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O Prophet Gottes! Fackel, die die Welt erleuchtet; Schwert Gottes, das die Heiden vernichtet.
Qaṣīda Banāt Suʿad
Im Hofe der Moschee von Medina saß täglich Mohammed, empfing Bittsteller, erteilte Befehle und regierte das Volk der Wüste. Ihn umgaben zahlreiche schreibgewandte Muslims, schrieben seine Befehle auf, gaben sie weiter und achteten auf Ruhe. Doch residierte der Prophet nicht als König im Lande der Wüsten. Der Islam will kein weltliches Herrschertum sein. Der alleinige, unbeschränkte Herrscher des Staates war Gott. In seinem Namen erschienen die Gesetze, in seinem Namen wurden Steuern auferlegt und Urteile gefällt. Der Prophet war nur der demütige Verkünder des Wortes des Allmächtigen. Er beanspruchte weder königliche Würden noch despotische Macht für sich. Auch er beugte sich dem Gesetz Gottes.
Das Leben im Staate Gottes war theokratischer Sozialismus. Alle Gläubigen waren vor Gott gleich, alle unterlagen den gleichen Gesetzen, zahlten die gleichen Steuern, erfüllten dieselben Pflichten. Ausgenommen waren nur die Ungläubigen, die Juden und die Christen. Diese zahlten höhere Steuern, waren aber dafür von den Pflichten der Muslims befreit. Sie brauchten keinen Kriegsdienst zu leisten und waren nicht verpflichtet, für die Sache Gottes ihr Blut zu opfern.
Nur die letzten Reste der Heiden wurden energisch verfolgt. Schließlich verbot der Prophet den Heiden, die Kaʿba zu betreten. Die alte Gewohnheit, nach Mekka zu pilgern, war daraufhin für viele ein Beweggrund, den Islam anzunehmen. Nur die Bewohner von Ṭāʾif versuchten mit dem Propheten zu handeln. Sie baten, man möge ihnen ihre Idole wenigstens noch für zwei Jahre belassen oder, wenn das nicht möglich wäre, für ein Jahr oder zumindest für sechs Monate. Als sie sahen, daß Mohammed zu keiner Nachgiebigkeit bereit war, erklärten sie verzweifelt, er möge dann jemanden schicken, der die Idole zerschlagen sollte. Sie selbst könnten sich nicht dazu entschließen. Mohammed beauftragte Abū Sufyān hiermit. Der alte Feind unterwarf sich auch dieser Demütigung, reiste nach Ṭāʾif und zerschlug dort feierlich die Götzen.
Zum erstenmal in ihrer Geschichte wurden die freien Beduinen regelmäßig besteuert. Das war für sie die Kehrseite des neuen Glaubens. Manchen Feldzug mußte der Prophet fuhren, um die Steuern einzuziehen. Denn die Steuerzahlung war eine religiöse Pflicht, sie galt als Befehl Gottes. Die Steuergelder sollten für die Armee und zur Unterstützung der Bedürftigen verwandt werden. Es sollte keine Not im Lande Gottes herrschen. Oft wurden auch die Steuern von den Steuereinziehern sofort an Ort und Stelle unter den Armen verteilt. Das erwarb dieser ungewohnten Einrichtung manchen Freund.
Die Steuern konnten zuerst nur unter Schwierigkeiten eingetrieben werden. So lebte zum Beispiel in der Wüste der stolze Stamm Tamīm. Dieser Stamm weigerte sich, Steuern zu zahlen. Steuern bedeuteten für sie Tribut, und Tribut war das Los der Besiegten. Sie verjagten die Steuerbeamten; als sie aber erfuhren, daß der Prophet zum Feldzug gegen sie rüstete, sandten sie die besten Dichter ihres Stammes nach Medina. Diese traten vor den Propheten und begannen sich in glühenden Versen über das Unrecht zu beklagen, das ihrem Stamm geschah. In Medina war man aber sogar gegen Dichterfeldzüge gerüstet. Die Hofdichter des Propheten traten hervor und sangen dem neuen Staat und all seinen Institutionen ihr begeistertes Los. Hierauf erkannten die Tamīm, in künstlerischer Aufrichtigkeit, die höhere Begabung der Prophetendichter an und erklärten sich unter diesen Umständen bereit, die Steuern zu bezahlen.
Der Prophet teilte das Land in eine Reihe von Provinzen ein. Für jede Provinz ernannte er einen Vorbeter, der das Gebet der Frommen leitete, und einen Steuereinnehmer, der den Frommen die Armensteuer abnahm. Aus dem Amt des Vorbeters entwickelte sich dann der Imam und Kadi, Richter und Geistlicher, denn Welt und Geist sollten im Islam miteinander arbeiten.
