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Die Welt um Arabien

Eraclius vor do mit groteme here im Persyam he stret mit deme jungen koninge Cosdra unde sloch ludes vele he veng oc viftich dusend unde makede ledich manegen cristenen man.

Sachsenchronik

Zwei Staaten bestimmten die Geschichte der Welt um das Jahr 600 – Persien und Byzanz. Beide waren groß, reich und mächtig. Beide konnten auf eine uralte Vergangenheit zurückblicken, und beide hörten nie auf, einander zu bekämpfen. Byzanz war das oströmische Reich, der Erbe des Imperiums und der Pax Romana, Persien der Erbe jener Achmeniden, die einst ganz Asien beherrschten, dann vom Schwerte des großen Mazedoniers besiegt wurden und später, nach dem Zerfall Roms, als neue Großmacht in die Welt traten. Byzanz und Iran, Morgenland und Abendland, Christentum und der Feuerglaube – zwei Welten, zwei Kulturen, zwei Großmächte, die einander stets wesensfremd waren. Hier standen sie einander gegenüber. Es konnte kein Friede zwischen ihnen sein.

Byzanz. Am Bosporus erhoben sich seine Mauern und hinter ihnen die Paläste und Kirchen. Doch seine Macht erstreckte sich über ganz Kleinasien, über Syrien, Palästina, Ägypten, Iberien, Nordafrika, über die griechischen Inseln und den Balkan. Mächtig war Byzanz, reich und stolz. Es war der Erbe Roms. Aber ein später Erbe. Noch lebten in ihm die Völker, die einst besiegt wurden, noch galt im Reich das Gesetz Roms, noch zitterte man vor den Worten des Kaisers. Der Kaiser selbst war aber kein Römer, kein Imperator mehr. An den Ufern des Bosporus, hinter den dicken Mauern der Marmorpaläste änderte sich das Gesicht Roms. Langsam, aber unabwendbar. Mit dem neuen Glauben brach eine neue Welt herein, und diese Welt hatte nichts mehr mit Rom gemein. ›Ich bin römischer Kaiser, Herrscher der Römer‹, sprach der Gebieter von Byzanz. Er war aber kein antiker Kaiser, und es war auch kein antikes Land, das ihm gehorchte. Das antike Gesicht Roms bekam in Byzanz orientalisches Gepräge, und unter den östlichen Gewändern verschwand bald die römische Form.

Auf dem Boden vieler Kulturen errichtet Byzanz seine Herrschaft. Kleinasien, Ägypten und Rom, alles kniete vor dem Thron von Byzanz. Der Thron selbst stand fest, nur wenige vermochten aber fest auf ihm zu sitzen. Porphyrogennetos nannten die Byzantiner die wenigen Kaiser, die rechtmäßig den Thron von Byzanz bestiegen. Alle Rassen und Völker gelangten auf diesen Thron, und allen jubelten Garde und Pöbel von Byzanz zu. Denn die fremdländische Garde und der schaulustige Pöbel waren es, die den Herrscher der oströmischen Welt, den Herren des östlichen Christentums stellten.

Die Macht dieses Kaisers war groß. Von Rom erbte er die hohe Kunst des Heerführens. Von der Welt des Ostens, die er beherrschte, die noch größere Kunst des Giftmischens, der List, des Betruges und des Verrats – diese Erbschaft führte in Byzanz den Namen: Politik. Mit Gift, Betrug und Verrat wurde Byzanz regiert, mit der rauhen Kraft der Söldnertruppen wurde es verteidigt. Denn vieles hatte Byzanz zu verteidigen, und groß war die Kraft seiner Feinde.

Byzanz war der Mittelpunkt des östlichen Christentums. Der Kaiser war der Beschützer des Christentums, des Heiligen Grabes und des reinen Glaubens. Was dieser reine, christliche Glaube war, wußte in Byzanz jeder, nur bedeutete er für jeden etwas anderes. Unzählige Sekten, ihre Kämpfe und ihr gegenseitiger Haß erschütterten Byzanz. Auf den Basaren, in den Versammlungen und auf den Märkten wurde über die Sekten diskutiert, wie heute über politische Parteien. Die feinste Dialektik wurde vom einfachsten Markthändler angewandt, um den Gegner zu vernichten. Es ging um abstrakte Dinge, und abstrakte Diskussionen sind im Orient sehr beliebt. Wenn aber die Diskussionen beendet waren, äußerten sich die Meinungen sehr konkret, die Gegner überfielen einander, töteten und plünderten. Denn mehr noch als abstrakte Diskussionen liebt der Orient das freie Spiel des Kampfes.

