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»Sie glauben also an einen Raubmord?« fragte der Staatsanwalt den Kommissar Meißner, als derselbe die Untersuchung des Mordzimmers beendet hatte.
»Zweifellos,« entgegnete der Beamte, »die Tote ist unstreitig mit demselben Instrumente, anscheinend einem Stemmeisen, erschlagen worden, mit welchem der Schreibtisch erbrochen worden ist. Ein ›Zünftiger‹ ist es nicht gewesen, denn dieses Schloß würden unsere schweren Jungens bald geöffnet haben. Ein gewerbsmäßiger Einbrecher schlägt auch wegen der paar Pfennige, die er hier zu finden hoffte, keinen Menschen tot. Nein, die Sache ist ganz klar. Der Mörder wußte, was er suchte. Die Fußtritte, vor dem Fenster beweisen, daß er die Gelegenheit vorher ausbaldowert hat. Wie der Arzt feststellte, ist der Mord gegen elf Uhr geschehen. Der Mörder stand aber vor neun Uhr am Fenster, denn um diese Zeit hörte der Regen auf, der am frühen Abend herabströmte. Der Platz vor dem Fenster ist gegen Regen durchs den Dachvorsprung geschützt. Es hat aber jemand mit nassen Stiefeln und triefendem Hute vor dem Fenster gestanden. Wenn Sie mir folgen, Herr Staatsanwalt, will ich Ihnen den Beweis dafür erbringen.«
Interessiert folgte der Staatsanwalt und trat vorsichtig an die Fußspuren heran.
»Hier hat der Verbrecher gestanden und jedenfalls die ahnungslose Frau beobachtet. Er hat lange an einer Stelle gestanden und den Kopf lauschend vorgestreckt. Hier sehen Sie die tropfenartigen Eindrücke, die das von dem Hute triefende Wasser verursachte. Dann ging er unruhig, wohl auch ungeduldig hin und her und verließ seinen Posten, wie Sie hier sehen. Die anderen. Spuren hat der Regen vertilgt. Sie sehen also, daß der Mann, der sein Opfer beobachtete, nicht später, als etwa halb neun hier gestanden haben kann. Gegen elf ist er dann, nachdem er sich wahrscheinlich mit einem Stemmeisen versehen, zurückgekehrt. Die Tür ist nicht erbrochen, also hat er wohl einen Nachschlüssel gehabt, den er sich nach einem Wachsabdrucke in den zwei Stunden verschaffen konnte. Dann betrat er leise das Zimmer und erbrach mit dem Stemmeisen den Schreibtisch. Eine Laterne brauchte er nicht, denn die Nacht war, nachdem der Regen aufgehört hatte, sternenklar, und wir haben Vollmond. Durch das Geräusch erwachte Frau Schrader, griff nach einem Leuchter und überraschte den Einbrecher, der kurz entschlossen das Stemmeisen ergriff und die Ueberraschte erschlug, ehe sie um Hilfe rufen konnte. Die Stearinflecke neben der Leiche beweisen das. Eine Sekunde lang lauscht der Mörder. Es bleibt alles still, aber jeder Augenblick kann die Entdeckung bringen. Schnell zündet er das Licht an, wirft das Streichholz auf den Boden und macht sich eilends daran, den Schreibtisch nach dem Gesuchten zu durchwühlen. Er öffnet eine kleine Schachtel. Was ist hier drin? Geld! Achtlos wirst er das Schächtelchen auf den Tisch, daß das Geld herunterrollt. Zwei Zehnmarkstücke lagen am Boden. Wenn er das Geld auch nicht gesucht hatte, so war es doch nicht zu verachten. Endlich hält er das Gesuchte in Händen, rafft das Geld von dem Tische, das Stemmeisen vom Boden, löscht das Licht und verschwindet, ohne die Tür zu verschließen. Das, Herr Staatsanwalt, ist das genaue Bild der Ereignisse, die sich gestern nacht hier abgespielt haben.«
»Bravo, lieber Meißner, Sie haben schnell und gründliche Arbeit getan! Nur so kann es sich zugetragen haben. Sie haben das so vortrefflich und packend geschildert, daß ich die entsetzliche Szene leibhaftig vor Augen habe. Nun packen Sie mir noch recht bald den Mörder, und ich garantiere Ihnen schnellste Beförderung!«
Vergnügt schmunzelnd verbeugte sich der Belobte.
