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Scipione Bargali

1.

Nach langer und schwerer Feindschaft, die zwischen den sienesischen Familien der Rinaldini und Tegolei entstanden war, sah ein Jüngling aus der erstgenannten namens Uguccione unter den Teilnehmern an einem ländlichen Feste zufälligerweise Antilia, die einzige Tochter des Ambruogio Tegolei und verliebte sich in sie. Gleichzeitig wurde das schöne Mädchen von Liebe zu dem Jüngling erfaßt. Nachdem ihre Liebe durch unglückliche Zufälle auf eine harte Probe gestellt wurde, wird endlich Ambruogio durch einen klugen Arzt vermittelst einer feinen List dazu bewogen, Uguccione seine Tochter zur Gattin zu geben. Diese Verbindung legt den Grund zur Wiederversöhnung der beiden Familien, und die Liebenden leben glücklich und zufrieden.

Vor geraumer Zeit lebten in unserer Stadt Siena zwei sehr edle Familien, von denen heute kaum noch der Name erhalten ist. Die eine hieß die der Tegolei, die andere die der Rinaldini. Unter diesen Familien waren schwere Zwistigkeiten und bittere Feindschaft entstanden und hatten derart zugenommen, daß die eine von ihnen, nähmlich die der Rinaldini, infolge der erlittenen Schicksalsschläge schwer gelitten hatte und durch die stetig wachsenden Angriffe der damals zu großer Macht in der Regierung des Staates gelangten Gegenpartei sich gezwungen sah, dem Schicksal nachzugeben und mit den wenigen Angehörigen, die den Metzeleien entronnen waren, aus der Vaterstadt zu fliehen und sich an einen Ort zu retten, der ihr bessere Existenzmöglichkeiten bot. Dieser Ort war Colle di Valdelsa, ein Städtchen, das fast auf der Grenze zwischen unserem und dem Florentiner Gebiet gelegen ist. Dort nämlich vermochten die Rinaldini im Genusse eines Teils ihrer mütterlichen Güter zu leben, die ihnen nicht wie die andern geraubt, verbrannt oder verwüstet worden waren und bei Marmoraia, einem unweit davon in dem Hügelland gelegenen Dorfe, sich befanden. Die Tegolei ihrerseits besaßen viele und schöne Güter bei Valdistrove, das damals ein Kastell war und heute ein Dorf ist und neun Miglien von Siena entfernt liegt. Die Festung oder Burg von Valdistrove befand sich in ihren Händen. Sie liegt ungefähr zwei Miglien von Colle entfernt.

Als nun die Dinge zwischen den beiden vorgenannten Familien auf diesem Punkte standen, lebte von der Familie der Herren von Strove ein Ritter namens Messer Ambruogio, der sehr reich war an barem Gelde und anderem Besitz, wie auch an höchst ertragreichen Gütern, und in den öffentlichen Angelegenheiten seiner Bürgerschaft, bei der er sich hohen Ansehens erfreute, vielfach Verwendung fand. Mit seinem Reichtum verglichen, konnte man ihn arm an Familie nennen; denn außer einer Tochter, die unter der Hut ihrer Mutter lebte, hatte er weiter keine Kinder. Durch ihr reizendes Äußere, die süße Anmut, die sie in höchstem Maße schmückte, und ihr berückendes Wesen wußte sie jedoch Vater und Mutter reich zu entschädigen und tat es täglich mehr, da sie im Laufe der Jahre immer mehr an Schönheit, Anmut und Verstand zunahm. Dieses Mädchen hatte nunmehr das Alter erreicht, in dem es die Gesellschaft des Mannes schicklicherweise vertragen konnte.

Der Ritter pflegte, wie dies alle unsere Edelleute gewöhnt sind, seine Familie im Herbste aufs Land zu schicken, ging auch selbst hin und kehrte nur dann in die Stadt zurück, wenn seine Geschäfte es erforderten. Einmal nun geschah es, als das Fest des heiligen Martin, dem die Kirche des Ortes geweiht war, gekommen, daß der Tag feierlicher und großartiger als gewöhnlich begangen wurde und ein solcher Zustrom aus der Umgegend stattfand, daß in der ganzen Nachbarschaft niemand war, der nicht hätte zugegen sein wollen.

Unter den wenigen männlichen Mitgliedern der Familie Rinaldini, die sich, wie wir gesagt haben, nach Colle gerettet hatten, befand sich ein junger Mann von ungefähr zweiundzwanzig Jahren, hoch von Gestalt, schön von Aussehen, angenehmen Wesens und von Mut beseelt wie nur irgendeiner. Er ging über seine Verhältnisse prunkvoll gekleidet und geschmückt und hieß Uguccione. Von dem Rufe, der dem genannten Feste vorauseilte, aufmerksam gemacht, machte er sich in Gesellschaft einiger junger Leute aus Colle, bei denen er infolge seiner liebenswürdigen Eigenschaften wohlgelitten und sehr geschätzt war, und unter denen er demzufolge viel Anhang hatte, auf und begab sich mit ihnen wohlausgerüstet nach Strove.

Als nun am Sankt Martinstag die einheimischen wie die auswärtigen Festteilnehmer sich nach der Sitte der Gegend bei Tanz und anderen Lustbarkeiten vergnügten, geschah es, daß Uguccione, als er einmal zufällig die Augen herumschweifen ließ, Antilias ansichtig wurde – so hieß die Tochter des Ritters Tegolei –, die mit andern in ihrer Nachbarschaft wohnenden adligen Mädchen, welche diesen Tag mit ihr verbringen wollten, von einer auf den Platz hinausgehenden Loggia sehr fröhlich den Tänzern zusah, welche die Bauernmädchen mit ihren Liebhabern beim Klange ländlicher Instrumente aufführten, in der Hoffnung, sich eines der Geschenke zu erringen, die dort für die besten Tänzer zur Schau gestellt waren.

Uguccione wurde von dem unerwarteten Anblick der wunderschönen Antilia auf den ersten Blick so bewegt und fühlte sich so gepackt, daß er für alles, was um ihn vorging, keine Augen und Ohren mehr hatte und sein Herz und seine Sinne ihr allein zuwandte. Und so sehr war er in die Betrachtung ihrer Reize und ihres anziehenden vornehmen Wesens versunken, daß er mit keinem seiner Gedanken an den Ort dachte, von dem sie herabblickte, obwohl dieser ihm hätte offenbaren müssen, wer sie war, oder wessen Tochter; war doch ihr Vater sein erbitterter tödlicher Feind, wie er auch der Feind seiner Eltern gewesen war.

Es genügte dem Schicksal nicht, daß es diesen Streich gegen das Herz des Jünglings hatte führen lassen, es ließ, um sich einen noch größeren Spaß zu machen, auch auf den Gegenpart einen Pfeil abschießen, der ebensogut traf und die reizende Jungfrau unter dem Eindruck seiner Stattlichkeit und Schönheit erschauern ließ. Als er, den sie noch nie gesehen, den sie vielleicht nur flüchtig als schön und tapfer hatte nennen hören, von einer günstigen Seite kommend, vor ihren Augen erschien, fühlte sie ihre Seele von einer ihr vollkommen neuen und ungewohnten Empfindung bewegt. Wie sie so seine Gestalt und seine Art betrachtete, wollte es ihr scheinen, als überträfe sie bei weitem das, was sie bisweilen von ihm hatte sagen hören.

So ließ das zarte, im Umsehen von Wohlgefallen an ihm ergriffene Mädchen alle andern Gedanken auf sich beruhen, da sie ihr samt und sonders nichtig erschienen gegenüber dem Anblick des zugleich anmutigen und männlichen Uguccione, bis das Ende des Festes und dieses kurzen Tages ihn mit seinen Freunden dorthin zurückkehren ließ, woher er am Morgen gekommen war. Doch er ließ einen Teil, und zwar den besseren, seiner selbst zurück. Gleichermaßen verlor die schöne Antilia, wiewohl sie im Kreise ihrer reizenden Gespielinnen zurückblieb, den besten und größten Teil ihrer selbst.

Wer hätte wohl die Fähigkeit, sich all die vielen und so verschiedenen Wirkungen vorzustellen, geschweige denn zu schildern, welche Amor in diesen beiden jugendlichen Herzen durch einen, man kann sagen, einfachen Blick, den sie gegenseitig auffingen, verursachte? Denn kaum in ihnen geboren, sah man Amor auch schon fliegen und über sie triumphieren. Doch war bei ihnen beiden die Süßigkeit, die sie an jenem Tage infolge des Blickes empfangen, durch die Bitterkeit getrübt, die der Gedanke an die durch den grimmigen Haß und die zwischen ihren Familien vorgefallenen erbarmungslosen Bluttaten so lange Zeit hindurch herrschende Gemütsverfassung verursachte. Dank der Wonne jenes ersten Blicks verstärkte sich bei den beiden das Liebesverlangen, aber infolge des erwähnten Gedankens fehlte ihnen die Hoffnung, es je zum ersehnten Ziele führen zu können. Indes arbeitete das in ihnen immer mächtiger anwachsende Verlangen daran, die Hoffnung, die es schwächer werden sah, größer zu machen. Diese aber war mit ihrem Schwinden bedacht, das Verlangen abzuschwächen, welches dennoch stündlich heißer und heißer wurde und schließlich solche Macht gewann, daß es aus sich selbst, ohne auf Nahrung durch die Hoffnung zu rechnen, den Mut zu allen großen Dingen in sich spürte und sie zu unternehmen verlangte.