Der Geist von Byzanz verflachte mehr und mehr. Wem er ganz unerträglich wurde, der verließ die stolze Stadt am Bosporus mit ihren Palästen, Giftmischern und listigen Höflingen und begab sich in die Wüste, um seinen Leib zu kasteien und der Seele Heil zu erringen. Die Welt von Byzanz war voller Asketen. So stand zum Beispiel der heilige Simon sieben Jahre lang betend und unbeweglich auf einer Säule, um seine Hingebung an Gott zu verkünden, andere zogen es vor, in einem Grabe, halbverschüttet, ihr Dasein zu verbringen, wieder andere legten sich selbst in Ketten. Auch gab es Männer, die in der Wüste Schüler um sich sammelten und neue Sekten entstehen ließen.

Durch die Vielheit der Sekten verarbeitete der Orient das Christentum. Sektenwirrnisse erfüllten das geistige Leben von Byzanz. Doch bedeuteten die Wirrnisse keine Gefahr. – Die Gefahr drohte von außen. Nach dem goldenen Thron und der Krone des Kaisers, nach den Schätzen der Paläste, nach den reichen Städten und Feldern streckten sich viele begierige Hände aus. Große, wilde Augen blickten lüstern auf Byzanz.

Die alte Welt war in Unordnung geraten. Völker gerieten in Bewegung. Im Balkan, hinter der großen Mauer des Kaukasus, an allen Grenzen des Reiches erschienen wilde Nomaden. Es klopfte mächtig an den Toren von Byzanz. Unaufhörlich, jahraus, jahrein mußte der Kaiser das östlich-christliche Reich vor Barbareninvasionen schützen. Die Hauptgefahr aber, die Byzanz drohte, waren nicht die wilden Nomaden, nicht die Alanen, Hunnen und Slawen des Nordens. Die Hauptgefahr, der Hauptfeind war der Iran, war Persien, das Land des Schahinschahs, des Großschahs, der frommen persischen Sassanidendynastie.

Der heilige Iran, das Land des ewigen Feuers, des guten Ahura Mazda und des bösen Aḥra Mainyu, war der Welt Europas bis zuletzt nur wenig bekannt. Man wußte nur, daß der Iran der mächtige östliche Nachbar des römischen und byzantinischen Reiches war, daß er jahrzehntelange, blutige Kämpfe mit Rom führte, häufig unterlag, oft als Sieger hervorging und keinerlei christlichen Einflüssen zugänglich war. Was aber im Innern des großen östlichen Landes vorging, war unbekannt.

Es war ein großes, schönes und stilles Land. Es erstreckte sich von den byzantinischen Grenzen bis tief nach Zentralasien, von der Küste des Persischen Golfs zu den Gipfeln des Kaukasus. Dieses grüne, stille Land gehörte dem heiligen Feuer, dem Propheten Zarathustra, den Priestern von Atropatena und dem Großschah.

Vor vielen Jahrhunderten gründete Zarathustra die Religion des heiligen Feuers. Von seinen Schülern umgeben, durchwanderte er das fruchtbare Land Iran. Wo er erschien, entstanden Tempel, ewiges, heiliges Feuer schlug aus der Erde, das Volk kniete nieder, und die Priester sangen Hymnen zu Ehren des Feuergottes. Am Ufer des trüben Kaspischen Meeres lag das Land Atropatena, eine Provinz Irans. Dieses Land erwählte Zarathustra. Zahlreiche Flammen heiligen Feuers stiegen aus diesem Lande zum Himmel empor. Dieses Land wurde das heilige Land Persiens. Priester regierten das Land, beteten zum heiligen Feuer und bestimmten von der Küste des Kaspischen Meeres, wer in dem großen Gebiet zwischen China und Byzanz Kaiser sein durfte. Mächtig waren die Priester, und viel Weisheit war ihnen gegeben.

