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Alle Araber sind Kaufleute.
Strabo
Durch die Wüste Arabiens, durch die steinernen Täler Ḥigāz wanderte einst der Erzvater Abraham. Berge, nackte Felsen, Schluchten und Abgründe sperrten seinen Weg. Hinter jedem Felsen saß ein Dämon und versuchte weinend und heulend den Erzvater in seinen Bann zu ziehen. Mutig schritt Abraham durch die unfruchtbare Steinwüste, und wenn die Dämonen zu übermütig wurden, nahm er einen Stein und warf ihn nach den Bösen. Jahrtausende sind seitdem vergangen. Millionen und aber Millionen Menschen wiederholten seitdem die Geste Abrahams und warfen in der Wüste Ḥigāz kleine Steine auf die drei ›Teufelssäulen‹, die Felsen, hinter denen sich die Dämonen verbergen.
Lange wanderte der Erzvater durch Ḥigāz. Endlich kam er in eine tiefe Talsohle, die von wilden und kahlen Felsen umgeben war. Hier, inmitten des wilden Landes, erwies der Herr der Welten dem Erzvater seine Gnade. Er sandte vom Himmel einen weißen Stein, so weiß wie die Flügel eines Erzengels. Und zu Ehren des Herrn erbaute Abraham im wilden Tal von Ḥigāz ein Heiligtum – ein viereckiges Gebäude. So entstand die Kaʿba, das Heiligtum Arabiens. In ihrer Wand ruhte, von der Hand Abrahams eingelassen, der leuchtende helle al-Haǧar al-Aswad, der Stein Gottes. Abraham zog weiter, den Herrn preisend, das Heiligtum aber blieb inmitten des Tales der Einsamkeit und Wildnis zurück.
Die Beduinen des Landes erfuhren von dem Heiligtum, der Wind und der Sand brachten die Kunde in die Wüste. Bald wußte ein jeder: Wer den leuchtenden Stein der Kaʿba küßt, kann unerschrocken vor das Antlitz des Allmächtigen treten. Alle Sünden übernimmt der Stein. – In großen Karawanen kamen die Beduinen des Landes. Jeder küßte den weißen Stein, und jeder übergab ihm seine Sünden. Viele Sünden trug der Stein. Es waren große und schwere Sünden. Je höher ihre Zahl stieg, desto dunkler wurde der Stein. Und so groß und zahlreich sind die Sünden der Menschheit, daß der leuchtende, helle Stein des Allmächtigen zuletzt ganz schwarz wurde, schwarz wie die Nacht, wie die Sünde. Wenn aber einst der Tag des Gerichtes anbricht und der Allmächtige alle Gerechten und Ungerechten vor seinen Thron ruft, dann bekommt der Stein zwei große Augen. Er wird wieder weiß und leuchtend werden, in der Hand des Allmächtigen wird er ruhen und für jeden zeugen, der einst, im Vertrauen auf die Allmacht Gottes, ihm seine Sünden anvertraute. Dies wenigstens berichten über die Kaʿba, den schwarzen Stein, alte Legenden.
Um die Kaʿba herum zieht sich das Land Ḥigāz, was Grenzmark bedeutet. An das rauhe Land grenzen die unendlichen Wüsten Zentralarabiens und das Gebiet des alten, glänzenden Reiches der Sabäer. Durch die kahlen, phantastisch geformten Gebirge hat die Natur zwei tiefe Talmulden gezogen. Durch die Talmulden ziehen die Karawanen. Südlich durch das Küstengebiet Tihāma nach Jemen und nordwestlich nach Syrien. Beide Wege kreuzen sich an der Kaʿba, an der Macoraba, ›dem Heiligtum‹ des Landes. Um diese Macoraba entstand nun die Stadt Mekka. Munauwara – die Leuchtende, Umm al-qura – Mutter der Städte, al-Mukarrama – die Edle, so nannte das Volk der Wüste die Stadt der Kaʿba. Der stolze Kaiser von Iran wollte diese Stadt nicht einmal eines Sonderfeldzuges würdigen, so unbedeutend erschien sie ihm. In den Zeltlagern der Beduinen aber wurden zahllose Lieder über die Macht und Schönheit, über den Reichtum der Stadt Mekka gesungen. Denn es gab in der Wüste keine Stadt gleich ihr.