Dies vollzog sich vor allem im Herzen Ugucciones; denn als dieser sah, daß alle Wege, die er einschlagen mochte, um in seiner Liebe dem Ziele näher zu kommen, zu nichts führten, sprach er tief verstimmt zu sich selber: »Warst du mit den argen Mißhandlungen, mit all dem bittern Unrecht, das du mir zugefügt hast, noch nicht zufrieden, grausames Schicksal, warst du ihrer noch nicht satt? Genügten dir die Kämpfe, die ich mit diesem mächtigen Hause, mit dem feindlichen Eisen und dem grausamen Feuer zu bestehen hatte, nicht, da du mich jetzt durch Amors Pfeil und die Flammen der Liebe mit neuen Angehörigen desselben zu kämpfen zwingst? Daß du mir das, was ich mit einem zarten Mädchen, einer reinen Jungfrau, auszuhalten habe, weit schwerer erscheinen läßt, als was mir mit allen bewaffneten Männern ihrer Familie jemals begegnet ist. Aber welch schlimmen Widerstreit fühle ich jetzt in meiner Brust zwischen meinen eigenen Gedanken? Schwerer alter Haß befiehlt mir, daß ich mich gegen die Ihrigen nicht stärker mit Eisen und Ingrimm wappne als gegen sie selbst; heiße neue Liebe gebietet mir, daß ich nicht nur gegen jene, sondern auch gegen sie mich des einen wie des andern entschlage – ja noch mehr: daß ich nackt und bloß meiner Feindin gegenübertrete, mich ihr gefesselt überliefere und gefangen gebe und freiwillig auf immer zur Beute überlasse. Und wenn das gütige Wesen, das ich in ihren Augen und in ihrem Antlitz wahrzunehmen geglaubt habe, mir nicht treulich zu Hilfe kommt, dann wehe mir! dann sehe ich, in welchem Zustande meine Hoffnung und mein unglückliches Leben sich befinden.«

Die jugendliche Antilia andrerseits, die in keine geringere Gefahr geraten war als der verliebte Jüngling, hoffte und verzweifelte in einem und demselben Augenblick, indem sie ihr Leben bald in Hoffnung und Freude, bald in Furcht und Pein hinbrachte, je nachdem sie ihre Gedanken auf alten Haß oder auf neue Liebe richtete, ihre Gedanken, denen es schien, als habe sich ihr Gegner von einer ebenso tiefen Wunde verletzt gezeigt als sich selbst, wenn sie seinen inneren Zustand nach den äußeren Merkmalen richtig zu deuten vermocht hatte.

Auf diese Weise bewegten die Neuverliebten allstündlich widerstreitende Gedanken in ihren Herzen, bis es ihnen schließlich nach langem Überlegen und vorsichtigen Versuchen gelang, durch Vermittelung kluger und treuer Boten, zu einem guten gegenseitigen Einverständnis zu kommen. Sie verabredeten, er solle sich, sobald ihr Vater wieder in die Stadt geritten sei, nächtlicherweile nach Strove begeben, wo sie ihm Gelegenheit geben werde, ein wenig mit ihr zu plaudern. Uguccione kam zur bestimmten Stunde mit einem sicheren Gefährten namens Morozzo Luci nach Strove, ließ diesen etwa einen Steinwurf weit zurück und näherte sich im Schutze eines Olivenhains demjenigen Teil des Palastes, wo er, wie man ihm benachrichtigt hatte, von einem vergitterten Erdgeschoßfenster seine Dame hören und von ihr gehört werden konnte, die ihn ganz allein in Sehnsucht erwartete.

Sie hatten aber noch kaum die ersten Liebesgrüße ausgetauscht, als sie – in einem Augenblicke, da sie es am wenigsten erwarteten (und sie hatten ja keine Ursache, ihn zu erwarten, da Mitternacht bereits vorüber war), den Ritter, ihren Vater überraschenderweise nahen hörten, wohl begleitet von zwei Dienern, von denen der eine zu Fuß, der andere zu Pferde war. Antilia hatte kaum noch Zeit, sich zurückzuziehen und er, sich zu seinem Gefährten in Sicherheit zu bringen, um von ferne zu lauschen, was nun erfolgen würde. Bei seinem eiligen Rückzug und in der tiefen Dunkelheit, die in dem Haine herrschte, stieß Uguccione aber gegen eine harte Wurzel, deren es dort viele und starke gibt und fiel; und zwar fiel er so, daß man ihn infolge dieses Falles und des Klirrens der Waffen, die er trug, leicht hörte und entdeckte. Er wurde daher alsbald von dem Ritter und seinen Begleitern, nachdem er sich, ohne sich verletzt zu haben, sogleich wieder erhoben hatte, angegriffen und erkannt und verteidigte sich tapfer. Sie hieben kräftig auf ihn ein und hätten ihn übel zugerichtet, wenn der getreue Gefährte nicht so schnell er konnte herbeigeeilt wäre und zur Verteidigung des Freundes in den Kampf eingegriffen hätte. Er glich den ungleichen Kampf aus, schlug kräftig auf die Gegner ein und zwang sie, zu weichen, denn sie fürchteten, daß nach ihm noch andere auftauchen und ein Hinterhalt gelegt sei von Leuten, die den günstigsten Augenblick abpassen wollten, um sie zu überfallen.

Aber wenn die Leute auf Seiten des Ritters Blut verloren, so blieb auch Uguccione nicht unverletzt, doch obgleich er eine tüchtige Wunde davongetragen hatte, gelang es ihm, sich samt seinem Freunde und Genossen zurückzuziehen und zu retten. Aber er fühlte keine Wunde so heftig brennen, wie jene, die Amor ihm zuerst beigebracht hatte und die nun durch die Worte, die aus ihrem Herzen gekommen waren, wieder aufgerissen und vertieft worden war. Trotz der ach so kurzen Zeit hatte er so unbeschreiblich süße Worte mit ihr gewechselt, daß er der Hoffnung leben durfte, es werde die Wunde von derselben Hand, von der er sie empfangen irgend einmal auf süße Weise geheilt werden. Doch verschärfte sich sein Übel infolge der Furcht, die ihn beseelte, die Ankunft des Vaters im Hause möchte dem geliebten Mädchen eine böse Stunde bereiten. Dieser zeigte ihr jedoch die gewohnte freundliche Miene, wie wenn jeder andre Verdacht ihn eher erfüllte als der, den Ugucciones Anwesenheit wirklich in ihm hätte erregen können, obwohl dem Ritter die Verwirrung im Antlitze der Jungfrau nicht entging. Er sah in ihm einen der alten Gegner, und der Umstand, daß er ihn um diese Zeit in der Umgebung seiner Behausung entdeckt hatte, gab ihm zu denken und machte ihn stutzig, so daß er, wie einer, der in der Nähe war, hörte, bei sich selbst sagte: »Es kostet uns jetzt nicht mehr viel Mühe, denen mit unserm Ziegel den Hirnkasten gänzlich zu zerschmettern, die noch die Absicht haben, die schon zerbrochenen Hörner gegen uns von neuem zu erheben!«

Das zarte und mitleidige Mädchen hätte nicht betrübter, bleicher und unglücklicher sein können, als es war, wenn infolge des Vorgefallenen die von den beiderseitigen Kämpfern empfangenen Wunden in verdoppelter Zahl ihren eigenen Leib zerfleischt und sie die doppelte Menge Blut vergossen hätte. Denn je mehr sie verbergen wollte, daß sie von etwas weiterem wisse, als bloß von Ugucciones Zusammenstoß mit ihrem Vater und dessen Begleitern, desto mehr härmte und beunruhigte sie sich um ihren Liebhaber, den sie nach der mit ihm gepflogenen Unterredung mit immer größerer Inbrunst und Leidenschaft liebte; denn sie ahnte wohl seine Verwundung, wußte aber nicht, ob diese schwer oder leicht sei. Ihre Angst um ihn wuchs noch viel mehr infolge der grausamen Drohungen ihres Vaters und der schrecklichen Nachstellungen, die, wie sie durch Herumhorchen im Hause feststellte, allstündlich gegen ihn angezettelt wurden. Dazu kam noch, daß der Ritter durch die Herren Prioren der Regierung von Siena den Kapital-Bann über ihn hatte verhängen lassen.

Einige Tage lang hatte die Jungfrau der schweren Angst und dem quälenden Schmerz tapfer Widerstand geleistet, der ihre Lebensgeister beengte und ihr das Herz zusammenpreßte, und hatte weder Ruhe noch Trost gefunden, noch auch gewagt, ein Quentchen ihres Schmerzes der Brust ihrer eigenen Mutter anzuvertrauen, die mehr als irgendeine Mutter von zärtlichen und innigen Gefühlen gegen sie erfüllt war und sich über die Maßen wunderte und außerordentlich ängstigte über die Niedergeschlagenheit, die ihre Tochter plötzlich überfallen hatte. Endlich aber fühlte sie sich von der Gewalt des Übels überwältigt, gab sich besiegt und mußte sich erkrankt zu Bett legen.

Zu ihrer Wiederherstellung wurden die gelehrtesten und erfahrensten Meister der Medizin berufen, die in Siena zu finden waren, wohin man die Jungfrau bereits hatte schaffen lassen. Aber die Kunst keines einzigen von ihnen wollte helfen: ihr Leiden gewann von Stunde zu Stunde ein schlechteres Aussehen und keiner vermochte dessen Ursache ausfindig zu machen. Noch eitler als die medizinischen Mittel erwiesen sich alle andern, die man versuchte, indem man die kranke Jungfrau z. B. durch mannigfaltigen Gesang und Musik zu erfreuen versuchte. Eitel auch, ja geradezu Gift, war die Medizin, die man ihr einzuflößen trachtete, indem man sie mit heiteren und aufmunternden Gesprächen über Hochzeit und Ehe unterhielt und ihr versprach, sie, sobald ihr Befinden sich gebessert habe, zur Braut des schönsten und anmutigsten Jünglings ihrer Vaterstadt zu machen. Denn da sie gewiß wußte, daß dieser Jüngling nach dem Willen der Ihrigen niemals ihr Rinaldini sein würde, schwand und verging sie vor Schmerz wie Wachs im Feuer, indem sie sich vornahm, nie an eines andern denn an Ugucciones Seite als Gattin zu treten.