Man berichtet von einem Geschenk der Priester an den Kaiser Šapūr, der im Kindesalter den Thron von Iran bestieg. Dieses Geschenk war ein Polospiel. Auf einem eisernen Tisch war ein künstlicher Rasen angelegt, kleine eiserne Pferdchen jagten auf dem Tisch umher. Ein kompliziert angelegter Mechanismus bewegte den Ball, indes ein anderer Mechanismus es den künstlichen Pferdchen auf dem künstlichen Rasen ermöglichte, während der Jagd nach dem Ball ihre künstliche Notdurft zu verrichten. – Dieses Geschenk brachten die Priester dem kleinen Kaiser dar, damit er Freude am Spiel und Achtung vor den Priestern haben sollte. Als der Kaiser groß wurde und keines Spielzeugs mehr bedurfte, bauten ihm die Priester zwei Stahlmenschen, zwei Robots, die ihn überall begleiteten.

Einst versuchte Kaiser Kubād die Macht der Priester zu brechen. Ein Ketzer namens Mazdaq erschien vor dem Kaiser, betörte seinen Sinn und sprach: »Keiner soll reicher sein als der andere. Gleichheit muß im Lande Iran herrschen, und kein Priester soll über das Volk bestimmen.« Der Kaiser schenkte den verführerischen Worten Mazdaqs Gehör. Die Frauen seines Harems verteilte er unter das Volk, nahm den Reichen ihren Reichtum und beließ den Armen ihre Armut, denn so hatte es Mazdaq gelehrt. Da erhoben sich die Priester, um das Land Iran zu erretten. Prinz Khosrau Anūširwān mit der unsterblichen Seele stürzte den Ketzer Mazdaq, der bei der Verteilung der Haremsfrauen die Mutter des Prinzen erhalten hatte. Von da ab hat es kein Großschah mehr versucht, die Worte der Priester zu mißachten.

In Ktesiphon, am Ufer des Euphrat, saß der Kaiser von Iran. Um ihn lag das heilige Land des ewigen Feuers und lastete schwer auf dem Kaiser. Von Ktesiphon aus führte Khosrau der Gerechte, der Erbe Kubāds, seine großen Kriege. Er vernichtete halb Byzanz, zerstörte Antiochia und schlug das Heer des Kaisers Justinian. Jahrzehntelang tobte der Krieg zwischen Persien und Byzanz. Es war nicht der Krieg zweier Staaten, sondern der Kampf zwischen dem jungen Christentum und dem alten Glauben an den großen Gott des Feuers. Als zum Beispiel der Negus Negesti, der Herrscher von Äthiopien, Jemen besetzte, überfiel ihn der Großschah nur, derweil Negus ein Christ war und der Schah keine christlichen Sieger in der Welt dulden wollte.

In unaufhörlichen Feldzügen, Kämpfen und Plünderungen verbluteten die beiden Staaten Byzanz und Persien. Menschenleer wurden die Städte, verödet lagen die Felder, und der große Khosrau II., der Siegreiche, mußte zuletzt aus Mangel an Männern Frauen in sein Heer einstellen. Man brauchte Menschen, um Kriege zu führen und Land zu besiedeln. Die tristen, menschenleeren Felder, die spärlich besetzten Höfe, die verödeten Landstriche, die Heere beider Staaten verlangten nach Männern, die kämpfen konnten.

Die Männer kamen; es waren Araber. Aus den wilden Wüsten kamen arabische Sippen, siedelten sich in den verlassenen Dörfern an und füllten die Heere. Lange vor Mohammed, lange vor den Feldzügen des Islam hatte die Welt von Byzanz und Persien das Volk der Araber in ihre Bezirke gerufen.

Die größten Siege errang Persien über Byzanz, als Khosrau II. Damaskus und Jerusalem eroberte und zuletzt sogar Byzanz selbst belagerte. Das römische Reich des Ostens schien unterzugehen. Herakleius saß damals auf dem Thron von Byzanz. Er verließ seinen Thron, die Hauptstadt und das Land. Er zog mit einem Häuflein Krieger durch die wilden Berge in das heilige Land Atropatena. Dort überfiel er die Priester und zerstörte die Tempel. Erschrocken riefen die Priester ihren Kaiser zurück. Der Kaiser gehorchte. Er gab die Tore von Byzanz frei, räumte Jerusalem, kehrte zurück und rettete das ewige, heilige Feuer von Iran.