Karawanen aus fernen Ländern kreuzen sich in Mekka. Wo sich die Karawanen treffen, entstehen feste Bauten, dort wohnt und wächst das Volk der Kaufleute, dort bildet sich Reichtum und Macht. Auch in Mekka begannen sich die Kaufleute anzusiedeln, schickten Karawanen durch die Wüste, bauten feste Burgen und sammelten Reichtümer. Mekka, die Hauptstadt Arabiens, war gleichzeitig die Handelsmetropole des Landes. Doch waren die Kaufleute, die Mekka bewohnten, Araber, beinahe noch Beduinen, und so unterschied sich diese Stadt wesentlich von allen Handelsstädten der Welt.
Viele Stämme wetteiferten seinerzeit um die Herrschaft in Mekka. Blutige Kämpfe fanden statt, denn wer über Mekka herrschte, konnte seines Reichtums sicher sein. Um das fünfte Jahrhundert nach Christi kam die Stadt Mekka in die Hände der Sippe Banū Quraiš. Alte romantische Sagen berichten über die List und den Mut, über die Weisheit und Kraft des großen Helden Quṣai, der die Macht der Quraiš in Mekka begründete. Jetzt, im sechsten Jahrhundert, war aber die große Sippe Quraiš schon längst in eine Reihe kleinerer Sippen und Familien zergliedert, die nur noch lose miteinander verbunden waren und die Macht über Mekka untereinander teilten. Die mächtigste, reichste und edelste dieser Familien war die Sippe Umaiya.
Eine merkwürdige Stadt war Mekka! Um die Kaʿba erhoben sich dicht nebeneinander die Häuser und Burgen der einzelnen Familien. Je reicher, größer und mächtiger die Familie war, desto näher lagen ihre Häuser und Burgen am Heiligtum der Kaʿba. Jede Familie lebte nach dem Brauch der Wüste gemeinsam in einer Burg. Jede Familie gehorchte im wesentlichen nur ihrem Familienoberhaupt und betrachtete sich bereits als ein Muster der Tugend, wenn sie nichts Böses gegen die Nachbarn aus anderen Familien unternahm. Jede Familie betrieb ihre Handelsgeschäfte selbständig, und nur in den Fällen, wo große Gewinnchancen zu hohen Kapitaleinlagen zwangen, verbündeten sich mehrere Familien für die Dauer eines Geschäftes.
Natürlich war auch jeder Kaufherr zugleich Ritter und Kämpfer. Der Kaufmann war um jene Zeit in Mekka nur eine gehobene Art des Wüstenritters. Wer seinen Reichtum nicht mit dem Schwert in der Hand verteidigen konnte, war sehr bald ein armer Mann. Denn Gesetze, Regierungen und Zentralgewalt besaß diese merkwürdige Republik der Wüstenkaufleute nicht. Jeder lebte in seiner Burg, gehorchte den Befehlen des Familienältesten und wurde dafür von der Familie, wie der Beduine der Wüste, gedeckt und verteidigt. Deshalb gab es auch in Mekka keine Gerichtsbarkeit, keine Gefängnisse und keine Strafen. Wertvolle Familienmitglieder wurden von der Familie geschützt. Ließ ein Mekkaner sich jedoch allzuviel zuschulden kommen, so wurde er aus der Familie ausgestoßen, für vogelfrei erklärt. Die Einwohner Mekkas waren nichts als plötzlich reichgewordene Beduinen, die durch diesen Umstand nicht das mindeste von ihrer ursprünglichen Art eingebüßt hatten.