Nur in Ländern, die eigene Fürsten hatten, wie zum Beispiel Südarabien, sammelten zuerst die Fürsten selbst das Almosen des Propheten.
Die Steuer war nur eine der vielen Neuerungen, die im Staate Gottes entstanden. Die Verwaltung des Staates erforderte darüber hinaus etwas, was der Wüste bisher völlig unbekannt geblieben war: Beamtenschaft und Polizei. Der Prophet schuf beides, doch betrachtete er das Amt der Polizisten als Ehrenamt. Erst ʿUmar hat die Besoldung der Polizei eingeführt. Die Aufgaben der Polizei, der Iḥtizab, waren höchst eigenartig. Prügeleien, Diebstähle und sonstige Vergehen gingen sie nichts an. Das waren mehr die Angelegenheiten der beteiligten Familien. Sie hatten nur auf die Befolgung der religiösen Gesetze zu achten, und da im Staate Gottes jedes Gesetz religiös war, waren die Aufgaben der Polizei ziemlich allumfassend. Sie mußten auf den Märkten feststellen, ob auch kein Schweinefleisch verkauft wurde, sie mußte den Betrunkenen die gesetzliche Strafe, eine angemessene Tracht Prügel, verabreichen und vieles andere mehr. Zu Lebzeiten des Propheten war aber die religiöse Inbrunst so groß, daß die Polizei trotz ihrer diversen Pflichten nicht allzu stark beschäftigt war. Erst nach dem Tode des Propheten hatte sie alle Hände voll zu tun.
Die größte Bedeutung im Lande Gottes hatte aber schon zu Mohammeds Zeiten das Amt des Vorbeters. Nur in Korankenntnissen, Treue und Kriegermut vielfach erprobte Männer wurden zu diesem Amt auserkoren. Ihre Aufgabe war nicht nur, die Zeremonie des Gebetes zu leiten, sondern auch das Volk zu belehren, das Leben bei den Sippen zu überwachen und den Propheten zu vertreten. Der Vorbeter war der Gouverneur des neuen Staates.
In Medina, in der Hauptstadt des neuen Staates, war der Prophet selbst der Vorbeter des Volkes. Täglich fünfmal verrichtete er das Gebet. Keine Aufgabe war ihm so wichtig, daß er ihretwegen das Gebet vernachlässigt hätte. Auch jetzt als Beherrscher ganz Arabiens verwarf der Prophet jeden äußeren Prunk. Er hatte nach wie vor keine feste Wohnung, lebte in der Moschee und schlief abwechselnd in den Hütten seiner Frauen. Nur für feierliche Staatsakte, also für Repräsentationszwecke, ließ er ein großes, prunkvolles Zelt erbauen, in dem er die Gesandtschaften fremder Mächte und vornehme Besucher empfing. Von den Reichtümern, die jetzt von allen Seiten in seine Staatskassen flossen, verwandte er nichts für sich. Dagegen verfügte er, daß die Mitglieder der Sippen Hāšim und Muṭṭalib, die ihm in schweren Zeiten beigestanden hatten, einen rechtlichen Anspruch auf die Staatskasse, das heißt auf die Kasse des Gesandten Gottes haben sollten. Auch sonst pflegte er seine Freunde reich zu beschenken. Landgüter, Geld und Vieh erhielten die Anṣār und Muhāǧirūn im Übermaß. Die Bettelei bei dem Propheten wurde zum ständigen Brauch bei den meisten Teilnehmern der Schlachten von Badr und Uḥud.
Zwar waren alle Muslims gleich. Die Anṣār und Muhāǧirūn, die jetzt alle in Medina versammelt waren, bildeten jedoch eine gefühlsmäßig anerkannte Aristokratie des neuen Staates. Ihr Herz und Hirn war voll von den Worten und Taten des Propheten. Sie kannten jeden seiner Schritte, wiederholten alle seine Aussprüche und verstanden es gut, ihre unvergeßlichen Erinnerungen in bare Münze zu verwandeln. Sie waren Schmarotzer am Staate Gottes und bildeten nach dem Tode des Propheten eine geschlossene fromme Kaste, deren Mitglieder im wahrsten Sinne des Wortes von ihren frommen Erinnerungen lebten und ihr wohlverdientes materielles Wohl eifrig zu schützen verstanden. Die Kasse der Kalifen hatte oft schwer unter ihren frommen Ansprüchen zu leiden. Die meisten dieser frommen Schmarotzer hinterließen dementsprechend unermeßliche Reichtümer.