Die schwere Krankheit Antilias nahm also ihren Fortgang und wurde immer schlimmer, und es schlugen nicht allein alle Mittel und Ratschläge zu deren Beseitigung fehl, es ging auch alle menschliche Hoffnung, die man noch für sie hatte, gänzlich verloren. Man hatte schließlich mit dem gleichen Mißerfolg ihre Wiederherstellung den Ärztinnen oder Zauberinnen mit ihrem Hokuspokus anvertraut, als zufälligerweise ein Mann aus Ascoli, namens Meister Agabito, nach Siena kam, ein Mann, der in dem Rufe stand, ein großer Kenner sehr vieler geheimer Leiden zu sein, die andere Leute nicht zu erkennen vermöchten. Da der Ruhm seines tiefen Wissens durch eine große Zahl von Beweisen, die er an verschiedenen Orten der Welt geliefert hatte, immer mehr bestätigt wurde, vertrauten Antilias Vater und Mutter seiner verschwiegenen Wissenschaft ihre Tochter schnell entschlossen an, machten ihm für den Fall des Gelingens des Werkes die allergrößten Versprechungen, überhäuften ihn mit Schmeicheleien und nahmen ihn zu sich ins Haus. Nachdem der Ascolaner jedoch gesehen hatte, in wie lebensgefährlicher Weise die junge Kranke darniederlag, wollte er ihre Behandlung nur dann in die Hand nehmen, wenn sie ihm ihre Tochter gleich einem von der Krankheit völlig verzehrten toten Körper überließen. Sodann verlangte er, daß die Kammer, in der sie lag, samt einem kleinen Vorzimmer ihm zu seiner ausschließlichen Verfügung überlassen werde und niemand ohne sein Wissen und seinen Willen, geschweige denn in seiner Abwesenheit dort eintreten dürfe. Der Meister erhielt dies von den schmerzerfüllten Eltern ohne Schwierigkeiten zugestanden und richtete nunmehr sein Augenmerk auf die Wiederherstellung der Jungfrau. Tag und Nacht unterließ er nichts, was er als förderlich für ihre Gesundheit erkannt hatte, oder was hoffnungsreich erschien. Aber die Mühe dieses neuen Arztes erwies sich in keiner Hinsicht nutzbringender als die von so vielen andern aufgewandte.

Uguccione andrerseits war, was seinen Körper betraf, wieder so heil und kräftig wie zuvor, doch war sein Geist von großer Mattigkeit und Traurigkeit und von trüben Gedanken erfüllt. Als er daher aus sicherer Quelle vernahm, daß diejenige, von der sein Leben abhing, dem Tode nahe, ihm vielleicht sogar schon verfallen sei, entschloß er sich, jeder Todesgefahr ins Antlitz zu schauen und den Versuch zu machen, ob er auf irgendeine Weise Trost und Hilfe bringen könne. Er gedachte, wenn sich dies als ausführbar erwiese, in eigener Person vor ihr zu erscheinen. Hatte er doch gehört, daß andere Liebende, die in einen ebenso hoffnungslosen Zustand geraten waren wie sie, aus dem Anblick des geliebten Wesens großen Trost und Heil geschöpft hätten. Wenigstens aber wollte er ihr durch diese Tat beweisen, welche Liebesempfindungen gegen sie sein Herz bisher beseelt hatten. Er veränderte daher sein Äußeres so gründlich, daß er nicht einmal von seinen nächsten Angehörigen wiedererkannt werden konnte und brachte es in ganz kurzer Zeit dahin, daß er in aller Sicherheit mit dem Ascolaner Arzte reden konnte. Diesem machte er glaubhaft, daß er, wiewohl jung an Jahren, von Kind an viel in der Welt herumgekommen sei und dabei große und seltene medizinische Geheimnisse kennengelernt und gründlich erprobt habe. Er bat ihn daher, ihn zu der sterbenden und, wie er höre, von ihm aufgegebenen Jungfrau zu führen, die in seiner Gegenwart völlig wiederherzustellen er sich anheischig machte.

Der Arzt vermochte ihm seine Bitte nicht abzuschlagen, wiewohl er sich von seiner Kunst wenig oder nichts versprach; sah er doch, daß der Fall ohnehin ganz verzweifelt war, ein derartiger Versuch also nicht schaden könnte. So ließ er denn den jungen Fremdling zu der völlig entkräftet im Bett liegenden Jungfrau ein, die sich bei Ugucciones Eintritt kaum rührte, noch bei seinem Nähertreten die geringste Veränderung in ihren Zügen zeigte, da sie an ihm weder die gewohnte Kleidung noch das ihr vertraute Äußere wahrnahm. Es dauerte aber nicht lange, da begann sie, von seinen liebreichen Worten aufmerksam gemacht und von seinen mitleidsvollen Blicken geweckt, deren Süßigkeit und Macht sie in ihrem Herzen ja schon gespürt hatte, die Augen erstaunt aufzuschlagen und auf sein Antlitz zu richten und ihn zwischen Furcht und Hoffnung, was diese ungewöhnliche Stunde ihr bringen möchte, wie eine Wundererscheinung anzuschauen. Doch durch sein Gesicht und seine Sprache darüber beruhigt, daß er wirklich der war, der zu sein er versicherte, fand sie ein wenig die Sprache wieder, die sie seit vielen Tagen so gut wie verloren hatte, und antwortete auf seine Worte, doch so, daß wenn der Ascolaner auch alles sah, was zwischen ihnen vorging, er doch nicht alles, vielmehr nichts von dem, was sie sprachen, hörte noch verstand.

Sie dankte ihrem Geliebten für seinen hohen Sinn und ermahnte ihn nach Kräften, das Haus zu verlassen und wohl acht zu geben, daß er, während er ihr Gesundheit und Leben wieder zu verschaffen gekommen sei, nicht von den Ihrigen Elend und Tod empfange; denn diese seien allstündlich und auf alle Weise darauf bedacht, ihn auszurotten und von der Welt verschwinden zu machen. Sie gab ihm die Versicherung, daß sein Anblick und seine Worte, daß das Bewußtsein, daß er heil und gesund zurückgekehrt sei und die Überzeugung von der großen Kraft seiner Liebe, eine so mächtige Wirkung auf ihr Übel ausgeübt hätten, daß sie nunmehr wieder neues Leben schöpfen und, wie sie hoffe, dann auch völlig wieder gesunden und glücklich werden könne, wenn sie erst einmal auf schickliche Weise sich seiner Liebe habe erfreuen können.

Danach kehrte Uguccione zu dem Arzte zurück, um mit ihm zu sprechen und sagte zu ihm: »Da seht Ihr nun, welche Besserung der kranken Jungfrau mein erstes Erscheinen an diesem Orte gebracht hat und in wie kurzer Zeit sie die deutlichsten Zeichen für diese Besserung gegeben hat. Ihr könnt Euch daher sagen, daß ich die Natur des Übels und den Grund ihrer Erkrankung kenne, und daß ich, da diese Krankheit nicht tödlich ist, vollkommen imstande bin, das geeignete Mittel dagegen anzuwenden.« Daraufhin erzählte er ihm, von der ersten zwischen ihnen aufgekeimten Liebe beginnend, in kurzen Worten alles, was bis zur Stunde zwischen ihnen vorgefallen war.

Der fremde Arzt vernahm den Hergang der Sache nicht ohne einige Verwunderung, verfehlte aber doch nicht, dem Glauben zu schenken, was ihm erzählt worden war, da er wußte, daß es für die Heilung der Liebeswunden keine besseren Säfte und sicheren Pflaster gibt, als die Waffen, die sie verursacht haben, selbst. Daher wünschte er denn auch, daß der neue Arzt am Tage darauf noch einmal die Kranke besuchen käme, um sich besser zu vergewissern, wie es mit seinem Werke stehe, und dann mußte er noch ein drittes Mal kommen. Dabei zeigte es sich immer mehr, daß Uguccione keines wirksameren Rezeptes sich bedienen konnte, als des von ihm zur Anwendung gebrachten, wiewohl es nicht den Werken Mesuës oder sonst eines berühmten medizinischen Schriftstellers entnommen war. Denn Antilia belebte sich von Stunde zu Stunde sichtlich mehr, ihre Glieder gewannen an Kraft und die Farbe kehrte wieder in ihr schönes Antlitz zurück.

Als daher Meister Agabito sah, daß die Jungfrau innerhalb weniger Tage wieder schön und frisch geworden war, wie eine am Morgen neu aufgeblühte Rose, – ein Umstand, von dem bisher noch niemand etwas erfahren hatte, ermutigte er sie, das Beste für sich und ihren Geliebten zu hoffen und begab sich eines Tages zu ihren Eltern, zu denen er folgendermaßen sprach: »Ich bin überzeugt, daß Ihr zu dieser Stunde beide so genau von der Mühe und Sorgfalt unterrichtet seid, die ich auf die Wiederherstellung Eurer Tochter verwandt habe, daß, wenn mir ihre Heilung nicht gelang und meine Hoffnungen umsonst waren, Ihr und jeder andre eher jeder andern Ursache Schuld geben könntet als meinem guten Willen und vielleicht auch meinem Wissen und meiner ärztlichen Kunst. Aussichtslos ist daher eine solche Kur, wenn der Himmel nicht zufälligerweise einen glücklichen Umstand bereit hält, wie dies in einem ähnlichen Falle zu Neapel geschah, wo es sich auch um ein Mädchen handelte, das, wie Euer Kind, die einzige Tochter und von ihren Eltern nicht weniger innig, wie die Euere von Euch, geliebt war. Es kam nämlich in diese Stadt ein Mann, der sich rühmte, das Mädchen wieder heil und gesund zu machen und von keiner Belohnung hören wollte, wofern ihre Eltern sie so lange seinem Belieben überließen, bis man sie tatsächlich zu ihrer früheren Gesundheit zurückgekehrt sähe. Nachdem dann die Jungfrau binnen kurzem wirklich ihre frühere Gesundheit wiedererlangt hatte, verlangte der wackere Mann zum Entgelt für sein Werk und seine Mühen die Jungfrau, die er geheilt hatte, zum Weibe. Dies Verlangen erschien ihm um so billiger, als er beweisen konnte, daß er das Mädchen bereits seit langer Zeit heiß geliebt habe. Als sich aber herausstellte, daß er kein Fremder war, wie alle bis dahin gemeint hatten, sondern ein neapolitanischer Edelmann und einer der Todfeinde ihres Hauses, wollten sie ihm die reichen und freigebigen Versprechungen, die sie ihm kurz zuvor gemacht hatten, durchaus nicht halten. Alle, die davon hörten, erklärten infolgedessen diesen Vater und diese Mutter, wie Ihr Euch unschwer vorstellen könnt, für wortbrüchig und undankbar.«

