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Gegen Byzanz

An kleinen Dingen darf man sich nicht stoßen, wenn man zu großen auf dem Wege ist.

Hebbel

Mohammed war mit den ›Völkern der Schrift‹, mit den Juden und Christen, in nähere Berührung gekommen. Wie er sich mit dem Judentum auseinandersetzte und sich von ihm trennte, das hat Medina und Ḫaibar gezeigt. Jetzt war die entscheidende Begegnung mit dem Christentum an der Reihe. Wie seinerzeit die Juden, versuchte Mohammed zuerst, die Christen als eine ihm verbündete Religionsgemeinschaft zu betrachten. Während der Kämpfe zwischen Byzanz und Persien sprach er sich für Herakleios, den Kaiser von Byzanz, aus. Als die Christen im Jahre 622 von den Persern geschlagen wurden, verkündete Mohammed: »Die Byzantiner sind zwar unterlegen. Sie werden aber gewiß in wenigen Jahren siegen. Dann werden sich die Gläubigen freuen.« Auch den christlichen Herrscher von Abessinien betrachtete Mohammed bekanntlich als Glaubensgenossen. Die Feststellung des Negus – ›nicht um so viel unterscheidet sich ihr Glaube von dem unseren‹ – entsprach vollkommen der Ansicht Mohammeds.

In Medina versuchte Mohammed den Islam dem Christentum anzugliedern. Im Jahre 623 führte er Fast- und Feiertage ein, die mit dem Ostern der Christen zusammenfielen. Allmählich mußte aber der Prophet seinen Irrtum erkennen. Er begann immer lauter diejenigen zu verdammen, die Gott einen Sohn zuschrieben, und schon im vierten Jahre der Hiǧra schaffte Mohammed die ›christlichen‹ Feiertage des Islam ab. Als er dann die Pilgerfahrt nach Mekka zum obersten Gesetz des Islam erhob, war der Bruch zwischen ihm und dem Christentum vollzogen.

Noch einmal, allerdings mehr aus formalen Gründen, wandte er sich, wie bereits erwähnt, an die christlichen Potentaten der damaligen Welt mit der Aufforderung, ihn, den Propheten, anzuerkennen. In dieser Aufforderung lag bereits eine Kriegserklärung.

Der sich langsam vollziehende Bruch mit dem Christentum hatte seine Ursachen. Es gab in Arabien genügend Christen, die gleich den jüdischen Rabbinern imstande waren, dem Propheten in gelehrten Diskussionen zu widersprechen. Während aber die Dispute mit den jüdischen Rabbinern die Verbannung der Juden zur Folge hatten, lag die Sache jetzt wesentlich schwieriger. Die Christen waren nicht wehrlos, sondern konnten sich auf mächtige christliche Reiche stützen, die sich bis zu den Grenzen Arabiens erstreckten. Die Christen bedeuteten für Mohammed jetzt fast genau dieselbe Gefahr, die er selbst, als Verbündeter des Negus, für die Mekkaner bedeutet hatte. Die einzelnen kleinen und schwächeren Stämme Arabiens hatten sich allerdings ziemlich leicht zum Islam bekannt. Sie traten auch teilweise aus freiem Entschluß unter den Schutz des Propheten. Die christlichen Führer dagegen waren wenig geneigt, ihren Glauben und ihre Selbständigkeit aufzugeben. Sie verweigerten dem Propheten Gefolgschaft und Gehorsam und wählten den einzig möglichen Ausweg: Sie wanderten allmählich nach dem christlichen Byzanz aus.

In den syrischen Grenzbezirken Arabiens entstand im Laufe der Jahre eine kompakte christliche Emigration, die aus der arabischen Heimat außer dem Haß gegen den Propheten auch ein klares Urteil über seine Macht mitbrachte. Die Führer dieser Emigration waren der medinensische, christliche Sektierer ʿAbū ʿĀmīr und der Beduinenhäuptling ʿAdī. ʿAbū ʿĀmīr gründete in Syrien eine Art Konkurrenzunternehmen gegen den Islam. Er erbaute eine Moschee und sammelte um sich die Unzufriedenen, die die Stadt des Propheten verlassen mußten.

