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Ascanio De' Mori

1.

Messer Maffeo Strada wird von seinem Neffen für wahnsinnig gehalten. Um ihn zu heilen, läßt dieser ihm Zugpflaster auf die Schultern legen und bringt ihn beinahe um

Es lebte einst in unserer Stadt Mantua ein hochangesehener Bürger namens Messer Maffeo Strada, ein Mann von sechzig Jahren, der einen guten Lebenswandel führte und in seinen Geschäften eifrig, wachsam und klug war. Nachdem seines Bruders Weib und dieser selbst gestorben waren, nahm er, der Pflichten der Bruderliebe eingedenk, da er selbst unbeweibt und allein lebte, deren kleinen hinterbliebenen Sohn in sein Haus, ließ ihn unterrichten und in den Wissenschaften unterweisen und verwaltete ihm gewissenhaft das väterliche Erbe. Als nun der Knabe besser herangewachsen war, nahm er ihn, um nicht gegen die Pflicht der christlichen Liebe zu verstoßen, von der Schule, da er ihm nicht sehr geeignet für die Wissenschaften schien, unterwies ihn in den häuslichen Angelegenheiten und gewöhnte ihn allmählich daran, damit er im Laufe der Zeit selbst imstande sein möchte, ein Hauswesen zu verwalten. In dem Burschen hatten sich die guten Eigenschaften des Oheims durch die Praxis so gut durchgesetzt, daß sich männiglich darüber verwunderte und beide hohes Lob ernteten. Infolge dieser Anerkennung noch weit mehr angespornt, bemühte sich der Junge weit mehr als solche Knaben es sonst zu tun pflegen, immer besser zu werden. Infolgedessen erwarb er sich mit jedem Tage mehr die Gunst seines gütigen Oheims, der ihm allmählich so viel Liebe entgegenbrachte, als wenn er aus dessen eigenen Lenden hervorgegangen wäre, wohingegen der Bursche ihn wiederum wie seinen leiblichen Vater liebte, ehrte und fürchtete.

Während die Dinge in dieser Weise ihren Lauf nahmen, geschah es eines Tages im Herbst, daß der gute alte Mann infolge einer Überanstrengung einen Terzanfieberanfall bekam, der bei einem Jüngling nichts zu sagen gehabt hätte, bei einem Mann in seinem Alter aber und in jener Jahreszeit gefährlich war. Federico – so hieß der Bursche – war daher ganz verzweifelt, lebte in qualvoller Besorgnis, war auf die rührendste Weise auf das Wohl seines Oheims bedacht und tat, ohne Kosten und Mühe zu scheuen, alles, um ihm zu helfen und ihm seine Gesundheit wiederzugeben. Sein Eifer nun (von Gottes heiliger Hand zu schweigen) und die gute Pflege des Arztes, den er geholt und reichlich entschädigt hatte, brachte ihn in wenigen Tagen wieder auf die Beine; denn das Übel war an sich, wie gesagt, nicht bösartiger Natur, worüber Federico die größte Beruhigung empfand.

So war denn Messer Maffeo genesen, wiewohl noch schwach und angegriffen, und hatte vom Arzte die Anweisung erhalten, ohne daß Federico etwas davon wußte, sich jeden Tag gegen Mittag für eine Weile nackt ins Bett zu legen und gut zugedeckt zu schwitzen, damit auch die letzten Reste der Krankheit, die ihm etwas Verstopfung verursacht hatte, beseitigt würden. Dies begann er denn auch zu tun, aber bald bereute er es; denn gleich am ersten Tage, als er damit den Anfang machte, kehrte Federico, der vorher zufällig das Haus verlassen hatte, heim und fragte, da er den Oheim nicht sah, sogleich eine Magd nach ihm, und da sie nicht gleich mit der Sprache herauswollte, gab ihm das Anlaß zur Befürchtung, sein Oheim möchte einen Rückfall bekommen haben. Er lief daher zur Kammer, öffnete vorsichtig die Tür, trat ganz leise ein, als hätte er Eier unter den Füßen, um den Alten nicht zu stören oder aufzuwecken, falls er etwa eingeschlafen wäre, beugte sich, sein Gesicht suchend, über ihn und fand, daß er unter einem Berg von Decken lag, mit denen er sich hatte bepacken lassen, um zu schwitzen. Er begrüßte ihn, da aber sein Gruß von ihm nicht wie gewöhnlich erwidert ward und Maffeo, um seine Lage zu bewahren, ihn mit einer Bewegung des Kopfes bedeutete, ihn zu verlassen, begann der mitleidige Bursche, der nunmehr fest überzeugt war, sein Oheim habe einen Rückfall erlitten, zu klagen und sich gewissermaßen Vorwürfe zu machen über die geringe Sorge, die er um ihn getragen. Darüber lachte Messer Maffeo anfangs heimlich, als aber Federico sich in immer lauteren Klagen erging, meinte er, daß allein schon die Anwesenheit seines Neffen im Krankenzimmer und nun gar die Pein, die er ihm durch seine kindlichen Worte verursachte, den Ausbruch des Schweißes verhinderten, und so sagte er ein wenig ärgerlich zu ihm: »Mach um Himmelswillen, daß du fortkommst und belästige mich nicht!«

Federico aber antwortete: »O wie schmerzt es mich, Oheim, daß Ihr einen Rückfall erlitten habt! Aber warum eile ich denn nicht zum Arzt, damit er Euch alsbald wieder herstelle. Wenn man dem Übel gleich von vornherein begegnet, kann es nur selten Wurzeln fassen.« Kaum hatte er dies gesagt, als er sich auch schon auf den Weg machte.

Als der Alte die Behendigkeit des Neffen sah, erhob er, da er ihm im Augenblick nicht erzählen wollte, was er und der Arzt miteinander abgemacht hatten und sich sowohl durch den Schweiß, der ihm aus allen Poren zu brechen begann als auch durch Federicos Einfalt beschwert fühlte, die Stimme, um auch jenseits der Kammertür gehört zu werden, und rief: »Geh nicht! Zu wem willst du denn? Kehr um! Hol dich der Henker!« Aber so wenig er zum Arzt gehen sollte, sollte er auch in die Kammer zurückkommen, und so setzte Maffeo, kaum daß er ihn wieder eintreten sah, hinzu: »Mach, daß du fortkommst, du bringst mich noch um mit deinen Narrheiten, du dummer Tropf!«