»Über die Maßen undankbar und wortbrüchig«, riefen wie aus einem Munde der Ritter und seine Gattin, »muß man die Eltern, von denen Ihr uns erzählt, nennen, daß sie dem ihre Tochter verweigerten, der sie ihnen in so guter Verfassung wiedergegeben, in Anbetracht dessen, daß sie für sie doch verloren und dahin war und sie nunmehr gleichzeitig mit der Tochter auch einen Sohn gewinnen konnten.« »Wahrhaftig!« fuhr Messer Ambruogio fort, »sie verdienten eine schwere und nachdrückliche Strafe. Einer solchen würde ich mich gerne freiwillig unterwerfen, wollte an meinem Fleische büßen, wenn mir eine solche Gnade zuteil würde. Wie vermöchte man doch je den Feind anzusehen, der uns das Leben und die mehr als verlorene Gesundheit eines geliebten Wesens wiederverschafft? Ach! möchte es doch Gott gefallen, uns in diesem Unglück auf solche Weise zu trösten, wir würden uns ganz gewiß nicht so undankbar und unerkenntlich erweisen.«

Und die Gattin fügte unter Tränen hinzu: »Wir verdienen es nicht, vom Herrn eine solche Wohltat und ein so großes Geschenk zu empfangen, und darum müssen wir uns darein finden, unserm schweren Herzeleid allein durch Tränen und Klagen zu genügen, wenn Ihr uns versichert, Meister, daß kein Sterblicher ihr mehr zu helfen vermag. Ach, wir ahnen, daß sie aufgehört hat, unter den Menschen zu atmen – laßt uns daher gehen, um sie mit unsern traurigen und unglücklichen Augen noch ein letztes Mal zu sehen!«

Schon wollten sie ein großes Wehklagen erheben, als der Ascolaner, der leicht des Irrtums inne ward, in den sie verfallen waren, und klar erkannte, was ihre Herzen aufs sehnlichste zu wissen und zu vernehmen begehrten, seine betrübte Miene in eine heitere verwandelte und fröhlich sagte: »Gebt mir beide schnell Eure Hände und versprecht mir jeder auf Euer heiliges Wort, was Ihr eben gesagt habt, daß Ihr tun wolltet, wenn Eure vielgeliebte Tochter Euch von irgend jemand dem Tode entrissen und dem Leben wiedergegeben würde; denn dieses und nichts anderes kann man von ihr sagen. Alles, was ich Euch von Neapel erzählt habe, ist, wie Ihr wissen müßt, genauso in der Stadt Siena, in Euerm Hause und an Euerm eigenen Blute geschehen.«

Damit setzte er sich nieder und erzählte ihnen ausführlich, was zwischen Uguccione und ihm vorgefallen war, und was Uguccione ihm von sich und ihrer Tochter berichtet hatte, ebenso zu welchem guten Ende das von ihm unternommene Werk gediehen war. Diese Kunde versetzte den Ritter und seine Gattin in grenzenloses Erstaunen und es sah so aus, als wüßten sie nicht, ob sie den Worten des Arztes, die sie vernommen, Glauben schenken dürften. Sie ließen sich von ihm wie Träumende in die Kammer der Tochter führen, die sie durch ihr, wie ich schon sagte, zu seinem früheren blühenden Aussehen zurückgekehrtes Antlitz und durch ihre eigenen Worte von der Wahrheit des Gehörten überzeugte, indem sie sie aufs demütigste und nicht ohne die gebührende Verschämtheit um Verzeihung bat.

Als die Eltern sahen, daß ihre Tochter aus dem Grabe zurückgekehrt war, fielen sie ihr um den Hals, küßten sie tausendmal auf die Stirne und verziehen ihr völlig, indem der Vater sprach: »Ich weiß nicht, meine Tochter, ob Amor seine Macht mehr an dir oder mehr an uns gezeigt.« Hierauf umarmten sie Uguccione, verziehen ihm gleichfalls und ließen ihn ihre Tochter als seine Braut küssen und umarmen. Man braucht nicht zu fragen, ob dies den Wünschen der beiden entsprach, zumal sie ihn nicht nur zum Schwiegersohn machten, sondern auch zum Erben ihres ganzen Vermögens und Besitzes einsetzten, wie er es ja auch durchaus verdient hatte.

Nachdem dann der Ritter den über ihn verhängten Bann hatte aufheben und ihn in die verlorenen Güter wieder einsetzen lassen, versöhnte er ihn mit denjenigen, die durch ihn und seinen Gefährten Wunden empfangen hatten, und ging dann mit seiner Gattin sogleich ans Werk, die frohe Hochzeit zu rüsten. Sie nahmen ihn in ihr Haus und stifteten Frieden zwischen allen denen, die von dem Hause der Rinaldini noch übriggeblieben waren und den Angehörigen der Familie Tegolei, was in der ganzen Stadt zu nicht geringen Freudenkundgebungen führte.

Meister Agabito wollte für seine Mühen und Sorgfalt keine andere Entschädigung haben, als an der fröhlichen Hochzeit teilzunehmen (obwohl das junge Paar ihm seine Dankbarkeit trotzdem zu erkennen gab), die in jeder Beziehung großartig, befriedigend und vergnügt gefeiert wurde, wie es sich für den Rang der beiden Familien und die Umstände, die dazu geführt hatten, geziemte.

 

2.

Ippolito Saracini liebt Cangenova de' Salimbeni, ein Mädchen von seltener Schönheit, unbeschreiblich und diese ist ebenso heftig in ihn verliebt. Er läßt bei ihrer verwitweten Mutter um ihre Hand anhalten, diese wird ihm jedoch grausam verweigert. Die Folge davon ist, daß die beiden treuen Liebenden nach mancherlei mitleiderweckenden Vorfällen den Tod finden und ihre Leichen in einem und demselben Grabe beigesetzt werden.

Unter den andern Familien, die in früheren Zeiten in unserem Siena in hoher Blüte standen und unter die adeligen gezählt werden, war auch die der Saracini, der man noch heutigentags ihren alten Glanz und ihre Tüchtigkeit anmerkt. Unter den Gliedern dieser Familie war auch, schon vor vielen Jahren, ein junger Mann, genannt Ippolito, den ein sehr berühmter Ritter als seinen einzigen Sohn hinterlassen hatte. Er war über achtzehn Jahre alt, gar schön und anmutig, von hohem Sinn und wegen anderer edler Eigenschaften und freundlichen Wesens aufs höchste geachtet und geliebt von allen Leuten in seiner Vaterstadt.

Nun begab es sich, wie es den jungen Leuten so oft zu begegnen pflegt, daß Ippolito in Liebe entbrannte zu einer der schönsten und holdseligsten Jungfrauen, die je ein menschliches Auge sah. Sie hieß Cangenova und war die jüngste von drei Töchtern, welche ein Messer Reame Salimbeni bei seinem Tode der Pflege seiner hinterbleibenden Witwe zurückließ. Seine Familie war gleichfalls in früheren Zeiten in Siena sehr vornehm und berühmt, unter anderm wegen der lobenswerten Wohltaten, die sie in Zeiten der Not der Gemeinde erwiesen, ist aber jetzt gänzlich erloschen und außer dem Wappen und den Palästen nichts mehr übrig von ihr als der Name.

Das genannte Mädchen war nicht weniger durch ihre seltenen Tugenden, als durch ihre ungemeine Schönheit in der ganzen Stadt sehr bekannt und besprochen, die Liebe und Lust aller ihrer Angehörigen, die Freude und Wonne ihrer Mutter und fast ihre einz'ge Hoffnung.

Ippolito war also ergriffen von der Holdseligkeit Cangenovas und nährte in seiner Brust die Flammen der Liebe nicht nur leichthin mit der Lockspeise des Verlangens, sondern auch mit der Hoffnung, die ihm durch die Winke und mitleidigen Blicke zuströmte, welche ihre Augen ihm von Zeit zu Zeit vergönnten. Aus diesen und ähnlichen Zeichen konnte er wohl merken, daß ihr dieses sein Leiden keineswegs angenehm war. Aber wegen der höchst sorgsamen Hut, in welcher die Mutter sie wie ihre andern Töchter hielt, da sie sie vielleicht noch zärtlicher liebte, war es den beiden fast gleich heftig Liebenden nur sehr selten vergönnt, sich zu geringer Linderung ihrer leidenschaftlichen Gluten zu sehen. Ippolito war nicht mehr gewöhnt, solche Angriffe der Liebe zu dulden, und pflegte meist seinen jugendlichen Wünschen und unbändigen Begierden mit viel weniger Geduld als notwendig war, nachzugeben, wie es die Art dieses unbeständigen Alters ist, und so litt er unter seiner Liebesleidenschaft.

