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Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören.
Hermann Hesse
Was hatte sich seit Badr in Mekka ereignet? Die Nachricht von der Schlacht bei Badr rief in Mekka begreiflicherweise große Bestürzung hervor. Die Karawane war zwar gerettet, die Ehre aber hoffnungslos verloren. Die edelsten Quraiš waren im Kampf gefallen, fast jeder Bankier beklagte den Verlust irgendeines Familienangehörigen, und alle befürchteten einen Rückgang des Handels. Doch verloren die Quraiš noch nicht den Mut, sie schlugen sich an die Brust, griffen tief in die Geldsäcke und finanzierten die Strafexpedition, die nach Medina entsandt wurde. Nach dem Tode Abū Ǧahls war jetzt Abū Sufyān der alleinige Führer der Stadt Mekka. Das war ein vornehmer, edler und reicher Kaufmann, ihm fehlten aber jegliche Feldherrnqualitäten. Er war gewöhnt, mit Geld zu regieren, und glaubte auch die Macht des Propheten mit Geld brechen zu können. Er mietete Dichter und schickte sie in die Wüste, um die Beduinensippen durch Verse für einen Angriff gegen Medina zu begeistern. Er zahlte Geld an die Wüstenscheichs, damit sie den Propheten überfallen sollten. Im übrigen betrieb er sein gewohntes Geschäft ruhig weiter. Die Durchführung der Rache der Quraiš hätte unter diesen Umständen wohl viele Jahre in Anspruch genommen, wenn nicht zwei Faktoren das Unternehmen beschleunigt hätten, und zwar ein privater und ein öffentlicher. Der private Faktor war Hind, die Frau des Abū Sufyān. Hind war vornehm, energisch und zielbewußt. Sie haßte den Propheten mehr als alle Mekkaner zusammen. Sie hatte auch allen Grund dazu, denn ihr Vater und zwei ihrer Brüder waren bei Badr gefallen. Hind hetzte ununterbrochen zum Kriege gegen Medina. Ohne die anspornende Energie seiner Frau hätte sich Abū Sufyān wohl nie zu einem so großen Feldzug aufgerafft. Der öffentliche Faktor war der große Karawanenraub von Karada. Hier war nicht nur die Ehre, sondern auch der Geldbeutel der Quraiš schwer getroffen worden. Mit einem Schlag war der Handel nach Norden hin so gut wie abgeschnitten. Keiner wagte mehr Karawanen in die Wüste hinauszuschicken. Ohne Karawanenhandel war aber das Dasein Mekkas undenkbar. Hier mußte also energisch und kraftvoll durchgegriffen werden. Der Reichtum Mekkas und mit ihm die Existenz der Stadt stand auf dem Spiel. Und Abū Sufyān handelte, langsam wie immer, dafür aber sorgsam vorbereitet. Am 21. März des Jahres 625 erschien ein Heer von dreitausend Mann vor den Toren Medinas. Es war nicht mehr das lustige Heer von Badr. Dreitausend Kriegskamele und zweitausend Pferde begleiteten das Heer. Siebenhundert Mann waren mit Panzerhemden und Helmen ausgerüstet. Es war offensichtlich, daß die Quraiš auf einen Vernichtungskampf vorbereitet waren.
Mohammed wußte, daß diesmal eine Entscheidungsschlacht bevorstand. Er wußte sich zu diesem Kampf wohl vorzubereiten. Im Hofe der Moschee versammelte er die besten seiner Krieger und begann ihnen den Plan des Kampfes auseinanderzusetzen. Er hatte diesen Plan in die Form eines Traumes gekleidet. »Ich sah mich«, sagte er, »mit einem undurchdringlichen Panzer bekleidet. Mein Säbel war aber am Griff abgebrochen. Trotzdem gelang es mir, einen Widder zu töten.« – »Was bedeutet dieser Traum?« fragten die Gläubigen. »Wir müssen in der Stadt bleiben«, antwortete der Prophet. »Sie ist unser Panzer, dann können wir auch schlechtbewaffnet den Feind schlagen.« Und er veranschaulichte den Kriegern den Plan der Verteidigung in den Burgen, den engen Straßen und in den Häusern Medinas. Dieser Plan war einleuchtend. Gut vorbereitete Belagerungen waren für die Belagerten in Arabien fast immer erfolgreich.
