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Das Ende

Die nur an Mohammed glaubten, mögen wissen, Mohammed ist tot.

Abū Bakr

Die Tage Mohammeds gingen zur Neige. Sein Werk war vollbracht. Er hinterließ ein geeintes Land und hatte seinen Getreuen den Weg der Zukunft gewiesen. Der Prophet war jetzt dreiundsechzig Jahre. Die Schwäche und Gebrechlichkeit des Alters überfiel ihn immer mehr.

Aus den feuchten Feldern von Medina stiegen giftige Dünste empor. Der Tod herrschte in Medina. Der Tod drohte jedem, der nicht durch Vererbung eine gewisse Immunität gegen diese Fieberluft erworben hatte. Mohammed erkannte seine Lage. Er wollte aber sein Wort halten, das er einst dem Volk von Medina gegeben hatte: »Ich lebe mit euch, und ich sterbe mit euch.«

Immer schwächer wurde der Gesandte Gottes. Nur mit Mühe erfüllte er seine Pflichten als Staatsmann und als Prophet. Niemand sollte vorzeitig von seiner Krankheit erfahren. Deshalb raffte er seine Kräfte zusammen, noch einmal unternahm er, das nahe Ende fühlend, eine Pilgerfahrt nach Mekka, die letzte seines Lebens.

Diese letzte fromme Reise des Propheten wurde zu einer großartigen Abschiedsfeier Mohammeds von seiner Vaterstadt Mekka. Eine ungeheuere Zahl von Gläubigen begleitete den Propheten. Mit dieser heiligen Schar im Gefolge ritt der Prophet, von den Führern der Gläubigen begleitet, in den großen Hof der Kaʿba ein.

Dort schlachtete er eigenhändig dreiundsechzig Opferkamele, der Zahl seiner Jahre entsprechend. Dann erfüllte er wiederum alle alten Zeremonien der Pilgerfahrt: rasierte sich den Kopf, umkreiste ehrfurchtsvoll die Kaʿba und betete inbrünstig zu seinem Gott. Dann verteilte er seine abgeschnittenen Locken als Andenken unter die Gläubigen, bestieg die Kanzel und hielt seine Abschiedspredigt. Täglich wiederholte er diese Predigt, damit sie sich dem Volke einprägen sollte, und täglich begann er sie wie folgt: »Hört meine Worte, denn ich bin nur ein Mensch wie ihr, und ich weiß nicht, ob wir uns je an diesem Orte wiedersehen werden.« Dann erzählte er dem Volk von dem einzigen Gott, von den Gesetzen des neuen Glaubens, aber auch von den kleinen Dingen des Lebens, vom guten Benehmen in der Öffentlichkeit und zu Hause, von Höflichkeit und redlichem Sinn, denn nichts ist zu gering vor Gottes Augen. Am Schluß der letzten Predigt erhielt er vor den Augen des Volkes die letzte Offenbarung, den berühmten Koranvers: »Schlimm ist dieser Tag für die, die den Glauben geleugnet haben. Aber fürchtet euch nicht, fürchtet mich, denn heute habe ich eure Religion vollkommen gemacht und meine Gnade in euch vollendet. Mein Wille ist es, daß der Islam euer Glaube sei« (5,5).

›Diese Worte‹, so sagen arabische Chronisten, ›waren Siegel und Schluß des Gesetzes. Nach ihnen erfolgte keine Offenbarung mehr.‹ Zuletzt erhob der Prophet die Hände und rief mit halb fragender Stimme in das Volk: »Erfüllte ich, was mir Gott befohlen hatte?« – »Du hast es erfüllt«, schrie das Volk. »Auch Gott hat sein Versprechen erfüllt«, sagte Mohammed.

Als alle feierlichen Zeremonien beendet waren, zog der Prophet zurück nach Medina, in die Stadt seines Ruhmes und Todes. Wieder begann die Arbeit des Alltags, wieder erschien er, oft von Freunden gestützt, in der Moschee, erteilte Befehle und stellte ein Riesenheer auf. Wie im vorigen Jahr sollte ein Feldzug gegen Byzanz geführt werden. Die Partei der Heuchler war jetzt verschwunden, die Staatskassen durch Zentralisierung der Steuereinnahmen gefüllt. Ruhig und zielsicher konnte das neue Heer gerüstet werden. Zum Führer der Armee ernannte der Prophet den zwanzigjährigen Usāma, den Sohn Zaids, der in jener ersten Schlacht gegen die Byzantiner gefallen war, als Ḫālid zum erstenmal das muslimische Heer führte. Jetzt sollte der Sohn den Tod des Vaters rächen. Feierlich übergab ihm Mohammed die Standarte des Oberbefehlshabers, verabschiedete sich vom Heer und betete für den Sieg. Er selbst mußte diesmal dem Feldzug fernbleiben, denn seine Kraft reichte nicht mehr aus.

