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Der Weg zur Macht

Das Schwert ist der Schlüssel des Himmels und der Hölle.

Mohammed

Von Wüsten, Ackerfeldern und Palmen umgeben lag die Stadt Medina, der Zufluchtsort der Frommen. In der Stadt herrschte das Wort des Propheten, das Wort des Islam. Zwar war Medina nur eine einzige Stadt, sogar keine große. Einst sollte aber von dort aus das Wort des Korans über alle Länder und Kontinente, durch alle Wüsten, Städte und Dörfer, bei allen Völkern der Welt ertönen. Doch waren diese Völker vorerst über die ganze Erde zerstreut, hatten ihre Götter und ihre Herrscher. Sie wollten ihr Ohr dem Worte des Propheten nicht leihen. Die Weltmacht wollte nicht freiwillig zu dem Propheten kommen, deshalb beschloß der Prophet, den Weg der Macht zu betreten. Denn im Elend, im Unglauben, in der Sünde verging die Welt. Um nun die Welt vor der Sünde zu retten, um das Wort Gottes allen hörbar zu machen, um die Götter des Unglaubens zu stürzen und um Kirchen, Moscheen und Synagogen zu schützen, betrat der Gesandte Gottes den Weg zur irdischen Macht. Ein riesiger Morast versperrte diesen Weg: der Sumpf der Politik. –

Mohammed mußte diesen Sumpf durchschreiten. Mord, Verrat, Treubruch lagen in diesem Sumpf; wer ihn durchschritt, mußte fremdes Blut vergießen, mußte Schmutz und Sünde auf sich nehmen, mußte ebenso brutal und listig wie streng und weise sein. Mußte für einige Zeit die Milde vergessen und die Liebe verabscheuen. Viele Propheten, Weise und Heilige der Welt versanken einst in diesem großen Sumpf, blieben für immer darin stecken, hörten auf, Propheten und Weise zu sein. Denn schwer lastet der Schmutz des großen Sumpfes auf den Schultern des Weisen. In der Tiefe des Schlammes versinken Weisheit, Milde und Kraft. Mit dem Kot der Sünde bedeckt, treten die Heiligen auf der andern Seite des Morastes ans Ufer: als Despoten, Herrscher, Dämonen, Diener der Unterwelt. Trügerisch und lockend ist der giftige Sumpf. Er liegt auf dem Wege aller, die die Welt bessern wollen. Viele Männer verloren in dem Sumpf die Schätze, die sie hinübertragen wollten, und nur wenige erreichten das Ufer unbefleckt und rein. Denn der Weg zur Macht führt durch den Sumpf der Sünde.

Auch Mohammed mußte den Sumpf der Sünde betreten, auch er mußte durch Blut, Schmutz und Verrat gehen, doch hell und strahlend leuchtete am anderen Ufer das Wort Gottes, das befohlen hatte: »Verkünde im Namen deines Herrn.« Manche Sünde nahm der Gesandte Gottes auf sich, er vergoß Blut, herrschte brutal und rücksichtslos, handelte listig und verschlagen, kriegerisch und weise. Niemand in der Welt hat aber den Sumpf der Sünde reineren Herzens verlassen als Mohammed, der Gesandte Gottes.

Unverhofft kam Mohammed zur Macht, und diese Macht wuchs zusehends. Aus der Wüste und aus den Steppen kamen von fremden Sippen Abenteurer zu ihm und Krieger, denen daheim kein Glück vergönnt war. Sie hörten von der Macht des neuen Propheten, legten das Glaubensbekenntnis ab und warteten nun im Hofe der Moschee, in den Häusern und Gassen Medinas auf die Stunde, da die Kraft ihres Schwertes Verwendung finden würde. Denn sie waren der Heimat entflohen, und der Islam war ihr einziges Gewerbe. Geldgierig und kriegerisch, wurden sie die Stoßtruppen des neuen Glaubens, Prätorianer des Islam.