Der Bursche, der, wie gesagt, auf den ersten Ruf in die Kammer zurückgekehrt war, wunderte sich, da er die Absicht des Oheims nicht kannte und sich nun so barsch mit häßlichen Worten, die ganz und gar von der gewohnten Freundlichkeit des Oheims abstachen, fortgeschickt sah, über alle Maßen, trat ans Bett und beugte sich über ihn. Wie er nun sein ganzes Gesicht verändert und seine Augen in außergewöhnlichem Feuer glühen sah, begann er zu fürchten, der Oheim möchte verrückt geworden sein. Voll Schmerz hierüber, erschreckt, ja bestürzt, konnte er zu keinem Entschluß kommen, ob er zum Arzt laufen oder in der Kammer bleiben solle. Während er also schwankte und dem Oheim fortwährend starr in die Augen sah, die von steigendem Zorn entflammt, immer sprühender wurden, gab er dem Alten, der ihn bei seiner Begriffsstutzigkeit beharren sah, Anlaß, ihn ganz gegen seine Gewohnheit mit noch unfreundlicheren Worten anzufahren: »Zum Henker! mach, daß du mir aus den Augen kommst mit deinem albernen Benehmen. Geh zum Teufel in die Hölle, da du nicht anderswohin gehen willst. Hörst du mich denn nicht? Du elender Lümmel!«

Wenn der Bursche bereits vorher den Argwohn gehabt hatte, der Oheim wäre verrückt geworden, so steigerte sich ihm, als er dieses neue so ungewohnte Donnerwetter vernahm, dieser Glaube zur Gewißheit, aber dennoch wußte er, das seinem Oheim widerfahrene Unglück beklagend, nicht, ob er gehen solle. Da erhob sich Messer Maffeo, der ihn unter allen Umständen loswerden wollte, endlich voller Wut in seinem Bett, um nun zu etwas anderem seine Zuflucht zu nehmen, als zu Worten. Federico aber, der dies für eine Folge seiner Krankheit hielt, sprang voller Mitleid herzu, um ihn festzuhalten und wieder ins Bett zurückzudrücken. Messer Maffeo jedoch entwand sich ihm und stand auf, um einen Stock zu holen, der sich in der Nähe befand.

In Federico, der ihm immer dicht auf den Fersen war und ihn nicht zu Atem kommen ließ, bestärkte sich immer mehr die Überzeugung, der Oheim sei verrückt geworden, zumal Maffeo ihm, wie das bei Leuten zu geschehen pflegt, die von übergroßem Zorn befallen sind, mit jedem Augenblick mehr Anlaß dazu gab. Und so ging die Jagd eine gute Weile fort. Federico wollte ihn packen, Messer Maffeo aber wollte sich nicht packen lassen. Federico ohne Mütze, zerzaust, den Mantel halb auf der Schulter, halb auf der Erde; Messer Maffeo ohne Strümpfe, im Hemd, mit einer Haube auf dem Kopf, tropfnaß von Schweiß, erhitzt durch das Laufen und den Ärger, so boten die beiden ein ebenso lächerliches wie mitleiderweckendes Schauspiel.

Zuletzt aber ward der schwache alte Mann durch den frischen kräftigen Burschen trotz allen Widerstrebens bewältigt: er mußte sich ihm fügen, da er kein Wort mehr sprechen, ja kaum mehr schnaufen konnte, überhaupt zu allem unfähig war, und sich Federico auf Gnade oder Ungnade ergeben. Dieser schlang seine Arme um ihn, trug ihn zum Bett, begrub ihn dort unter dem Berg von Decken, der ihn vorher bedeckt hatte und rief aus: »Ach Gott, wer hätte gedacht, daß ein so kluger Mann den Verstand verlieren könne!« Damit verließ er schnell die Kammer, drehte den Türschlüssel um, steckte ihn zu sich und befahl der über all dieses Geschehnisse höchst verwunderten Magd ausdrücklich, das Haus nicht zu verlassen. Er selbst aber flog zum Arzt, um ihm das sonderbare Mißgeschick des Oheims zu berichten. Unglücklicherweise fand er ihn gerade im Begriff, an den Hof zu gehen, der nach ihm geschickt hatte, damit er eines der Mitglieder des fürstlichen Hauses in Behandlung nehme. So hatte er kaum Zeit, ihn über den Fall zu unterrichten und ein wenig ärztlichen Rat von ihm zu erhalten: nämlich dem Kranken sofort ein Zugpflaster auf die Schultern zu legen. Später wollte der Arzt nach dem Patienten sehen und ihm, wenn nötig, andere Arzneien verordnen.

Federico, den die vermeintliche Verrücktheit des Oheims aufs tiefste bekümmerte, hielt sich unterwegs nicht auf, sondern lief spornstreichs zum Bader. Zu seinem (aber nicht zu des guten Alten, der von ihm so mißhandelt werden sollte) Glücke traf er ihn auch unbeschäftigter als er den Arzt getroffen hatte. Er fand ihn mit Freuden bereit, seine Wünsche zu erfüllen, und unverzüglich machten sich beide auf den Weg zu dem Kranken; denn dem Burschen schien jeder Verzug äußerst gefährlich. Unterwegs erzählte er dem Meister unter Klagen und Seufzern ausführlich von dem Unglück des Oheims und bat ihn, sich seiner aufs beste mit allem Fleiß anzunehmen, er würde ihn reichlich dafür belohnen, worauf der Bader seine ganze Kunst anzuwenden verhieß.

Kaum hatten sie das Haus erreicht und waren eingetreten, als ihnen die alte Magd mit gerungenen Händen entgegenstürzte und ihnen unter einem Strom von Tränen von dem wilden Toben, dem Gepolter und den bösen Worten des Herrn während Federicos Abwesenheit berichtete. Er habe es noch ärger getrieben als vorher. Denn als sich der arme Mann zu all dem Ärger, den der närrische Neffe ihm bereitet hatte, auch noch auf diese Weise eingesperrt sah, führte er sich wirklich wie ein Verrückter auf. Und welcher Salomo wäre in dieser Lage nicht verrückt geworden? Wer, abgesehen von Hiob, hätte nicht die Geduld verloren, wenn er sich so ärgern, zum Zorn reizen und endlich von einem, man kann wohl sagen Diener, als verrückt einsperren gesehen und die Strafe für andrer Leute Narrheit tragen müßte?