In der Nacht, als das Heer fortzog und noch nahe bei Medina lagerte, befiel den Propheten ein heftiger Anfall des tropischen Fiebers, der febris subcontinua. Mohammed lag kraftlos mit geschlossenen Augen auf seinem Lager. Nur seine Lippen bewegten sich. Plötzlich, um Mitternacht, erhob er sich, ging vor Fieber taumelnd aus dem Hause und wanderte allein, mit schwankendem Schritt, durch die Straßen Medinas. Niemand sah ihn, niemand beobachtete ihn. Nur ein alter Sklave stützte seinen unsicheren Gang.

Endlich gelangte der Prophet zu einem großen, unbebauten Platz, zum Friedhof von Medina. Hier lagen seine alten Freunde und Kämpfer, die mit ihm gegangen waren und vor ihm den engen Pfad vom Leben zum Tod beendet hatten. Auf zahllosen Feldzügen, durch Verfolgung, Elend und Sieg hatten sie den Propheten begleitet, waren Zeugen der vielen frommen Gespräche gewesen. Jetzt lagen sie auf dem Friedhof zu Medina, und der fiebernde, sterbende Prophet entsann sich ihrer. Er kniete auf dem leeren, dunklen Platz nieder und weinte bitterlich. Er schlug sich an die Brust und betete für seine toten Weggenossen. Vielleicht weinte und betete er auch in dieser einsamen, dunklen Nacht für seine Eltern, die im Heidentum starben und für die er nie öffentlich zu beten gewagt hatte. »Alle, die im Heidentum starben, sind der Hölle verfallen, auch meine Eltern«, hatte der unerbittliche Prophet in seinen Predigten gesagt. Jetzt kniete er auf dem traurigen, großen Platz, Tränen bedeckten sein Gesicht, und er weinte und betete für alle, die mit ihm gegangen waren und vor ihm den Weg beendet hatten. Einsam stand Mohammed auf dem Friedhofsplatz zu Medina. Nur sein Begleiter, der alte Sklave, hörte zitternd das Weinen seines Herrn. Schließlich erhob sich Mohammed, blickte durch die Dunkelheit auf die Gräber der Freunde, auf die Stadt Medina und sagte: »Freut euch, ihr Bewohner des Grabes, friedlicher ist der Morgen, zu dem ihr erwachen werdet, als der, welcher die Lebenden erwartet.« Wankend und bebend durchschritt er die düsteren Straßen der Stadt und betrat die Moschee, kraftlos, krank und fiebernd.

Die Krankheit steigerte sich von Tag zu Tag. Doch beugte sich Mohammed nicht. Wie immer besuchte er die Moschee und verbrachte seine Nächte der Reihe nach bei seinen Frauen. Doch schwanden seine Kräfte sichtlich und unaufhaltsam. Schon entsandte man insgeheim Boten an das Heer in der Wüste mit dem Befehl, den Feldzug zu unterbrechen und umzukehren. Aus allen Gegenden des Reiches strömten alte Freunde und Mitkämpfer des Propheten nach Medina. Denn blitzschnell hatte sich unter den Eingeweihten die Nachricht verbreitet: der Prophet ist dem Tode nah.

Der Prophet lag in der Hütte Maimūnas, seiner reizlosesten Frau, als ihn ein neuer schwerer Fieberanfall heimsuchte. Er fühlte das Ende nahen und ließ alle seine Frauen rufen, um jeder ein freundliches Wort zu sagen. Dann bat er sie, den Rest seiner Tage in der Hütte seiner Lieblingsfrau ʿĀʾiša verbringen zu dürfen. Dort lag er nun fiebernd und leidend. ʿĀʾiša pflegte ihn, küßte seine rastlosen Augen und streichelte seinen Bart. Dann erschien Fāṭima, die einzige lebende Tochter des Propheten. Zärtlich flüsterte ihr Mohammed Abschiedsworte ins Ohr.

Am zweiten Tag des Todeskampfes befiel Mohammed große Unruhe. Er ließ sich in eine Badewanne legen und befahl, ihn aus sieben Schläuchen kräftig mit Wasser zu begießen. Das verlieh ihm für kurze Zeit neue Kräfte. Von ʿAlī und Fadl, dem Sohn des Onkels ʿAbbās, getragen, erschien er in der Moschee und befahl Abū Bakr, an seiner Statt das Gebet zu leiten. Dann betete er selbst für die Gläubigen, die bei Uḥud und in vielen anderen Schlachten für ihn gefallen waren, erhob sich und sprach zum letztenmal zu seinen Freunden. Er ermahnte nochmals die Flüchtlinge und die Helfer, die Muhāǧirūn und die Anṣār, fest zusammenzuhalten, dann sagte er: »Die Zahl der Muslims wird zunehmen, eure Zahl kann aber nur abnehmen. Haltet fest zueinander, denn ihr wart meine Familie.«

Dann verkündete er seine drei letzten Befehle. Sie lauteten: »Vertreibt alle Götzendiener aus Arabien. Gebt allen Neubekehrten die gleichen Rechte wie euch selbst. Betet unablässig.« Als auch das getan war, erhob sich der Gesandte Gottes, blickte in die Menge und sagte: »Muslims, ist unter euch jemand, den ich beleidigt habe?« Da erhob sich aus dem Volk ein einfacher Mann und sagte, daß der Prophet einst drei Silberstücke bei ihm entliehen habe, um sie unter die Armen zu verteilen, daß er aber vergessen habe, die Silberstücke zurückzuzahlen. »Es ist besser, in dieser Welt zu erröten als im Jenseits«, sagte der Prophet und zahlte dem Mann die drei Silberstücke nebst Zinsen zurück. So nahm der Gesandte Gottes Abschied von der Gemeinde der Gläubigen.