Der Prophet wußte, daß die Zeit des Kampfes gekommen war. In der Ferne lag die glänzende Stadt Mekka und herrschte nach wie vor über die Wüste. Diese prunkvolle Stadt hatte den Propheten ausgespien. Seitdem er geflohen war, hatte man ihn vergessen. Es war kein Raum für ihn auf dem großen Platz der Kaʿba. Vergessen, mißachtet, ignoriert wurde der Prophet und seine Lehre in Mekka. Für die Mekkaner war dieser Kampf siegreich beendet. Man gönnte dem Propheten Medina und widmete sich wieder den Geschäften. Der Prophet wollte sich aber in Erinnerung bringen, wollte Mekkas Gedächtnis auffrischen, wollte wieder, wie in den Jahren der Verbannung, der Gesprächsstoff der Wüsten sein. Er mußte herausfordern, um nicht in der fernen Provinzstadt Medina für immer der Vergessenheit zu verfallen. Der Weg der Erinnerung war der Weg des Kampfes. Eines Tages versammelte der Prophet die Schar der Gläubigen, lehnte sich, wie immer bei seinen Predigten, an den Stamm einer Palme und gab ihnen in der Form eines weisen, orientalischen Märchens seine Absichten kund. Denn er wußte, daß nichts mächtiger in der Wüste ist als das Märchen eines Weisen.

»Viele Propheten«, erzählte Mohammed, »sind von Gott auf die Erde entsandt worden, und jeder der Propheten hatte die Aufgabe, eine andere Eigenschaft des Allmächtigen zu preisen. Moses verkündete die Gnade des Allbarmherzigen, Salomo, der König, seine Weisheit, seine Herrlichkeit und Majestät, der milde Jesus pries den Völkern die Gerechtigkeit, Allwissenheit und Macht Gottes, er bewies sie durch die Wunder, die er durch Gottes Gnade vollbringen durfte. Doch all das konnte die sündige Menschheit nicht überzeugen. Die Menschen blieben in der Sünde stecken, und alle Wunder von Moses bis Jesus sind mit den Augen des Unglaubens angesehen worden. Da sandte Gott, der Gerechte, mich, seinen Gesandten Mohammed; ich aber habe von dem Herrn die Sendung des Schwertes bekommen.«

Die Gläubigen lauschten den Worten des Propheten, sie ahnten aber nicht, daß in diesem kurzen Überblick der Wendepunkt ihres Lebens, der Wendepunkt des Islam enthalten war. Das Schwert und nicht das Wort sollte von nun ab das Schicksal des Glaubens entscheiden. Der Prophet ging zum Angriff über. Er war zu dieser Zeit zweiundfünfzig Jahre alt.

Die Muslims, die in der Moschee herumlungerten, die von der Gnade des Propheten lebten und nichts in die Fremde mitgebracht hatten als den Glauben an das Wort Gottes, waren zum Kampf bereit. Sie waren aber nicht die einzigen, die mit dem Schwert in der Hand das Wort Gottes verfechten sollten. Viele Muslims gelangten in Medina zu Reichtum. Abū Bakr zum Beispiel schickte bereits reiche Karawanen nach Basra, desgleichen viele andere. Sie hatten sich eingewöhnt in Medina, sie lebten, um Reichtümer zu erwerben, und betrieben Handel wie in der Stadt Mekka, die sie ihres Glaubens willen verlassen mußten. Es war nicht leicht, sie aus ihrem Alltag zu reißen und in den Kampf zu locken. Ebenso stand es mit den Eingeborenen Medinas. Sie hatten einen festen Vertrag mit dem Propheten geschlossen, der sie lediglich verpflichtete, den Propheten bei Angriffen zu verteidigen, nicht aber mit ihm in die Wüste zu ziehen, fremde Völkerstämme anzugreifen und das eigene, teure Leben in Eroberungskriegen Gefahren auszusetzen. Der Prophet, der nie einen Krieg geführt hatte und nichts von der Feldherrnkunst verstand, wußte eins: Nur Disziplin und Einigkeit konnten die Völker zum Sieg führen. Von Beginn an war der neue Glaube ein Glaube der Disziplin. Das regelmäßige Gebet, die vorgeschriebenen, beinah gymnastischen Bewegungen des Körpers, fünfmal täglich in Gemeinschaft aller Gläubigen ausgeführt, stärkten die Seele, erweckten das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Disziplin. Dieser tiefere Sinn des Gebetes sollte jetzt seine Früchte tragen. Der erste Exerzierplatz des Islam war die Moschee, denn die Kriege, die Mohammed führte, sollten Glaubenskriege sein. Der Krieg war die Pflicht aller Menschen, die täglich fünfmal ihre Körper zum gemeinsamen Gebet anspannten.

