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Wandert auf dem Pfade Gottes!
Mohammed
Der Glaube des Propheten umfaßt den Menschen wie die Scheide das Schwert. Unmerklich, aber immer fester umschließt er den Gläubigen, bestimmt jede Tat, jeden Schritt des Menschen, seinen Staat, seine Kriege, seine Frauen, sein Gericht.
Auf vier Dogmen ruht das Gebäude des Islam, und fünf Pflichten hat der Mensch vor Gott. Die vier Dogmen sind: Glaube an Gott, Glaube an den Propheten, Glaube an die Gleichheit der Menschen und Glaube an das Jenseits. Wer sich zu diesem Glauben bekennt, hat folgende praktische Gebote zu erfüllen: das Gebet, das Fasten, das Almosen, die Pilgerfahrt nach Mekka und den Glauben an die göttliche Einigkeit.
Alle Muslims der Welt bilden eine einzige Gemeinde. Ihre Einheit wird äußerlich durch die Qibla, durch die Gebetsrichtung nach Mekka zum Ausdruck gebracht. Die Gläubigen dürfen miteinander keinen Krieg führen, sie dürfen einander nicht hassen. Dafür ist der Glaubenskrieg, der Ǧihād, zur religiösen Pflicht erhoben. Jeder Gläubige muß, sei es durchs Schwert oder durch die Predigt, den wahren Glauben verbreiten. Doch sollen sich die Glaubenskriege hauptsächlich gegen die Heiden richten. Gewaltsame Bekehrung von Juden und Christen ist verboten. ›Die Muslims sowie die Juden, Christen und Sabäer, alle, die an Gott und an die Auferstehung glauben, die gute Taten verüben und gerecht sind, können der Gnade Gottes sicher sein‹, heißt es Sure 5, Vers 73. In Anlehnung an das Juden- und Christentum sind auch die zehn Gebote zur Pflicht des Muslims erhoben. Doch ist der Islam vor allem eine praktische Lehre der Lebensführung, und als solche versucht er alle Taten der Menschen zu umfassen und zu leiten. Alles, was der Mensch begehen, alles, was ihm widerfahren kann, zerfallt im Islam in fünf Kategorien: Farḍ, Sunna, Mubāḥ, Makrūh, Ḥaram.
Farḍ ist das Gebotene, das, was unumgänglich ist, um vor den Augen Gottes Gnade zu finden, zum Beispiel das Almosen. Sunna ist das Gute, das, was man tun kann, um vor Gott verdient zu sein. Doch ist es keine Sünde, es zu unterlassen. Darunter fallen zahlreiche Beispiele des Propheten, der nicht alles, was er tat, zum Gebot für die anderen erhob. Wer sich aber besondere Verdienste erwerben will, möge auf dem Wege des Propheten schreiten, Gott wird ihm dafür gnädig sein. Mubāḥ sind die Taten, die Gott und der Menschheit gleichgültig sind. Ihre Zahl ist nicht groß, und sie bringen weder Lohn noch Strafe ein. Makrūh ist das Schlechte, aber nicht das Verbotene. Man kann es begehen, ohne Gottes Strafe auf sich zu laden. Der Fromme möge es aber unterlassen. Ḥaram endlich ist die Sünde, der Verstoß gegen ausdrückliche Gebote Gottes. Wer Ḥaram begeht, kann der Strafe Gottes sicher sein.
Diese fünf Kategorien der menschlichen Taten umfassen alles nur Erdenkliche. In den Blütejahren des Islam unterschied man genau, ob zum Beispiel das Tragen von goldenen Ringen Sunna oder Mubāḥ ist und wann ein reichhaltiges Mahl aufhört Mubāḥ zu sein und Makrūh wird.
Jedes Geschehnis des Alltagslebens, die Art der fünf täglich vorgeschriebenen Waschungen, die Ehehygiene, der Umgang mit Vorgesetzten und Untergebenen, die Art der Begrüßung der Älteren, alles wurde von diesen Kategorien umfaßt. Die Quelle der Beurteilung der menschlichen Taten ging direkt auf den Propheten zurück, fußte auf seinen Äußerungen, seinen Taten und Beispielen. Doch war die Auslegung dieser Aussprüche tolerant. Man war im Prinzip geneigt, auch das aus dem Rahmen Fallende zu tolerieren. Hatte doch der Prophet selbst gesagt: ›Urteilt nicht über das Unverständliche‹ (17,38). Eine Auswirkung dieses Grundsatzes ist übrigens die rücksichtsvolle Behandlung von Irren und Wahnsinnigen im Islam. Sie reden und tun Unverständliches. Wer weiß aber, was sich hinter diesem Unverständlichen verbirgt?