Es fiel den Beiden nicht schwer, an das zu glauben, was ihnen die Magd erzählte; denn nun vernahmen sie es auch selbst, da Messer Maffeo, obwohl abgespannt und matt, nicht aufhörte zu fluchen, zu schreien und mit Gewalt die Tür aufbringen wollte. Da sprach Federico zum Barbier gewandt: »Sagte ich's Euch nicht, daß seine Verrücktheit immer mehr zunehmen würde? Aber was wollen wir tun?«

»Das beste wird sein, wir warten ab, bis er sich beruhigt hat«, erwiderte der Barbier; »es könnte ja leicht sein, daß er, von Müdigkeit übermannt, binnen kurzem zur Ruhe kommt, dann werden wir zu ihm gehen und das Pflaster leichter auflegen können, wo es hingehört.«

Federico aber, von übergroßem Mitleid bewegt und von größtem Verlangen erfüllt, den Oheim von seinem Übel befreit und wieder gesund zu sehen, fürchtete, das Zuwarten könnte ihm schaden und sagte: »Nein, nein, wir wollen nicht zaudern. Wer die günstige Gelegenheit hat, soll nicht auf sie warten, gehen wir ruhig hinein und schmieden wir das Eisen, so lange es heiß ist. Kommt nur mit mir! Fürchtet Euch nicht vor ihm, ich werde ihn Euch so gut festhalten, daß er sich nicht rühren und regen kann.«

Der Bader bat ihn jedoch, sich noch zu gedulden und nichts zu überstürzen; denn eine eilfertige Katze werfe unfertige Junge, und Federico willigte schließlich ein, wenn auch ungern.

Der gute alte Mann drinnen hatte sich unterdessen, nachdem er sich weidlich abgeplagt und erbost hatte und gesehen, daß er nichts ausrichten konnte, von Zorn, Ärger und Müdigkeit überwältigt, wieder ins Bett begeben, wo er endlich in tiefen Schlaf gefallen war.

Federico, der dieses Zögern nur mit Ungeduld ertrug, wandte sich, sobald sich drinnen nichts mehr regte, zum Barbier und sagte: »Auf! laßt uns sehen, was es gibt und was wir schnell machen können.«

Damit öffnete er die Tür, trat ganz leise ein, und als er den Oheim schnarchen hörte, rief er eilig den Bader herbei, der ihm voller Angst zögernd ans Bett folgte.

Als Federico den Armen schlafen sah, flüsterte er dem Bader zu: »Es konnte sich gar nicht besser treffen. Schnell ans Werk, so lange er schläft!« Kaum hatte er das gesagt, da schlang er seine Arme fest um Messer Maffeo und der Bader machte sich daran, ihm die Pflaster auf die Schultern zu legen. Darüber erwachte Messer Maffeo, sah die beiden bitterböse an und schrie sofort los: »Was Teufel fällt Euch Bestien denn ein? Schert Euch fort!« Und mit Fäusten, Fußtritten und Zähnen mühte er sich, freizukommen; doch vergebens; denn Federico, den die Liebe und das törichte Mitleid beherzt und stark machten, hielt ihm die Arme auf dem Rücken fest und drehte ihn derart nach rechts und nach links, daß der arme Messer Maffeo kaum noch schnaufen konnte. Indessen machte Federico dem Bader Mut, der von dem zornigen Alten ein paar Faustschläge ins Gesicht bekommen hatte, die ihm wirklich von einem Tobsüchtigen zu kommen schienen, und sich mit dem Gedanken an Flucht zurückgezogen hatte, eingedenk des Sprichworts: »Wer den Narren aus dem Weg geht, hat gute Reise.«

Der Bursche redete ihm zu, dazubleiben und sich nicht zu fürchten, vielmehr seine Pflicht zu tun, er wolle ihn schon gut vor seinem Oheim schützen. Da er aber merkte, daß der Meister sich heimlich davonmachen wollte, bedrohte er ihn heftig und zwang ihn durch zornige Worte, ihm beizustehen, worauf der Bader, obwohl vor Furcht zitternd, näher kam, gute Miene zum bösen Spiel machte, dem Alten hastig die Pflaster auf die Schultern pflanzte und sich dann, ohne den Lohn abzuwarten, schleunigst davon machte, indem er sich verschwor, sich nie wieder zu ähnlichen Geschäften verwenden zu lassen.

Allen Klagen und Bitten des unglücklichen Messer Maffeo gegenüber blieb Federico taub und band ihm Hände und Füße, damit er das Heilmittel nicht von den Schultern entfernen könne. Nach vollbrachtem Werk verließ er das Haus und ging zum Arzte. Dieser war endlich am Hofe fertig geworden und kam unterdessen auf einem andern Wege, um den von neuer Krankheit heimgesuchten Patienten zu besuchen. Als er ihn unter der Obhut der Magd im Bett sah, ganz rot im Gesicht, obwohl er kaum noch lebte, mitgenommen und geschwächt durch Ärger, Anstrengung, durch die Fesselung und die Krebse von Zugpflastern, die an seinem Fleische fraßen wie wütende Hunde, oder vielmehr wie gierige Wölfe, da richtete er einige geschickte Fragen an ihn. Als er ihn aber wenig klar und zusammenhängend reden hörte – arbeitete doch die Wut über die ihm widerfahrene Behandlung in dem erregten Alten fort –, da hielt er ihn in der Tat für übergeschnappt und meinte, es bedürfe bei ihm eines noch kräftigeren Heilmittels. Er sprach daher mit der Magd, die zugegen war, ohne sich weiter um Messer Maffeo zu kümmern, der nach seiner Meinung, da er den Verstand verloren, nicht auf seine Worte passen würde.

Ich brauche nicht zu versichern, daß der arme Mann fast verging, daß es an ihm fraß, als er vernahm, daß dieser neue Peiniger ihm die Wunden nochmals aufreißen wollte: er wäre darüber beinahe wirklich närrisch geworden. Er verfluchte im stillen die Stunde und den Augenblick, da er den verwünschten Neffen ins Haus gezogen hatte; nach einer Weile jedoch, als sein Zorn ein wenig abgenommen hatte, sah er ein, daß er sich mit Geduld wappnen und sein Benehmen ändern müsse, wenn es ihm nicht noch schlimmer gehen solle. So machte er denn aus der Not eine Tugend, gab endlich der Vernunft Raum, die ihn alsbald die Gefahr für Leben und Ehre erkennen ließ, die er lief, wenn er nicht den Zorn bezähmte, der ihm bis zur Stunde so viel Unglück gebracht hatte. Er änderte also sein Verhalten, mäßigte sich und begann ruhig und vernünftig zu reden, so daß der Arzt in ihm den klugen und verständigen Messer Maffeo wiedererkennen konnte, als der er stets gegolten hatte und jedermann bekannt war, den Messer Maffeo, der nur durch die Narrheit des törichten Neffen einen Augenblick für verrückt gehalten werden konnte.

Der Arzt nahm ihm die höllischen Zugpflaster von den Schultern und erquickte ihn fürs erste durch auserwählte Speisen; fürs erste, sage ich; denn um ihm seine frühere Gesundheit wiederzugeben, bedurfte es nahezu eines Monats; denn die Zugpflaster hatten ihm noch schlimmer zugesetzt als das Fieber.