Durch diese christlichen Emigranten erfuhr Byzanz von dem großen Reich, das plötzlich in den Wüsten entstanden war, hörte von dem neuen Propheten, der das Volk der Wüste vereinigt hatte, und von den Ansprüchen, die dieser Prophet erhob. Doch schenkte das christliche Kaiserreich den Erzählungen der frommen Flüchtlinge keine allzu große Beachtung. Man hatte genug mit sich selbst zu tun und glaubte nicht ernsthaft, daß das wilde, armselige Arabien zu einer wirklichen Gefahr für das mächtige Kaiserreich heranwachsen könnte. Man bewaffnete die verbündeten Sippen, rüstete ein Heer und erwog auch den Plan, eine Strafexpedition in das Innere des Landes zu entsenden. Zu mehr konnte man sich aber zur Zeit nicht entschließen. Man überließ es den Emigranten, auf eigene Faust Politik zu treiben. Diese frommen, christlichen Auswanderer verstanden es auch in der Tat, ihre Kenntnisse der arabischen Verhältnisse auszunutzen.

Noch lebte in Medina ʿAbdallāh ibn ʾUbai, noch gab es genügend geheime Munāfiqūn, die sich mit den Verhältnissen nicht abgefunden hatten. Zwar beugten sich diese Männer äußerlich der Macht des Propheten, doch lag das hauptsächlich an der ihnen mangelnden Entschlußkraft. Es bedurfte nur eines Anstoßes, um sie zum Mitspielen zu bewegen. Für geschickte Intrigen und heimtückischen Verrat waren sie leicht zu gewinnen. Bald spönnen sich zahlreiche Fäden von den Häuptern der Munāfiqūn zu den Führern der christlichen Emigration, Verhandlungen waren im Gange, Verschwörungen wurden vorbereitet, und die ›Heuchler‹ warteten nur auf die Gelegenheit, dem Propheten in den Rücken zu fallen. Bald meldete ʿAbū ʿĀmīr dem großen christlichen Kaiser, daß ein Feldzug der byzantinischen Armee mit Hilfe der verbündeten Munāfiqūn in Medina die Despotie des falschen Propheten mit Leichtigkeit stürzen könnte. Das klang höchst verlockend. Man konnte auf diese Weise ohne wesentliches Risiko das arabische Land unversehens dem Kaiserreich einverleiben. Herakleios beschloß ins Feld zu ziehen. Östlich vom Toten Meer, am Rande der Wüste, sammelte er sein Heer. Dies geschah im Spätsommer des Jahres 630.

Mohammed wußte von den Ränken der Emigranten. Auch der geplante Feldzug des Kaisers Herakleios blieb für ihn kein Geheimnis. Noch besser unterrichtet war er jedoch von den geheimen Intrigen der ›Heuchler‹, von den Plänen ibn ʾUbais und den Hoffnungen der Munāfiqūn. Doch überschätzte er ihre Bedeutung nicht. Er kannte ʿAbdallāh und wußte: der alternde, reiche Mann war keines durchgreifenden Entschlusses fähig. Dem Kaiser von Byzanz aber, der sein Schreiben keiner Antwort gewürdigt hatte und jetzt in sein Land einbrechen wollte, beschloß Mohammed die ganze Macht der Gläubigen vor Augen zu führen.

Er wußte, zwischen Byzanz und ihm, zwischen zwei Trägern universaler Staatsgedanken konnte kein Friede sein. Einst mußte die Stunde kommen, da die Muslims das christliche Reich überwältigen würden. Der alternde Prophet wollte seinen Kriegern rechtzeitig den Weg weisen und beschloß, dem griechischen Kaiser im offenen Kampf entgegenzutreten. Dieser Plan war ein Wagnis. Die Macht seines Reiches verhielt sich zu Byzanz wie die eines indischen Maharadschas zum großen britischen Imperium. Auf der einen Seite stand eine Weltmacht, die soeben einen jahrzehntelang dauernden blutigen Kampf siegreich beendet hatte und sich über drei Kontinente, über Afrika, Asien und Europa erstreckte – auf der anderen Seite ein wildes, armes Land, das eben erst durch die Macht eines einzelnen zum Staatsbewußtsein erzogen worden war. Die Kräfte waren ungleich verteilt. Die Zeitgenossen Mohammeds konnten nicht ahnen, daß der Koloß Byzanz auf tönernen Füßen stand. Auch Mohammed wußte es nicht, und trotzdem rief er zum Feldzug gegen Byzanz auf, zum ersten in der langen Reihe islamischer Feldzüge, die das christliche Reich des Orients vernichten sollten und die östliche Welt dem Islam einverleibten.

