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Ser Giovanni Fiorentino

Die Vergiftung

In der Romagna lebte vor Zeiten ein sehr reicher Edelmann, der einen durch Kenntnisse und jeden anderen Vorzug geschmückten Sohn besaß. Als dessen Mutter gestorben war, hatte der Vater eine andere Frau heimgeführt und mit ihr einen zweiten Sohn gezeugt, der bereits zwölf Jahre alt war, als der ältere Sohn zweiundzwanzig zählte. Die Stiefmutter nun, mehr mit Reizen als mit guten Sitten geschmückt, ließ sich von der Schönheit ihres Stiefsohnes so sehr blenden, daß sie sich heftig in ihn verliebte. Dieses Weib hüllte zwar ihre Liebe in tiefes Schweigen, solange im Beginne noch ihre Kräfte der Leidenschaft gewachsen waren; als aber die fluchwürdige Glut ihr Mark und Leben durchdrang, sah sie sich genötigt, der Liebe nachzugeben, sie stellte sich körperlich leidend, um die Wunde des Herzens zu verdecken, und tat, als wäre sie von einem schleichenden Fieber befallen. Am Ende nun ließ sie, getrieben von ihren feurigen Wünschen, durch eine Dienerin ihren Stiefsohn rufen. Dieser, welcher an alles andere dachte, nur nicht an so etwas, trat in ihr Gemach und fragte sie mit freundlicher Miene nach der Ursache ihrer Krankheit. Diese Worte kamen der Frau eben recht; sie ward etwas kühner, bedeckte aus Scham ihr Gesicht mit einem Bettuche und begann, indem sie ihre Worte mit einer reichen Menge von Tränen begleitete, also zu sprechen: »Die Ursache und der Anfang meines jetzigen Übels und meines so heftigen Schmerzes, aber auch meine Arznei und Heilung, das bist du selber. Diese deine glänzenden Augen sind durch meine Augen bis in die Kammern meines Herzens gedrungen und haben in meinem armen Busen ein solches Feuer entzündet, daß ich es nicht mehr ertragen kann. Habe daher Erbarmen mit einem Weibe, das um deinetwillen umkommt! Laß dich nicht zurückschrecken durch die Verwandtschaftsbande mit deinem Vater; denn du kannst ja derjenige werden, der ihm seine arme Gattin erhält, die ohne deinen Beistand ihr Leben nicht mehr fristen kann, die in dir sein Bild wiedererkennt und in deinen Zügen und mit Recht ihren Gatten liebt. Da wir beide hier allein sind, haben wir alle Sicherheit und Bequemlichkeit, welche du verlangst. Was geschieht, ohne daß es jemand erfährt, ist fast ebensogut, als wenn es nicht geschähe.«

Dem wohlgesitteten Jüngling schwindelte es vor Entsetzen, als er dieses empörende Ansinnen vernahm; aber obgleich er diese greuliche Sünde höchlichst verabscheute, so er ihr gerne aus den Augen gegangen wäre, ohne ihr weiter zu antworten, schien es ihm doch nach reiflicher Überlegung nicht geraten, sie mit einer plötzlichen abschlägigen Antwort aufzubringen; vielmehr dachte er, es wäre passender, sie durch einen Aufschub hinzuhalten, um zu versuchen, ihr einen so unreinen und seltsamen Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Darum antwortete er ihr, sie solle nur sorgen, gesund zu werden, und guten Muts sein; er verspreche ihr, ihre Liebe auf das beste zu belohnen. Mit diesen Worten beschwichtigte er sie für den Augenblick.

Da nun der Jüngling bei sich erwog, daß bei so einer außerordentlichen Not auch eine ungewöhnliche Abhilfe nötig sei, so erachte er es für angemessen, die ganze Sache einem verständigen Greise anzuvertrauen, bei welchem er seine Kindheit nützlich zugebracht hatte und der ihn noch jetzt durch die Fährnisse der Jugend leitete. Der Meister wußte wohl, was ein rasendes Weib vermag, und glaubte daher, man müsse mit schnellen Schritten dem drohenden Sturme des grausamen Schicksals entfliehen.

Doch ehe noch die kluge Überlegung ins Werk gesetzt werden konnte, wußte das ungeduldige junge Weib, der ein einziger Tag in Erwartung auf die Erfüllung ihres schändlichen Verlangens so lang währte wie ein Jahr, es dahinzubringen, daß sie ihrem Manne die Ansicht beibrachte, es wäre gut, wenn er auf eine ihrer Besitzungen ginge, da sie gehört habe, es gehe dort nicht zu, wie es solle. Auf diese Art brachte sie ihn auf mehrere Tage aus dem Hause.

