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9. Kapitel.
Hans bei Witte.

»Geh' zu Witte!« Die letzten Worte seines Vaters rüttelten Hans aus seiner Betäubung auf. Ja, zu Witte wollte er gehen, der mußte helfen. Er gedachte der kleinen Eva, die jetzt einsam und verlassen der toten Mutter nachweinte. Sollte er erst zu ihr? Nein, erst dem Vater Hilfe bringen. Auch mochte das Haus wohl polizeilich geschlossen und Eva fortgebracht sein. Er nahm sich nicht Zeit, etwas zu genießen, sondern wollte versuchen, trotz der vorgerückten Stunde den ehemaligen Kriminalkommissar anzutreffen. Auf dem Wege dorthin galten seine Gedanken nächst dem Vater vor allen Dingen der armen Toten, der das Leben so wenig Glück, und der Tod soviel Entsetzliches gegeben hatte. Arme Frau, die ihm fast so lieb gewesen, wie seine Mutter! Und die arme, kleine Eva! Jetzt war sie einsam und schutzlos, das arme, süße Geschöpfchen. Nein, schutzlos sollte sie nicht sein, bei ihm sollte sie eine zweite Heimat finden.

Der Ausruf des Kondukteurs riß ihn aus seinem Grübeln. Hans raffte sich empor und verließ den Wagen.

Witte hatte eines Tages Hugo Lange getroffen und angesprochen, und der wortkarge alte Mann war bald aufgetaut, als ihm Witte erzählte, daß er die Dienste der Polizei quittiert und sich selbständig gemacht habe. Der Fall Schrader-Lange, der trotz aller Anstrengungen seitens Wittes noch immer nicht gänzlich aufgeklärt war, da man dem Verbleib des Geldes vergeblich nachgespürt hatte, war dem pflichttreuen Beamten noch nicht aus dem Gedächtnisse entschwunden. Deshalb leistete er der etwas zögernden Einladung Langes recht bald Folge, und die ehemaligen Feinde fanden überraschenderweise Gefallen aneinander. Es kam gar nicht selten vor, daß Witte auf kürzere oder längere Zeit in der Müllerstraße vorsprach, wenn er in der Gegend zu tun hatte, und Lange freute sich der unverhofften Abwechslung, die seinem eintönigen Leben einige Zerstreuung verschaffte. Witte hatte es natürlich nicht unterlassen, auf das verschwundene Geld zu sprechen zu kommen, es wurde ihm aber bald klar, daß Lange über den Ort des Versteckes nichts wußte.

Hans hatte Glück. Witte war noch im Bureau und bat den jungen Mann in sein Privatkontor.

»Was ist geschehen, Herr Lange …?«

»Mein Vater, Herr Witte, ist vor einer halben Stunde unter dem Verdachte des Mordes verhaftet worden. Er soll in der letzten Nacht Frau Schrader in ihrer Wohnung getötet haben.«

»Aber das ist ja unmöglich, ist ja hirnverbrannter Blödsinn! Wie sollte denn Ihr Vater dazu kommen, der Frau, die er so hoch verehrte, ein Leid anzutun? Das muß ein Irrtum sein.«

»Hatte Ihr Vater gestern Nasenbluten, wie er angab?«

»Jawohl. Er ging abends auf eine Stunde fort, trotzdem es ziemlich stark regnete und kam völlig durchnäßt kurz nach neun wieder. Ich fragte ihn, wo er gewesen sei, da murmelte er etwas von ›mal an die Luft gehen‹. Sogleich fing er heftig an zu niesen und plötzlich bekam er Nasenbluten. Ich bat ihn dann, zu Bett zu gehen, was er auch sogleich tat.«

»Wie die Dinge liegen, scheint es bewiesen zu sein, daß die Fußabdrücke vor dem Hause der Frau Schrader mit denen Ihres Vaters identisch sind. Sie wissen nicht, ob und aus welchem Grunde er dorthin ging?«

»Nein, Herr Witte, ich weiß absolut nichts weiter, als was ich Ihnen sagte.«

»Nun, Herr Lange, so gehen Sie ruhig nach Hause, und verlassen Sie sich auf mich. Morgen früh suche ich zeitig den die Untersuchung führenden Beamten auf und werde sehen, was ich tun kann. Wenn Sie eins trösten mag, lieber Freund, so nahmen Sie die Versicherung, daß ich keinen Moment an die Schuld Ihres Vaters glaube. Leben Sie wohl, Herr Lange! Kopf hoch!«


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