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2. Kapitel.
Schnell gefaßt.

Der polizeiliche Apparat einer Großstadt wie Hamburg arbeitet schnell. Seit der Unterredung, die Kommissar Witte mit dem Bankier geführt hatte, war kaum eine Stunde vergangen, und schon hatte der Draht die Nachricht bis in die kleinsten Ortschaften des Reiches getragen. Alle Häfen und Bahnhöfe standen unter unauffälliger Beobachtung, und vier Beamte bewachten mit Argusaugen das Haus, das die unredlichen Komplizen bewohnten.

Witte hatte auf dem Stadthause die notwendigsten Aufträge erteilt und die erforderlichen Angaben gemacht, dann sauste er im Auto der Eimsbütteler Chaussee zu.

Die beiden bedauernswerten Frauen waren einer Ohnmacht nahe, als ihnen Witte die betrübenden Aufklärungen machte. Ohne die tausend Fragen der Unglücklichen zu beantworten, verlangte und erhielt er einige Photographien Langes und Schraders und verließ sofort wieder das Haus.

Die beiden armen Frauen sanken sich weinend und jammernd in die Arme. Die beiden Familien wohnten im dritten Stock, ihre Wohnungen waren nur durch einen Korridor getrennt. Nichts war natürlicher, als daß die Frauen in Abwesenheit ihrer Männer in dieser oder jener Wohnung zusammentrafen, um die freien Stunden zu verplaudern.

Frau Schrader war ein noch hübsches, vierunddreißigjähriges Weib. Sie zeigte mehr Sanftmut als Energie, was sich ihr Stiefsohn sehr zunutze machte.

Der frühreife Junge zog es vor, sich mit allerhand lichtscheuem Gesindel herumzutreiben, statt seiner Arbeit nachzugehen, und sein Lehrmeister hatte schon wiederholt gedroht, den Bengel an die Luft zu setzen, wenn er wieder ohne triftige Entschuldigung fortbliebe.

Die arme Frau besaß nicht Energie genug, dem ausschweifenden Faulenzertum ihres Stiefsohnes Einhalt zu gebieten und scheute sich, dem Vater gegenüber Klage zu führen, denn sie wollte sich dem von dem Vater verzogenen Sohne nicht noch mehr entfremden. Oft kam es vor, daß derselbe sich tagelang herumtrieb, und Gott mochte wissen, wo er das Geld zu solchem müßiggängerischen Leben herbekam.

Jetzt hatte er sich wieder volle zwei Tage nicht sehen lassen, und die arme Frau hatte außer den Sorgen, die sie sich darüber machte, die unerfreuliche Aufgabe, ihrem Manne diese Tatsachen zu verbergen.

Nun das noch! Ihr eigener Mann, dem sie so vertraut hatte, war zum Verbrecher geworden, hatte Frau und Kind vergessen, seine Chefs, die ihm soviel Vertrauen entgegengebracht hatten, bestohlen und irrte nun flüchtig, verfolgt von dem Schatten seiner Schuld, in der Welt umher!

Haltlos und hoffnungslos sank sie der resoluten Leidensgenossin in die Arme. Dieser Szene machte Frau Lange energisch ein Ende, sie tröstete die Niedergebrochene mit der Hoffnung, daß sich doch sicher bald alles aufklären müsse; angeklagt sei noch nicht verurteilt, und beschuldigt nicht bewiesen.

»Ich werde mal selbst zusehen, wie die Dinge liegen,« meinte sie, nahm ein Tuch um und ging zu dem Brotherrn ihres Mannes.

Mit erhobenem Haupte betrat sie das Bankhaus am Gänsemarkte, um es eine Viertelstunde später wankenden Fußes wieder zu verlassen. Tröstliches hatte sie zu erfahren gehofft und die schlimmste Botschaft nahm sie mit nach Hause. Ihr Mann war kurz zuvor am Hauptbahnhof verhaftet worden, als er ein Billett nach Berlin zu lösen im Begriffe war. Aus allen Himmeln gestürzt, leugnete er keinen Augenblick. Er und Schrader hätten die 150 000 Mark eingewechselt, in der Absicht, das Geld zu unterschlagen und das Weite zu suchen. Das Geld hätte Schrader im Besitz, der mit demselben Zuge, in einem anderen Abteile nach Berlin fahren wollte.

Schrader mochte Gefahr gewittert haben und war der drohenden Verhaftung vorläufig entgangen, aber ein Heer von Beamten fahndete auf ihn und jede Minute konnte die Nachricht seiner Ergreifung eintreffen.

Es war ein kurzer Traum von Reichtum und Wohlleben, den die beiden ungetreuen Kassenboten geträumt, ein Traum, dem ein fürchterliches Erwachen folgen sollte, und dessen Folgen gräßlicher waren, als die beiden wohl vorausgesehen hatten.

Mutlos und verzweifelt ging Frau Lange ihrer Behausung zu, um der Leidensgenossin die Hiobsbotschaft zu überbringen. Das Schicksal hatte ihr indessen noch einen harten Schlag zugedacht. Beim Betreten ihrer Wohnung wurde sie unter dem Verdachte der Mitwisserschaft verhaftet und dem Untersuchungsgefängnisse zugeführt. Von der Verhaftung der mitverdächtigen Frau Schrader nahm man indessen vor der Hand noch Abstand, in der Annahme, ihre Anwesenheit könne vielleicht den Mann verleiten, sie aufzusuchen.

Vier Beamte hatten dem Hause gegenüber Posto gefaßt und beobachteten jeden, der das Haus betrat oder verließ.

In den zwei harmlos miteinander plaudernden Seeleuten hätte man wohl ebenso wenig Polizeibeamte vermutet, wie in den beiden anscheinend schwer geladenen Pennbrüdern, die auf den steinernen Stufen des Hauses, das dem Hause der Eimsbütteler Chaussee gegenüberlag, vor sich hinstierten.


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