Den Gläubigen aber, die Sieg und Erfolg gewohnt waren, paßte dieser Plan ganz und gar nicht. »Warum sollen wir unsere Felder vernichten lassen?« fragten sie. »Warum sollen wir nicht, wie es Männern ziemt, dem Feind entgegentreten? Schützt denn nicht Gott unsere Waffen?« Und so groß war die Begeisterung der Frommen, daß der Prophet nachgeben mußte, sein Gebet verrichtete, den Kriegspanzer anzog und auf dem großen Platz von Medina eine Parade seines Heeres abhielt. Da bemerkte er, daß auch die Juden der Stadt sich zur Verteidigung gerüstet hatten. »Die Juden sollen fort aus dem Heer«, sagte er, »wir brauchen ihre Kriegshilfe nicht.«
Mit den übrigen aber, es waren ungefähr tausend Mann, mit nur wenigen Kamelen und zwei Pferden, zog er am Abend zum Berge Uḥud, den Quraiš entgegen. Als aber die Gläubigen die Übermacht der Quraiš erblickten, sagten sie: »Der Gesandte Gottes hat recht, wir wollen uns lieber in der Stadt verteidigen.« Da erhob sich Mohammed und verkündete: »Wenn der Gesandte Gottes den Panzer zum Kampf angezogen hat, so zieht er ihn nicht wieder aus!« Und er nahm die drei Heeresfahnen und verteilte sie unter die drei Kolonnen seines Heeres. Als aber der Morgen graute, erhob sich ʿAbdallāh ibn ʾUbai, der Führer der Munāfiqūn, und mit ihm dreihundert Heuchler und Zweifler; Ibn ʾUbai sagte: »Der Prophet hat nach dem Rate unmündiger Kinder gehandelt; wir können ihm nicht folgen.« Und sie verließen das Heer und zogen nach Medina zurück. Nur siebenhundert treue Gefährten blieben beim Propheten und wollten den Kampf bestehen. Den Heuchlern aber rief der Prophet zu: »Furcht rettet keinen vor dem Tode.«
Am Morgen des nächsten Tages traten dreitausend Mekkaner den siebenhundert Frommen entgegen. Auch diesmal war das Heer von Mekka unorganisiert und ohne Disziplin. Dafür hatte es zur Erhöhung der Kriegsbereitschaft Frau Hind und viele andere vornehme Damen der Quraiš mitgebracht. Die Frauen forderten zur Rache auf und waren blutdürstiger als die Männer. Vor den Augen ihrer Frauen wollten sich aber die Mekkaner nicht bloßstellen. Unterwegs, bei Uḥud und während des ganzen Tages sangen die Frauen nach alter Sitte improvisierte Lieder, deren Sinn etwa war: Wenn ihr auch diesmal vom Felde der Ehre davonlauft, werdet ihr nie mehr neben uns ruhen dürfen. – Doch nicht diese Drohung, so bitter sie auch gewesen sein mag, entschied die Schlacht.
Ganz zufällig, ohne sich etwas dabei zu denken, ernannte Abū Sufyān den jungen mekkanischen Aristokraten Ḫālid ibn al-Walīd zum Befehlshaber der Kavallerie. Und es erwies sich, was keiner vermutet hatte, daß dieser Ḫālid ein genialer Befehlshaber war. Uḥud war seine erste Schlacht, später sollten seine Reiter Syrien, Persien und Kleinasien für den Islam besiegen. Ḫālid wurde der Murat des Islam, Mohammed verstand ihn zu schätzen, denn er hatte bei Uḥud Gelegenheit, seine Kriegskünste schmerzlich kennenzulernen.
