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Lancelot du lac

Hippokrates

Hippokrates genoß seit mehreren Monaten verdientermaßen die höchste Gunst des Kaisers und beim Volk eine Verehrung, die nahe an göttliche Anbetung grenzte, als mit einemmal eine Frau auftrat, die alle diese Huldigungen in Hohngelächter verwandelte. Sie war aus Gallien, von vornehmer Geburt und seltner Schönheit. Augustus, der sie mit Auszeichnung behandeln wollte, gab ihr Weiber und Mädchen zur Bedienung und eines seiner Schlösser, welches mit einem Turme versehen war, zur Wohnung. Begierig, die Schönheiten der Stadt kennen zu lernen, brachte sie die ersten Tage damit zu, Rom zu durchwandern. Hier kamen ihr auch die zwei Statuen zu Gesicht. Sie fragte alsbald, wann und wem zu Ehren sie aufgerichtet worden seien. Kaum hatte sie darüber Auskunft erhalten und die Inschrift vernommen, als sie in ein lautes Gelächter ausbrach. »Wußt ich doch nicht«, rief sie aus, »daß Rom eben jetzt einen Gott in seinen Mauern habe! Wunder aber nimmt mich's, daß man dennoch hier Menschen sterben sieht. Ei! Man überlasse mir einmal diesen neuen Gott! Ich verbürg's mit meinem Kopf, ihn zum größten Toren von der Welt zu machen.«

Man ermangelte nicht, wie sich denken läßt, dem Hippokrates diese Rede zu hinterbringen. Neugier und Eitelkeit reizten den Arzt, die Bekanntschaft dieser ungewöhnlichen Frau zu suchen, die ihrer Schönheit so viel zutraute. Die Gelegenheit hierzu war leicht gefunden. Aber zum Unglück für Hippokrates ging ihr Versprechen nur zu sehr in Erfüllung. Sie war so schön, ihr Witz und ihre Anmut so bezaubernd – kurz, Hippokrates hatte sich umsonst mit allem Mißtrauen gegen sie bewaffnet; er war sterblich in sie verliebt. Bald war seine Leidenschaft so heftig, daß Ruhe, Vernunft und Gesundheit darüber verloren gingen. Er lag gefährlich darnieder. Der Kaiser besuchte ihn, nach ihm die Hofdamen, und endlich auch die schöne Fremde.

Letztere hatte leicht die Ursache seiner Krankheit erraten und einen Zeitpunkt ersehen, wo sie mit ihm allein sein konnte. Sie richtete anfangs an ihn einige freundschaftliche Fragen über sein Befinden. Hippokrates war so außer sich, daß er sich auf keine Weise beherrschen konnte – er gestand ihr frei und harmlos, daß er aus Liebe für sie stürbe. Das eben wollte sie hören. Sie äußerte einige Teilnahme und sprach dann mit anscheinender Aufrichtigkeit: »Ich würde mich ohne Zweifel vielen Vorwürfen aussetzen und gewiß mir selber noch mehr machen, wenn ich, fähig, einen Mann von Eurem Wert zu retten, ihn umkommen lassen wollte. Aber, hegte ich selbst für Euch nicht mindere Liebe als Ihr für mich empfindet – sagt selber, ist es mir, in der Lage worin ich mich befinde, durchweg von so vielen Augen beobachtet, ist es mir möglich, Euch davon Beweis zu geben? Es genüge Euch also vorderhand mein Bedauern und die Versicherung, daß ich nichts so sehr wünsche als Eure baldigste Genesung und – alle Mittel zum voraus unterschreibe, die Euch Eure Zärtlichkeit zur Erfüllung unserer Wünsche anweisen dürfte.« Mit diesen Worten entfernte sie sich schnell, wie beschämt, daß sie ihr entwischt waren. Hippokrates erhielt dadurch Hoffnung und Gesundheit wieder und war bald imstande, dem Kaiser und der schönen Gallierin seinen Hof zu machen.

»Nun?« fragte sie ihn bei seinem ersten Besuche, »habt Ihr auf Mittel gedacht? Ist's Euch geglückt? Wie steht's mit uns?« – Traurig antwortete Hippokrates, er habe sich Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrochen, aber leider! Bis jetzt ohne Erfolg. – »Nun, so seid Ihr mir Dank schuldig; denn hab ich bei meinen Bemühungen auch nicht größeren Eifer als Ihr bewiesen, so bin ich doch glücklicher gewesen. Ihr kennt den Turm, den ich bewohne. Findet Euch gegen Mitternacht unten mit einem Korbe ein, der Euch fassen kann. Ich werde, während alles schläft, mit meiner Muhme, die für uns gewonnen ist, bei der Hand sein und ein Seil herunterlassen. Ihr bindet den Korb an, und wir ziehen ihn herauf. Dann, denke ich, werden wir uns ungestört unterhalten können.«

Hippokrates war entzückt und so von seiner Leidenschaft verblendet, daß er in dieser groben Schlinge nur die geschickteste Kriegslist für sein Begehren sah. Er ergoß sich in Danksagungen, empfahl sich, um seinen Korb einzukaufen, und erwartete mit höchster Ungeduld die Nacht. Kaum glaubt er alles im ersten Schlafe, so eilt er mit dem Korbe zum Fuße des Turmes, und – welche Freude! schon ist der Strick heruntergelassen. Er befestigt den Korb, setzt sich hinein, hustet und fährt in die Luft. Als er aber zu einer gewissen Höhe gekommen, befestigt man oben das Seil, läßt ihn hangen und wünscht ihm wohl zu schlafen und süß zu träumen.

Nun war damals, wie bekannt, in Rom der sonderbare Brauch, gewisse Verbrecher, die nicht ihr Leben verwirkt hatten, auf diese Art an dem Turme in einem Korbe, der Gerichtskorb genannt, einen Tag lang aufzuhängen.

Hippokrates war verzweifelt und verwünschte tausendmal Liebe und Weiber. Aber er mußte die Nacht schon hangen bleiben. Das schlimmste war, daß der Morgen seine Schmach zutage bringen mußte. Alles lief herbei. Umsonst bedeckte er sein Gesicht mit seinen Händen: Jedermann erkannte ihn, und er mußte den ganzen Tag sich die Witze und das Hohngelächter des Pöbels gefallen lassen. Die Turmwache ließ ihn ebenfalls, wo er war, weil sie glaubte, er hange da auf kaiserlichen Befehl. Zum Glück kam Augustus, bei der Rückkehr von einer Jagd, vorüber. Betreten, ohne sein Geheiß jemand im Gerichtskorbe zu sehen, fragte er nach seinem Namen. Kaum ward ihm Hippokrates genannt, als er ihn niederzulassen befahl und voll Zorn den bösen Streich öffentlich zu rächen drohte. Sobald er aber erfuhr, warum dem Arzte so schimpflich mitgespielt worden war, konnte er nicht umhin zu lachen, vergaß alle Rache und scherzte darüber noch lange nachher mit seinen Baronen.


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