Dies geschah im Jahre 628, als die beiden Herrscher Persiens und Byzanz', Herakleius und Khosrau II., als ihre beiden verbluteten Länder Frieden miteinander schließen mußten.

Herakleius zog in das befreite Jerusalem ein, Khosrau II. begab sich nach Ktesiphon. Die Welt schien wieder Frieden zu haben. Während Herakleius die Befreiung des Christentums in Jerusalem feierte, baute sich Khosrau in Ktesiphon einen Thron, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Aus Gold, Silber und Edelsteinen wurde ein Abbild des Himmels geschaffen, in dessen Mitte sich Sonne, Mond und Sterne befanden. Auf Wunsch konnte dieser Himmel Regen und Donner erzeugen. Der Thron wurde oberhalb dieses Himmels errichtet, und der ganze komplizierte Mechanismus wurde von Pferden getrieben.

Diese Himmelsnachbildung war das letzte Geschenk der Priester des heiligen Feuers an ihren Kaiser. Kurz nachdem der Großschah zum erstenmal seinen neuen Thron bestiegen hatte und während Herakleius noch immer seine Triumphe in Jerusalem feierte, trat ein Ereignis ein, das nur von wenigen bemerkt und von einigen, die Zeit dazu hatten, belächelt wurde.

In Ktesiphon und in Jerusalem trafen gleichzeitig zwei wildaussehende Araber ein und verlangten zur allgemeinen Heiterkeit, dem Kaiser vorgeführt zu werden. Man weiß nicht, ob ihrem Verlangen stattgegeben wurde, man weiß nur, daß es ihren Bemühungen zu guter Letzt gelang, zwei Schreiben, die sie aus der Wüste mitbrachten, dem Kaiser vor Augen zu bringen.

Die beiden Briefe waren gleichlautend. In schlichten und höflichen Sätzen wurden die beiden Herrscher der damaligen Welt aufgefordert, ihren Glauben zu verlassen und eine dunkle, arabische Gottheit sowie ihren neugegründeten Kultus, genannt ›Hingebung‹, anzuerkennen. Der Verfasser dieser beiden Briefe war den Herrschern natürlich gänzlich unbekannt. Er selbst nannte sich schlicht: ›Mohammed, der Gesandte Gottes‹. Im Rausche seines Triumphzuges fand Herakleius keine Zeit, den Brief zu beantworten. Auch hätte der Kaiser von Byzanz, dem halbgöttliche Ehren dargebracht wurden, nicht mit irgendeinem Araber in Briefwechsel treten können. Khosrau II. aber, den das Geschenk der Priester keineswegs für den Verlust Jerusalems entschädigt hatte, war übelgelaunt, als er den Brief erhielt. Er zerriß das Schreiben, zerstampfte es mit den Füßen und befahl seinem Statthalter in Südarabien, den ›Gesandten Gottes‹ zu köpfen. Dieser Befehl konnte nicht erfüllt werden, denn bevor er in Arabien eintraf, wurde der mächtige Großschah selber entthront und geköpft.

Keiner der beiden Kaiser hatte bis dahin den Namen Mohammeds gehört. Zehn Jahre später eroberte das Heer dieses Mohammed ganz Persien, die Hälfte von Byzanz und erstickte für immer die heiligen Feuer von Iran. Und schließlich hißte er die grüne Fahne des Gesandten Gottes – auf dem Grabe Christi.

Dieses Heer, dieser Glaube, dieser Prophet entstanden aus dem Nichts, aus der Wüste Arabiens, aus dem Lande der Bettler und Landstreicher. Zehn Jahre genügten, um aus dem Nichts eine Welt zu erschaffen.

Das Schreiben, das den Namen Mohammeds trug, stammte aus einer kleinen Stadt mitten in der arabischen Wüste. Nur ganz nebenbei hatten die beiden Kaiser vielleicht den Namen dieser Stadt einmal gehört. Die Stadt hieß Mekka. Als das Heer Khosrau II. nach Arabien zog, war ihm Mekka zu klein gewesen, um es eines Nebenfeldzuges zu würdigen. In zehn Jahren wurde es der Mittelpunkt einer Welt, die sich von den Ufern Gibraltars bis zu den Gipfeln des Himalaja erstreckte.


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