Der Kampf begann wie immer mit einem Geplänkel. Dann folgte der Angriff der Gläubigen, und die Mekkaner strömten unorganisiert und ohne Disziplin trotz der ermunternden Zurufe der Frauen zurück. Schon erreichten die Muslims das Lager des Feindes und hielten damit die Schlacht für beendet. Sie stürzten sich auf die Beute und begannen zu plündern. Da geschah etwas Unerwartetes. Ḫālid ibn al-Walīd zeigte, daß er ein geborener Krieger war. Er sammelte die Reste der Kavallerie, stürzte sich auf die Plünderer und entschied mit einem Schlage die Schlacht. Es begann ein Handgemenge, die Muslims wurden zurückgedrängt. Bald kämpfte man bereits auf der Anhöhe vor dem Zelt des Propheten. Die Schlacht war für die Muslims verloren. Doch gerade jetzt zeigten sich die Folgen der kriegerischen Erziehung. Die Gläubigen liefen nicht auseinander, wie es alle Araber bisher getan hatten, wenn sie eine Schlacht für verloren gaben. Sie hielten verzweifelt stand und wichen und wankten nicht. Vor dem Zelte des Propheten begann eine heldenmütige Verteidigung. Der Fahnenträger des Propheten war der berühmte Muṣʿab ibn ʿUmeir, der dem Propheten den Weg nach Medina geebnet hatte. Jetzt kämpfte er in den ersten Reihen der Frommen. Ein Mekkaner hieb ihm die rechte Hand ab, da ergriff er die Fahne mit der linken. Als ihm auch diese abgehauen wurde, preßte er die Fahne mit den blutigen Armstümpfen an seinen Körper, bis er, von einer feindlichen Lanze durchbohrt, zu Boden sank. Auch Ḥamza, der Onkel des Propheten, fiel einem feindlichen Wurfgeschoß zum Opfer. Sogar eine muslimische Frau, die den Tod ihrer Söhne mit ansehen mußte, stürzte sich in den Kampf. Der Prophet selbst vergoß in dieser Schlacht sein Blut für die Sache des Glaubens. Ein Pfeil verwundete seine Lippe und schlug ihm einen Vorderzahn aus. Ein gutgezielter Stein verletzte sein Gesicht. Es war ein eindeutiger Sieg der Mekkaner, und Mohammed zog sich mit dem Rest seiner Streitmacht zurück. Die Sache des Glaubens war offenbar verloren.
Da geschah ein Wunder. Anstatt mit dem siegreichen Heer den Feind zu verfolgen, anstatt bis Medina vorzudringen und mit einem Schlage den Islam für ewige Zeiten zu vernichten, blieb Abū Sufyān am Berge Uḥud. Er betrachtete augenscheinlich seine Aufgabe als beendet. Die Toten von Badr waren gerächt. Den Sieg der Waffen staatspolitisch zu vollenden, fiel dem vornehmen Mekkaner nicht ein. Nach arabischer Sitte ritt er dem Feind mit blutiger Lanze nach, um mit seinem Siege zu prahlen. Im Felde traf er auf ʿUmar, seinen einstigen Freund. Die beiden schimpften sich gehörig aus, da aber der Kampf zu Ende war, griff keiner zur Waffe. Am Ende der Beschimpfungen erklärte Abū Sufyān, er wolle in einem Jahr wiederkommen, um den Sieg zu vollenden.
So endete der blutige Tag von Uḥud. Wie eine Horde von Hyänen stürzten sich die mekkanischen Frauen auf die Leichen der Muslims. Der orientalische Siegesrausch begann. Lippen, Ohren, Nasen, Geschlechtsteile wurden den Leichen abgeschnitten. Hind, die Frau Abū Sufyāns, riß aus der Leiche Ḥamzas sogar die Leber heraus und fraß sie vor den Augen der erschütterten Mekkaner. Dann stieg sie auf den Berg Uḥud und rief in die Dunkelheit: »Wir haben euch den Tag von Badr heimgezahlt. Ich konnte den Schmerz um meinen Vater, Bruder und Sohn nicht mehr ertragen. Nun habe ich meinem Herzen Linderung verschafft. Ḥamza heilte mein Herz, als ich ihm die Leber aus dem Leibe riß.«
Da für arabische Begriffe der Sieg der Mekkaner vollständig war, so bedurfte es keiner weiteren Rache. Und doch war Mohammeds Erstaunen grenzenlos, als er sah, wie das Heer der Quraiš den Rückmarsch antrat. Der Islam, der Staat Gottes, war außer Gefahr. Er hatte sogar gewissermaßen das Feld behauptet. Erschöpft kehrten die Krieger nach Medina zurück.
Am nächsten Tage aber, ungeachtet der Wunden, bestieg der Prophet sein Pferd und ritt mit einigen Freunden in die Wüste. Das war eine Demonstration, er wollte zeigen, daß er den Kampf nicht aufgab.