Und doch war Mekka eine blühende Stadt, eine reiche Stadt, eine handeltreibende Stadt, die natürlich nichts dringender wünschte als den Frieden. Der Frieden aber konnte nur durch irgendwelche Formen des Solidaritätsgefühls gesichert werden. Für Angelegenheiten, die die ganze Stadt, ihr Wohl und ihren Reichtum angingen, gab es einen Rat, Malaʾ genannt. Unweit der Kaʿba, in einem Regierungsgebäude, im ›Dār an-nadwa‹, versammelten sich hin und wieder die älteren Mekkaner, um unverbindlich über allgemeine Fragen zu verhandeln. Jeder Mekkaner über vierzig Jahre hatte Zutritt zu diesen Versammlungen. Die Einrichtung dieses Rates bedeutete aber keinesfalls, daß in Mekka eine Art Demokratie herrschte. Die Entscheidungen über die wichtigsten Dinge lagen stets in den Händen der wenigen Baṭḥāʾ-Familien, das heißt der Familien, die im Stadtteil al-Baṭḥāʾ, nahe der Kaʿba, ansässig waren. Diese Familien waren die Bankiers und Kaufherren von Mekka. Sie verborgten Geld, sandten Karawanen aus und führten ein fast zivilisiertes Leben im Stil der großen Herren der damaligen Kulturwelt.
Diese Familien waren die Umaiya, die Maḫzūm, die Naufal, die Asad, die Zuhra und die Zahm. Diese Familien und ihre Repräsentanten Abū Sufyān, Abū Ǧahl, ʿUtba und andere hatten erblich die leitenden Stellen der Stadt inne. Seit alten Zeiten gehörten die wenigen öffentlichen Ämter der Stadt, wie zum Beispiel der Posten des Heeresleiters, des Karawanenführers und so weiter, immer diesen vornehmen Quraiš-Familien.
Mekka war eine Kaufmannsrepublik, gegründet zur Mehrung des Wohlstandes der Quraiš-Familien. Es glich einer großen Bank oder einem Konsortium, in dem verschiedene Aktionäre zwar miteinander verzankt sein können, in dem aber alle das gemeinsame Interesse an hoher Dividende haben. Außer den kleineren Karawanen, die jeder Kaufmann auf eigenes Risiko in die Welt sandte, wurden zweimal im Jahr, unter Beteiligung fast aller Mekkaner, große Handelskarawanen ausgerüstet. Zwei-, dreitausend Kamele bildeten die Karawane, und die kriegerische Wache bestand aus zwei- bis dreihundert Mann. Sechs Monate waren die Karawanen unterwegs. Der Gewinn aber, den die handelstüchtigen Mekkaner einheimsten, belief sich in der Regel auf fünfzig bis hundert Prozent. Edelmetalle, Perlen, Gewürze, Schminken, Parfümerien, Waffen, Sklaven, kurz alles, was die alte Welt zu verkaufen hatte, kam nach Mekka, speicherte sich dort in Lagern auf und wurde in Leder, Frauen, Datteln und andere Wüstenerzeugnisse eingetauscht.
Mekka, die Königin der Wüste, barg viele Reize für den Fremden. Endlose Karawanen zogen jahraus, jahrein durch Mekkas Straßen und Gassen. Mit weichem, bedächtigem Gang schritten die Kamele, in ihrem Fell der Staub der Wüste, in ihren Augen die Sehnsucht der Steppen. Kleine Glöckchen hingen an ihrem Halse, und ihr schimmernder Klang war wie ein Ruf der Wüste. Bedächtig schreitet der Kamelführer daneben. Auch er ist ruhig, stolz und wortkarg wie sein Kamel. Seine großen Augen blicken verwundert: ›Mekka, Königin der Wüste‹, spricht es aus ihnen. Am großen Platz der Kaʿba stehen die Kamele in Mengen. Schaulustige umgeben sie, Gassenjungen von Mekka kriechen unter ihren Bauch und durch das schlanke Labyrinth der Füße. Allerlei ausländisches Volk umgibt sie: Neger, Christen, Juden, Sklavenhändler, Dirnen und Magier.
