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Der Prophet in der Kaʿba

Bis jetzt läßt sich dem Mohammed noch nicht ein ähnlicher Mann gegenüberstellen.

Ölsner

Täglich besuchte der Prophet die heilige Kaʿba. Er lehnte sich an eine der heiligen Säulen oder stand im Schatten des heiligen Hauses und rezitierte mit hocherhobener Stimme die Verse des Korans. Um ihn sammelten sich seine wenigen Getreuen und einige Neugierige und Fremde, für die der Prophet eine Art ständige Sehenswürdigkeit geworden war. Wenn der Prophet in seidenen Gewändern mit seiner melodischen Stimme das Wort zur Predigt erhob, ging von ihm ein merkwürdiger Reiz aus. Seine Anhänger, die doch genau wußten, wie sehr der Prophet zu kämpfen hatte, wie armselig seine Erfolge waren, schworen auf seinen Namen. Aber auch die Fremden konnten sich dem Zauber seines Wesens nicht entziehen. Das war bekannt. Man erklärte es mit dem Zauber seiner Verse.

Es sind viele Beschreibungen der Persönlichkeit des Propheten aus jener Zeit erhalten geblieben. Er sah elend aus, war abgemagert, das Kämpfen fiel ihm schwer. Sein liebenswürdiges Wesen verließ ihn aber auch jetzt nicht. Sein Sklave Anas, der ihm zehn Jahre lang diente, erzählte später, daß er keine einzige Rüge von ihm erhalten habe und niemals ein Zeichen der Ungeduld bei ihm bemerkte. Nur selten sprach der Prophet abfällig von jemandem, und der härteste Fluch, den er gebrauchte, war: »Möge sich seine Stirn mit Schmutz bedecken.« Wenn jemand den Propheten bat, seinen Feind zu verfluchen, so antwortete er: »Ich bin nicht in die Welt gesandt, um zu verfluchen, sondern um den Menschen Frieden und Sanftmut zu verkünden.« Er besuchte Kranke und Sklaven, war schweigsam und bescheiden. Das ganze Wesen des Propheten hatte etwas Weiblich-Zartes an sich, das merkwürdig mit seinen heroischen Zügen verbunden war. Voll Selbstbewußtsein und dennoch bescheiden zurückhaltend, war er ein Enthusiast, der es gelernt hatte, sein inneres Feuer anderen Menschen zu vermitteln. Sein Äußeres war einfach, und nur der Wissende konnte Spuren des Feuers entdecken, das in ihm glühte. ›Er war weder zu lang noch zu kurz, von mittlerer Statur, seine Haare waren nicht zu kraus und nicht zu wallend, sein Gesicht war nicht zu voll und nicht zu fleischig, es war weiß, mit Röte gemischt, er hatte schwarze Augen, lange Wimpern, einen starken Kopf und feste Schulterknochen, wenige feine Haare auf der Brust und fleischige Hände und Füße. Er ging so leicht, als schwebte er auf dem Wasser, und wenn er nach einer Seite blickte, drehte er sich um. Zwischen seinen Schultern war das Siegel des Prophetentums, seine Hände waren die freigebigsten aller Menschen, seine Brust war die mutigste, seine Zunge die wahrhaftigste. Er war der Treueste gegen seine Schützlinge, der Sanfteste und Angenehmste im Umgang; wer ihn zum erstenmal sah, ward von Ehrfurcht erfüllt, wer ihn näher kannte, liebte ihn, wer ihn beschrieb, mußte sagen: Ich habe vor und nach ihm nicht seinesgleichen gesehen.‹ So beschreibt den Propheten ein alter Araber.