Jetzt verringerten sich seine Kräfte zusehends. Ein Ohnmachtsanfall löste den andern ab. In den wenigen lichten Augenblicken hörte Mohammed nicht auf, über den großen Feldzug gegen Byzanz zu sprechen. Die Pläne des Staatsmanns, die Visionen des Propheten ruhten auch jetzt nicht. Der Sieg über Byzanz sollte ein Weltreich schaffen, sollte Christentum und Islam vereinen. Selbst auf dem Sterbelager hörte Mohammed nicht auf, dies große Ziel zu verkünden, Pläne zu schmieden und Befehle zu erteilen.

Noch einmal sollte es ihm vergönnt sein, zum Volk zu sprechen. Als am Freitag Abū Bakr das Gebet leitete, hatte sich das Gerücht verbreitet, Mohammed sei gestorben. Grenzenlose Verwirrung entstand in der Stadt. Um das Volk zu beruhigen, ließ Mohammed sich vor die Menge tragen und sprach mit zitternder Stimme: »Gab es denn vor mir einen Propheten, der ewig gelebt hat? Ich kehre zu dem zurück, der mich gesandt hat. Mein letztes Gebot lautet: Liebet euch, helft einander und verrichtet fromme Taten. Das allein ist wichtig, alles andere führt zur Vernichtung. Jetzt gehe ich euch voran, doch bedenkt, daß ihr mir folgen werdet.«

Wieder wütete die Krankheit im Körper des Propheten. Einer leichten Besserung folgte der Rückschlag. Das Fieber wurde stärker und stärker, der Prophet fühlte sein Ende nahen. Da befahl er, all seine Sklaven freizulassen und alles Geld, das im Haus war, an die Armen zu verteilen. Dann versank er in fieberhaften Schlaf. Leise legte ʿĀʾiša seinen Kopf auf ihre Knie, streichelte ihn und befeuchtete sein Gesicht mit kühlem Wasser. Zuletzt versuchte sie sogar eine Zauberformel anzuwenden. Sie nahm die rechte Hand des Gesandten Gottes und streichelte mit ihr sein Gesicht. Dazu sagte sie: »O Gott, des Menschen Hort, schaffe das Übel fort. Denn du bist der Heiler, und es gibt keine Heilung als deine Heilung, und dein Heilen gestattet der Krankheit kein Weilen.« Da bewegte sich die Hand Mohammeds, noch einmal öffnete er die Augen und sagte leise: »O Allāh, es sei so, unter den seligen Gefährten im Paradies.« – Dann war er tot.

Der Prophet Gottes starb am Montag, dem 12. Tage des arabischen Monats Rabielewwel, am 8. Juni des Jahres 632. Er wurde in der Hütte ʿĀʾišas beerdigt, an der Stelle, wo er gestorben war. Die Hütte wurde der Moschee einverleibt.

Blitzschnell verbreitete sich die Nachricht vom Tode Mohammeds in der Stadt. Man wollte ihr keinen Glauben schenken. Man war völlig fassungslos. Viele Muslims hielten den Propheten für unsterblich. Sein Tod bedeutete für sie den Zusammenbruch des Islam. Eine große Menschenmenge versammelte sich vor dem Hause ʿĀʾišas. Man schrie und jammerte. Der alte Haß zwischen den Parteien schien von neuem zu entflammen. Niemand wußte, was jetzt mit der Republik Gottes geschehen sollte. Der Prophet hinterließ keinen Nachfolger. Der Tod des Propheten schien der Tod des Islam.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und aus der Hütte ʿĀʾišas trat Abū Bakr, der Älteste unter den Muhāǧirūn. Er hob die Hand und verkündete:

 

»Die nur an Mohammed glaubten, mögen wissen – Mohammed ist tot –

Wer aber an Mohammeds Gott glaubte, der wisse – Gott lebt und wird nimmer sterben.«

 

Mit fester Hand übernahm Abū Bakr die Nachfolgerschaft des Propheten. Am Tage nach dem Tode Mohammeds wurde er der erste Kalif, das heißt Stellvertreter des Gesandten Gottes, Schatten Gottes auf Erden, Beherrscher der Gläubigen.

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode Mohammeds gehörte dem Islam Syrien, Ägypten, Nordafrika, Persien und Mesopotamien.

Hundert Jahre nach dem Propheten umfaßte der Islam ein Drittel der alten Welt.

Nach fünfhundert Jahren beherrschte der Islam Byzanz, Indien und Rußland, Steppe, Wüsten und Kontinente. Er stand siegreich an den Toren von Wien.

Auch heute hat er nicht aufgehört, sich neue Gebiete zu erschließen und zu erobern. –

Der Kaufmann aus Mekka hatte sein Ziel erreicht.


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