Nachdem er sonach von feurigen Begierden oftmals bald hierhin, bald dorthin getrieben worden war, entschloß er sich endlich, das geliebte Mädchen von ihrer Mutter sich zur Gattin erbitten zu lassen und übergab ihr dabei, wie man zu sagen pflegt, in betreff des übrigen ein weißes Blatt. Aber die Mutter schlug ihm die Hand der Tochter ab, da sie noch zwei andere Töchter im Hause habe, die vor Cangenova das Licht der Welt erblickt hätten und somit nach Fug und Recht zuerst zu versorgen seien.

Ippolito glich auf diese Weigerung einem Menschen, der über allzugroßem Schmerz den Verstand eingebüßt hat, und Cangenova, welche alles wohl erlauscht hatte, kränkte sich vielleicht nicht weniger, so daß ihre Liebe zu dem Jüngling, die, wie gesagt, zuvor schon nicht klein gewesen war, in Rücksicht auf die völlig gute Absicht, die er dabei hegte, noch zunahm. Da sie jedoch sah, daß Ippolito auf keine Weise sein Verlangen zu zügeln, noch seine glühende Liebe zu verbergen verstand, gab sie ihrer Mutter immer mehr Ursache zum Argwohn. Daher hütete sie diese mit mehr als mütterlicher Eifersucht, hielt sie immer sorgfältiger im Hause fest, gestattete ihr kaum, in die freie Luft zu schauen und versagte ihr alle sonst erlaubten unschuldigen Vergnügungen und Erholungen. Doch konnte sie nicht hindern, daß Cangenova auf geschickte Weise ihren Geliebten von dem Verhältnis unterrichtete, indem sie sich allein um seinetwillen nunmehr zu ihrer Mutter befinde. Deshalb ließ sie ihm gleichzeitig, wiewohl es sie schwere Überwindung kostete, andeuten, wenn es sein Wille sei, sie aus dieser engen Beschränkung zu erlösen, so möge es ihm gefallen, einige Zeit zu vermeiden, ihr wie bisher zu folgen, ja womöglich die Stadt für einige Tage zu verlassen und überzeugt sein, daß sie ihm für die Liebe und Neigung verpflichtet bleibe, die sie an ihm erkannt, da er sie sich zur rechtmäßigen Gattin erbeten habe, weshalb er auch ihrer Hingebung gewiß sein dürfe.

Solcherlei im Namen seiner Cangenova erhaltene Nachrichten erhöhten einerseits die schon in des Jünglings Kopf steigende Fieberglut durch den Gedanken, das Schicksal habe ihm nun alle Schwingen der Hoffnung abgeschnitten, er habe die Ruhe der Jungfrau getrübt, deren einziger Trost er doch sein wollte, andrerseits durch die Entsagung, die ihm die Worte der Geliebten auferlegten, aus welchen er indes wieder abnehmen konnte, nicht in der Gunst gesunken zu sein, wonach all sein Dichten und Trachten stand. Damit er sich ihrer nun versichere und der Geliebten beweise, daß er, um sie vor Ungelegenheiten zu bewahren, nicht danach frage, ob ihm dadurch selber Zwang und Beschwerlichkeit entstehe, nahm er sich vor, öffentlich verlauten zu lassen, er pilgere nach San Jago in Galicien, um ein Gelübde zu erfüllen. Damit glaubte er auch zu ergründen, je nachdem seine Abwesenheit ihr sehr zu Herzen gehe oder nicht, ob sie ihn wirklich liebe oder ob er ihr gleichgültig sei. Er ordnete seine Angelegenheiten und traf Vorkehrungen, wie es für jemand erforderlich scheinen konnte, der sehr weite Reisen vor hat, und schied eines Tages in Pilgertracht, ohne Begleitung von Verwandten und Freunden, die er in großer Betrübnis über sein Scheiden zurückließ, aus der Stadt.

Cangenova empfand über diese Abreise nicht geringe Traurigkeit und Bekümmernis und ward durch die Trennung und Liebespein um so furchtsamer, als sie jeden etwaigen Unfall, der dem Geliebten begegnen könnte, nun sich selbst schuld gab, weil sie ihm jene Worte hatte sagen lassen, deren Folgen sie damals allerdings nicht berechnete.

Ippolito war nicht allzu weit von der Heimat entfernt, als er mit Sonnenuntergang die Straße verließ und abseits in den nächsten Wald ging, wo er sorgfältig Pilgerstab, Rock und Muschelhut verbarg, in seiner gewöhnlichen Tracht, die er darunter anhatte, zurückwanderte und mit Torschluß unerkannt wieder in Siena war. Er begab sich geradeswegs nach der Wohnung seiner Amme, der er zuvor sein ganzes Geheimnis offenbart, und wo er alle nötige Vorkehrung getroffen hatte. Ippolito besaß in der Nähe der San Lorenzokirche ein bequemes Häuschen mit einem Stück Garten; beides hatte er der guten Alten überwiesen, die ihn gesäugt und immer wie die zärtlichste Mutter geliebt hatte. Zunächst dieser kleinen Besitzung lag ein schöner anmutiger Garten, Eigentum der Mutter seiner Geliebten, wohin sie manchmal mit ihren Töchtern zur Erholung zu gehen pflegte, und während des heißen Sommers und der Baumblüte hielt sie sich geraume Zeit daselbst auf. Auf diesem Wege hoffte der verliebte Jüngling ohne bei irgendeinem Wächter Cangenovas Argwohn zu erregen, Zeit und Gelegenheit zu finden, seine Geliebte manchmal zu sehen und zu sprechen und dadurch seine Endabsicht zu erreichen. Darum blieb er den ganzen lieben Tag wie ein Nachtvogel in sein Zimmer gebannt und ging nie daraus hervor, außer abends, oder vielmehr erst, wenn die dunkle Nacht einbrach. Dann erklomm er die hohe Mauer und stieg in den Garten des geliebten Mädchens hinab. Dort stand unter andern Gewächsen ein hoher schöner Maulbeerbaum, der mit seinen laubreichen Zweigen sanft die Fenster des Zimmers beschattete, worin die Mutter Cangenovas allein mit dieser als der jüngsten ihrer Töchter, oder der geliebtesten, zu schlafen pflegte. Unter diesem Maulbeerbaum verbrachte Ippolito schlaflos die Nächte, aufmerksam auf alles, was in dem nahen Hause geschah oder gesprochen wurde, zumal von der Mutter und ihrer holdseligen Tochter. Doch erlauerte er lange Zeit nichts, was ihm hätte günstig werden können, außer daß Cangenova des Morgens bei Sonnenaufgang einige sehr schöne Töpfe mit Lilien und Veilchen auf dem gegen den Garten sehenden Balkon begoß. Sie fand dabei auch viel Vergnügen daran, mit anmutiger Stimme und Gebärde einen Stieglitz zu sich zu locken, der sein Nest auf dem Maulbeerbaum gebaut hatte und so zahm geworden war, daß er am Fenster ihr auf den Busen flog. Mit diesem erlustigte sie sich dann immer sehr. Dies geschah nur leider gerade um die Zeit, da Ippolito sich fortzuschleichen gezwungen war und, ohne seine oder ihre Sicherheit zu gefährden, nichts mehr unternehmen durfte, was einen erwünschten Ausgang hätte versprechen können. Zufrieden mit dem, was ihm der Augenblick zu genießen bot, wartete er inzwischen auf besseres Glück und versäumte nicht, seine Amme oft unter allerlei Vorwänden in das Haus der geliebten Nachbarin gehen zu lassen; sie machte sich dann dort vertraut und heimisch und verstand geschickt, bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Cangenova sprechen konnte, die Rede auf Ippolito zu bringen und ihr zu sagen, wie innig er sie immer geliebt habe und wie er sie fortwährend lieben werde. Als sie sofort bemerkte, daß die Jungfrau an solchen Reden kein geringes Vergnügen fand, ging sie immer weiter und forschte und fühlte, wie die Jungfrau ernstlich gegen ihn gesinnt sei. Cangenova, der es sehr viel wert war, von dem sprechen zu hören, dessen Bild so lebendig in ihrem Innern wohnte, gab sich, begierig, ob sie etwas Neues über seine Pilgerfahrt hören könne, als die Amme sie eines Tages wieder besuchte, den Anschein, als messe sie all dem, was sie ihr von ihm erzählte, nicht viel Glauben bei und warf die Bemerkung hin, wenn es wahr wäre, was sie von Ippolito versichere, so wäre er nicht weggegangen und hätte sich gewiß nicht durch Land und Meere so weit von ihr getrennt.

Nunmehr schien es der guten Alten geraten, einen Schritt weiter zu tun, und sie erwiderte, ihr edles Pflegekind weile näher, als das Fräulein wohl vermuten möge und werde einmal, wenn sie ihn am wenigsten erwarte, vor ihr stehen. Da sie diesmal nicht weiter sprechen konnten, kehrte die Amme zurück und brachte ihrem geliebten Gefangenen nicht geringen Trost, indem sie ihm Wort für Wort wiederholte, was sie damals von Cangenova gehört, und ihm das mitteilte, was sie auf ihrem Gesichte gelesen hatte bei der Erwähnung seines Namens. Er ertrug daher mit leichterem Herzen seine Gefangenschaft am Tage, unterließ aber bei Nacht nicht wie bisher an der Burg Wache zu stehen, in der sein teuerer, süßer Hort verschlossen war. Es dauerte aber nur noch sehr kurze Zeit, bis er glaubte, alles sei nun gut vorbereitet und er dürfe jetzt hinein und genießen.