Alle Sprachen und alle Götter waren in Mekka vertreten. Wein und Frauenliebe entschädigte den Karawanenführer nach der langen Reise. Ein vornehmer Kaufherr, in Seide gehüllt, mit Ambra in den Haaren, tritt aus der Kaʿba. Er blickt mit klugen Augen auf die farbige Menge, auf die Kamele und den Staub der Wüste. Ganz langsam sinken die Kamele in die Knie, auf ihren Höckern liegen schwere Lasten. Der Kaufherr Umaiya oder Asad streicht mit den feinen, zarten Händen seinen parfümierten Bart. Er gibt dem Karawanenführer neue Aufträge. Dann schreiten wiederum endlose Karawanen durch die Gassen Mekkas. Der Kaufmann geht in die Kaʿba zurück. Er muß zum Wechsler, der den Kurs für persisches und byzantinisches Geld bestimmt. Er muß mit der Bank der Umaiya über Zinsen verhandeln, vielleicht will er noch eine Dame besuchen, auf einem weichen Teppich ausgestreckt, Wein trinken, über neue Beduinenkämpfe plaudern und über die Hitze klagen. Ist der Kaufherr sehr reich, so hat er in der Oase Ṭāʾif bei Mekka eine Villa mit Dattelpalmen. Dorthin zieht er für die Sommermonate. Doch muß auch die Villa ein Einkommen bringen. Darum läßt der Kaufmann die Datteln seines Gartens in Basaren verkaufen.
Mit Staunen und Erschütterung, ja beinahe mit mystischer Angst wurde in Mekka die Geschichte eines erschreckend reichen Quraiš erzählt, der in Ṭāʾif einen großen Garten besaß, nur zu seiner persönlichen Freude, ohne je daraus ein Geschäft zu machen. Das erschütterte die parfümierten Kaufleute mehr als die blutigsten Kämpfe unter dem Wüstenvolk.
Unter dem Segen der großen Karawanen blühte ganz Mekka. Und doch war die Stadt von öder, felsiger Wüste umgeben. Kein Gras, keine Blume wuchs um Mekka. Kahle, rauhe Felsen umschlossen die Stadt. Am Tage speicherten sie die Sonnenglut auf und sandten in der Nacht glühende Luft in die Stadt hinab. Verwitterte, rauhe Felsen, dämonische Landschaften wie auf dem Mond blickten auf die Kaʿba hernieder. ›Wenn es keinen Handel gäbe, würde kein Mensch in Mekka leben‹, sagte ein kluger Araber. Der dichtende Ḥimyar, der Neger al-Haiġaṯān, sang einst über Mekka: ›Wenn Mekka irgendwelche Reize zu bieten hätte, würden schon längst Prinzen der Ḥimyar an der Spitze ihres Heeres zu der Stadt geeilt sein. Doch sind dort Winter und Sommer gleich öde. Kein Vogel fliegt über Mekka, kein Gras blüht. Es gibt kein Wild, das man erjagen könnte. Nur der elendeste unter den Berufen, der Handel, blüht dort.‹
Dieser Handel blühte aber mächtig, und mit ihm blühten die vornehmen Quraiš. Denn trotz aller Öde, trotz aller Härte ihres Landes besaßen sie genügend Mittel und Reize, um jeden Beduinen während der Zeit des großen Marktes in die Mauern ihrer Stadt zu locken. Natürlich brauchte der Nomade Waffen, Sklaven und Ambra; doch konnte er sie vielleicht auch anderswo bekommen. Vielleicht sogar billiger und besser.
Aber nicht der Handel allein zog die Beduinen nach Mekka. Etwas anderes, etwas Stärkeres trieb ihn zu dieser Stadt. In Mekka stand die Kaʿba, das mystische Heiligtum mit dem schwarzen Stein. Dieses Heiligtum verstanden die Quraiš meisterhaft für ihre Zwecke auszunutzen.
In jedem Frühling, in der Zeit des großen Marktes, begannen in Mekka die zahlreichen Festlichkeiten zu Ehren der Kaʿba. Jeder Araber mußte irgendwann einmal in Mekka gewesen sein, denn die Festlichkeiten an der Kaʿba waren Jahr für Jahr das größte Ereignis der Wüste. Für diese Feierlichkeiten an der Kaʿba hatte Mekka keinerlei Konkurrenz zu fürchten.
