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Giuseppe Orologi

Nicht imstande, ein Mittel gegen die Gichtschmerzen zu finden, die Karl VI., König von Frankreich, plagten, erklärten einige unwissende Ärzte, um ihre Unkenntnis zu verhüllen, Valentine, Herzogin von Orléans, habe ihn behext, damit der Herzog von Orléans, ihr Gatte, sein Nachfolger auf dem Thron werde. Die Sache kommt auf und sie werden auf Befehl des Papstes verbrannt.

Galeazzo Visconte, der letzte Herzog von Mailand aus dieser Familie, der auch von Seiten seiner Mutter, die eine Tochter König Jakobs von Frankreich war, Graf von Vertus, einer berühmten Grafschaft in der Champagne war, besaß keine andere Nachkommenschaft als eine einzige Tochter namens Valentina. Er war daher eifrig bedacht, ihr einen Gatten von hohem Rang zu geben. Nachdem sie schon von gar vielen Seiten zur Gattin begehrt worden war, faßte er den Entschluß, sie Ludwig von Valois, Herzog von Orléans und Bruder Karls VI., Königs von Frankreich, zu geben.

Nachdem die äußerst glanzvolle Hochzeit vorüber war, sandte er sie mit dem größten Pomp, den er aufwenden konnte, nach Frankreich, wo sie am Hofe lange Zeit sehr glücklich lebte und mit dem Herzog, ihrem Gemahl, viele Söhne und Töchter hatte. Dieser hegte große Liebe zu ihr, sowohl weil sie seine Gattin war, als auch, weil er hoffte, nach dem Tode Galeazzo Viscontes, des Vaters seiner Gemahlin Valentina, der keine Kinder außer ihr besaß, die Nachfolge im Herzogtum Mailand zu erhalten; wie denn fortab alle, die im Herzogtum Orléans die Nachfolge hatten, aus den nämlichen Gründen Ansprüche auf das Herzogtum Mailand erhoben haben, als direkte Erben und Nachfolger Valentinas, der Tochter und Erbin Galeazzos Visconte. Infolge dieses Anspruchs ist bis zum heutigen Tage soviel Blut vergossen, soviel Gold ausgegeben worden, daß wenn alle die Truppen, welche die Franzosen für die Erwerbung dieses Staates verwandt, nebst denen der Fürsten, die das Herzogtum gegen ihren Ansturm verteidigt haben, gegen die Ungläubigen aufgeboten worden wären, man sonder Zweifel so tief nach Asien und Afrika vorgedrungen wäre und dort so große Fortschritte gemacht hätte, daß man unter jenen Völkern keinen andern Namen würde erklingen hören als den Christi, und man überall das heilbringende Zeichen des Kreuzes entfaltet sehen könnte. Aber unsere Sünden haben bis zur Stunde zu unserer größten Strafe und Züchtigung die mächtigsten Fürsten der Christenheit ihren Irrtum nicht erkennen lassen.