Als er nämlich eines Nachts wachend im Garten verweilte – es war noch nicht Mitternacht –, vernahm er, wie Cangenovas Mutter von der Straße aus eilig gerufen wurde, um unverweilt zu der Gattin ihres Bruders zu gehen, die in Kindesnöten lag. Kurze Zeit darauf hörte er, daß sie zu ihrer Schwägerin hineilte, und ihre schöne Tochter blieb allein im Bett. Er bedachte nun, daß jetzt die ersehnte Stunde gekommen sei, wo er Cangenovas Gesinnung auf eine sichere Probe stellen könne, und daß er eine gelegenere Zeit nicht erwarten dürfe, er sann daher alsbald auf ein Mittel, wie er Cangenova trotz der ungelegenen Stunde dahin bringen möge, sich zu zeigen. Zu diesem Zweck fiel ihm, ohne daß er sich lange zu besinnen brauchte, plötzlich ein ganz passender Weg ein, nämlich die Ruhe des dem Mädchen so teuern Vogels zu stören, in der gewissen Erwartung, sie werde, von seinem Gezwitscher geweckt, alsbald ans Fenster eilen und nach der Ursache sehen wollen. Ippolito schüttelte also den Baum, auf dem der kleine Stieglitz der Ruhe pflog und versuchte ihn zum Zwitschern oder Singen zu bringen. Da dies aber, ich weiß nicht warum, nichts half, stieg er hinauf, wodurch er das Tierchen so störte und erschreckte, daß es auf einen benachbarten Baum flog und so traurige Lieder und Schmerzenstöne laut werden ließ, daß seine teuere Beschützerin dadurch aus dem Schlafe erwachte. Sie fürchtete sehr für den Vogel, wand sich besorgt aus dem weichen Flaume und eilte ans Fenster, nur einfach mit einem leichten Schleier den Busen verhüllt und in aufgelösten Haaren, die, wiewohl nicht geordnet, doch einen reizenden Anblick boten. Furchtsam umherspähend, welches räuberische Tier oder was sonst das Leben ihres geliebten Pfleglings bedrohte, gewahrte sie den Jüngling, der nicht zögerte, sich zwischen Zweigen und Laub ihr zu erkennen zu geben, wo er die Stelle des Stieglitzes eingenommen hatte. Er versuchte sie von allem Schrecken und Zweifel zu befreien, worin er sie bereits gefangen sah und sprach mit leisen zärtlichen Tönen also zu ihr: »Fürchte nicht, Cangenova, du einziger Trost meines traurigen Daseins, fürchte nicht für dein geliebtes Vögelchen irgendwelchen Schmerz oder Beängstigung! Es hat nur einen kleinen Schreck gehabt und ist heil und froh. Aber gedenke und erbarme dich deines Liebhabers und Dieners, deines Ippolito Saracini, der mehr als irgendein Liebhaber und Diener dir treu und innig ergeben ist. Während du von ihm denken konntest, er pilgere in den entferntesten Weltgegenden und habe vielleicht gar die irdische Wallfahrt bereits zurückgelegt, ist er dir doch in der Tat immer nahe geblieben von dem Tag an, da er sich vor den Leuten den Schein gab, als trete er eine weite Reise an. Aber wenn ich mich auch von der Heimat weg und bis ans Ende der Welt begeben hätte, ohne je meinen müden Gliedern Ruhe zu gönnen, so hätte ich doch nie den leisesten Gedanken von deiner Behausung abzulenken vermocht, du mein teueres und einziges Leben. Ja, seit jener Zeit bin ich mit Leib und Seele immer ganz in deiner Nähe gewesen, habe mich den Tag über in dieses mein Häuschen verschlossen und außer meiner verschwiegenen Amme hat niemand etwas von mir erfahren. Allnächtlich aber stand ich hier unter deinem Fenster unter dem Dache dieser belaubten Zweige, in welchen du mich jetzt sehen kannst und weidete mich einsam zuweilen an deinem holdseligen Anblick, wenn du, meine einzige Sonne, nach der Morgenröte erschienst, um deine Blumenstöcke zu begießen und deinen lieblichen Stieglitz zu locken. Unterdessen wartete ich, bis bei einer günstigen Gelegenheit etwas Ähnliches sich ereignete, was jetzt nicht sowohl dein Vorsatz und Entschluß als mein, wie ich hoffe, günstiges Geschick mir dargeboten hat, indem deine Mutter um diese Stunde gerufen wurde und ich darauf verfiel, den Vogel, deine höchste Freude, so zu erschrecken. Und aus keinem andern Grunde habe ich so lange auf diesen Zeitpunkt gewartet, als um dir mit der größten Offenheit, die mir die Liebe und meine Treue verliehn, am Ende zu entdecken, welche Pein ich beständig in meinem Herzen erduldet habe seit dem Tage, da du mehr als ein irdisches Wesen diesen Augen gefallen hast. Und jetzt wäre ich bereit, dir über alles Auskunft zu geben, müßte es nicht schon meine Lebensweise allein, wie ich sie dir zuliebe geführt und eben mit Worten geschildert habe, dir hinreichend und mehr beglaubigen, als alle Tränen und Seufzer, die ich ausstoßen könnte. Gib also in deinem Herzen, herrliche Jungfrau, dem Erbarmen und Mitleid Raum, sei mir so huldvoll und gnädig wie dein seltener Geist dich lehrt, der mich ebenso unwiderstehlich wie deine bewundernswürdige Schönheit zu dir zog.«

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Nach diesen Worten schwieg Ippolito und erwartete brennend von Verlangen Cangenovas Antwort. Das Mädchen andrerseits, das mit Furcht und Zagen um ihren kleinen Liebling am Gartenfenster erschienen war, fühlte plötzlich beim ersten Anblick und den ersten Worten dessen, der sich unter Laub und Zweigen zeigte, viel größere Furcht und Schmerz. Es war ihr, als würden die Fabeln wahr, welche die Dichter erzählen von Menschen, die in Pflanzen verwandelt, und von Pflanzen, die in menschliche Körper umgestaltet wurden, und bei diesem ersten Begegnen wurde sie von gräßlichem Schauder erfaßt, die Haare sträubten sich ihr auf dem Kopfe, sie versuchte zu schreien, aber die Stimme stockte ihr im Halse, so daß sie kein Wort hervorbringen konnte und in ihren Gebärden nur den höchsten Grad von Entsetzen und Überraschung äußerte. Mehr als einmal hatte sie sich zwar zum Entfliehen gewandt, aber doch verlieh ihr Herz ihr soviel Standhaftigkeit, daß sie den Fuß nicht von der Stelle zog. Mit jedem Augenblicke deutlicher erkannte sie aus der Rede ihren Ippolito, der, wie sie sich erinnerte, auch von ihrer Amme schon angekündigt war. Sie beruhigte sich und horchte minder aufgeregten Gemüts, was er ihr erzählte. Am Ende gewann sie wieder ihre Stimme und ihren Mut zurück durch sein Bild, dessen Schönheit in ihrer Phantasie nicht erloschen war; sie wurde heiter, als sie ihn so in ihrer Nähe und seine Gedanken mit ihr so innig beschäftigt sah, wie sie wohl nimmermehr gedacht hätte. Sie antwortete daher folgendermaßen: »Es schmerzt mich ebenso innig, mein Ippolito, daß die Lage, in der ich dich hier sehe, nicht so ist, wie deine Hoffnung dich allzu leicht wähnen ließ, als es mich beglückt, dich jetzt ganz gegen meine Erwartung wohl und gesund zu sehen; denn meine Furcht ist nicht gering, man habe mich von hier aus reden hören, und verbietet mir, ferner mich hier aufzuhalten. Darum bitte ich dich bei deiner Liebe und Einsicht, es möge dir gefallen, alsbald von hier wegzugehen, dabei aber ja nicht zu glauben, dieser Wunsch komme daher, daß Cangenova deine Liebe nicht lieb und teuer sei, oder daß sie dieselbe je mit der Liebe eines andern vertauschen werde; denn ich schätze mich darin glücklich, weil ich sie an mehr als einem Zeichen als innig und echt gegen mich erkannt habe. Darum verzeih mir heute und geh mit Gott!«

Cangenova hatte nämlich gemeint, sie habe ihre älteste Schwester aufwachen hören, welche mit der mittleren in ihrem Vorzimmer schlief; und da die Tür zwischen den beiden Gemächern nie zugemacht wurde, fürchtete sie, überrascht und verraten zu werden. Zu derselben Zeit war es auch Ippolito, als höre er in ihrem Zimmer auf ihrem Bette ein anhaltendes, dasselbe erschütterndes Geräusch. Es rührte dies von einem Hündchen her, welches Cangenova zu ihrer Unterhaltung Tag und Nacht bei sich hatte; es trieb nach Art solcher Tierchen auf dem Bette seinen Mutwillen, und da dieses nicht auf sonderlich festen Füßen ruhte, kreischte es unter den Bewegungen des Hundes. Voll ängstlicher Besorgnisse, da er gewiß wußte, daß ihre Mutter um diese Zeit nicht zu Hause war, ohne an die Schwestern zu denken, auf welche sein Verdacht hätte fallen können, und ohne irgend den liebevollen Worten Glauben zu schenken, die sie soeben an ihn gerichtet hatte, glaubte der verliebte Ippolito vielmehr allzusehr jedem Argwohn, der ihm durch den Sinn fuhr, und kehrte sich, wie es argwöhnischen Leuten meistens zu begegnen scheint, zu der schlimmem Seite und zu dem Ärgsten, indem er meinte, es möge jemand wie er in Cangenovas Zimmer sein, der jetzt ihrer Liebe genieße, und deswegen verweigere sie ihm jede andre Antwort. So wurde denn teils wegen der zuletzt von ihr vernommenen Worte, teils wegen des Geräusches, das er von ihrem Bette hatte ausgehen hören, Ippolito plötzlich von so herzvereisender jäher Eifersucht gepackt, daß alle Lebensgeister nach dem Herzen eilend seine übrigen Glieder völlig verließen. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich auf dem Maulbeerbaume festzuhalten und fiel wie tot herab auf den Boden.