Im großen Hof der Kaʿba saß der Prophet, umgeben von Gläubigen, Fremden und Quraiš. Melodisch klangen die Verse des Korans, und prüfend blickte der Prophet auf das Volk, bezwang es mit der Glut seiner Augen und der Schönheit seiner Lieder. Immer wieder sagte das Volk: »Wenn du ein Prophet bist, so zeige uns doch ein Wunder, damit wir an dich glauben können.« Und stets entgegnete der Gesandte Gottes: »Ist es denn kein genügendes, kein überwältigendes Wunder, daß deine gewöhnliche Sprache, o arabisches Volk, zu der Sprache des Buches erwählt wurde, in dem jeder einzelne Vers all deine Lieder und Verse vergessen läßt.« Man erzählte, daß darauf die Ungläubigen beschlossen, sämtliche Dichter Arabiens zu rufen, damit sie wenigstens einen Vers, einen Tonfall schaffen sollten, der an Schönheit den Versen des Korans gleich wäre. Die Dichter kamen, begaben sich zur Kaʿba und begannen in der Sonnenglut zu schwitzen. Sie dichteten schwer und gaben sich die größte Mühe. Als sie aber zu rezitieren begannen, mußten selbst die größten Feinde des Propheten feststellen, daß kein einziges ihrer Gedichte den Versen des Korans gleichkäme. Und da die Araber ein Volk von Dichtern sind, knieten viele in der Kaʿba nieder und bekannten sich zum Islam. Die unübertreffliche Schönheit der Verse war für sie ein genügender Beweis ihres göttlichen Ursprungs.

Wenn aber die Schönheit der Verse nicht genügte, so erklärte der Prophet lange und ausführlich die Grundsätze seines Glaubens. Und da die innere Glut des Propheten sich mit der äußeren Kühle der Berechnung verband, scheute er keine Mühe, um einen einflußreichen Mekkaner zum wahren Glauben zu bekehren. Eines Tages stand nun der Prophet an der Kaʿba und unterhielt sich mit einem angesehenen Mekkaner, den er für den wahren Glauben zu gewinnen hoffte. Der Mekkaner war religiös wenig interessiert, eben das war aber ein besonderer Ansporn für Mohammed. Da zeigte sich im Hofe der Kaʿba ein alter, blinder Beduine, der in der Wüste die Kunde von der Lehre des neuen Propheten erhalten hatte und gekommen war, um bei ihm das Seelenheil zu suchen. Er näherte sich dem Propheten und stellte ihm eine Frage. Der Prophet beschäftigte sich gerade intensiv mit dem vornehmen Mekkaner und wollte nicht abgelenkt werden. »Störe mich nicht«, sagte er ärgerlich zu dem Blinden, »denn ich bin mit wichtigeren Dingen beschäftigt« (80,1-4). In derselben Nacht aber hatte der Prophet eine Vision. Gabriel erschien ihm und tadelte ihn hart für sein Verhalten. Früh erhob sich der Prophet am nächsten Tage, irrte durch die Stadt und suchte nach dem Blinden. Endlich fand er ihn, fiel ihm um den Hals und weinte bitterlich. »Ich bin ein Mensch wie die andern« (41,5), sagte er, »die Freiheit von der Sünde ist mir nicht gegeben, doch will ich meine Sünden gutmachen.« Hoch ehrte der Prophet den blinden Bettler, er ernannte ihn später zum Statthalter seiner Stadt Medina, und jedesmal, wenn von ihm die Rede war, sprach er: »Dreimal so lieb wie die andern ist mir derjenige, um dessentwillen mir Gott eine Rüge erteilte.« Nur dieses eine Mal ließ sich der Prophet zur Ungerechtigkeit hinreißen. Arabische Weise erzählen, daß diese und andere seiner Vergehen nur deshalb geschahen, weil Gott wollte, daß der Prophet von jeder Sünde der Menschen eine beginge, weil er ein Mensch sein sollte wie die andern.

Eine ähnliche Geschichte von dem Mitgefühl des Propheten wird aus späteren Jahren berichtet. Als der Prophet bereits auf dem Gipfel des Ruhmes stand, erschien bei ihm täglich ein altes, häßliches Weib und bat flehentlich, er solle bei Gott dafür beten, daß auch ihr im Paradies ein Platz eingeräumt werde. Eines Tages, als das Weib wiederum erschien, sagte ihr Mohammed, mit dessen Geduld es zu Ende war: »Alte, häßliche Weiber wie du kommen überhaupt nicht ins Paradies.« Die Greisin brach daraufhin in Tränen aus, worauf der Prophet rasch fortfuhr: »Denn an der Schwelle des Paradieses werden alle häßlichen, alten Frauen in blühende, hübsche Jungfrauen verwandelt.« Diese Geschichte wurde vom großen persischen Dichter Saʿdi in einem berühmten Gedicht geschildert.

