschlug.

Herr v. Mühlheim stieß einen Ruf der Überraschung aus. Durand lächelte nur ein bißchen spöttisch.

Das, was jetzt in seiner Hand lag, war eine lange, schwere, goldene Uhrkette, an der ein Petschaft hing.

Es war ein Petschaft von recht altväterischer Arbeit. Das Material, daraus es angefertigt worden, war ein heller Amethyst. Es stellte einen stehenden Bären vor.

Und noch einen Gegenstand entnahm Durand dem Papiere, eine jener elastischen Metallklammern, wie sie die Radfahrer gebrauchen, wenn sie ein weites Beinkleid »drosseln« wollen

Eine gute Weile schauten die beiden Herren auf die unter so seltsamen Umständen gefundenen Gegenstände, die ohne jeden Zweifel zu den aus Königs Wohnung entwendeten Dingen gehörten.

Dann löste sich aus Mühlheims Brust ein tiefer Atemzug, und während der Kommerzienrat Durands Hand ergriff und drückte, sagte er mit Betonung: »Herr Doktor, ich bewundere Ihren Scharfsinn. Jetzt bin ich natürlich vollkommen überzeugt davon, daß jede Ihrer Folgerungen richtig war.«

»Ich aber, Herr v. Mühlheim, bin davon noch gar nicht überzeugt,« entgegnete Durand gleichmütig. »Selbst dieser Fund beweist noch gar nichts; er zwingt mich jedoch, sofort aufzubrechen. – Und nun noch eins. Unser Gespräch und die Tatsache, daß man in jenem Donauarm gebaggert und diese Dinge gefunden hat, darf niemand bekannt werden.«

»Auch nicht Edwine?«

»Auch mit Ihrer Fräulein Tochter sollen Sie nicht darüber reden, so wie überhaupt kein Detail der Voruntersuchung bekannt gemacht werden darf.«

»Sie fürchten, daß Edwine nicht schweigen kann?«

»O, das Fräulein kann schweigen,« entgegnete Durand, und ein flüchtiges Lächeln glitt über sein hübsches Gesicht.

»Aber Colmar kann ich's wohl sagen? Er weiß doch so viel von dieser Sache.«

»Auch Herr Colmar darf nicht mehr davon erfahren, als eben alle Leute wissen,« entschied Durand, und seine in unbewachten Augenblicken sehr ausdrucksvollen Züge verrieten deutlich, daß diesem Herrn Colmar seine Sympathien nicht gehörten.

»Also nicht. Ich werde schon andere Themata bei Tische finden,« sagte Mühlheim lächelnd. »Und nun adieu, Herr Doktor!«

Er betonte diesen Titel ganz besonders.


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