Den Weg zur Weltherrschaft des Islam hat im wahrsten Sinne des Wortes der Prophet selbst seinen Truppen gewiesen. Er führte die Seinen vorwärts, wie einst Moses die Juden ins Gelobte Land geführt hatte. Doch war es beiden Propheten nur vergönnt, das Ziel von weitem zu erblicken.

Der Sommer des Jahres 630 war trocken und heiß. Wie ausgedörrt lag die Steppe, schwerer Sand bedeckte die Palmen. Die Felder verbrannten, die Oasen dürsteten, und die abgemagerten Kamele lagen regungslos im Schatten der gelblich verfärbten Bäume. Starr blickten die Beduinen in die Ferne. Aus dieser Ferne drang plötzlich der Ruf des Propheten, der sie zum heiligen Kampf aufforderte.

Es war nicht leicht, das Volk in diesem Sommer zum Feldzug zu bewegen, zu diesem Feldzug, der weder Beute noch Reichtümer versprach, der durch die tote Wüste zum Toten Meer führen sollte. Noch schwerer war es, das Heer, das dem Ruf des Propheten folgte, mit dem nötigen Bedarf auszurüsten. Der Krieg wurde gegen Byzanz geführt, gegen die geschultesten Soldaten des ganzen damaligen Orients. Das Heer des Propheten mußte in jeder Richtung modernisiert werden. Man erzählt, daß Abū Bakr sein gesamtes Vermögen zu diesem Zweck hergab und daß ʿUṭmān allein siebzigtausend Goldstücke opferte. Als nach unsäglichen Mühen gewisse Fortschritte in der Ausbildung und Bewaffnung erzielt worden waren, brach das Heer zum Feldzug auf.

Voran, auf seinem weißen Kamel, ritt der Prophet. Vor nur sechs Jahren, als er in seinen ersten Kampf zog, hatte er knapp dreihundert Mann ins Treffen geführt. Heute folgten ihm dreißigtausend Krieger, zehntausend Pferde und zwölftausend Kamele. Die Zeiten hatten sich geändert. Wie gewöhnlich hatte auch diesmal ʿAbdallāh ibn ʾUbai, der verpflichtet war, mit ins Feld zu ziehen, den Propheten im Stich gelassen. Er hatte das Heer nur bis zur Grenze von Medina begleitet, dann machte er mit den Seinigen kehrt und begab sich in die Stadt zurück. Diesem kraftlosen Intriganten traute Mohammed nicht allzuviel zu. ʿAlī und die wenigen anderen Getreuen, die zum Schutze des Glaubens in Medina zurückblieben, waren zweifellos in der Lage, die Staatsautorität voll zu wahren.

Durch endlose Wüsten, durch sonnenverbrannte Steppen zog das Heer der Gläubigen. Staubiger, glühender Himmel hing über dem Haupt des Propheten. Keine Wasserquelle, keine Oase zeigte sich in der Ferne. Ermattet folgte das Heer dem Gesandten Gottes. Immer weiter führte es Mohammed durch Wüste und Ödenei zum rätselhaften Land des Nordens. Beschwerlich war der Marsch, lähmend lastete die drückende Hitze auf den Kriegern. Nie war ihnen die Wüste so grenzenlos erschienen.

Endlich erhoben sich die Ruinen der toten Wüstenstadt Ḥiḍr aus dem Sandmeer. Dort floß unter den zerstörten Mauern klares, eiskaltes Wasser. Dort hätte sich die erschöpfte Armee nach erfrischendem Trunk ausruhen und erholen können.

An der Spitze des Heeres ritt Mohammed. Er erblickte zuerst die Ruinen und kühlen Quellen. Klug und weitsichtig wie er war, beschloß er den Gehorsam seiner Truppen auf die härteste aller Proben zu stellen. Es gehörte nicht allzuviel dazu, in der Hoffnung auf Beute gegen den Feind zu ziehen, den Sieg zu erfechten und dann dem Propheten zuzujubeln. Die oberste Zierde des Kriegers war der blinde Gehorsam, der auch dann nicht versagte, wenn die Befehle des Führers weder Siege noch reiche Beute verhießen. In dieser Erkenntnis verbot Mohammed seiner Armee, auch nur einen Tropfen aus der Quelle Ḥiḍr zu trinken. Als dann die Armee halbverdurstet und todesmatt an der Quelle lag und niemand, auch nicht der ungebärdigste Beduine, es wagte, einen Tropfen Wasser zum Munde zu führen, wußte der Prophet, daß er von nun ab in völlig unumschränkter Autorität über seine Armee gebot. Die Zeit der improvisierten Raubzüge war vorbei, das Heer der Muslims war zu einer wohldisziplinierten Streitmacht geworden.