Doch war und blieb Uḥud eine Niederlage, und auch die üblichen Folgen der Niederlage sollten nicht ausbleiben. Die Nachbarstämme der Wüste, die bis dahin fest zu Mohammed gehalten hatten, begannen zu rebellieren. In den Wüstenoasen wurden die Vertreter des Propheten erschlagen. Es drohte ein allgemeiner Aufstand. Nur unter den Muhāǧirūn und Anṣār blieb der Glaube an den Propheten unerschüttert. Zu offensichtlich war es, daß der Kampf bei Uḥud gegen den Willen des Propheten stattgefunden hatte. Hätte man den Plan des Propheten befolgt, hätte man die Stadt nicht verlassen, so wäre den Muslims diese Niederlage erspart geblieben. Sogar im Feld wäre die Niederlage vermeidbar gewesen, wenn nicht alle wie eine Horde von Heiden auf die Beute losgestürzt wären. Man konnte Gott und seinem Propheten also nichts vorwerfen.
Anders war die Stimmung im Lager der Juden und Munāflqūn. Diese erachteten die Stunde der Vergeltung für gekommen. Ganz insgeheim begannen Verhandlungen zwischen dem mächtigen Stamm der Banū Naḍīr und ʿAbdallāh ibn ʾUbai. Eine Verschwörung war im Gange. Ihr Ziel war die Ermordung Mohammeds und die Vertreibung der Muhāǧirūn. Für diesen Fall versprach ʿAbdallāh den Juden, mit zweitausend Mann gegen die Gläubigen zu ziehen.
Der Plan wurde vereitelt. Mohammed erfuhr von der Verschwörung und beschloß ein Exempel zu statuieren. Als Führer des neuen Staates erließ er den Befehl, die Banū Naḍīr hätten unverzüglich das Land zu verlassen. Natürlich weigerten sich die Juden und schlossen sich wie die Banū Qainuqāʿ in ihrer Festung, der Burg Sahra, ein. Sie sandten aber gleichzeitig Boten zu ʿAbdallāh und zu dem anderen jüdischen Stamm von Medina, zu den Banū Quraiẓa, und baten beide um Hilfe und Schutz. Wieder erwiesen sich die beiden als unfähig, in der Stunde der Gefahr dem Propheten als Einheit entgegenzutreten. Die Quraiẓa und die Munāflqūn kamen der Aufforderung der Bedrängten nicht nach, sie vermochten sich zu keiner Handlung zu entschließen. Noch ehe ʿAbdallāh seine zweitausend Mann zusammen hatte, belagerte Mohammed die jüdische Burg. Hier war ihm ein neuer Sieg vergönnt. Die Naḍīr erwiesen sich als kampfunfähig. Sie mußten rasch kapitulieren. Nur acht Tage dauerte die Belagerung, bei der kein Pfeil verschossen wurde. Um ihr Leben und den Glauben ihrer Väter zu behalten, verließen die Juden die Stadt Medina und wanderten für immer in die Wüste. Der Preis für ihr Leben war hoch. Ihr Eigentum, die großen Dattelhaine, die Ackerfelder, der ganze Reichtum des mächtigen Stammes verfiel dem Sieger. Die Banū Naḍīr durften nur das nackte Leben und den uralten Glauben ihrer Väter mit in die Verbannung nehmen. Der Prophet gab ihnen eine Chance. Wer den Glauben des Propheten anzunehmen bereit war, durfte mit all seinen Reichtümern, in großen Ehren, in der Stadt des Propheten zurückbleiben. Die Juden fügten sich jedoch ihrem Schicksal und machten von dem Anerbieten des Propheten keinen Gebrauch.
Es ist bemerkenswert, daß von dem ganzen, sehr zahlreichen Stamm der Banū Naḍaīr sich nur zwei Menschen zum Glaubenswechsel entschlossen. Sie wurden vom Propheten reich beschenkt. Das Eigentum und die Schätze der Vertriebenen wurden unter die frömmsten und ärmsten der Muhāǧirūn verteilt.
So entschädigte sich Mohammed für die blutige Niederlage bei Uḥud, so belohnte er seine Gefährten und vertrieb aus der Stadt alle, die an die Macht Gottes und seines Gesandten nicht glauben wollten.
Von den drei einst großen und mächtigen Stämmen der Juden lebte jetzt in Medina, voll Angst und Furcht, um Glauben und Reichtum bangend, nur noch ein einziger Stamm, die Banū Quraiẓa.
Aber auch ihre Stunde sollte bald schlagen.