Später erzählte der gute Alte dem Arzt die ganze Geschichte von Anfang an, und dieser wollte sich bald ausschütten vor Lachen, bald kamen ihm vor Mitleid die Tränen in die Augen.

Federico kehrte indessen verstimmt, daß er den Arzt nicht gefunden hatte, nach Hause zurück, ging geradeswegs in die Kammer des Oheims, und als er beim ersten Blick der auf dem Boden verstreuten Fesseln und Pflaster ansichtig geworden war, las er sie, ohne auf den Arzt aufmerksam zu werden, auf, in der Meinung, die Magd habe sie aus blindem Mitleid dem Oheim abgenommen, worauf er sich dem Armen näherte, um ihn abermals zu binden und ihm das Heilmittel aufzulegen. Der Unglückliche fiel vor Furcht fast in Ohnmacht, das dumme Tier von Neffe könne ihn abermals anfallen und mißhandeln, hatte er doch schon zur Genüge sein unmenschliches Mitleid kennen gelernt. Aber er begann nicht mehr wie vorher zu schreien, sondern rief den Arzt und die Magd zu Hilfe, denen es nur mit Mühe gelang, ihn zu verteidigen und Federico klar zu machen, daß der Oheim nicht verrückt wäre.

Als das nach geraumer Zeit endlich doch gelungen war, bat er den Oheim tausendmal um Verzeihung für seinen Irrtum und dieser ließ sich auch leicht bewegen, ihm zu verzeihen, da er selbst wußte, daß das Ganze nur eine Folge der Unwissenheit und allzugroßen Liebe seines Neffen war. Hierauf verabschiedete er unter vielen Danksagungen den freundlichen Arzt und war geraume Zeit darauf bedacht, sich zu kräftigen. Zu schwitzen hatte er nicht mehr nötig; denn das Pflaster hatte ihm jede Verstopfung aus den Adern gezogen. Er nahm dann auch auf geschickte Weise dem Neffen, den er allzu eifrig darauf bedacht sah, die Sorge um sein Leben ab. So handelte er, eingedenk des volkstümlichen Sprichworts: »Ein verbrühter Hund scheut das kalte Wasser« gerade wie der Bauer Martino, der den Stall verschloß, nachdem ihm die Ochsen gestohlen worden waren.

 

2.

Unschuldiges Gift

Salò, der Hauptort am Ufer des Gardasees, gehört zum Brescianer Gebiet, wird gebadet von den klaren Wellen des berühmten Benacus und ist ein gar gesitteter Ort, aber sehr unfruchtbar, weil es nur auf einem schmalen Streif liegt und von einem großen Berge überragt, ja fast eingeschlossen wird. Daher kommt es, daß die Einwohner gewerbsam und vorzugsweise zur Handelschaft geneigt sind, weshalb sie auch sehr geldreich und stolz sind. Eine weitere Folge hiervon ist, daß ein beständiger Wetteifer unter ihnen herrscht und sie oft miteinander um den Vorrang streiten. So etwas begegnet an anderen Orten in der Nachbarschaft nur selten, weil die Bewohner derselben weder solchen Geldreichtum, noch überhaupt solchen Wohlstand besitzen. Dort also war in früherer Zeit ein Kaufmann namens Simone, einst arm und dürftig, durch Handel aber reich geworden und gut ausgestattet mit Gütern, die ihm das Glück geliehen. Er hatte große Geschäfte in Venedig, in Lyon, in Antwerpen und an verschiedenen anderen Orten. Dieser kam nun in einen Rangstreit über den Vortritt (eine närrische Laune, die schon in gewissem Betracht Adligen schlecht steht, geschweige Handelsleuten), er kam, sage ich, in Rangstreit mit einem anderen Kaufmann, der nicht minder reich, aber auch nicht minder stolz und töricht war, als er, und der Wetteifer wuchs so von Tag zu Tag, daß jeder von ihnen sein Haus voll hatte und jenem traurigen Geschlecht, das wir Schacher nennen, die aber vielleicht schicklicher Zerstörer der Hühnerhöfe und Weinkeller heißen könnten, die mit Possen die Leute umbringen und in Schrecken setzen und aus ihren garstigen Mäulern nichts hervorzubringen wissen, was nicht durchweg zur Entehrung des Schöpfers gereichte, und die, um ihre törichte Kraft zu versuchen, sich des Nachts damit erlustigen, irgendein armes Weibchen damit zu peinigen, daß sie ihr Fenster und Türen zerschlagen und tausend ähnliche Belästigungen verursachen. Mit derlei Gesindel also hatten die beiden Kaufleute ihre Häuser gefüllt, damit ja keiner dem andern es irgend zuvor tue; und damit es ihnen nicht an solchen Leuten fehle, erhielten sie mit dem größten Aufwand die Geschäftsführer in den benachbarten Orten, welche reichlich und ohne Rückhalt in diesem häßlichen Treiben vergeudeten.

