Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Detektiv Witte ließ sich bei dem Chef des Bankhauses Robinsohn & Sohn melden. Herr Robinsohn, der seit acht Jahren den Titel Kommerzienrat führte, empfing den Besucher, der seinen Namen nicht hatte nennen wollen, mit fragendem Blick.
»Sie werden sich wohl meiner nicht mehr entsinnen können, Herr Kommerzienrat. Es sind über zwölf Jahre vergangen, seit ich den Vorzug Ihrer Bekanntschaft hatte. Die Umstände waren wenig erfreulicher Art, es handelte sich um –«
»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach ihn der Bankier. »Ich vergesse kein Gesicht, das ich einmal gesehen. Sie leiteten seinerzeit die Erhebungen gegen zwei ungetreue Kassenboten, die mit einem Betrage von 150 000 Mark das Weite gesucht hatten. Auf Ihren Namen kann ich mich indessen nicht mehr besinnen.«
»Witte. Ich gehörte bis vor neun Jahren zur Hamburger Kriminalpolizei und leite seit dieser Zeit ein Detektivbureau in der Reichshauptstadt.«
»So, so,« entgegnete der Bankier. »Und was verschafft mir heute die Ehre Ihres Besuches?«
»Herr Kommerzienrat, ich hatte seinerzeit den Fall übernommen und komme heute, Ihnen zu melden, daß er jetzt völlig aufgeklärt ist, und das Geld zu Ihrer Verfügung steht.«
Wenn, der kalte Börsenmann stets behauptet hatte, daß auf dieser Welt ihn nichts aus seinem Gleichgewichte zu bringen imstande wäre, so geschah jetzt eine Ausnahme. Er beherrschte sich aber, und nur die durchdringenden Augen hatten einen gespannten Ausdruck bekommen.
»Sie haben wohl sicher aus den Zeitungen erfahren, daß die Witwe Ihres früheren Kassenboten Schrader von einem Einbrecher überrascht und getötet worden ist. Der Verdacht richtete sich auf den früheren Kollegen Schraders, Hugo Lange, der auch verhaftet wurde, aber seine Schuld energisch bestritt. Es ist mir nun gelungen, den wahren Mörder in dieser Nacht dingfest zu machen, als er eben im Begriffe stand, das Ihnen vor zwölf Jahren unterschlagene Geld in Besitz zu nehmen. Die Verhaftung nahm einen sehr dramatischen Verlauf und der Mörder legte in der ersten Ueberraschung ein volles Geständnis ab. Es handelt sich, wie ich gleich bemerken möchte, nm Schraders Sohn aus erster Ehe, Rudolf, der vor einem Morde an seiner eigenen Stiefmutter nicht zurückschreckte, um sich in den Besitz eines Planes zu setzen, der den Ort angab, an welchem sein Vater das unterschlagene Geld vergraben hatte.«
»Unglaublich!« versetzte der Kommerzienrat kopfschüttelnd. »Und das Geld?«
»Befindet sich in dieser Kassette,« entgegnete Witte, den mitgebrachten eisernen Kasten aus seiner Papierumhüllung befreiend. »Ich habe sie von einem Schlosser aufbrechen lassen müssen, da ich keinen Schlüssel besaß. Wollen Sie sich von der Richtigkeit des Betrages überzeugen?«
Der Bankier warf nur einen Blick in die geöffnete Kassette, was in dem Detektiv ein unwilliges Gefühl auslöste. Zwei Menschenleben klebten an diesem Gelde, Schande, Verbrechen und Blutschuld, und dieser Mann schob dasselbe zur Seite, als wäre es ein Bettel.
Ohne auf die Gemütsbewegung seines Besuchers zu achten, bat der Kommerzienrat den Detektiv, ihm den Fall recht ausführlich zu berichten. Er entnahm einem Wandschrank eine Flasche Wein und stieß mit dem Beamten auf dessen glänzenden Erfolg an.
Witte sprach dann mit warmen Worten von der ehrenhaften Frau Schrader, die, das verborgene Vermögen verschmähend, tagaus, tagein die Hände rührte, um sich und ihr Kind ehrlich durch die Welt zu schlagen. Er erwähnte den Schwur, der der Braven die Hände band und das Verlangen Langes, sich um seines Sohnes willen in den Besitz des Geldes zu setzen. Er lobte den strebsamen, unermüdlichen Geist des jungen Mannes, seine Weigerung, sich an fremdem Gelde zu bereichern und schilderte den Schmerz desselben, der ihn trieb, ihn, den früheren natürlichen Feind seines Vaters, um Hilfe anzurufen. Er pries mit warmen Worten die anmutige Schönheit der kleinen Eva und hob die großen Verdienste der Zwölfjährigen um den Erfolg seiner Mission hervor. Dann schilderte er die Verschlagenheit Rudolf Schraders, seine brutale Genußsucht, die Falle, die er dem Verbrecher gestellt.
Gespannt und aufmerksam war der Bankier den Worten gefolgt. Jetzt reichte er dem Detektiv die Hand.
»Meine Hochachtung, Herr Witte. Und was die ausgesetzte Belohnung anbetrifft, so …«
»Verzeihen Sie, Herr Kommerzienrat, daß ich Sie unterbreche, aber das Hauptverdienst an der Entdeckung tragt neben der toten Anna Schrader deren kleine Tochter Eva. Mit einer Entschlossenheit, die weit über die Jahre des Kindes hinausging, hat sie mir geholfen, die Beweise gegen den Mörder zu sammeln. Wenn es sich überhaupt um eine Belohnung handeln kann, so gebührt sie der armen, elternlosen Waise, die außer mir und dem braven Hans keinen Schutz auf Gottes weiter Welt hat.«
»Sie haben mich nicht ausreden lassen, Herr Witte,« entgegnete der Bankier lachend. »Das Geld, das Sie mir heute gebracht haben, habe ich längst verschmerzt. Gott hat meine Arbeit reichlich mit Erfolg gesegnet, hat mir aber den heißen Wunsch nach einem Leibeserben versagt. Seit dem Tode meiner Frau, der vor sechs Jahren erfolgte, lebe ich nur meiner Arbeit mit der einzigen Aussicht, die Früchte derselben entfernten Verwandten überlassen zu müssen. Dieses Geld brauche ich nicht und will es nicht sehen. Das Geld, an dem das Blut von zweier Menschen klebt, und das bald ein drittes Opfer fordern wird, kann nur Segen bringen in der Hand eines reinen Kindes. Ich bitte Sie daher, nehmen Sie das Geld wieder mit. Ich bestimme, daß es in drei Teile geteilt wird. Je 50 000 Mark bitte ich Sie, der kleinen Eva Schrader und meinem ehemaligen Kassenboten Hugo Lange zu übergeben. Der letztere hat sich durch die unschuldig erlittene Untersuchungshaft diese Entschädigung ehrlich verdient. Die restlichen 50 000 Mark bitte ich Sie von mir entgegenzunehmen als schwaches Zeichen meines Dankes für den Eifer, mit welchem Sie meine Interessen vertreten haben. Ich bitte, keine Widerrede!«
»Nun, da bleibt mir wahrhaftig nichts weiter übrig, als Ihnen im Namen der Beschenkten meinen Dank auszusprechen. Was indessen die Summe betrifft, die Sie mir zugemessen haben, so muß ich.
»Schon gut,« unterbrach ihn der Kommerzienrat. Er griff nach der Kassette und schob sie dem sich vergeblich Sträubenden unter den Arm. »Leben Sie wohl, Herr Witte, es war mir ein Vergnügen! Beehren Sie mich, bitte, wieder, wenn Sie nach Hamburg kommen.«