Der Prophet hatte für die Schwächen seiner Anhänger Verständnis. Er wußte genau, welche Entbehrungen jeder von ihnen seinetwegen auf sich genommen hatte, und er verstand es, seine Geschenke den Leistungen entsprechend zu verteilen. Auch die Frauen des Propheten sollten jetzt für die Entbehrungen ihrer Jugend entschädigt werden. Allerdings war der Prophet weit davon entfernt, ihnen auch nur annähernd Werte in der Höhe zu schenken, wie sie ihnen nach seinem Tode von den Kalifen in Überfluß zukamen. Als ein großartiges Geschenk wurden bereits ein paar Ellen Stoff oder etwas Moschus erwähnt. Aus den letzten Jahren des Propheten ist eine Schenkungsurkunde Mohammeds an seine Verwandten erhalten geblieben, die folgenden Wortlaut hat: Schenkungsurkunde von Mohammed, dem Gesandten Gottes: Alle meine Frauen sollen hundertachtzig Maß Weizen erhalten. Meine Tochter Fāṭima fünfundachtzig Maß, der Sohn von Zaid vierzig Maß. Zeuge der Urkunde sind ʿUṭmān und ʿAbbās.‹ Ein Geschenk von etwas Weizen erschien also dem Propheten bereits so beträchtlich, daß er dafür eine Urkunde und zwei Zeugen benötigte.
Urkunden, Gesetze, Sprüche, kriegerische Pläne, über all dies entschied im Hofe der Moschee der nunmehr einundsechzigjährige Prophet. Er allein bekleidete sämtliche führenden Ämter des neuen Staates. Er war oberster Richter, Heerführer, Gesetzgeber und Prophet zugleich. Aus seinen Sprüchen, Befehlen und Urkunden entstanden in Medina allmählich die Umrisse des neuen islamischen Rechtes. Dieses Recht war kanonisch, es begann aber noch zu Lebzeiten Mohammeds die Scheidung des Rechtes in ʿĀda und Šarīʿa: in Gewohnheitsrecht und kirchliches Recht.
Mohammed mischte sich nur wenig in die Beziehungen zwischen den einzelnen Sippen und Familien ein. Die alten Wüstengesetze reichten in dieser Hinsicht vollkommen aus, deshalb beließ er den Völkern ihr Gewohnheitsrecht, ihr ʿĀda. Auch die künftigen Eroberer des Islam taten das gleiche. Sie ließen die Völker auf ihre Art und Weise glücklich sein, nach ihrem eigenen 'Ada leben. Nur in Sachen des Glaubens wurde das Recht des Propheten, das Šarīʿa, eingeführt. Der Glaube umfaßte ziemlich viele Erscheinungen des Lebens. Nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Gott wird im Islam durch den Glauben geregelt, auch Ehe, Erbschaft, Behandlung der Untergebenen, Strafen und viele andere Fragen werden vom Šarīʿa erfaßt. Alle Fragen, von denen das Schicksal des Menschen auf Erden und im Jenseits abhängt, unterstehen dem Šarīʿa.
Immer mehr begann man im Staate des Propheten alle Fragen des Lebens nach dem Urteil Gottes, nach den Worten des Korans zu entscheiden. Die Entscheidung Gottes und seines Propheten war dem Menschen der Wüste fast immer einleuchtend und verständlich. Denn der gesamte Staat war, wie bereits erwähnt, eine neue Art Sippengemeinschaft, eine Ausdehnung der arabischen Sippenanschauung über die ganze Welt. Der Prophet war ein Araber, unbewußt spiegelte sich in seinen Reden, Sprüchen und Gesetzen das uralte Leben der Wüste.
Wenn den Propheten der Wunsch beseelt hätte, einen nationalen Staat zu gründen, so wäre dies mit der Eroberung Mekkas erreicht gewesen. Noch einige Feldzüge, noch einige Siege und Niederlagen, der nationale Staat der Araber wäre gefestigt gewesen. Ehemalige Heiden, stolze Quraiš, leibliche Kinder eines Abū Sufyān, Anṣār, Muhāǧirūn, sogar alte Blutfeinde kämpften jetzt Schulter an Schulter für die Sache des Propheten. Der Gründer eines Nationalstaates hätte sein Werk als vollendet ansehen können. Der Nationalstaat aber war nicht die Idee Mohammeds. Seit dem ersten Tag der Sendung hatte er die Weltherrschaft des Islam verkündet.
Und da sich die Fähigkeiten des Propheten als Staatsmann, Feldherr, Propagandist parallel den Erfordernissen des Augenblicks entwickelten, erschien es den Gläubigen keineswegs ausgeschlossen, daß der ehemalige Kaufmann aus Mekka die Zügel der Weltmacht fest in seinen frommen Händen halten würde. Bevor jedoch Mohammed den ersten Schritt zur Eroberung der außerarabischen Welt wagen konnte, mußte noch eine ernste Gefahr beseitigt werden, die urplötzlich aus dem Sande der Wüste erstanden war und das stolze Gebäude des Prophetenstaates nur zu leicht hätte untergraben können.