Weiter zog die Armee durch die Wüste. Am nächsten Tag erbarmte sich aber Gott seiner Getreuen und sandte einen Regen hernieder. Da verkündete der Prophet: »So belohnt Gott den Gehorsam der Gläubigen.«

Vierzehn Tage war die Armee auf dem Marsch, dann erreichte sie den Ort Tabūk, die Grenze der arabischen Welt. Dort bestieg der Prophet einen Sandhügel, wandte sein Gesicht gen Norden und sprach: »Dort liegt das Land aš-Šaʾm, Syrien, hier ist die Grenze Arabiens. Hier erwarten wir den Feind.«

Tabūk ist reich und fruchtbar. Zwanzig Tage lagerte das Heer der Frommen in dieser Oase, ohne daß der Feind sich zeigte. Herakleios entsandte kein Heer. Byzanz wich dem Vorstoß des plötzlich entstandenen Gegners aus, indem es ihn übersah. Für Byzanz war Mohammeds Heer nur ein Wüstenspuk. Man hoffte, dieser dreißigtausendköpfige Spuk würde von selbst wieder verschwinden, wenn man ihm nicht entgegentrat. – Dagegen erschienen aber Fürsten und Edle aus den benachbarten Ländern, betrachteten das Heer, wogen die Machtverhältnisse vorsichtig gegeneinander ab, ließen ihrer Bewunderung freien Lauf und legten das Glaubensbekenntnis ab. Sie sahen klarer als ihr ferner Kaiser. Ein paar Streifzüge in die Umgebung, die Erstürmung einer Festung belehrten Syrien sehr rasch. Man wußte, wie es um den neuen Gegner bestellt war.

Byzanz rührte sich nicht. Die große Stadt am Bosporus schwieg. Zuweilen kam die Nachricht, daß Byzanz ein Riesenheer rüstete, man hörte sie aufmerksam an und traf seine Vorkehrungen.

Als die zwanzig Tage um waren, als der Prophet sah, daß es niemanden im Lande gab, der gewillt war, seine Kraft mit der seines Heeres zu messen, erteilte er auf Anraten seiner Generäle den Befehl zum Rückzug. Mit reicher Beute kehrte die Armee nach Medina heim. Im nächsten Jahr sollte ein neuer Feldzug die errungene Eroberung vergrößern. Doch entsann sich der Prophet derjenigen, die sich geweigert hatten, mit ihm ins Feld zu ziehen, und legte ihnen schwere Strafen auf. Es wurde ein Bann gegen sie erlassen, kein Muslim durfte mit ihnen sprechen, mit ihnen verkehren. Es bedurfte vieler Bitten, ehe der Prophet die Feiglinge wieder von diesem Bann befreite.

Einige Zeit nach der Rückkehr der Armee starb in Medina Mohammeds Feind, der Heuchler ʿAbdallāh ibn ʾUbai. Mit dem Tod ihres Führers zerfiel auch die Partei der Munāfiqūn. Jetzt hatte Mohammed keine Feinde mehr im Lande. Um aber auch die letzten der Munāfiqūn in Freunde zu verwandeln, befahl der Prophet, den Häuptling der Heuchler mit großen Ehren zu bestatten. Er folgte selber dem Sarge und betete auf Veranlassung der Hinterbliebenen um Vergebung der Sünden ʾUbais. Den gradlinigen ʿUmar verletzte dieses Gebet des Propheten für einen Heuchler. Als er Mohammed insgeheim darüber Vorwürfe machte, lächelte der Prophet verschlagen und sagte: »Du magst für die Heuchler beten oder nicht, wenn du auch siebzigmal für sie betest, so werden sie doch keine Vergebung erlangen!« (63,6)

ʿUmar freute sich über diese zufriedenstellende Antwort. Der Prophet hatte aber sein Ziel erreicht. Es gab künftig keine Munāfiqūn mehr in Medina.


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