Welchem Gott war die Kaʿba gewidmet? Der Gott der Kaʿba, der Gott des schwarzen Steines, war den Arabern des sechsten Jahrhunderts kaum mehr gegenwärtig. Es war der oberste Gott der Araber ›al-Ilāh‹ oder Allāh, der Vater aller Götter und Menschen, eigentlich der einzig wahre Gott. Doch war der Glaube an ihn bei den Arabern schon längst verblaßt. Nur dunkel konnte man sich seiner erinnern. Jeder Stamm hatte seinen eigenen Gott und daher wenig Grund, sich um den großen Gott der Kaʿba, um Allāh, zu kümmern. Der Name des listigen Mekkaners, dem es trotzdem gelang, die Kaʿba zum religiösen Mittelpunkt Arabiens zu machen, ist ʿAmr ibn Luḥai.
Es war seine Idee, in dem großen Hofe der Kaʿba die Symbole sämtlicher arabischer Gottheiten aufzustellen. Somit war der Gott eines jeden Stammes in der Kaʿba vertreten, und jeder Stamm konnte in der Kaʿba zu Mekka seine Gottheit anbeten. Dreihundertsechzig Götzen umgaben die Kaʿba. Das machte die Stadt berühmt und hob sie über alle andern Städte hinaus. Jeder Stamm war stolz darauf, daß auch seine Gottheit in der Kaʿba vertreten war, und zog, wenn die Zeit des Friedens anbrach, nach Mekka, zur Kaʿba, zum großen Jahrmarkt, zu der Ansammlung von Idolen und Völkern. Die Hauptmesse zu Mekka begann nach der Rückkehr der großen Karawanen. Gleichzeitig damit setzten dann auch die großen Feierlichkeiten zu Ehren der dreihundertsechzig Götter ein, zu denen alle Stämme der Wüste herbeiströmten.
In religiösen Fragen waren die Mekkaner tolerant. Jedes Idol sicherte ihnen neuen Zustrom, neue Einnahmen für die Bewohner Mekkas. Neben den barbarischen Göttern und Göttinnen der Araber, wie Hubal, ʾUmma, al-Lāt, al-ʿUzzāʾ und so weiter, errichteten sie Statuen von Christus, der heiligen Maria und Moses, denn es gab Stämme in der Wüste, die zum Juden- oder Christentum übergetreten waren. Den Mekkanern selbst galten sämtliche Götter ziemlich gleich. Man war gern bereit, alles mitanzubeten, was der Messe von Nutzen sein konnte.
In alten Zeiten wurden im Hofe der Kaʿba auch Menschenopfer dargebracht; später ersetzte man das Menschenblut durch das Blut von hundert Kamelen.
Die Konstruktion Mekkas war demnach folgende: In der Mitte stand die Kaʿba, um die Kaʿba herum sämtliche Götter, die irgendwo, irgendwie aufzutreiben waren, und um die Götter saßen die Kaufleute, die die Götter schützten. Jeder Kaufmann hatte eine Burg, und alle Burgen zusammen stellten die Stadt dar. Die Umgebung von Mekka war eine riesige Wüste, aus der in den heiligen Monaten das Volk zusammenströmte, um die Götter anzubeten, die reichen Kaufleute zu beneiden, Ware einzukaufen und ihr Geld zu verjubeln. Die einzigen, die daran verdienten, und das nicht zu knapp, waren die Kaufleute. Deshalb lag ihnen sehr viel an der Vermeidung von Kriegen und Blutfehden und an der Aufrechterhaltung des frommen, überaus toleranten Glaubens an dreihundertsechzig Götter und, wenn möglich, an noch einige mehr.
In der Zeit der heiligen Monate erwachte in den engen Gassen der Wüstenstadt Mekka der alte semitische Geist Babylons. Im Umkreis der Kaʿba wurden Prozessionen veranstaltet. Siebenmal umkreisten die frommen Beduinen das heilige Gebäude, und jeder einzelne von ihnen küßte den schwarzen Stein. Ein alter Brauch war auch das Wettrennen zwischen zwei uralten Säulen, die als Marksteine zwei halbvergessene, semitische Symbole der Männlichkeit und der Weiblichkeit darstellten. Jetzt wußten die Mekkaner nur, daß diese zwei Säulen einst ein Liebespaar waren, das sich im Hofe der Kaʿba sinnlichen Genüssen hingab und zur Strafe dafür von den Göttern in Säulen verwandelt wurde.