Mitleidig, höflich, zuvorkommend war der Prophet. Seine größte Liebe galt aber den Kindern. Er, der Jahre hindurch standhaft den Haß der Stadt Mekka ertrug, konnte kein Kind vorbeigehen lassen, ohne es zu streicheln, ohne es mit dem wunderbaren Blick seiner Augen zu begleiten. ›Alle Kinder werden im Islam geboren‹, lautet ein islamischer Spruch.

Eines Tages saß Mohammed wie gewöhnlich in der Kaʿba, und ein kleines Mädchen ging an ihm vorbei. Er rief es und begann ihm zart das Haar zu streicheln und sanfte Worte zu ihm zu sagen. Ringsherum saßen die Quraiš, blickten auf das Mädchen und den Propheten und schüttelten den Kopf – Mädchen waren doch niedere Wesen. Wie konnte ein ernster Mann, der noch dazu Anspruch darauf erhob, ein besonderer Liebling Gottes zu sein, öffentlich ein Mädchen streicheln. Ein alter Quraiš, der den Anblick dieser Schande nicht länger ertragen konnte, stand auf, näherte sich Mohammed und sprach: »Was streichelst du das Kind? Weißt du denn nicht, daß man überflüssige Mädchen ungestraft töten darf?« Da richtete sich der Prophet auf, seine Augen wurden ernst und groß, seine Hände streckten sich empor, und er verkündete mit fester Stimme einen neuen Vers des Korans: »Mordet nicht aus Furcht vor Not eure Kinder, denn Gott wird euch und ihnen Unterhalt gewähren« (6,152). So entstand aus dem Gebot der Stunde ein wichtiges Gesetz des Islam, das einer alten, seit Jahrhunderten gepflegten Wüstentradition ein Ende machte.

Auch die meisten anderen wichtigen Gesetze des Islam entstanden aus ähnlichen, äußerlich nichtigen Gründen. Irgendein unwichtiges Ereignis lenkte die Aufmerksamkeit des Propheten auf sich, die Folge davon war ein Gesetz, das dann für Jahrhunderte das Dasein von Millionen bestimmte. Das Alkoholverbot zum Beispiel, das der ganzen östlichen Welt eine spezifische Note verlieh, wurde verkündet, als einst mehrere Gläubige im angeheiterten Zustand beim Gebet erschienen und durch ihr Verhalten unliebsames Aufsehen erregten.

Auch das Ehescheidungsrecht, das eine Umwälzung der damaligen Begriffe bedeutete, wurde anläßlich einer Klatschgeschichte im Harem des Propheten offenbart. Mohammed liebte das schrittweise Vorgehen und die Erläuterung an Beispielen; wenn eine Bestimmung vorlag, wartete er stets auf die passende Gelegenheit, sie zu verkünden.

In den Zeiten, als Mohammed im Hofe der Kaʿba predigte, verwandelte sich dieser göttliche Markt oft in ein theologisches Seminar. Die Priester der arabischen Götter, Juden, Christen, Sektierer aller Art erschienen in der Kaʿba und stellten dem Propheten unzählige Fragen über das Wesen des neuen Glaubens. Stundenlang las der Prophet mit Juden und Christen die Heilige Schrift. Die Quraiš verbreiteten daraufhin, der ganze neue Glaube sei lediglich von den Juden und Christen abgeschrieben worden. Viele Fragen mußte der Prophet beantworten, viele Diskussionen mußte er führen. Und erst aus diesen Fragen und Diskussionen, aus den vielfachen Streitigkeiten der simplen, theologischen Dialektik der Wüste entwickelte sich allmählich das festumrissene Gebäude des Islam.