Es begab sich nun, daß einer von ihnen, genannt der Barbaccia, zu solchen Geschäften von Messer Simone zu Medole bezahlt und unterhalten, sich die Sache recht angelegen sein ließ und nur darauf bedacht war, ihm dergleichen Leute zuzuschicken, einen jungen Mann sah namens Innocenzio, der aber gemeinhin nur Ciente genannt wurde, und so aussah und lebte, daß er mehr für die Hacke, als für den Degen zu passen schien, den ganzen Tag im Freien umherirrte, belastet und gedrückt von einem Eisenpanzer, Degen und Dolch an der Seite, mit zwei bis drei Schießgewehren im Gürtel, einen verrosteten Sichelspieß auf der Schulter, den Kopf keck zurückgeworfen. Er war früher seines Handwerks ein Wollarbeiter gewesen, hatte aber Kämme und Kartätschen in den Winkel geworfen und sich in den Kopf gesetzt, sich im Waffenwerk auszeichnen zu wollen. Barbaccia hielt ihn für einen recht tapferen Mann mit dem Schwert in der Hand, da er ihn so gut geharnischt und mit Waffen überhäuft und belastet sah. Er nahm sich daher vor, ihn mit Messer Simone zusammenzubringen, machte ihm die weitestgehenden Anerbietungen und versprach ihm guten Sold, gutes Auskommen und Unterhalt, außer der reichlichen Tafel, an der er sich morgens und abends niedersetzen könne, wofern er sich dazu verstehe, bei Messer Simone in Dienst zu gehen. Barbaccia hatte leichtes Spiel, denn Ciente wünschte nichts anderes, da er ein Todfeind der Anstrengung und des Mißbehagens war, das ihm nunmehr immer auf dem Fuße folgte. Er entschloß sich daher kurz, und ohne weiteren Aufschub machte er sich mit einem Beglaubigungs- und Empfehlungsschreiben von Barbaccia morgens beizeiten nach Salò auf den Weg, kam genau um die Stunde des Abendessens daselbst an, stellte sich Messer Simone vor und übergab den Brief. Nachdem er ihn gelesen und daraus das ehrenvolle Zeugnis entnommen hatte, welches Barbaccia dem Ciente gab, musterte er ihn mehrmals mit seinen Blicken vom Kopf bis zum Fuß, und da er ihn geeignet fand für seine Bedürfnisse, nahm er ihn gern an und schmeichelte ihm sehr, so daß der gute Gesell bei ihm blieb viele Monate und Jahre, und als später Frieden erfolgte, fand er den Boden so fett und weich, daß er nachher als Lustigmacher in Dienste ging, wo er bis dahin als Soldat gekämpft hatte, dieweil er auch in jener anmutigen und sichern Kunst viel mehr sein Glück machte, als in diesem bittern und gefahrvollen Handwerk; war er doch von Natur weit mehr redselig und witzig als mutig und stolz. Während er nun sich dort aufhielt, fielen seine Blicke mehrmals auf ein kleines giftiges Frätzchen, die Tochter eines armen Alten aus dem Gebirge, die sich im Hause des Messers Simone aufhielt und verschiedene Dienste verrichtete. Er verliebte sich mehr als in sie in einiges Geld, das, wie sie behauptete, ihr Vater ihr als Mitgift geben wolle, nebst einer kleinen Hütte, die er nicht weit von dort in einem Dorfe, Thei mit Namen, besaß. Diese Hütte hatte der gute Kerl mit großen Mühsalen erworben, wie Lasttragen, Holzspalten und andern ähnlichen Plackereien, welchen er sich sein Leben lang unterzog. Ciente verliebte sich also in diese kleine Barschaft mehr als in das Mädchen, und es gelang ihm, sie zur Frau zu bekommen mit der Empfehlung des Messer Simone, die ihm nicht weniger half als seine eigene Bemühung. Als er sie nun besaß, hätte er mit dem Gewinn zufrieden sein können; aber es fiel ihm ein, mit dem Gelde, das sie ihm zubrachte, ein wenig Handel zu treiben, um es in dem Maße zu vermehren, daß er nachher in seinem Alter davon in Ruhe leben könne, wenn es ihm einmal entleidet sei, fremdem Brote nachzugehen. Sein Plan gelang ihm um so leichter, als er damals von Herrschaftswegen im Hause seines Gebieters samt seiner Frau Unterhalt finden konnte; dazu kamen noch die Geschenke, die er von ebendemselben und von andern Ortsangehörigen erhielt für seine Späße, außerdem die Ersparnisse Bartolommeas (so hieß sein Weib) vom Waschen, Spinnen und anderen dergleichen weiblichen Geschäften, was am Ende des Jahres doch auch ein Sümmchen ausmachte. Aber das Geschick setzt sich gern menschlichen Gedanken entgegen, und so widerfuhr es auch ihm und ließ ihn tölpischerweise etwas ganz andres ernten, als er erwartet hatte. Ihm schien nämlich Bartolommea weit mehr in die Augen fallend als ihrem Stande angemessen war, und da sie genötigt war, bald da, bald dorthin in fremde Häuser zu gehen und an den See, um zu waschen und sonstige Geschäfte zu besorgen, da er sie ferner als viel kecker und lebhafter als billig kannte und aus Erfahrung wußte, daß sie auf gewisse Dinge mehr aus war als Katzen auf den Speck, wurde der arme Tropf so närrisch eifersüchtig und so übel aufgelegt, daß weder er noch sie eine gute Stunde mehr hatten; er wegen des unermüdlichen Wurms, der ihm am Herzen nagte, und sie, weil der eifersüchtige Narr ihr beständig die Fäuste auf dem Rücken einübte. Er gab daher den Plan mit dem Handel ganz auf und dachte an kein Geschäft mehr, als sich selbst und sein armes Weib zu plagen, denn wenn er zum Unstern je und je bemerkte, daß sie sich umsah, stieg ihm gleich das Blut in den Kopf, er meinte, sie schlage ihm ein Schnippchen und sende ihn nach Hornberg, und überhäufte sie mit Schlägen; sie mochte nun umsehen oder nicht, sprechen oder schweigen, gehen oder bleiben, immer hatte er einen Grund, sie zu verdächtigen. Kurz, sie konnte gar nichts tun, was ihm gefiel. Jeden Morgen machte sich der Unglückliche ein Vergnügen daraus, ihr zuzumuten, daß sie ihm erzähle, was sie die Nacht über geträumt habe. Da ertappte er sie denn einmal über das andere auf einem Wörtchen, das denn gehörig hin- und hergedreht, verdächtig werden konnte; dann aber, die Faust ans Geschäft! Ich übergehe die Schimpf- und Scheltworte, die er ihr dabei sagte, indem er sie immer leichtsinnig, schamlos und untreu nannte. Als das arme Weibchen sich in so gottlose Hände gefallen und ganz unverschuldeter Weise so schlecht behandelt sah, wußte sie sich gar nicht mehr zu helfen und zu raten und sah ganz und gar keinen Ausweg. Ihr Vater war erst vor kurzem gestorben, ihre Mutter lange zuvor schon, treue Freunde hatte sie keine und auch von ihren Verwandten war sie weit entfernt. So zwang sie die Not, welche aus Schwachen und Schüchternen keine Helden macht, und nachdem ihr die verschiedensten Entschlüsse durch den Kopf gegangen waren, kam sie auf den Gedanken, den sie auch hartnäckig festhielt, wie es bei verzweifelten Weibervorsätzen zu gehen pflegt. Sie nahm sich vor, die erste Gelegenheit zu benützen, um ihren festen und wackeren Vorsatz auszuführen, und das Schicksal zögerte nicht, ihr eine solche zu bieten.