Doch kehren wir zum Gegenstande unserer Erzählung zurück: als Valentina in glücklicher Zufriedenheit am Hofe Frankreichs lebte, geschah es, daß der König in eine sehr schwere Krankheit verfiel, infolge gichtischer Schmerzen, die ihm so heftig zusetzten, daß alle seine Glieder schwach und kraftlos wurden, so daß er unfähig ward, sich zu bewegen. Dazu kam, daß diese Schmerzen, so lange sie andauerten, seinen Geist derart verdüsterten, daß er von einer gefährlichen Tobsucht gepackt wurde. Gleich zu Beginn dieser Krankheit ließ man alle die besten Ärzte des Königsreichs kommen, damit sie alle ihre Kunst und ihren Fleiß daran setzten, dem König seine Gesundheit wiederzuverschaffen. Mit ihren Mitteln, deren sie gar viele anwandten, wollte es ihnen doch nie gelingen, ich will nicht sagen, den König von jenen überaus heftigen Schmerzen zu befreien, die ihn alljährlich aufs grausamste befielen, sondern sie auch nur insoweit abzuschwächen, daß sie ihm etwas weniger zusetzten. Als daher einige von ihnen sahen, daß sie ihren Ruf als hervorragendste Ärzte, den sie sich bis zu diesem Tage erworben und bewahrt hatten, zu verlieren drohten, beschlossen sie, nachdem sie alle andern davon in Kenntnis gesetzt hatten, offen zu erklären, daß die Krankheit des Königs nicht zufällig sei, wie jedermann glaubte, sondern künstlich und magisch, das heißt, daß sie ihm durch Zauber und Hexerei angehängt worden sei. Um nun diesen ihren Worten größere Wahrscheinlichkeit zu verleihen und sie in den Herzen derer, für die sie bestimmt waren, besser Wurzel schlagen zu lassen, brachten sie einigen der hervorragendsten Persönlichkeiten des Hofes bei, die Herzogin von Orléans habe die Krankheit des Königs auf künstlichem Wege herbeigeführt; denn sie wußten gar wohl, wie mißtrauisch die Franzosen gegen die italienische Nation und wie geneigt sie waren, zu glauben, daß die Bewohner der Provinz Mailand, die sie für äußerst schlau und in allen Dingen erfahren halten, jeder Verruchtheit fähig seien. Sie fügten ihrer Verdächtigung noch hinzu, die Herzogin habe das aus keinem andern Grunde getan, als damit das Königreich durch den Tod des Herrschers in die Hände des Herzogs, ihres Gemahls, komme. Und zur Bekräftigung ihrer Behauptungen diente ihnen der Umstand gar sehr, daß der König infolge der Verhexung durch Valentina weder die Königin, seine Gemahlin, noch irgendeine andere Frau, mochte sie noch so nahe mit ihm verwandt sein, auch nur im geringsten sehen konnte und sie alle voller Zorn aus seinem Gemache jagte, die Herzogin von Orléans nicht ausgenommen. Ihre verruchten Worte übten infolgedessen eine so starke Wirkung aus, daß man am Hofe nichts anderes hörte als über Valentina murren, sie schmähen und alles Üble auf sie herabwünschen, so sehr, daß die Runde von diesen Dingen sich nicht allein am Hofe, sondern in ganz Paris verbreitete.

Man sprach in jenen Tagen also von nichts, als von der unglücklichen Valentina, und es bestand keine geringe Gefahr, daß der närrische, unbesonnene und unbändige Pariser Pöbel einen Aufstand mache, ohne den Zügel irgendwelcher Scheu und Ehrerbietung zum Palaste jener Prinzessin stürme und in der ersten Wut alles erdenkliche Unheil anrichte. Denn viele, nicht zufrieden mit dem ersten Verdacht, den die Worte jener verworfenen Ärzte in ihren Seelen erweckt hatten, verstärkten und vermehrten ihn daheim, bei geselligem Zusammenkünften und an öffentlichen Orten, wo man die Angelegenheit nach allen Richtungen besprach. Sie verfehlten dabei nicht, hervorzuheben, daß sie sich nicht darüber wunderten, da Valentina eine Italienerin und diese Nation, um zur Herrschaft zu gelangen, jedes Verbrechens fähig sei. Abgesehen von ihrer italienischen Herkunft stamme sie aus einem Hause, das, indem es sich des mailändischen Staates bemächtigte, durch ähnliche Künste zur Größe gelangt sei. Habe man doch auch, um die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, in jüngster Zeit gesehen, daß Galeazzo Visconte, Valentinas Vater, ohne Furcht vor Gott und ohne Rücksicht auf die heiligen Gesetze und den Ruhm seiner Familie, seinen Oheim Bernabo Visconte samt dessen Söhnen elendiglich habe sterben lassen, nachdem er sie lange Zeit gefangen gehalten. Und er habe dies aus keinem andern Grunde getan, als um der alleinige Herr des großmächtigen mailändischen Staates zu werden. Es mache sich daher keiner Lüge schuldig und entferne sich nicht von der Wahrheit, wer den Verdacht ausspreche, daß eine Frau aus derselben Familie und gar die Tochter eines so blutdürstigen Fürsten, durch Zauberkünste aller Art zu bewirken versucht habe, daß ihr Gatte und nach ihm ihre Söhne Erben und Nachfolger auf einem so bedeutenden Thron würden, wie dem französischen. Einige andere erklärten ferner, um ihren Verdacht begründeter erscheinen zu lassen, man brauche über die bösartige Gesinnung und den brennenden Ehrgeiz der Herzogin von Orléans nicht länger im Zweifel zu sein, nachdem man ein so klares und schlüssiges Beispiel vor Augen habe; denn als sie den Dauphin, des Königs erstgeborenen Sohn, der nach König Karls Tode diesem auf dem Thron folgen sollte, vergiften wollte, habe sie – selbstverständlich ganz unabsichtlich – ihren eigenen Sohn vergeben. Als nämlich der Dauphin sich, mit kindlichen Spielen beschäftigt, im Gemache der Herzogin mit ihrem etwa gleichaltrigen Söhnchen befand, sei auf Valentinas Befehl ein vergifteter Apfel auf den Boden geworfen worden, damit er in die Hände des Dauphins gelange. Dieser aber habe ihn infolge göttlicher Einwirkung nicht beachtet und ihn nicht ergriffen. Sobald aber der Sohn der Herzogin die Frucht erblickt, habe er sich darauf gestürzt, weil er sehr erpicht auf Früchte war, wie die Kinder es meistens sind, ihn aufgehoben und angefangen, ihn zu verzehren. Nicht sobald aber sei er damit fertig gewesen, als er von einem so schrecklichen Zittern an allen Gliedern überfallen wurde, daß er kurz darauf verstarb, ohne daß es möglich gewesen sei, ihm durch ärztliche Kunst oder sonst ein Mittel das Leben zu erhalten.