In diesem Sinn verkündete Gott durch den Mund seines Propheten den berühmten Vers des Korans: »Diejenigen, welche meinem Glauben anhängen, brauchen sich nicht in Streit oder Darlegungen der Gründe des Glaubens einzulassen, sondern sie müssen alle, die dem Glauben Gottes ihren Gehorsam verweigern, erschlagen. Wer für den wahren Glauben kämpft, wird, ob er nun siegt oder fällt, diesseits oder jenseits einen herrlichen Lohn empfangen« (4,76).

Wem aber auch dies nicht genügte, wer trotzdem zögerte, sein Leben dem Islam zu weihen, der konnte aus dem Munde des Propheten auch konkrete Dinge erfahren. »Alle, die für die Sache des Glaubens kämpfen«, verkündete der Prophet, »werden durch die zeitlichen Vorteile hoch belohnt werden. Jeder Blutstropfen, den sie vergießen, jede Gefahr und Entbehrung, der sie sich aussetzen, wird höher belohnt als Fasten und Gebet. Wenn sie in der Schlacht fallen, so sind ihre Sünden augenblicklich verwischt, und sie werden in das Paradies getragen, um dort in den Armen schwarzhaariger Hūrīs in ewigen Freuden zu schwelgen« (47,5-7).

Wer Konkretes leisten sollte, bekam auch konkrete Versprechungen, und der Kriegswille des Propheten erhält eine theoretische Fundierung durch die Lehre von der Prädestination. Alles, was mit dem Menschen geschieht, ist von seiner Geburtsstunde an vorherbestimmt, nichts kann einem Menschen ohne Gottes Fügung geschehen, nie kann er aber dem entgehen, was Gottes Wille ist. Diese Lehre, die zum Grundstein des Islam wurde, hätte leicht zum toten Fatalismus ausarten können. Die Gefahren des Fatalismus, des untätigen Vegetierens in Gott, waren aber Mohammed ausreichend bekannt. Deshalb erklärte er: »Zuerst binde dein Kamel fest an den Baum, dann erst vertraue es der Allmacht Gottes.«

So betrat der Islam den Weg des Krieges, den Weg zur Macht, zur Herrschaft über die Welt. In den zehn Jahren, die der Prophet in Medina regierte, führte er vierundsiebzig Feldzüge, von denen er vierundzwanzig persönlich leitete. Diese Feldzüge brachten ihm die Herrschaft über Arabien. Für einen dreiundfünfzigjährigen Kaufmann, der nie vorher eine Waffe geführt hatte, ist dies eine Leistung, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hat. Diese Kriege erhielten den Namen Ġazwa oder Ǧihād, das bedeutet: der heilige Kampf für den Glauben.

Was ist ein Krieg in der Wüste? Er ähnelt keinem anderen Krieg der Welt. Er ist auch kein richtiger Krieg, er ist ein Zwischending von Raub und Handel, in dem niemand weiß, wo der Handel endet und der Raub beginnt. Die meisten Kriege der Wüste werden geführt, um Beute zu erwerben. Im Frühjahr überfallen die mächtigen Stämme ihre schwächeren Nachbarn, holen sich eine angemessene Beute und verschwinden rasch, wie sie gekommen sind. Kriege zur Eroberung des Landes oder irgendwelcher Gebiete waren den Arabern völlig unbekannt. Erst Mohammed hat diese Möglichkeit erkannt.

Wie kämpfte man in der Wüste? Ein geordnetes, diszipliniertes Heer war vor Mohammed gleichfalls unbekannt. Wer Lust auf Beute oder Abenteuer hatte, zog ein Panzerhemd an, bedeckte sein Gesicht mit dem Visier und band sich ein buntes Tuch um die Brust, zum Zeichen, daß er allein für seine Taten verantwortlich sei. Dann suchte er sich einen ebenbürtigen Gegner und rief ihm irgendeine Beleidigung zu, etwa: »O du Sohn einer Hure, willst du erfahren, daß ich der Sohn eines Löwen bin?« – An einem richtigen arabischen Kampf nahm durchaus nicht immer die ganze Armee teil. Gewöhnlich saßen viele abseits und schauten zu, wie die Führer aufeinander losschlugen. Die unterlegene Partei ergriff gewöhnlich die Flucht und rechtfertigte sich damit, daß sie doch nicht kämpfen könnte, nachdem alle Führer gefallen seien. Wenn man aber geflohen oder etwa wirklich zur Verteidigung gezwungen war, dann schloß man sich in eine Burg ein und wartete dort ab, bis der Feind, eine bessere Beute witternd, die Belagerung aufgab. Natürlich waren die Heere der Wüstenstämme nicht groß. Eine Schlacht, an der tausend Menschen teilnahmen, war bereits ein historisches Ereignis.