Als der Gatte fort war, belästigte sie stündlich den Jüngling mit ihrer Mahnung, sein Versprechen zu erfüllen, dieser aber ergriff bald diese, bald jene Entschuldigung und legte es darauf an, ihre Lust so lange mit Worten zu befriedigen, bis er sich durch eine von ihm beabsichtigte lange Reise aus ihrem Bereiche entfernen könnte. Die Frau, welche die starke Hoffnung mehr als gewöhnlich ungeduldig gemacht und die an den schwachen Entschuldigungen gemerkt hatte, daß er, je mehr er versprach, um so mehr sich von der Erfüllung entfernte, wurde unwillig und verwandelte plötzlich die verbrecherische Liebe in einen noch weit ruchloseren Haß. Sie beriet sich mit einem ihrer Sklaven, dem sie großes Vertrauen schenkte, welchen Weg sie einschlagen müsse, um sich an ihm zu rächen, der ihr seine Zusage nicht halten wollte; und sie beschlossen endlich, dem armen Jüngling durch Gift das Leben zu nehmen.

Der bübische Sklave zögerte nicht, diesen grausamen Vorschlag zur Ausführung zu bringen; sondern ging alsbald aus dem Hause und kehrte erst abends spät mit einem Trank in einem Becher zurück; er vermischte ihn in dem Schlafzimmer der Frau mit Wein und stellte ihn in einen Schrank, wo sich die Eßwaren befanden, mit der Absicht, ihn am folgenden Morgen beim Frühstück dem unglücklichen jungen Manne vorzusetzen.

Das Schicksal aber wollte es anders, und der Sohn jenes bösen Weibes, welcher, wie gesagt, zwölf Jahre alt war, kam am Morgen aus der Schule zurück, verzehrte einen kleinen Imbiß und fühlte darauf Durst. Da ihm nur jenes Glas mit dem giftigen Gebräu in die Hände fiel, das aus Fahrlässigkeit in dem Schrank unverschlossen stehengeblieben war, trank er es ganz aus und fiel bald darauf wie tot zu Boden.

Als das Gesinde diesen Fall bemerkte, machte man Lärm, die Frau lief herzu und kam gleich auf den Gedanken, der Knabe sei vergiftet. Die Mutter ging mit dem Diener, der das Getränk gekauft hatte, zur Seite, sie besprachen sich heimlich miteinander und beschlossen, die Schuld des Verbrechens auf den älteren Sohn zu schieben. Infolgedessen erklärte der Diener öffentlich, er wisse gewiß, daß der ältere Sohn es sei, der die Untat begangen habe, denn er habe ihm vor wenigen Tagen erst fünfzig Taler versprochen, wenn er ihn umbringen wolle; da er sich hierzu nicht herbeigelassen habe, so habe jener ihm mit dem Tode gedroht, wofern er irgend jemand davon sage. Die Frau ließ alsbald Häscher kommen und kraft der von dem Knecht gemachten Aussage ihren Stiefsohn ins Gefängnis bringen. Darauf sandte sie einen Boten an ihren Gatten, um ihn von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Ihr Gemahl kam sogleich herbei, und sie ließ ihm von dem Diener das Zeugnis wiederholen, das er schon früher abgelegt hatte. Sodann fügte sie selbst hinzu, sein Sohn habe dies getan, weil sie seinem wollüstigen Begehren nicht habe Folge geben wollen, und er habe sie überdies auch mit dem Tode bedroht.

Der unglückliche Vater jammerte laut, als er sah, wie man den jüngsten Sohn zu Grabe trug, während der andere als Brudermörder der Todesstrafe verfallen war; und getäuscht von dem heuchlerischen Klagegeschrei seiner Frau, entflammte sich sein Zorn immer mehr gegen seinen Sohn. Kaum war die Leichenfeier zu Ende, als der beklagenswerte Vater vom Grabe hinwegeilte und, so wie er war, mit verweintem Gesicht nach dem Rathause ging, wo selbst er mit Tränen und inständigen Bitten auf den Tod seines nunmehr einzigen Sohnes drang, den er einen Blutschänder nannte, weil er das Bett seines Vaters habe beflecken wollen, Brudermörder, weil er seinen Bruder umgebracht, und Totschläger, weil er seiner Stiefmutter das Leben zu nehmen angedroht.