Die Ärzte, die das Kind sahen, und ein so klares Indizium vor Augen hatten, erklärten, jener Apfel müsse unbedingt vergiftet gewesen sein. Infolgedessen entstand am Hofe allgemein der Verdacht, Valentina habe den Apfel vergiften lassen, um den Tod des Dauphins herbeizuführen, wiewohl die göttliche Gerechtigkeit den einem andern zugedachten Tod dem eigenen unglücklichen Sohne der Herzogin zugewandt habe.

Ein so auffallender Unglücksfall lieferte dem ganzen Hofe viel Stoff zu Erörterungen und wurde die Veranlassung zu verschiedenen Maßnahmen zur Sicherung des Lebens des Dauphins. Unter anderem verboten ihm seine Erzieher streng und unter Drohungen, je wieder das Gemach der Herzogin zu betreten, ja selbst sich ihrer Person zu nähern. Auch durfte er nichts annehmen, was ihm in ihrem Namen geschenkt würde. Daher waren viele, die dieses Ereignis mit den Worten der Ärzte in Zusammenhang brachten, die Veranlassung, daß das, was anfänglich nur ein Verdacht war, nachher als eine ausgemachte Tatsache galt. Sie argumentierten nämlich: da die Herzogin den Versuch gemacht habe, den Dauphin durch Gift aus dem Wege zu räumen, um wieviel mehr müsse sie danach getrachtet zu haben, den König durch Zaubermittel in die bewußte Geisteskrankheit verfallen zu lassen, um so mehr, als sie jederzeit ohne weiteres die Möglichkeit hatte, nach Belieben sein Gemach zu betreten, da der König, abgesehen von seiner Schwägerin Valentina – und offenbar durch ihre Einwirkung – alle Damen, die Königin nicht ausgenommen, haßte.

Alle diese Verdächtigungen und Reden kamen unterdessen dem Herzog, ihrem Gatten, zu Ohren, der darüber den äußersten Mißmut empfand und, da er sie für begründet hielt, seine Gemahlin notwendigerweise aufs tiefste hassen mußte. Auch konnte er sich der Furcht nicht erwehren, der König und der ganze Hof könnten denken, er selbst sei nicht allein Mitwisser, sondern sogar Mitschuldiger an einem so ungeheuerlichen Verbrechen. Dazu vergrößerte sich stündlich sein Herzeleid über den Verlust seines Söhnchens. Als er es infolgedessen nicht länger ertragen konnte, sie um sich zu sehen, faßte er den Entschluß, sie auf ein zwölf Meilen von Paris entfernt, an der direkten Straße von Paris nach Beauvais, unweit von Pontoise gelegenes Schloß zu schicken. Dort ließ er sie sorgfältig bewachen, damit sie nicht aus den Toren des Schlosses herauskönne, und nachdem er sie daselbst eine Zeitlang eingesperrt gehalten hatte, befahl er, sie nach Châteauneuf zu bringen, einem an der Loire gelegenen Orte seines Reiches.

