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Wie Galenus getötet ward von Hippocras dem Arzte.
Es war ein weiser berühmter Arzt, der hieß Hippocras, der war zumal subtil und behende in seiner Kunst, also daß man keinen fand, der ihm gleichen mochte. Er hatte einen Neffen, Galenus, den er lieb hatte. Dieser Galenus war klug und weise und setzte sich dazu mit allem Fleiß, wie er seinem Oheim seine Künste ablernte. Da das Hippocras gewahr ward, verbarg er seine Kunst so sehr er konnte; aber Galenus übte sich von Stund an noch fleißiger, so daß er in kurzen Zeiten ein Meisterarzt war. Als das Hippocras sah, begann er ihn zu hassen.
Nun geschah es, daß der König von Ungarn nach Hippocras sandte, daß er zu ihm käme und seinen Sohn gesund machte. Hippocras aber wollte nicht kommen, sondern sandte seinen Neffen Galenus mit den Boten, denn er wußte wohl, daß er ein guter Meister war, und gab ihm deß seine Briefe. Da Galenus zu dem Könige kam, verwunderte sich dieser, daß Meister Hippocras nicht selbst gekommen sei. Aber Galenus verantwortete ihm und sprach, er wäre in großen Geschäften, also daß er nicht könnte; darum hätte er ihn gesandt, und sprach: »Ich hoffe zu Gott, ich will euren Sohn gesund machen.«
Nun sah er des Königs Sohn und tastete seinen Puls und besah sein Wasser. Da das geschehen war, sprach er heimlich zur Königin: »Edle, Frau, saget mir ins Geheim, wer ist der Vater des Kindes?« Da sprach die Königin mit Zorne: »Wer sollte anders der Vater sein, denn mein Herr, der König?« Sprach Galenus: »Nein, Frau, das ist nicht«. Da sprach die Königin: »Saget ihr das im Ernst, ich laß euch euer Haupt abschlagen«. »Ich sag euch fürwahr«, sprach der Meister, »daß dieser König sein Vater nicht ist; aber ich bin nicht hergekommen, daß man mir das Haupt abschlagen solle. Solchen Lohn begehr ich von euch nicht. Seid Gott befohlen!«
Da die Königin das hörte, sprach sie: »Ach lieber Meister, mag es heimlich bei euch bleiben, und könnt ihr schweigen, so will ich euch meine Heimlichkeit offenbaren«. Da sprach der Meister: »Ich kann es wohl verschweigen, denn ich will euren Sohn gesund machen«. Sie sprach: »So ihr das tut, ihr verdient großen Dank und Lohn. Nun höret, es kam der König von Burgund mit meinem Herrn und war etliche Tage bei uns, wir spielten mancherlei Spiele und er ward mir sonderlich freundlich, also daß ich diesen Sohn von ihm gewann«. Da sprach der Meister: »Ihr sollt euch nicht fürchten, denn ich wußte es vorher wohl«. Zuhand gab er dem Sohn Rindfleisch zu essen und Wasser zu trinken, und er ward gesund. Als das der König sah, gab er ihm guten Lohn und die Königin gab ihm heimlich große und kostbare Kleinode; und der Meister ritt heim.
Als er zu Hippocras kam, sprach dieser: »Hast du das Kind gesund gemacht?« Galenus antwortete: »Ich gab ihm Rindfleisch zu essen und Wasser zu trinken«. Hippocras sprach: »So ist die Königin eine Hure«. Sprach Galenus: »Meister, ihr habt es geraten«. Von Stund an gedachte Hippocras, wie er Galenus töten möchte. Zu einer Zeit rief er ihn und sprach: »Wir wollen übers Feld gehen und Heilkräuter suchen«. Da sie übers Feld gingen, sprach Hippocras: »Ich rieche ein edel Kraut, brich es ab«. Galenus tat es. Da sie weiter gingen, sprach Hippocras: »Ich sehe ein viel bessres«. Das brach Galenus auch ab. Die sie noch fürder gingen, sprach Hippocras: »Nun seh ich ein Kraut, das ist edler als ein Gold, das brich mir mit den Wurzeln aus.« Galenus fiel auf seine Knie und begann zu graben. Da nahm Hippocras sein Schwert und durchstach ihn, daß er starb.
Nicht lange darnach ward Hippocras siech an der roten Ruhr und verlor alle seine Kraft und Macht. Und tat ihm selber was er mochte, aber es half nicht. Da seine Schüler das sahen, kamen sie zu ihm und was sie vermochten, das taten sie ihrem Meister, es half aber nicht. Zuletzt sprach Hippocras zu seinen Schülern: »Füllet eine große Bütte mit Wasser« und gab ihnen ein Kraut, das sollten sie auf das Wasser legen. Sie taten es. Darnach sprach er: »Nun bohret hundert Löcher in die Bütten«. Da das geschehen war, da ging kein Tropfen Wassers heraus. Da sprach Meister Hippocras: »Nun sehe ich wohl den Zorn Gottes, daß er sich rächen will an mir. Hundert Löcher sind an der Bütten und kein Tropfen Wassers gehet heraus, das ist von der Macht des Krautes; meinen Leibfluß aber zu hemmen vermag dasselbe Kraut nicht. Wäre es, daß mein Neffe und Schüler Galenus noch lebte, den ich leider getötet hab, der könnte mich wohl gesund machen. Darum so muß ich sterben: es ist die Rache Gottes.« Und kehrete sich zu der Wand und war tot.