Er hatte mit diesen Klagen die Gemüter des Volkes so sehr zur Entrüstung aufgeregt, daß alle riefen, man müsse ihn, ohne viel Zeit mit Anklage und Verteidigung zu verlieren, für diese Sünde öffentlich durch Steinigung zu bestrafen. Die Richter sagten jedoch, sie wollten nach altem Brauche den Spruch erst nach sorgfältigem Verhöre fällen, und wollten nicht zugeben, daß ein grausames Beispiel aufgestellt und aus Erbitterung, statt auf gerechter Beweise hin, ein Mensch getötet werde. Es war daher förmlich und gesetzmäßig der Angeklagte vor Gericht beschieden und der Anklageprozeß begonnen. Der Vater sagte, sein älterer Sohn habe den jüngeren vergiftet, und es liege dafür ein sicherer Beweis vor, da er wenige Tage zuvor versucht habe, ihn durch einen Diener umbringen zu lassen, welchem er fünfzig Taler versprochen habe.

Als der Jüngling befragt wurde, leugnete er alles. Nachdem Anklage und Verteidigung stattgefunden hatten, wollten die Richter doch die Sache nicht auf Vermutungen und Verdachtsgründe hin abmachen, sondern verlangten sichere Beweise und bestimmte Wahrheit. Darum beschlossen sie, der Knecht solle ihnen vorgeführt werden, und so wurde dann dieser Galgenvogel herbeigebracht, trat mit dreister Stirne vor die Richter und machte dieselbe Aussage, die er schon dem Vater gemacht, ja er fügte hinzu, er wolle die Wahrheit seiner Worte mit dem Jüngling auf der Folter bekräftigen. Da war nun kein Richter dem Jüngling so günstig gestimmt, der nicht geurteilt hätte, man müsse erst den Jüngling auf die Folter spannen und alsdann, wenn derselbe beim Leugnen beharrte, auch den Knecht.

Da erhob sich ein in jener Stadt sehr angesehener, rechtschaffener Arzt und sprach also: »Ich schmeichle mir, sagen zu können, daß ich bis daher unter Euch für einen redlichen Mann gegolten habe, und kann nicht zugeben, daß dieser unschuldige Jüngling ungerechterweise von Euch gefoltert und getötet werde. Aber was hilft das, wenn ich allein mich der Behauptung eines anderen widersetze? Und doch bin ich der, für den ihr mich haltet, und der andere ist ein niederträchtiger Schurke, der nicht einen, sondern tausend Galgen verdient. Ich weiß, daß mein Gewissen mich nicht betrügt, und darum hört den wahren Tatbestand der Sache: dieser Schurke kam zu mir und wollte ein plötzlich wirkendes Gift von mir kaufen, wofür er mir eine Summe von 50 Golddukaten anbot, indem er vorgab, desselben für einen Kranken zu bedürfen, welcher Tag und Nacht von einer unheilbaren Wassersucht und tausend anderen Schmerzen gepeinigt werde und sehnlich wünsche, durch die Arznei des Todes über so große Qual hinwegzukommen. Da ich sah, wie verlegen der Spitzbube um Worte war, mit welchen er seine listigen Vorwände glaubhaft machen wollte, schöpfte ich Verdacht, er möchte irgendeinen bösen Anschlag im Sinne haben, und war im Begriff, ihm die Türe zu weisen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich es ihm abschlüge, so würde er zu einem anderen gehen, der vielleicht minder vorsichtig sei als ich und ihm in seinem Begehren willfahre; ich hielt es daher für geraten, ihm einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber von einer Beschaffenheit, die ihr später hören werdet. Da ich überzeugt war, daß man der Sache mit der Zeit nachspüren werde, wollte ich den Preis, den er mir anbot, nicht sogleich nehmen, sondern sagte zu ihm: ›Ich fürchte, einige von diesen Dukaten möchten falsch oder zu leicht sein; tu sie daher wieder in das Säckchen und siegele es mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegener Zeit wollen wir alsdann zusammen nach der Bank gehen und sie untersuchen.‹ Er ließ sich überlisten, und ich brachte ihn dahin, daß er den Sack mit seinem Siegel schloß. Ich habe ihn soeben durch meinen Diener holen lassen und will es Euch zeigen. Er mag es sehen und soll sein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf welche Art er diesen braven Jüngling beschuldigen will, seinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch selber es gekauft hat.«