Als sich nun diese unglückliche Frau so mit Schimpf und Schande vom Hofe und von ihrem Gatten entfernt sah, wollte ihr der heftige Schmerz, den sie darob empfand, schier den Verstand rauben. Stets mußte sie daran denken, wie unglücklich sie in Frankreich verheiratet gewesen sei, wo die Leute so voller Argwohn sind, daß sie auch die nichtigsten und sinnlosesten Behauptungen für wahr, wahrscheinlich und ausgemacht halten. Um sich wenigstens etwas Trost, um nicht zu sagen Hilfe, zu verschaffen, wußte sie jedoch keinen andern Entschluß zu fassen, als diesen: sie wollte auf alle mögliche Weise versuchen, den Herzog Galeazzo, ihren Vater, von allem zu unterrichten. Sie gab daher einem ihrer Diener so gute Worte, machte ihm so große Versprechungen und bat ihn so inständig, daß sie ihn dahin brachte, heimlich zu entfliehen und sich nach Italien zu wenden, um den Herzog von Mailand über die unglückliche Lage seiner Tochter aufzuklären.

Nachdem also der Diener das Schloß hinter sich hatte, strebte er in großen Tagemärschen Italien zu, wobei er sich stets auf Richtwegen durch das flache Land und die am wenigsten bevölkerten Gegenden schlug. Die Städte und Landstraßen mied er so gut er konnte, um nicht erwischt zu werden, da er sich wohl dachte, daß der von seiner Flucht benachrichtigte Herzog von Orléans ihm eine Anzahl seiner Leute zu Fuß oder zu Pferde habe nachsetzen lassen. Und er beschleunigte seine Reise so sehr, daß er in wenigen Tagen in Mailand eintraf, wo er dem Herzog in kurzen Worten über die unglückliche Lage seiner Tochter berichtete. Dieser war darob über alle Maßen betreten, wollte jedoch als einer der klügsten Fürsten seiner Zeit keinerlei eigenen Entschluß in dieser Sache fassen, da er wohl erkannte, daß ein solcher weder vernünftig noch gut ausfallen konnte, da Zorn und Leidenschaft seinen Verstand trübten. Er berief darum seinen geheimen Rat, trug ihm vor, was sich Schlimmes mit seiner Tochter begeben hatte und verlangte die Meinung der Versammelten über die zu ergreifenden Schritte zu hören. Nach vielen einsichtsvollen Reden schienen aller Meinungen dahin zu gehen, der Herzog möge versuchen, durch Vermittlung einiger kluger Gesandter, die Gemüter des Königs, des Herzogs von Orléans, seines Schwiegersohnes und aller Maßgebenden des Hofes, für seine Tochter günstig zu stimmen. Die Gesandten sollten alles daran setzen, deren Unschuld zu beweisen und sie in ihre frühere Stellung wieder einzusetzen.

Bald nachdem seine Räte sich in diesem Sinne geäußert hatten, wählte Herzog Galeazzo einige Leute aus, die ihm besonders geeignet erschienen, diese Sendung durchzuführen und sandte sie eiligst an den Hof von Frankreich. Nachdem die Gesandten den Auftrag ihres Gebieters vernommen hatten, machten sie sich schleunigst auf den Weg und ruhten nicht eher, als bis sie in Paris eingetroffen waren; und als sie dort ihre erste Audienz gewährt erhalten hatten, bemühten sie sich auf alle Weise, ihren Auftrag in jeder Hinsicht voll auszuführen. Bald jedoch wurden sie inne, daß alle ihre Hoffnung, den gewünschten Erfolg zu erzielen, infolge des schlechten Eindrucks, den der König, der Herzog von Orléans, sein Bruder, und die Ersten des Hofes von der Herzogin Valentina gewonnen hatten, eitel war. Als sie daher sahen, daß sie nichts auszurichten vermochten, nahmen sie, nach vielen Bemühungen in der Öffentlichkeit wie im vertrauten Kreise, Abschied und kehrten nach Mailand zurück, wo sie Herzog Galeazzo in kurzen Worten über das Ergebnis ihrer Bemühung und die ausweichenden Antworten, die sie erhalten hatten, Bericht erstatteten. Der Herzog war infolgedessen voller Zorn und Haß gegen die Franzosen; da er jedoch keinen unbesonnenen Entschluß fassen wollte, ließ er von neuem seinen Rat zusammenberufen.