Ciente war nämlich eines Tages genötigt, wiewohl sehr ungern und nach vielen Krümmungen und Windungen, wie eine Schlange, die man zum Zaubern treibt, in Dienstangelegenheiten mit Messer Simone auszugehen, etwa fünf Meilen von seiner Wohnung weg, dem Ufer des Sees entlang. Übrigens hatte er seiner Bartolommea beim Abschied die Weisung erteilt, sich, wenn er zurückkehre, wieder so von ihm finden zu lassen, wie er sie beim Weggehen verlasse, sonst solle sie auf sein Messer oder auf einen Strick um den Hals gefaßt sein. Sie aber hatte bereits die Furcht und damit auch Tränen und Seufzer verbannt und einen Mut gefaßt, der über ihr Geschlecht hinausging. Kaum sah sie ihn also von seinem Hause weggegangen, so war sie der Ansicht, dies sei der günstige Augenblick zur Rache, und fing an, ihren Entschluß kühnlich ins Werk zu setzen. Im Nu hatte sie ihren Rock übergeworfen, verhüllte nach Landessitte den Kopf, nahm den Weg unter die Füße und flog nach der Apotheke mit ein paar Pfennigen, die sie sich zuvor zu eben diesem Zweck vor ihrem Gatten gerettet und in einem kleinen Loche der Mauer einer armseligen Wohnung geborgen hatte, welche Ciente der Bequemlichkeit halber hart an der Wohnung Messer Simones gemietet hatte. Sie erreichte endlich die Apotheke, grüßte artig den Apotheker und verlangte von ihm Gift für die Mäuse, welche ihr, wie sie behauptete, die Bettücher und, was noch schlimmer, die Kissen selbst zernagt hätten, weshalb die Federn herausgingen und sie genötigt sei, auf dem Boden zu schlafen. Dem Herrn Apotheker, der der boshafteste und weibersüchtigste Mann von der Welt war, stach sie gleich in die Augen, er bekam Absichten auf sie, antwortete ihr daher liebevoll und warf ihr allerlei höfliche und freundliche Worte zu, die lauter Schlingen waren, aber auf ihr Begehren auf Gift gar nicht paßten. So neckte er sie einige Zeit und da sie sich nicht spröde zeigte, um ihren Zweck zu erreichen, tastete er weiter und versuchte immer schmeichelndere Worte und Scherze. Sie aber, deren Gedanken durchaus auf den Tod ihres Mannes gerichtet waren und die nichts anderes wünschte, ging ihn fortwährend um das Gift an. Zuletzt, als sie sah, daß er gar nicht auf ihre Angelegenheit einging, und daß sie nur Zeit verliere, sagte sie: »Seid so gut, Messere, und macht, daß ich fertig werde, denn ich habe keine übrige Zeit hier zu weilen. Da ist Euer Geld.«

Meister Gia, der lose, der seine Augen gar nicht von ihr hinwegbrachte und nicht übel in Flammen stand, da sie ihm gar reizend und wie für ihn gemacht vorkam, und er nicht wußte, wer sie war, beschloß, sie nicht unbefriedigt zu entlassen, aber auch seinerseits Befriedigung zu begehren. Deshalb setzte er hinzu: »Kommt herein, schöne junge Frau, daß ich Euch besser anhöre, denn ich habe Euch nicht recht verstanden, und von dergleichen Dingen darf man nicht zu laut reden.«

Sie fügte sich sogleich willig, denn sie hatte im Hause des Messer Simone Zutrauen gelernt. Als sie nun in den Laden getreten war, gedachte der wackere Apotheker, der sich so bei der Quelle befand, ohne viel von ihren Angelegenheiten zu wissen, bei sich, sie unter allen Umständen zu seinem Vergnügen zu benutzen und als ein alter Fuchs, der wohl wußte, auf wieviel Beinen man gehen kann, auch mehr als eine Braut in sein Bett gelegt hatte, nahm er den Vorteil wahr, daß sie, wenn sie nur das Gift erhielte, sich ihm wohl ergeben werde, zumal sie mit fast leerer Hand gekommen war. Auch merkte er an der Dringlichkeit ihres Begehrens, daß sie kein Gift verlange, um die Mäuse zu töten, sondern um igrendein Unheil anzustellen, und daß sie, um es zu bekommen, sich jedem noch so harten Wagnis hingeben würde. Nachdem er also in Gedanken ins Reine gebracht hatte, wie er es anstellen wolle, um ihr ohne jemandes Nachteil ihren Willen zu tun und sie seinen Wünschen geneigt zu machen, sagte er zu ihr: »Meine Schöne, weiß Gott, ich möchte Euch von Herzen gerne dienen und nicht allein mit dem, was Ihr von mir verlangt. Aber wir Apotheker dürfen dergleichen Ware keinem Menschen auf der Welt geben, wenn wir ihn nicht auf das genaueste kennen und es steht Todesstrafe auf der Übertretung. Darum weiß ich zu meinem größten Bedauern Euch nicht gefällig zu sein.«

Die Frau merkte wohl, daß, wenn sie das Gift nicht bekomme, ihr Plan vereitelt sei, und wenn sie diesmal ihren Höllenteufel nicht aus dem Wege schaffe, sie Gefahr laufe, einmal selber das Leben einzubüßen. Daher bat sie ihn von neuem inständigst. Dies war aber dem neuen Liebhaber nur eine weitere Aufforderung, sie nicht weggehen zu lassen, ohne seine Absicht erreicht zu haben. Sie versicherte ihn zwar bei ihrer Ehre als rechtschaffene Frau, sie wolle es zu nichts, als um die Mäuse zu vergiften. Er war aber boshaft genug, sie noch mehr hinzuhalten und auszuforschen und fuhr fort: »Wahrhaftig, ich sehe nicht, wie ich Euch dienen kann ohne die augenscheinlichste Gefahr für mein Leben. Und ich hoffe, Ihr werdet mir nicht zumuten, dieses aus einer so geringfügigen Veranlassung auf das Spiel zu setzen.«

»Wehe mir«, versetzte sie und Tränen rollten ihr über die Wangen, denn es kostete sie keine große Mühe, heiße Tropfen ihren schönen Augen zu entlocken, welche ganz wie Feuerflämmchen glühten, und die darum auch den Apotheker um so heftiger unsichtbar angriffen und ihm große Hoffnung einflößten.

»Wehe mir«, versetzte sie, um so mehr glühend von Begierde, ihren Zweck zu erreichen, je mehr ihr die Hoffnung darauf in die Ferne rückte.