Während dieser wackere Mann so sprach, war der elende Sklave blaß geworden wie eine Leiche; er zitterte, und einzelne Tropfen kalten Schweißes traten ihm auf die Stirne; er trat bald vorwärts, bald zurück, drehte den Kopf bald so, bald anders und fing an, mit kleinlautem Munde unpassendes Zeug hervorzustammeln, so daß ihn vernünftigerweise niemand für unschuldig hätte erklären können. Nichtsdestoweniger bekämpfte der vermessene Schurke seine Furcht mit seiner Frechheit, verscheuchte sie und ward so mutig, daß ihm seine alte Verschlagenheit wiederkam, und er mit seiner vorigen Geistesgegenwart den Arzt der Lüge zieh und alle seine Aussagen leugnete. Der unbescholtene Greis aber besann sich, um nicht in seinen letzten Jahren seinen unbefleckten Ruf zu besudeln, auf Mittel, die Wahrheit in der Sache ans Licht zu bringen. Er forderte daher einen Diener der Gerechtigkeit auf, dem Sklaven seinen Ring vom Finger zu ziehen, und als man ihn mit dem Siegel des Säckchens verglich, ergab sich die Übereinstimmung beider. Die Richter erklärten es daher als einen hinreichenden Beweis, um ihn auf die Folter zu bringen. Man gab ihm mehrere Male das Folterseil zu kosten, aber noch immer beharrte er auf seinem Leugnen. Darauf sagte der Arzt zu den Richtern: »So wisset denn, als mich dieser Verruchte, wie ich bereits erzählt habe, bewegen wollte, ihm Gift auszuhändigen, hielt ich es aber für einen rechtschaffenen Arzt unziemlich, den Tod eines Menschen zu veranlassen, derweil ich überzeugt bin, daß die Heilkunde den Menschen vom Himmel geoffenbart worden ist zum Wohle und nicht zum Schaden des Menschengeschlechts, und ich fürchtete, wie ich euch gleichfalls gesagt habe, er möchte zu einem anderen gehen, welcher aus Geldgier ihm das gegeben hätte, was er verlangte; so habe ich ihm denn kein Gift gegeben, sondern einen Alraunwurzeltrank, welcher so tief in Schlaf senkt, daß, solange seine Kraft dauert, der, der ihm zu sich genommen hat, wie tot aussieht. Wenn nun jener Knabe den von mir gemischten Trank genommen hat, so lebt er, ruht und schlummert. Sobald die Kraft der Natur den dichten Nebel dieses Schlummers verjagt haben wird, wird auch unsere Sonne so schön wie zuvor ihm leuchten. Ist er aber wirklich tot, so sucht die Ursache anderswo.«

Nachdem der Arzt diese Worte gesprochen hatte, schien es allen das wichtigste, ohne Verzug nach dem Begräbnisort des Knaben zu gehen, um sich über den Fall Aufklärung zu verschaffen. Man brachte daher den Diener sowie den älteren Sohn in das Gefängnis, und alle gingen nach der Gruft. Dort angelangt, ließ es sich der Vater nicht nehmen, mit eigenen Händen den Stein über dem Grabe wegzuwälzen. Und die Hilfe durfte auch nicht länger ausbleiben, denn die Natur hatte schon von selbst die düstere Schlaftrunkenheit verjagt, und der Knabe war aus dem Reich Plutos zurückgekehrt. Der Vater umarmte ihn mit der Zärtlichkeit, die ihr euch vorstellen könnte, und da es ihm in der Freude dieses Augenblicks an Worten gebrach, die fähig gewesen wären, sie auszudrücken, hob er ihn schweigend aus der Gruft und stellte ihn so in Trauerkleider gehüllt dem Oberrichter vor.

Als der Diener den Knaben am Leben sah, dachte er, weil kein Tod erfolgt sei, werde er Verzeihung erlangen, und um zugleich der weiteren Folterung zu entgehen, bekannte er alles. Man ergriff deshalb die Frau, führte sie vor das Gericht, und nach kurzer Folterung bekannte sie auch alles. Das Urteil fiel dahin aus, daß der Diener, weil er das Verbrechen verübt, wenn auch der Tod nicht daraus erfolgt sei, gehangen werde. Der Frau aber wurde auf die Bitten ihres Gatten und ihres Sohnes zwar das Leben geschenkt, doch wurde sie auf immer aus der Stadt verbannt. Dem Arzte wurde einstimmig das Geld, das er von dem Knechte als Zahlung für den Schlaftrunk erhalten hatte, gelassen. Der Vater aber, der in Gefahr gewesen war, seine beiden Söhne zu verlieren, vertauschte sie auf diese Weise gegen ein grundböses Weib und gewann sie wieder lebendig und schuldlos.


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