Die Beziehungen zwischen Mensch und Gott bedürfen im Islam keiner Mittelsperson. Eine hierarchische Geistlichkeit gibt es nicht. Auch der Besuch der Moscheen, die übrigens immer offenstehen, ist gewöhnlich nicht obligatorisch. Im Gegenteil, hübschen Frauen wird sogar abgeraten, die Moschee aufzusuchen, damit sie die Blicke der Frommen nicht auf sich ziehen. Auch das Mönchstum aller Art ist im Islam ausdrücklichst untersagt. Die Derwischorden, die später in Blüte kamen, hatten große Schwierigkeiten, ihre Lehren mit den Grunddogmen des Islam in Einklang zu bringen. Es ist für die innere Toleranz des Islam bemerkenswert, daß er sehr wenig Sekten hervorbrachte. Abweichungen geringer Art, die bei anderen Glaubensbekenntnissen zur Sektenbildung geführt hätten, waren im Islam nie ein Anlaß zum gegenseitigen Kampf.
Das ganze kanonische Rechtsgebäude des Islam zerfällt zum Beispiel in vier Richtungen oder Schulen: in Ḥanīfiten, Šafīʿiten, Ḥanbaliten und Malikiten. Und obwohl diese Schulen in mancherlei Hinsicht ganz wesentlich voneinander abweichen, kamen sie überein, sich gegenseitig als vollwertig zu betrachten. Der Primat des freien Verstandes ist auf diese Weise im Islam, wie wohl in keiner anderen Religion, eindeutig dokumentiert. Auch heute noch steht es jedem Muslim offen, sich zu einer von diesen vier Schulen zu bekennen. Auch im Hofe der Kaʿba errichteten die Gläubigen vier Kanzeln für vier gleichwertige Prediger der vier verschiedenen Schulen. Man streitet über die Auslegung der Lehre des Propheten, handelt dann nach seinem Verstand und überläßt dem Jenseits die endgültige Entscheidung.
Wichtig und unumgänglich ist nur das wenigste. Wer das Glaubensbekenntnis, das Almosen, die Pilgerfahrt und das Fasten anerkennt, darf sich getrost in allem anderen irren. Er ist trotzdem kein Ketzer. Die einzige große Sekte, die es im Islam gibt, der Schiitismus, beruht auch weniger auf Glaubensauslegungen als auf einem politischen Moment, auf der Streitfrage um die Nachfolge des Propheten. Die Schiiten sind die Partei ʿAlīs, die Verfechter des Legitimismus, der Vererbung der weltlichen Macht im Hause ʿAlīs. Die Ansprüche ʿAlīs wurden von der Gegenpartei bekanntlich nicht berücksichtigt, und bis auf den heutigen Tag streitet sich die Welt des Islam, ob die ersten Kalifen zu Recht regierten oder ob die weltliche Macht den Erben ʿAlīs zukomme. Für einen Schiiten sind alle Kalifen Gewalthaber und Feinde des Glaubens. Er kennt nur das sogenannte Imamat der Erben ʿAlīs.
Der islamische Staat der Sunniten, der überwältigenden Mehrheit des Islam, ist, theoretisch gesprochen, eine Republik der Weisen. Der Islam kennt grundsätzlich keine erbliche Monarchie, das Oberhaupt des Staates ist der Kalif, der Stellvertreter des Propheten. Sein Amt ist nicht erblich. Die Theorie des islamischen Staates verlangt, daß jeder neue Kalif von den Ulema, von den weisen Korankennern, gewählt wird. Nach der Wahl ist die Macht des Kalifen unumschränkt. Er gebietet über Leben und Tod aller Gläubigen, erläßt Gesetze und vereint in seiner Person die geistliche und die weltliche Macht. Er ist der erste Vorbeter und der erste Kriegsherr des Islam.
Doch hat auch er schwere Pflichten zu erfüllen. Er muß das Volk der Gläubigen in aller Welt verteidigen. Er muß Kriege führen, und zwar Glaubenskriege, die zur Verbreitung des Islam dienen. Seine geistliche Macht ist überstaatlich, übernational, wie die Macht des Papstes. Islamische Gelehrte verlangen vom Kalifen die Erfüllung seltsamer Pflichten. Er muß zum Beispiel nach manchen Auslegungen dafür sorgen, daß in seinem Staate keine Jungfrau unverheiratet bleibt. Wenn für eine Jungfrau kein Mann zu finden ist, darf sie, vom Kalifen verlangen, daß er einen Sklaven befreit und ihn ihr zum Manne gibt. So unbegrenzt die Macht des Kalifen auch ist, sie kann ihm doch ohne weiteres entzogen werden, wenn er Ḥaram begeht, das heißt, wenn er ein ausdrückliches Gebot des Korans verletzt.
Um den Kalifen zu entthronen, genügt ein Spruch der Weisen, der Ulema. In der Tat pflegte man auch bis in die Neuzeit jede Kalifenentthronung mit dem Richterspruch der Ulema zu begleiten. Durch die Anerkennung des Wahlprinzips, durch die Möglichkeit, jeden Kalifen abzusetzen, gelang es dem Islam, eine absolute theokratische Diktatur auf Lebenszeit mit einer weitgehenden republikanischen Demokratie zu vereinen. Allerdings war das nur ein Prinzip, das oft genug durch politische Verhältnisse umgestoßen wurde. Es ist aber bemerkenswert, daß gerade der Islam wenigstens in der Theorie eine glückliche Synthese von Diktatur und Demokratie gefunden hat.