Die Jungfrau war ganz bestürzt durch den plötzlichen Fall und ward aufs neue von heftiger Angst und Pein befallen. Dennoch bog sie, soweit sie konnte, den Kopf aus dem Fenster und rief mit gedämpfter Stimme zärtlich mehrmals den Namen Ippolito. Er aber, jeder Empfindungskraft beraubt, konnte nichts davon vernehmen, geschweige denn antworten. Sie war in der größten Bekümmernis und blieb eine Weile unschlüssig, was sie jetzt zu tun habe. Auf der einen Seite trieb sie die wieder erwachende Liebe zu ihrem schönen Ippolito und nicht minder das Mitleid mit ihm, hinunter zu eilen, um doch zu sehen, was nach dem schweren Falle aus ihm geworden sei, auf der andern Seite hielt sie die Furcht fest, sie möchte von ihren Schwestern gehört und verraten werden. Am Ende aber erwiesen sich bei ihr die Forderungen der Liebe verbunden mit denen des Mitleids doch stärker als der harte Zügel jeder andern Rücksicht. Sie richtete ihre beflügelten Schritte nach dem Garten und zog vor, auf einer unterirdischen Wendeltreppe dorthin zu gelangen, wiewohl dieser Weg von den Bewohnern des Hauses nur höchst selten betreten ward; in alten Zeiten aber hatten derartige Gänge dazu gedient, verborgen aus den nahen Burgmauern hinauszukommen, wie man noch heutigen Tages sehen kann, wo man an der äußersten Seite des Gartens auf ähnliche Weise hinaustritt.

Hier also unter dem Maulbeerbaum, unter den er gefallen war, fand sie ihren Liebhaber kalt und bleich, und, wie ihr auf den ersten Anblick schien, bewußtlos und ohne Leben. Es wandelte sie eine Ohnmacht an und fehlte wenig, so wäre sie tot an seiner Seite niedergesunken. Ihr Schmerz hielt sie jedoch mit stärkeren Banden im Leben fest und sie schüttete ihr Herzeleid so kläglich aus, daß es wilde Tiere und Steine hätte erbarmen mögen, indem sie sprach: »O armer unglücklicher Jüngling! O schlimmes, unseliges Mißgeschick!! Welch grausam giftiger Schlangenbiß, welch tückisches Gestirn hat dir Kraft und Leben vor meinen Augen geraubt, der du nur nach meinem Anblick verlangt hast! O du Seele meines Lebens! Wie fällt mir sein Unheil zwiefach schwer! Er ist tot, sein Geist empfindet nicht mehr; ich bedrängtes Kind aber muß es ertragen und weiß doch nicht, wie ich dazu imstande sein werde. Und nicht genug, daß ich den holden Jüngling, den getreuesten Liebhaber verlieren soll, auch meine mir über alles teure und so streng bewahrte Ehre kommt in Gefahr. Wie mag ich nur, die ich doch so frei von aller Schuld bin, den Ruf meiner Keuschheit retten und meinen zärtlichen Gesinnungen gegen ihn Genüge tun? Wohin wende ich mich um Hilfe? Von wem verlange ich Rat in so kläglichem Fall.«

Das verzagte Mädchen quälte und peinigte sich, fühlte mit den zitternden Händen bald in das Antlitz, bald an den Puls Ippolitos, bald auch drängte sie ihren Mund an den seinigen und lauschte, ob noch ein Hauch von Leben in ihm sein, um alles zu tun, was sie vermöge, um den Geliebten wieder zu sich zu bringen. Da sie aber keine Lebenskraft mehr in ihm bemerkte, zog sie ihn endlich sanft in ihren Schoß und badete mit heißen Tränen sein erstarrtes Gesicht.

Rief nun dies die entwichenen Lebensgeister zurück oder half seine Natur selbst dazu, kurz, er hatte die Besinnung wiedergefunden und noch einen Teil der Klagen angehört, welche die geliebte Jungfrau ausgestoßen hatte. Aus diesem Grunde und weil er in ihrem Arme lag, genoß er nun diesen Trost und die Wonne, deren Größe jeder selbst sich vorstellen kann. Ippolito verharrte in diesem Zustande so lange, bis Cangenova, von der höchsten Verzweiflung getrieben, entschlossen Hand an den Dolch legte, den er an seiner Seite trug, ihn mit männlichem Mute zückte und den Arm erhob, um das Herz zu durchstoßen.

Hier glaubte der besonnene Liebhaber nicht länger warten zu dürfen. Wie aus schwerem Traum erwachend, bewegte er mit einem tiefen Seufzer den rechten Arm, um das Eisen abzuhalten, das sie verzweifelt gegen sich selbst kehrte. Da er ihr auf diese Weise zeigte, daß er noch am Leben sei, gab er ihr alle verlorene Lebenshoffnung wieder; ja, man könnte sagen, er habe ihr in demselben Augenblick ein doppeltes Leben geschenkt. Lange Zeit sahen die beiden Liebenden einander nach dieser Bewegung an, voll Erstaunen, ob es auch wahr sei, daß sie sich nun so beisammen befänden, als wären sie beide nicht recht sicher, ob sie wachten oder träumten. Dies war vielleicht am meisten bei dem der Fall, der sich so wider Erwarten in dem Arm der andern wiederfand. Bald darauf aber von der Wirklichkeit aller Zweifel enthoben, saßen sie in unbeschreiblicher Wonne nebeneinander und erklärten sich unter süßen Küssen, was ihnen beiden begegnet war.

Derweil aber stiller Friede um sie waltete, veranstaltete das den Menschen oft neidische Glück, daß es Cangenova war, als vernehme sie eine Stimme, die ihr zu wiederholten Malen vom Hause aus rief. Erschreckt eilte sie aus Ippolitos Nähe fort, so schnell, daß sie ihm kaum das letzte Lebewohl sagen konnte. Derweil sie aber denselben Weg, auf dem sie gekommen war, wieder zurückmaß, schien es ihr, was immer die Ursache sein mochte, als höre sie auf einmal Gebrüll von Löwen, Geheul von Wölfen, Gekrach und Umsturz, begleitet von Klagen und Gewirr menschlicher Jammerlaute; so daß teils diese seltsame Einbildung, teils der Unmut, den Garten und Ippolito verlassen zu müssen, ihr alle Gedanken verwirrte; von Kopf bis zu Füßen zitternd, fühlte sie sich ganz zusammenbrechen und erstarren. Außerstande, ein Glied zu regen, einen Gedanken zu fassen, blieb sie wie eingewurzelt stehen mit sich sträubenden Haaren, die wie Binsen ihr auf dem Haupte emporstarrend, ihre Haube hoben. Aber nicht lange danach verließ Cangenova, von mächtigerem Entsetzen weiter getrieben, den finstern unterirdischen Gang, und ohne irgendeinen Menschen im Hause von ihrem Unfall etwas zu sagen, legte sie sich still und heimlich mit hingewelktem Leben in ihr Bett.

Cangenovas Schwestern, gleich ihr von der mütterlichen Obhut befreit, hatten auf kindische Weise in ihren Betten gescherzt und während diese im Garten war, ihr mehrmals gerufen, damit sie zu ihnen komme und mit ihnen plaudere. Sie erhielten aber keine Antwort von ihr und kehrten dann wieder zu ihren Possen zurück, bis endlich eine von ihnen, die beherztere, im Finstern aufstand, behutsam in das andre Zimmer nach dem Bette tappte und die Schwester von neuem rief. Da sie aber nichts antwortete, obwohl man merkte, daß sie anwesend war, beschloß das Mädchen, um am nächsten Morgen nicht ausgelacht zu werden, ein Licht anzuzünden, um zu ergründen, warum die Schwester diesmal gar nichts von sich hören ließ. Da fand sie sie denn, mehr einem Marmorbild als einem lebenden Wesen ähnlich, in tiefer Lethargie. Sie begann sie zu fragen, von welchem Übel sie so schnell befallen worden sei, rief sogleich die andre Schwester, die ebenfalls herbeilief, um Cangenova nach dem Grunde ihres unerwarteten traurigen Zustandes zu fragen; aber sie vermochten gar nichts aus ihr herauszubringen. Sie schickten daher sogleich nach ihrer Mutter, die voll ängstlicher Besorgnisse um das geliebte Kind alsbald erschien. Mit mütterlicher Dringlichkeit um sie bemüht, trachtete sie von ihr zu erforschen, woher der plötzliche trübe Wechsel entstanden sei; denn wirklich und wahrhaft schlafend hatte sie sie in diesem Bette zurückgelassen; ebenso machte sie es mit ihren anderen Töchtern.

Cangenova erwiderte ihr endlich, es sei ihr wirklich selbst unbekannt, welch schlimmes Übel sie so plötzlich betroffen habe; die andern erzählten nur, wie und wann sie es bemerkt. Die geschicktesten und erfahrensten Ärzte der Stadt wurden zur Heilung der seltsamen Krankheit herbeigeholt. Sie erklärten das Übel für ernst und gefährlich, aber keines der angewandten Heilmittel verschaffte irgendwelche Linderung, da freilich keiner von ihnen darauf verfiel, es könnte ungemessene Furcht der Anlaß zu dieser Krankheit gewesen sein; und Cangenova, mehr auf ihre Ehre als auf ihre Heilung bedacht, hielt den Ursprung des Übels vor jedermann verborgen. Jedoch wollte sie die Sache nicht gegen den verborgen halten, um dessentwillen sie in den Zustand verfallen war, unter dem sie litt. Auch wünschte sie den letzten Schritt, der sich doch nicht mehr zurücktun läßt, nicht zu tun, ehe sie, womöglich, ihren wiedergewonnenen Ippolito nochmals gesehen habe. Sie ließ deshalb seine Amme zu sich kommen, vertraute ihr ihren Zustand an und trug ihr auf, ihren Pflegesohn ohne den geringsten Verzug von dieser Gefahr zu benachrichtigen, damit er, wenn ihm noch etwas an ihr gelegen sei, Mittel und Wege ersinne, wie sie ihn noch einmal sehen möge vor ihrer letzten Stunde, die schon nahe, ja sogar bereits gegenwärtig sei.