»So wollt Ihr also zugeben um des wenigen Giftes willen, daß die verruchte Brut mir mein bißchen Hausgerät vollends zugrunde richtet, das ich mit so viel Mühe erworben habe? Ihr seid doch ein grausamer Mann. Was für Unheil meint Ihr denn, daß ich damit anstellen könnte? Haltet Ihr mich für verrückt? Traut mir doch nicht solche Albernheit zu, daß ich etwas anstelle, was nicht ganz recht wäre. Ich bin nicht von der Art.«

Diese Gründe, welche Bartolommea mit so viel Feuer vortrug, steigerten den Verdacht, die Begier und die Kühnheit des klugen Apothekers. Er entgegnete daher von neuem: »Seht, schöne Tochter, ich habe Euch gesagt, welchen Schaden es mir bringen könnte, wenn ich Euch dieses Gift so leichtfertig verabreichte. Indeß, da ich Euerm Gesicht ansehe, daß Ihr verständig und rechtschaffen seid, und da es mir leid täte, wenn diese verdammten Tiere eine Frau zugrunde richteten, der ich jedes Heil für sie und Ihr Eigentum anwünsche, wenn es mich auch mein eigenes Herzblut kosten sollte ...«

Hier faßte er sie am Kinn und da sie stille hielt, trat er näher an sie heran und fuhr fort, indem er ihr mit gedämpfter Stimme fast ins Ohr sprach, um seinen Worten desto mehr Glauben zu verschaffen: »Ich bin bereit, Euch den Gefallen zu tun; und ich verlange dafür kein Geld von Euch; vielmehr bin ich bereit, Euch selber noch zu geben, wenn Ihr Euch dazu versteht, mir gleicherweise einen Gefallen zu tun mit Eurer Liebe und wenn Ihr mir versprecht, daß nie ein lebendes Wesen eine Silbe davon erfährt; denn Ihr wäret die Ursache meines ganzen Verderbens.«

Doch es brauchte bei dieser Frau nicht so viel Worte und Anerbietungen; er durfte nicht mit solcher Vorsicht zu Werke gehen. Sie war ja kein Tiger, auch nicht einmal eine Lucrezia; sie hatte vielmehr den Entschluß gefaßt, ihrem Manne etwas anzutun und noch schlimmer mit ihm umzuspringen; darum achtete sie das für nichts, da es ihr ja nichts kostet als die Mühe, das Kleid hochzuheben und wieder herabzulassen, zumal da sie sich bei jeder Gelegenheit so verhalten zu können dachte, daß man keine Spur davon merke. Wozu also solche Listen und Künste, da sie vollkommen gesonnen war, jeden Frevel zu begehen, um nur ihren gottlosen Zweck zu erreichen? Kurz, sie ließ sich nicht mehr lange bitten, sondern schlug die Augen nieder, gab seinem Gesuche nach und ließ sich von ihm leiten, der sich ihrer schon, wie ein Raubvogel seiner Beute, bemächtigt hatte. Er nahm sie bei der Hand und führte sie gleich in ein gewisses geheimes Kämmerchen, wo er ein kleines Bett bereitet hatte, das für dergleichen Geschäfte ganz passend eingerichtet war, und hier klopfte er ihr den Staub aus. Ehe er aufstand, begoß er aufs gründlichste den Garten, den für ihn trocken zu erhalten Ciente auf strengste befohlen hatte. Sodann reichte er ihr statt Gifts Feigenbohnenmehl und schärfte ihr noch mehrmals ein, alles recht geheim zu halten, bat sie auch, von Zeit zu Zeit wieder bei ihm vorzusprechen, wenn sie etwas brauchen könne, was er habe; seine Töpfe werden für sie niemals leer sein, wie sie es jetzt erfahren habe. Darauf schenkte er ihr noch ein paar Geldstücke und entließ sie. Nun konnte er aber kaum den Augenblick erwarten, wo er Ciente spräche, mit welchem er als lebenslustiger junger Mann schon lange auf dem vertrautesten Fuße stand und dem er freigebig schöne Geschenke gemacht hatte, so sehr erfreute er sich an seiner ergötzlichen Laune. Ciente hatte es sich deswegen zur Pflicht gemacht, ihn täglich zu besuchen und wenigstens ein Stündchen mit irgendeinem Spaße zu unterhalten, an denen er, wie gesagt, reich war. Heute also, meinte der Apotheker, bleibe er allzu lange und gegen seine Gewohnheit weg, denn er fand keine Ruhe vor der Lust, ihm den Possen zu erzählen, der ihm so glücklich gelungen war. Ciente verfehlte auch nicht, zu erscheinen, sobald er von der Begleitung des Messer Simone zurückkam, nachdem er erst in seiner kleinen Wohnung jeden Winkel ausgespäht und nach seiner verdächtigen Frau geschaut hatte, ohne jedoch irgend etwas Unrechtes zu entdecken, vielleicht weil er nicht die richtige Brille auf der Nase hatte. Die Frau hatte sich, sobald sie von ihrem Freunde los war, eiligst und geraden Weges nach Hause begeben, dort eingeschlossen und war dort nun auf die Ausführung dessen bedacht, was sie zuerst bei sich selbst ausgesonnen hatte. Sie erwartete also ihren Gatten, um ihn sich so schnell wie möglich aus den Augen zu schaffen; denn sie war überzeugt, wenn er ihr bisher Prügel gegeben habe, werde er sie künftig blutig schlagen, nachdem sie ihn mit Hörnern geschmückt hatte. Da es aber noch lange bis zum Abend und er von neuem ausgegangen war, nahm sie andere Geschäfte vor, nachdem sie, wie gesagt, ihren grausamen Plan entworfen hatte. Der gute Esel oder vielmehr Hirsch kam also in die Bude des Apothekers und dieser trat ihm entgegen, konnte aber gar nicht sprechen vor lauter Lachen, welches in reichem Maße hervorplatzte und immer zunahm, je mehr er sich das Geschehene vorstellte, so daß Ciente sich gar nicht denken konnte, weshalb sein guter Freund so lache. Als sich nun aber das Gelächter des Apothekers etwas legte, ließ er sich Ciente gegenüber setzen, um ihm die Geschichte zu erzählen. Da begann denn der Sturm von neuem und zog auch den guten Hornmeister mit sich in das Gelächter fort, der freilich keinen andern Grund wußte, warum er lachte, als das Gelächter seines Freundes, das ihn freilich sehr dazu aufforderte. Zuletzt erfuhr jedoch Ciente die Ursache von dem Apotheker, welcher ihm die ganze Geschichte erzählte, und darauf lachten sie beide von neuem lange Zeit. Ciente wünschte nun aber womöglich auch die Frau zu kennen, um zu sehen, ob er auch anbeißen könne; denn er besaß neben manchen andern auch die Tugend, sich nicht mit der häuslichen Kost zu begnügen. Er bat ihn daher, ihm den Gefallen zu tun, ihn gelegentlich mit ihr bekannt zu machen. Er konnte dies leicht von seinem Freund verlangen, von dem er sehr geliebt wurde, zumal da der Apotheker noch mehr Verlangen hatte, sie ihm zu zeigen, als jener, sie zu sehen. Der Apotheker versprach ihm also bereitwillig, sie ihm zu zeigen, sobald sich Gelegenheit gebe; denn er hätte sie leicht aus Tausenden wiedererkannt. Das Versprechen war kaum gegeben, als – ein lustiger Zufall – die schöne Bartolommea beladen mit Wäsche aus dem Hause des Messer Simone heraustrat, um sie zur Reinigung nach dem See zu tragen. Sobald daher der Apotheker sie bemerkte und deutlich erkannt hatte, winkte er seinem Freunde und sagte zu ihm: »Da ist sie, diese ist's, die eben vorübergeht.«