Es fehlte dabei nicht an grotesken Zwischenfällen, an kasuistischen Gleichnissen, die der Orient sehr schätzt und in denen er seine Weisheit niederlegt. Eines Tages erschien zum Beispiel vor dem Propheten ein Skeptiker und stellte folgende Fragen: »Allāh soll allgegenwärtig sein? Ich sehe ihn aber nicht, wo ist er? Weshalb wird ein Mensch wegen seiner Sünden bestraft? Allāhs Wille erstreckt sich doch auch über diese Sünde. Wieso ist die Hölle eine Strafe für den Teufel? Feuer ist doch des Teufels Natur, wie kann Feuer dem Feuer schaden?« Mohammed schwieg eine Weile, anscheinend über soviel schwierige Fragen bestürzt, dann nahm er plötzlich einen Erdklumpen und warf ihn dem Fragesteller an den Schädel. Darob erboste sich der Wahrheitssucher, lief durch die Stadt, suchte seine Verwandten auf und beklagte sich bitterlich. »Ich wollte mit ihm ein weises Gespräch fuhren und stellte ihm ernste Fragen, statt zu antworten, bewarf er mich mit Erdklumpen.« Da versammelten sich die Verwandten und begleiteten den Fragesteller in die Kaʿba, um den Propheten zur Rede zu stellen. »Ich habe den Mann nicht beleidigt«, sagte der Prophet, »ich habe ihm seine Fragen beantwortet.« Und als er den verdutzten Blick des Gegners sah, erklärte er: »Du zweifelst an Gott, weil du ihn nicht siehst. Der Erdklumpen hat dir Schmerzen verursacht, doch sehe ich diese Schmerzen nicht. Du beklagst dich über meine Untat und sagtest doch selbst, daß alles, was der Mensch tut, von Gott kommen müsse. Wieso eigentlich konnte die Erde dir weh tun, da doch Erde deine Natur ist, denn von der Erde stammst du, und zur Erde wirst du.«

Mohammed liebte Späße dieser Art nicht. Wer sich mit solchen Späßen abgibt, kann leicht auch noch einen Schritt weitergehen und Taschenkünstler, Magier oder Zauberer werden. Dann war es allerdings nicht schwer, die Menschen in seinem Bann zu halten.

Seit Anbeginn aller Zeiten wimmelte der Orient von Propheten, die mit Hilfe kleiner Kunstgriffe, die jeder im Orient leicht erlernen konnte, in den Ruf großer Heiligkeit gelangten. Solch ein Heiliger wollte Mohammed nicht sein. Er wollte durch das Wunder des Wortes, durch die Kraft der Überzeugung herrschen. Seine Mittel waren: Beispiel, Bildung, Diskussion. Die Religion, die er den Völkern verkündete, war lediglich ein gesteigerter Positivismus. Alles Übersinnliche, alles, was verstandesmäßig unfaßbar schien, war ihm tief verhaßt. Auch die Auferstehung des Menschen, ein Dogma, an das die Araber lange nicht glauben wollten, erklärte er nicht wie andere Heilige des Orients durch billige Geisterbeschwörung und ähnliches, sondern immer wieder durch das Wunder der sterbenden und ständig neu erstehenden Natur.

Der positivistische Glauben des Propheten erforderte ein gutes Beispiel. Alle Quellen berichten einstimmig über den bescheidenen Lebenswandel des Gesandten Gottes. Er schlief und aß wenig, er erklärte sogar das unmäßige Essen für eine Sünde. Er achtete die Armen, denn sie waren von Gott gekennzeichnet. Wo er sie traf, lud er sie in sein Haus ein und teilte mit ihnen sein Mahl, das meistens nur aus Feigen und Wasser bestand. Jeder Sklave konnte vor ihm erscheinen und Gerechtigkeit verlangen. Es gab keine Angelegenheit, die zu kleinlich gewesen wäre, als daß sich der Prophet mit ihr beschäftigt hätte. Er tröstete jeden, der des Trostes bedurfte, und war sich stets und überall seiner eigenen Schwäche, aber auch der Stärke seiner Sendung bewußt. Nie hat er sich als etwas anderes betrachtet als einen Menschen, der die Worte Gottes zu verkünden hat. »Verlangt nichts Übermenschliches von mir«, sagte er zu seinen Anhängern, »übermenschlich sind die Engel. Wenn Gott will, sendet er einen herab, ich aber bin nur ein Mensch.«

So lebte und predigte in Mekka, in der Stadt der dreihundertsechzig Idole, Mohammed der Gesandte Gottes. Erst der Haß der Quraiš änderte seine Mission.


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