Ippolito konnte, als er die schlimme Kunde von seiner Geliebten erhielt, nicht daran denken, alsbald zu ihr zu gehen. Der heftige Schmerz über dieses Unglück ergriff ihn so sehr, daß sich seine Gesichtszüge völlig verwandelten. Er verschaffte sich daher die ungewöhnliche Kleidung eines armen Wanderers, befestigte an seine Backen einen falschen Bart und gestaltete sich dadurch so um, daß er fast von den Leuten seiner Nachbarschaft nicht erkannt werden konnte, zumal da man allgemein der Ansicht war, sie seien durch Berg und Meere getrennt. Er ging Almosen sammelnd in einigen Häusern umher und gelangte in kurzem zu der Wohnung, in welcher die kranke Cangenova lag. Auch hier bat er um Almosen; die Hausfrau selbst ging ihm mitleidsvoll entgegen. Man sah ihr aber wohl ihre große Betrübnis und Trauer an über den hoffnungslosen Zustand ihrer Tochter, von welchem Unglück sie auch ihm wie allen Menschen erzählte, die ihr in den Weg kamen, weil sie hoffte, es habe doch für sie einer Hilfe oder Trost.

Der kluge Pilger erkannte wohl, wie ihm der Zugang zu seiner geliebten Kranken leicht ohne Hindernisse offen sei. Er wandte sich daher bedächtig zu der alten Edelfrau und sagte, sie möge nur nicht alle Hoffnung fallen lassen, ihre Tochter genesen zu sehen, wäre ihre Krankheit auch noch so schwer. Das Fräulein sei, so viel er von ihr höre, in jugendlichem Alter, und unendlich sei die Allmacht Gottes, der in seiner unaussprechlichen Gnade bald diesen frommen Knecht, bald jenen der seltenen und wunderbaren Gaben teilhaftig mache, die Kräfte zu ergründen, die seine himmlische Barmherzigkeit in Kräuter, Pflanzen, Säfte und andere Dinge zum Heil der armen Sterblichen gelegt habe.

Er selbst, sagt er, habe einen großen Teil der Welt durchwandert und obwohl sie ihn in so niederm Stande sehe, mit erfahrenen Gelehrten über die Dinge der Natur und der Medizin gesprochen und durch deren Vermittelung wie durch eigenen Fleiß viele tiefe Geheimnisse gelernt, die zur Heilung gar vieler menschlicher Krankheiten gut seien.

Die leichtgläubige Alte hob die Hände zum Himmel, wie die Weiber fast allgemein und die Bedrängten alle bei solchen Veranlassungen zu tun pflegen; und sie kam leicht auf den Gedanken, ihre unzähligen Gebete hätten nun die Wirkung gehabt, daß durch die göttliche Vorsehung dieser hilfebedürftige Mann ins Haus geschickt worden sei. Da er ihr nun seine Tätigkeit und Hilfe anbot, wurde, ohne daß sie weiter etwas von ihm begehrte, der neue Arzt von der Mutter in das Zimmer geführt, in welchem das unglückliche Mädchen lag. Als er zu ihr trat, sah und erkannte er, daß es leider nur zu wahr sei, was man ihm über ihren Zustand berichtet hatte. Und der Schmerz über diesen Anblick hätte ihn beinahe übermannt, obgleich unmittelbar nach seinem Eintreten in das Zimmer, Cangenova, die doch seine Züge gleich wieder erkannte, ein Schimmer süßer Freude überflogen hatte. Ippolito ergriff vor allem mit seiner zitternden Hand die Hand des Mädchens, als fühlte er nach ihrem Puls, und bat nach einer Weile die Umstehenden, sich etwas zu entfernen, bis er nach seiner Gewohnheit ein Gebet über sie verrichtet habe. So fand Ippolito Gelegenheit, ungehemmt von allen Umstehenden von der Kranken selbst die Ursache und Beschaffenheit ihres Übels zu vernehmen. Als er sie aber mit unendlicher Zärtlichkeit ansah und der lieblichen Gesichtszüge gedachte, die freilich ganz erloschen und verschwunden waren, sank ihm der Mut. Er verlor ganz und gar die Hoffnung, die er gehabt haben mochte, ihr durch seine Gegenwart Hilfe zu bringen, und konnte vor Schmerz und Beklemmung, die ihm das Herz zusammenpreßten, kein Wort sagen und keine Fragen an sie richten.

Die Kranke sah wohl, daß ihr Arzt selber der Arznei bedürftig war, tröstete ihn und ermahnte ihn, mit Beständigkeit das Geheimnis seiner Liebe vor jedermann zu bewahren. Und nachdem ihm Cangenova ihre schwere Krankheit geschildert hatte, bat sie ihn, seine Hand immer in der ihrigen haltend, er wollte niemals seiner Liebe zu ihr, wie ihrer gegenseitigen Zärtlichkeit vergessen, die ihr widerwärtiges Geschick ihr leider nicht gestatte, ihm zu bestätigen. Sodann sagte sie zu ihm, sie würde mit Freuden gestorben sein, wenn nicht Mitleid mit ihm sie gepeinigt hätte. Zwei Freuden aber ließen sie ganz zufrieden scheiden: einmal, weil sie ihn noch gesehen habe, ehe sie diese Welt verlassen, sodann weil sie mit der Gewißheit sterbe, von einem so edeln Jüngling mit der edelsten Liebe geliebt worden zu sein immerdar. Der trostlose Ippolito tröstete das geliebte Kind, so gut er konnte; er bat sie, weniger zu fürchten und noch nicht auf alle Hoffnung zu verzichten, und verpfändete ihr mit heiligen Schwüren sein unwandelbares Wort, alles zu halten, um was sie ihn gebeten hatte. Durch Tränen und Schluchzen war seine Rede nicht sowohl unterbrochen, als vielmehr ganz gestört; er beugte seinen Kopf hinab zu dem Cangenovas, erhob ihn nach einer Weile wieder, wischte sich die Augen mit der Hand und empfing von ihr das letzte Lebewohl.

Der vorgebliche Pilger ging sodann zu der untröstlichen Mutter zurück und statt ihr in betreff ihrer Tochter irgendeine Aufrichtung zu bringen, sagte er zu ihr, es habe ihn deren unheilbares Übel mit solchem Mitleid erfüllt, daß er noch jetzt die überströmenden Tränen nicht zu trocknen vermöge, da er sie in demselben Zustande verlassen müsse, in dem er sie angetroffen.

Auf der andern Seite wuchs Cangenovas Herzensweh über die Trennung von Ippolito so sehr, daß ihr ward, als müsse ihm ihre Seele folgen, derweil ihr Körper nicht imstande war, es zu tun. Darum, fast in dem Augenblicke, da er von ihr ging, schied ihr Geist von dannen und ihr irdisches Leben hatte ein Ende.

Kaum war Ippolito in den Hausflur heruntergekommen, als er plötzlich lautes Weinen und Klagen von den Verwandten und der Mutter vernahm. Gesellte sich also dieser Schlag zu seinem herben Leiden, so konnte er nun wohl aus Erfahrung die Behauptung aufstellen, daß der Mensch im Übermaß des Schmerzes nicht im Augenblick stirbt, wie man dies von der höchsten Freude zu sagen pflegt. Ippolito wollte auch noch das Leichenbegängnis seiner geliebten Freundin sehen und konnte an sich ein sprechendes Beispiel dafür hinterlassen, daß ein großer Schmerz nur höchst selten sich mildert oder veraltet.

Ippolito kehrte daher zu seiner Amme zurück, nahm aber keine andere Speise zu sich als Seufzer und Tränen und erwartete so den folgenden Tag, um so viel an ihm war, diesen herzzerreißenden Anblick zu genießen.

Es kam die Stunde, da Cangenovas Leiche zu Grabe geleitet wurde. Es war ein vornehmes ehrenvolles Leichengeleit; eine große Schar von Verwandten und Nachbarn folgte ihr nach ihrer Kirche, unter nicht geringem Zustrom aus der Stadt wegen des Ruhmes der Schönheit und Tugend dieser Jungfrau. Sobald die Totenbahre aus dem Hause gekommen war, schritt Ippolito, gekleidet wie die andern Leidtragenden, mit einer brennenden Kerze in der Hand mit bis zur Kirche, immer dem Sarg zur Seite, und wendete kein Auge von derjenigen, die er nun bald nimmer wiedersah; ja, er trug oft selbst mit an der süßen Last.

In der San Francescokirche bei der Familiengruft der Salimbeni angelangt, vollzog man die heiligen Bräuche mit der Toten und legte sie hinein, worauf der alte Stein die Öffnung wieder schloß. Sowie diese Platte aber die Gruft bedeckte, schloß sich auch Ippolitos Bewußtsein und sein Leben. Er fiel auf den Marmor nieder, erhob sich nicht mehr und blieb entseelt liegen. Alle Gegenwärtigen, die diesen Unfall mit angesehen hatten, drängten sich staunend hinzu und erkannten bald, daß der Gestorbene Ippolito Saracini war, den man auf der Pilgerfahrt zum heiligen Jakob in Galicien begriffen glaubte.

Die Kunde von diesem Ereignis verbreitete sich schnell durch die ganze Stadt, und als die Angehörigen und Verwandten des Unglücklichen es erfuhren, eilten sie in tiefer Betrübnis zu ihm hin, wo sich auch eine große Volksmenge, Männer und Weiber Sienas, versammelt hatte. Die Verwandten erhuben große Klage über dem Toten. Die Leiche des edeln Jünglings empfing alle Ehren und Trauer, die bei einem solchen Ereignis zu erzeigen sind, und ward unter allgemeiner Betrübnis wegen seines jugendlichen Alters und der dem so tugendhaften Paare zugestoßenen Unglücksfälle unter Zustimmung der beiderseitigen Angehörigen in Cangenovas Gruft beigesetzt, auf daß der unglücklich Liebenden sterbliches Teil hier vereinigt werde, wie gewiß im Jenseits ihr ewiges.


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