Als die versammelten Räte erfahren hatten, daß der Weg der Güte und Freundlichkeit dem Herzog nicht dazu verholfen hatte, der Sorgen über das Schicksal seiner Tochter ledig zu werden, kamen sie zu dem Schlusse, man müsse wegen des Unrechts, das der König der Herzogin Valentina antat, den Weg der Rache beschreiten und einen Ritter zu ihm senden, der dem König anbieten solle, durch die Waffenprobe feststellen zu lassen, daß die Urheber der Verleumdung der Herzogin von Orléans, sie hätte Hochverrat getrieben, sie verbrecherischer- und lügenhafterweise fälschlich beschuldigt hätten. Dieser zweite Beschluß gefiel dem Visconte um so mehr, als er seiner Natur weit besser entsprach als der erste. Nachdem er daher in aller Eile Giacomo dal Verme, einen damals durch seine Tapferkeit hochberühmten Ritter, dazu ausersehen hatte, den Beschluß des Rates auszuführen, war dieser bereits am andern Tage, voll Verlangen, dem Herzog, seinem Herrn, unverzüglich zu gehorchen, bereit, sich mit einigen seiner Edelleute auf den Weg zu machen. Sobald er abgefertigt war, nahm er die Tür in die Hand und traf am vierten Tage nach seinem Aufbruch in Paris ein. Er benutzte die erste Gelegenheit, vor dem Könige zu erscheinen und sprach zu ihm mit erhobener Stimme, so daß alle es hören konnten: »Sire, wiewohl der Herzog von Mailand, mein Gebieter und Euer Vetter, der festen Überzeugung ist, daß Ihr Euch über die Unschuld der Herzogin Valentina, seiner Tochter, hinlänglich klar seid und wißt, daß sie sehr zu Unrecht des Verrats bezichtigt und vom Hofe wie von ihrem Gatten entfernt worden ist und gefangen gehalten wird, so hat er nichtsdestoweniger, da er sieht, daß hierzulande Tücke und falsche Bezichtigungen mehr Macht haben als die reine lautere Wahrheit, mich zu Euch gesandt, um Euch wissen zu lassen, daß wenn Ihr diesen Streitfall, wie er es wünscht und wie es zur Erhaltung der Ehre seiner Tochter, seiner eigenen und der seiner Familie recht und billig ist, der Entscheidung durch ein Gottesurteil unterwerfen wollt, Ihr zwei, vier oder sechs Ritter auswählen möget, die mit einer gleichen Anzahl Auserkorener an einem sicheren Orte mit den Waffen im Kampfe bis zum Äußersten die offene und nackte Wahrheit an den Tag bringen können. Wenn dann die von Euch auserwählten Ritter, wie anzunehmen ist, da Gott stets der Partei seine Gunst zuwendet, auf deren Seite das Recht ist, überwunden worden sind, soll die Herzogin, seine Tochter, alles Verdachts und der tückischen Nachrede ledig sein, die gegen alle Ehre und Billigkeit ihren Namen befleckt haben.«

Da erwiderte ihm der König, der hartnäckig auf seiner Meinung von der Schuld seiner Schwägerin beharrte, es sei nicht vernünftig, eine so klare und unzweifelhafte Sache wie diese der Entscheidung durch die Waffen zu unterwerfen und so viele Ritter der Lebensgefahr auszusetzen, er möge daher heimkehren und dem Herzog Galeazzo sagen, er solle einen andern Weg einschlagen, wenn er seine Tochter von der Schande reinigen wolle. Und sobald er dies gesagt hatte, zog er sich zurück und ließ Giacomo dal Verme stehen, der darob sehr verstimmt war. Dieser nahm bald darauf die Tür in die Hand, kehrte eilend nach Mailand zurück und erzählte gleich nach seiner Ankunft daselbst dem Herzog alles, was zwischen ihm und dem Könige vorgefallen war. Über diesen Hochmut geriet der Visconte in noch viel größeren Zorn als zuvor. Ohne daher einen Augenblick Zeit zu verlieren, sandte er nach Frankreich, um ihm den Krieg anzusagen. Gleichzeitig schickte er Boten an den Papst nach Avignon, an den Kaiser nach Deutschland, sowie an fast alle christlichen Fürsten, um sie von der ihm vom König von Frankreich angetanen Beleidigung in Kenntnis zu setzen. Auch ließ er ihnen Bericht erstatten von der Mühe, die er sich gegeben hatte, ihn von dieser falschen Ansicht abzubringen, bevor es mit ihm zu offenem Kriege käme; und er entschuldigte sich bei Gott und bei allen Fürsten und anderen Staatshäuptern, wenn er es versuche, eine so schwere und bösartige Beleidigung mit den Waffen zu rächen.