Auch die Kriege, zu denen der Prophet die Muslims aufforderte, sollten sich zuerst nicht wesentlich von den bisherigen Wüstenkriegen unterscheiden. Sie wurden nicht geführt, um den Glauben zu verbreiten, denn dazu gab es ja das Wort, sie dienten zur Ausbreitung der weltlichen Macht des Propheten. Sie sollten ferner Tribute einbringen und das Wirkungsfeld seines Wortes ausdehnen. Für die Masse der Muslims, die an den Kriegen teilnahmen, waren es aber nur Raubzüge, Möglichkeiten einer schnellen Bereicherung. Die Ethik der Wüste sah darin nichts Ehrenrühriges.

Gegen wen sollte nun der Prophet ins Feld ziehen? Natürlich gegen die Reichsten der Wüsten, gegen das Volk der Quraiš. Das erschloß die Möglichkeit, reich zu werden, alte feindliche Rechnungen zu begleichen und damit die Bewunderung aller Wüstenvölker zu erwerben. Denn wer in Mekka lebte, dem war die Wüste hörig. Die Quraiš waren immer noch die Könige, die über den Wüsten thronten.

So begann der Kampf des Propheten gegen seine Vaterstadt Mekka.

Der Anfang war sehr bescheiden. Im März des Jahres 623 zog Ḥamza, der Onkel des Propheten, mit dreißig Kriegern in die Wüste und gelangte bis zur Bucht des Meeres, wo die Karawanen der Mekkaner auf dem Weg von Syrien vorbeizogen. Die Karawane kam, doch wurde sie von einer Reiterabteilung aus dem Stamm der Ǧahain geschützt. Mit diesem Stamm hatte aber Medina seit langem ein Freundschaftsbündnis. Es zu brechen hieße unnütz Blutsfeindschaft heraufbeschwören. Doch war der Weg damit gezeigt, und schon im nächsten Monat stießen sechzig Muslims auf eine Handelskarawane von zweihundert Mekkanern. Ein Kampf fand wegen der Übermacht des Feindes noch nicht statt. Denn auch im Kriege liebte Mohammed Einsicht und Vorsicht. Man wechselte nur einige Pfeilschüsse, was mehr einer Demonstration als einem Kriege glich. Immerhin war damit die Feindschaft angesagt. Noch einige ähnliche Versuche verliefen ergebnislos. Die Quraiš suchten keinen Kampf. Im Gegenteil, wenn die Männer des Propheten erschienen, verschwanden die Karawanen mit ihren Schätzen, und Mohammed mußte unverrichteter Sache zurückkehren. Die Stimmung in Medina begann sich daraufhin sichtlich zu verschlechtern. Gott schien den muslimischen Waffen nicht gnädig zu sein. Im Gegenteil, Mißgeschicke verfolgten den Islam. Einer Handvoll räuberischer Beduinen gelang es sogar, dicht vor Medina eine Viehherde, die den Muslims gehörte, zu entführen und glücklich damit in die Wüste zu entkommen. Das war nicht nur ein materieller Verlust, das war ein Ehrverlust, der den Propheten in der Wüste lächerlich machte und sein Ansehen schädigte. Der Erfolg, der die Anstrengungen der Muslims belohnen sollte, traf noch nicht ein.

Da entschloß sich der Gesandte Gottes zu einer Verzweiflungstat, die noch niemand vor ihm in der Wüste zu begehen wagte. Er rüstete eine Expedition von zwölf Mann aus, rief einen Krieger namens ʿAbdallāh ibn Ǧaḥš, stellte ihn an die Spitze der Schar und verlieh ihm auf die Dauer der Expedition den Titel: Amīr al-Muʾminīn, was ›der Befehlshaber der Gläubigen‹ bedeutet. Diese Bezeichnung wurde nachher der Titel des Kalifen im Islam. Dies geschah in der Mitte des arabischen Mondjahres kurz vor Beginn des heiligen Monats Raǧab, in dem kein Krieg und kein Kampf unter den Arabern gestattet ist. Dem Krieger Ibn Ǧaḥš gab der Prophet keinerlei Befehle. Er gab ihm nur ein versiegeltes Schreiben, das er in der Wüste öffnen sollte. Darin stand geschrieben: ›Geh im Namen Gottes und mit dem Segen Gottes nach Naḫla und fange dort die Karawane der Quraiš ab. Zwinge niemanden von deinen Leuten, dich zu begleiten. Erfülle aber meine Befehle mit denjenigen, die dir freiwillig folgen.‹