Man darf glauben, daß er nicht zu einem Tauben sprach. Ciente war ganz munter geworden, als er ihr Lob singen hörte und wäre in hundert Jahren nicht darauf gekommen, daß man so von seiner Frau spreche, hätte vielmehr gemeint, es sei eher jede andere als sie. Neugierig fuhr er daher in einem Nu auf sie los, um ihr ins Gesicht zu sehen und sie nach Herzenslust zu betrachten; ja während er sonst immer seinem Wesen nach trag und langsam war, zeigte er sich nunmehr so rasch und gewandt, daß der Magister sich nur darob verwunderte, welcher gar nicht wußte, daß er ihn kurz zuvor in eine andere Gattung von Wesen verwandelt hatte. Nun aber, da Ciente sie erblickte und sie recht sicher ins Gesicht faßte und sie als seine Bartolommea erkannte, über die er so eifersüchtig war, die er mit solcher Sorgfalt hütete und in so aufmerksamer Pflege hielt, da mag man sich denken, ob ihm nicht die Grillen aus dem Kopf wichen, ob er nicht schnell seine Liebesgelüste verscheuchte, verstummte und ein stechendes Weh im Herzen fühlte! Er schlug die Blicke zu Boden, er sah aus wie der Boden, ja, der Arme war fast selbst zu Boden geschlagen und des Todes. Dann war er nahe daran, verrückt zu werden, sich zu verfluchen und wider sich selbst zu wüten. Und was sagte er nicht alles? Was tat und dachte er nicht?! Kurz, er entfernte sich, ohne lange Abschied zu nehmen nach dieser Verhöhnung. Und grausam, wie er war, zerkratzte er sich das Gesicht, biß sich auf die Lippen und Finger und lief nach Hause, um dort seine Frau zu erwarten und sie abzuschlachten, sobald sie heimkäme. Der Apotheker war gleichfalls erstaunt über das, was er gesehen hatte, besann sich hin und her und kam endlich auf die Vermutung, Ciente müsse bei der Sache besonders beteiligt sein. Er eilte daher der Frau nach, und als er sie erreicht hatte, fragte er sachte nach ihren Verhältnissen und wußte ihr auch so zu schmeicheln, daß sie, der der Umgang mit ihm außerordentlich gefallen hatte und die, um nur beständig bei ihm zu sein, sich gern dazu verstanden hätte, ihm in der Bude zu dienen, den ganzen Tag den Pfefferstößel zu regieren und im Gang zu halten, auch sämtliches Geräte zu reinigen, daß sie, sage ich, ihm offenbarte, wie bitter ihre Lage sei, ihm alle Geheimnisse ihrer Seele enthüllte und endlich auch mitteilte, daß sie Cientes Frau sei. Der Apotheker war hierüber ebenso verwundert als verdrießlich und ärgerlich; aber er sah ein, daß ein Stein, der einmal geworfen ist, nicht wieder zurückkommt, und daß das Geschehene nicht kann ungeschehen gemacht werden. Er beschloß daher, ein zweckdienliches Linderungsmittel in Anwendung zu bringen. Zuvörderst also unterrichtete er die Frau von allem, was ihm mit ihrem Gatten begegnet war und von dem, was ihr drohe, wenn sie jetzt nach Hause zurückkehre und fügte bei, wie sie am besten tue, sich in ihre Lage zu fügen. Sie war darüber ganz verblüfft und da sie sich selber nicht zu helfen wußte, legte sie ihre Lage ihm ans Herz mit der Bitte, ihr beizustehen. Sie warf sich ihm in die Arme und bat ihn unter vielen Tränen, nachdem er sie in ein so verwirrtes Labyrinth geführt habe, auch um Auskunft besorgt zu sein, damit sie mit heiler Haut sich zurecht finde. Ganz freundlich führte er sie daher in seine eigene Wohnung, da er dort keine Frauen im Hause hatte, mit der Absicht, zu sehen, wie er noch vor Sonnenuntergang für die Wunde seines Freundes eine Salbe oder ein Pflaster finde, um die Anmut seiner Unterhaltung nicht für sich verloren gehen zu lassen. Die Sache nahm jedoch eine ganz andere Wendung, welche der Frau und ihm viel gelegener kam, die sie aber nicht erwartet hatten. Denn wenn er in Ciente einen angenehmen Gesellschafter verlor, so gewann er mit seiner Gattin eine noch angenehmere Gesellschafterin; und wenn sie auf lange Zeit ihren bösen Mann los wurde, so behielt sie ebensolange einen braven Liebhaber. Wie gesagt, es ging anders und alles kam doch zu einem guten Ende. Denn als der neue Aktäon seine Frau bis zum Einbruch der Nacht erwartet hatte und sie nicht kommen wollte, merkte er endlich wie die Sache gegangen sein könnte und änderte seinen Plan. Er packte also zusammen, so viel er tragen konnte, und ging fort, ehe es Tag wurde, da er sich dachte, der Possen werde aufkommen, wie auch wirklich geschah, und dann könne er sich nicht mehr öffentlich sehen lassen. Wie eine lichtscheue Eule kehrte er daher in seine Heimat zurück und schalt sich aus über seine Eifersucht, aber freilich zu spät, indem er sich gestand, daß ihm das alles ganz recht geschehe. Aber auch dort blieb er nicht lange, denn das behende und geschwätzige Gerücht verbreitete die Sache ebenso in Medole und der arme Schelm sah sich genötigt, auch von dort wegzugehen und viele Jahre lang sich in fremde Länder zu begeben, bis die Zungen stille wurden und die Sache einschlief. Endlich kehrte er zurück, aber er hatte sich in eine sanftere Gemütsart gekleidet, und durch die Vermittlung seiner Freunde und des Apothekers, der ihm weißmachte, alles sei nur ein Traum gewesen, versöhnte er sich wieder mit seiner Frau. Er traf sein Haus gut bestellt und seine Frau schöner als je; bei der Aussöhnung aber, welche er wünschte, mußte er das Versprechen ablegen, die Eifersucht völlig zu verbannen. Und das tat er auch. Sie lebten nachher lange in ungetrübtem Frieden und er begehrte nicht zu wissen, wie sie gelebt habe, so lange er entfernt war, um ja nicht das aufzusuchen, was er nicht gerne gefunden hätte, wie es den Eifersüchtigen meistens begegnet. Daraus entsprang denn für die schöne Bartolommea manchmal eine bequeme Gelegenheit, sich unbeschrien der Liebe ihres klugen Apothekers zu erfreuen.


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