Nachdem der Papst von allem voll unterrichtet war, sah er mit dem Lichte der Klugheit voraus, wieviel Schaden, Zerstörung und Brand dieser Krieg der gesamten Christenheit verursachen könne und überlegte sich als ehrlicher, gütiger und gottesfürchtiger Mann nach allen Richtungen, wie er ihn wohl abwenden könne. Und wie er, voll gerechten Sinnes aufs sorgsamste den Ursprung dieses Zwistes erwog und fand, daß er infolge der Unterstellungen und Worte der Ärzte entstanden sei, die zur Verhüllung ihrer Unfähigkeit, die Krankheit des Königs zu erkennen, tückischerweise der Herzogin Valentina diese Schande angehängt hatten, da sandte er sogleich an den Hof von Frankreich und bat den König, ihm so schnell wie möglich einige jener Ärzte nach Avignon zu schicken, die behauptet hätten, er sei von der Herzogin von Orléans, seiner Schwägerin, durch Zauberei verhext worden.

Der König verfehlte nicht, dem Papste diesen Gefallen zu tun und sandte ihm unverzüglich zwei dieser Ärzte, die, sobald sie in Avignon eingetroffen waren, aufs eingehendste vom Papste verhört wurden. Da nun die Wahrheit nicht lange unter den mottenfräßigen Flügeln der Lüge verborgen bleiben konnte, erkannte dieser heilige Mann, daß die Ärzte durch ihre außerordentliche Tücke die Ursache eines so verderblichen Zwistes gewesen seien. Nachdem er sodann den gegen sie angestrengten Prozeß dem Könige im Protokoll übersandt hatte, ließ dieser sofort die in Paris zurückgebliebenen Ärzte ins Gefängnis werfen und der Folter unterziehen. Hier bekannten sie denn auch in Übereinstimmung mit den beiden ersten alle ihre Verruchtheiten und wie sie tückischerweise die Herzogin Valentina der Schande überliefert und beinahe zur Erhaltung ihres Rufes der gesamten Christenheit die Waffen in die Hand gezwungen hatten. So wurden auf Grund des Urteils jener Richter, denen die Untersuchung des Falles oblag, diese verbrecherischen Ärzte zum Scheiterhaufen verdammt und die in Paris wie die in Avignon befindlichen fast am gleichen Tage verbrannt.

Der König von Frankreich, der noch kurz zuvor mit Hilfe König Richards von England, dem er einige Monate vorher die Königin Isabella, seine Tochter, zum Weibe gegeben hatte, in Italien einen gar gewaltigen und grausamen Krieg gegen den Herzog von Mailand zu führen gedachte, zu welchem Ende er bereits im Einverständnis mit dem Herzog von Savoyen Kriegsmaterial über die Berge hat schaffen lassen, ließ infolgedessen die kriegerische Hitze in seinem Herzen sich so sehr abkühlen und erlöschen, daß er alle seine Wünsche auf die Erhaltung des Friedens richtete. Und noch mehr war er darauf bedacht, nachdem ihm von einem aus Ungarn angelangten Kurier die schlimme Kunde überbracht wurde, daß der König von Ungarn, sein Vetter, bei der Belagerung von Nikopoli eine gewaltige Niederlage durch die Türken erlitten hatte. Zu dessen Unterstützung hatte er zuvor in Begleitung des Herzogs von Burgund viele hervorragende Herren und Ritter des Königreichs mit einer stattlichen Menge Kriegsvolks und reichem Gefolge gesandt, durch deren Verlust das Königreich Frankreich erheblich geschwächt wurde. Daher kam es ihm sehr gelegen, daß die Mißhelligkeiten, die zwischen ihm und dem Herren Galeazzo Visconte wegen der Herzogin Valentina entstanden waren, durch die Einwirkung des Papstes ihre Beilegung fanden.


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