Es ist die Eigenart des Islam, daß er dem Althergebrachten immer wieder den Geist der Erneuerung einflößen kann. Er erkennt den Krieg an, fordert aber gleichzeitig humane Kriegsführung und erhebt den Krieg zur religiösen Pflicht. Er erkennt auch die Sklaverei an, begrenzt aber die Macht des Herrn durch den Ausspruch Mohammeds: »Was den Sklaven anbetrifft, so gebt ihm das zu essen, was ihr selber eßt, und bekleidet ihn mit Kleidern, wie ihr sie selber tragt« (24,33). Die Freilassung des Sklaven wird auch als Sunna, als fromme, gottgefällige Handlung betrachtet.
Es ist unmöglich, die praktische Bedeutung des Islam, seine Art und den Geist, der ihn beseelt, auf wenigen Seiten darzustellen. Als Beispiel soll hier nur das Problem der Frau, die Stellung der Frau im Islam beschrieben werden. Der Islam erlaubt die Vielweiberei. Vier Frauen darf der Muslim heiraten. Doch ist dieses Recht mit einer bestimmten Bedingung verbunden. ›Ihr könnt zwei, drei, vier Frauen haben, aber nicht mehr‹, heißt es im Koran. ›Wenn ihr aber eure Frauen nicht absolut gleich und gerecht behandeln könnt, so nehmt nur eine‹ (4,3). Es ist Pflicht des Ehemanns, keine Frau der anderen vorzuziehen. Außerdem ist es Gesetz, daß die Frau im Hause ihres Mannes zum mindesten in den gleichen Verhältnissen leben muß wie im Hause ihrer Eltern. Vermag der Mann seine Frau nicht so zu behandeln, wie sie es von Haus aus gewöhnt ist, so kann die Frau Scheidung verlangen.
Die Frau darf ihr eigenes Vermögen haben und verwalten. Wenn sie es nicht selbst verwalten kann oder will, so beauftragt sie damit ihre Eltern, nicht aber ihren Mann. Aus zahlreichen Gründen darf die Frau Scheidung verlangen und Scheidung erreichen. Schlechte Behandlung, Vernachlässigung, ja sogar Armut des Mannes werden als Scheidungsgründe angesehen. Doch empfiehlt der Prophet: ›Wenn eine Scheidung droht, schickt einen weisen Mann ins Haus der Eheleute, damit er versucht Frieden zu stiften‹ (4,39). Ein eigenartiges Gesetz verhindert auch die Wiederverheiratung geschiedener Eheleute miteinander, bevor nicht beide anderweitige Ehen eingegangen sind. Der Islam kennt keine kirchliche Ehe. Heirat ist eine privatrechtliche Angelegenheit, die durch keinerlei kirchliche Zeremonien bedingt ist. Dagegen ist der Ehevertrag empfohlen und wird auch in der Tat fast immer abgeschlossen. ›Wenn die Frau fürchtet, daß der Mann sie schlecht behandeln wird, so ist es keine Sünde, wenn sie miteinander einen Vertrag abschließen, denn die Seele des Mannes neigt zum Geiz.‹
In allen privatrechtlichen Fragen ist die Frau dem Manne gleichgestellt, und die Verschleierung der Frau, ihr Haremsdasein ist keinesfalls religiöses Gesetz, sondern eine später entwickelte Unsitte. In den Anfängen des Islam spielt die Frau auch in der Öffentlichkeit eine gewaltige Rolle. ʿĀʾiša, die Lieblingsfrau des Propheten, führte zum Beispiel eine Armee in die Schlacht. Fāṭima, die Lieblingstochter Mohammeds, nimmt regen Anteil an den Erbschaftstreitigkeiten, und ihre Tochter Zeinab tritt öffentlich gegen den Kalifen auf.
Im ersten Jahrhundert des Islam lebte in Mekka eine gewisse Humaid, die als Rechtsgelehrte berühmt und gefürchtet war. Eine Reihe von Frauen waren als Dichterinnen und Gelehrte bekannt, so Būrān, die Frau des Kalifen al-Maʿmūn. Im fünften Jahrhundert der Hiǧra lebte in Bagdad eine Frau namens Šaiḫa aš-Šuǧāʿ mit dem glänzenden Beinamen Faḥr an-Nisāʾ was bedeutet ›der Ruhm der Frauen‹. Diese Frau trat als gelehrte Dozentin auf und hielt in der großen Moschee zu Bagdad vor einer zahlreichen Hörerschaft Vorträge über Literatur, Geschichte, Poesie und Rhetorik.
Das Gesagte genügt, um anzudeuten, wie es eigentlich um die Versklavung der Frau im Islam bestellt ist. Doch die Stellung der Frau ist nur ein Beispiel. Auf allen Gebieten des Lebens ist der Islam, der praktisch angewandte Islam vom gleichen Geiste, von gleichen Trieben beseelt. Kein Wunder, daß er festen Fuß in der Welt des Orients faßte und auch heute noch seine Expansion energisch fortsetzt. Das Wort des Propheten von der Ausbreitung des Islam wird auch heute noch von seinen Anhängern mit Leidenschaft befolgt.