Ibn Ǧaḥš war ein einfacher Krieger, ungeübt in der Kunst des Denkens. Er wußte, daß Naḫla auf dem Karawanenweg zwischen Ṭāʾif und Mekka lag, und wußte genau, warum ein Krieger in der Wüste einer Karawane auflauert.

Bald bemerkte er auch hinter den Hügeln eine kleine Karawane der Quraiš, von vier Kaufleuten begleitet. Es war am Nachmittag vor Beginn des heiligen Monats. Doch war Ibn Ǧaḥš nur ein Krieger des Propheten, seine Augen blitzten gierig, als er die Beute erblickte, und er wußte auch, daß dem Propheten der Anbruch des heiligen Monats nicht unbekannt war. In der Nacht, als der Vollmond den Beginn des heiligen Monats anzeigte, und die Kaufleute, im Gefühl ihrer absoluten Sicherheit, am Lager saßen, schlich einer der Krieger namens Waqīd zum Lager, spannte seinen Bogen, zielte scharf und durchbohrte mit seinem Pfeil das Genick eines der Kaufleute. Sofort sprangen die übrigen Krieger hinter dem Hügel hervor, überfielen und fesselten die Kaufleute, denn auch sie wurden als Beute angesehen. Nur einem der Überfallenen gelang es zu fliehen. Die Karawane, mit Leder, Rosinen und Wein beladen, fiel aber in die Hände der Räuber.

Der nächtliche Überfall bei Naḫla war der erste Sieg Mohammeds. Er war mehr als ein Beutezug, er war der Bruch mit der jahrhundertealten Tradition der heiligen Monate des Friedens, er war der Bruch mit allen Gesetzen der Wüste. Den Kriegern Gottes war von nun an alles gestattet.

Selbst unter den Gläubigen in Medina machte dieser Überfall einen sehr peinlichen Eindruck. Man wußte nicht recht, wie man sich zu dem skandalösen Treubruch stellen sollte. Und wieder mußte Gott durch den Mund des Propheten erklären: »Sie befragen dich über den heiligen Monat, ob das Kämpfen in demselben erlaubt sei. Antworte: Der Kampf im heiligen Monat ist eine große Sünde. Aber die Menschen vom Pfade Gottes und von dem Gotteshaus, der Kaʿba, auszuschließen und zu verjagen, ist eine viel größere Sünde vor Gott« (1,214). Mit dieser Verkündung wurde Zweifaches erreicht. Der Prophet erkannte die Tradition an, schloß sie aber für den Kampf gegen Mekka und die Ungläubigen aus. Das genügte, um die Mehrzahl der Gläubigen zu beruhigen. Die Beute gehörte ihnen, und Gottes Segen war offensichtlich.

Doch wagte Mohammed gleichzeitig noch einen viel wichtigeren Schritt. Er behielt ein Fünftel der Beute für sich, als Grundstein des kommenden Staatsschatzes. Das übrige verteilte er gleichmäßig unter die Teilnehmer des Feldzuges. Die Folgen dieser Tat blieben nicht aus. Die Beute lockte. An den Feldzügen, an denen bisher nur Notleidende teilgenommen hatten, wollten jetzt in plötzlicher Begeisterung alle mitwirken, sogar Leute, die das Glaubensbekenntnis gar nicht abgelegt hatten. Die Verteilung der Beute unter diejenigen, die sie erkämpft hatten, machte den Propheten mit einem Schlage in allen Wüsten berühmt und beliebt. Künftig konnte er sich selbst seine Krieger auswählen.

Die drei gefangenen Kaufleute ließ der Prophet friedlich in ihre Heimat zurückziehen, zum Zeichen, daß er Gnade und Milde, die er immer üben wollte, auch im großen Sumpf der Sünde nicht vergessen hatte.


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