Zahllosen Götzenbildern wurden blutige Opfer dargebracht. Die alten semitischen Götter, der grausame Moloch, die lüsterne Astarte und der berüchtigte Baal, erwachten hier in ihrer Urheimat zu neuem Leben.
Persische und griechische Mädchen durchwanderten die Straße. Das waren die Priesterinnen der Liebe, die der Ruf Mekkas herbeilockte. In den Burgen der Kaufherren wurden Gelage veranstaltet, Frauen, einheimische und fremde, erschienen unverschleiert, tranken zusammen mit den Männern und schenkten ihre zivilisierte, persisch-byzantinische Gunst der glühenden Leidenschaft liebeshungriger Wüstensöhne.
Mekka taumelte im Trubel des Jahrmarktes. Um die grausamen, barbarischen Götter tobte ein brutales, lustiges Leben. Ritterkämpfe wurden veranstaltet, Waren verkauft und die Käufer übers Ohr gehauen. In der Kaʿba tagte ununterbrochen ein primitives Gerichtstribunal. Wer eine alte Blutfehde oder einen neuentbrannten Streit schlichten wollte, ging zu den vornehmen Kaufleuten, die dieses Tribunal bildeten. Wer nichts vom Frieden hielt, konnte auf dem großen Hof der Kaʿba verkünden, daß seine Sippe nach Ablauf der heiligen Monate eine andere Sippe zu überfallen und zu vernichten gedenke.
Zahllose Wahrsager, Propheten, Magier und Ärzte promenierten auf dem Hofe der Kaʿba. Sie waren bereit, für billiges Geld den Ausgang des angesagten Kampfes vorauszusagen oder durch eine umständliche Beschwörung den Zorn der Götter auf den Gegner zu lenken.
Sklaven, Frauen, Kamele wurden gekauft und verkauft, Liebesbande angeknüpft und zerrissen. Es wurde gewürfelt, gespielt, gesungen. Große Scheiterhaufen wurden entzündet und nächtelang an ihnen gezecht. Wer alles bis auf seine Freiheit verlor (auch die Freiheit konnte man beim Würfeln loswerden), wurde von den Herren der Stadt umsonst verpflegt, damit er nicht verzweifle und keine Unruhe anstifte.
Alle Dichter Arabiens versammelten sich in den heiligen Monaten zu den Dichterturnieren in der Kaʿba. Tagelang wurde in wohlgeformten Versen der eigene Stamm, die geliebte Frau und das freie Wüstenleben besungen. Scharfe Epigramme wurden blitzschnell improvisiert und gaben Stoff zu neuen Fehden. Der Sieger im Turnier wurde fürstlich gefeiert. Mit großen goldenen Buchstaben wurden seine Gedichte auf schwarze Seide gestickt und für ein Jahr am Eingang der Kaʿba aufgehängt. Hin und wieder wurde auch die Dichtung zu rein merkantilen Zwecken verwandt. Ein armer Vater vieler häßlicher Töchter konnte zum Beispiel einen Dichter beauftragen, in allen Basaren der Stadt die Schönheit seiner Töchter zu lobpreisen. Wenn der Dichter begabt war, konnte der Vater noch während des Jahrmarktes seine Töchter an den Mann bringen.
Tag und Nacht herrschte lebhaftes Treiben. Doch mußte man sich hüten, unbewaffnet daran teilzunehmen. In den engen, stillen und dunklen Gassen wurde der Fremde überfallen und ausgeplündert. Niemand achtete darauf, denn jeder war mit sich und seinem Vergnügen ausreichend beschäftigt. Nur wenn der Ausgeplünderte zufällig ein berühmter Dichter war, konnte man den Vorfall in einem Schmähgedicht in der ›arabischen Presse‹ verbreitet finden.
Freudig, brutal, lebensfrisch, barbarisch und reich war die Stadt Mekka. In dieser Wüstenstadt ward Mohammed geboren – Mohammed, der Gesandte Gottes.
Dies geschah am 29. August des Jahres 570 nach Christi, im vierzigsten Regierungsjahr des großen Kaisers Khosrau Anūširwān, im Jahre 880 der Seleukidenära.