»Den wollen wir bald haben!«
Staatsanwalt Werner war noch jung im Amte und vertrat eigentlich einen Kollegen, aber die Sache schien sich bald aufzuklären, und er war Feuer und Flamme für den Fall, in der Hoffnung, sich damit die Sporen zu verdienen.
»So,« meinte der Untersuchungsrichter Stellwagen, der den Auseinandersetzungen seines Beamten aufmerksam gefolgt war, »jetzt könnten wir wohl die kleine Eva Schrader vernehmen, die ja den Mord zuerst entdeckt hat. – Komm' mal her, Kleine,« wandte er sich an Eva, die still weinend auf einem Stuhle saß. »Sieh' mal, Kind, du mußt jetzt schön bei der Sache sein und alle Fragen genau beantworten. Dein Muttchen ist ja nun leider tot, daran ist nichts mehr zu ändern. Aber du willst doch sicher auch, daß der schlechte Mensch, der dir deine Mutter totgeschlagen hat, seine Strafe bekommt, nicht wahr? Na, nun weine nicht, Kleine, komm'!«
Er zog die bei seinen Worten laut aufschluchzende Eva zu sich heran und sprach ihr väterlich zu, bis sie endlich ruhiger wurde und die gütigen Fragen des Untersuchungsrichters beantworten konnte.
»Nun sage mal, Kind, wann hast du deine Mutter zuletzt lebend gesehen? Erzähle alles, worauf du dich besinnen kannst und lass' dir Zeit.«
Leise begann Eva zu berichten. Ihre Stimme klang schwankend und wurde oft von aufschluchzenden Tränen unterbrochen.
»Gestern abend, als wir Abendbrot gegessen hatten, wir essen immer um acht, setzte sich Mama noch an die Nähmaschine, weil morgen Liefertag ist. Ich setzte mich mit einem Buche neben sie. Als ich ungefähr eine halbe Stunde gelesen hatte, fielen mir fast die Augen zu, und Mama brachte mich zu Bett. Sie versprach mir, bestimmt in einer halben Stunde auch schlafen zu gehen, und ich schlief sofort ein, nachdem mich Mama geküßt hatte. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mir schien es, als ob jemand gerufen oder geschrien hätte. Aber alles war still, und ich schlief auch gleich wieder ein. Als ich heute morgen erwachte und Mama nicht im Bette sah, stand ich auf und da …« Mit lautem Weinen brach sie ab.
»Armes Kind,« sagte der Untersuchungsrichter, ihr tröstend über den Kopf fahrend, »und da liefst du auf die Straße und riefst um Hilfe. Ist's nicht so?«
Eva nickte bejahend.
»Nun sag' mal, Kind, was hast du denn gedacht, als du von dem Schrei erwachtest? Nur so etwas Unbestimmtes, oder hattest du ein bestimmtes Gefühl? Dachtest du, deine Mutter wäre krank, oder sonst etwas? Besinne dich!«
»Ja, was soll ich da sagen? Ich dachte, Mama hätte geschrien und … und … ich schlief ja auch gleich wieder ein. Wenn ich mich recht besinne, dachte ich wohl gerade an Onkel Lange, weil der zu Mama neulich so böse war.«
»Onkel Lange, wer ist das?« forschte der Untersuchungsrichter.
»Das ist kein richtiger Onkel von mir,« sagt die Kleine. »Ich nenne ihn nur so, weil ich ihn schon kannte, als ich noch so klein war.«
»So, und warum war der Onkel Lange böse mit deiner Mutter?«
»Ja, so recht weiß ich es ja auch nicht. Sie hatten in letzter Zeit öfter etwas zusammen. Onkel Lange verlangte etwas von Mama, worauf sie zu ihm sagte: ›Herr Lange, mich hindert ein Schwur, den gesetzmäßigen Besitzern ihr Eigentum zurückzugeben.‹ Onkel Lange wurde dann sehr böse und schrie: ›Frau Schrader, das ist nicht Ihr letztes Wort! Ich will nicht umsonst im Gefängnis gesessen haben! Geben Sie es gutwillig heraus, sonst ..‹ Er sah so böse aus und hob sogar die Faust hoch.«
»Hm, das sind ja ganz überraschende Dinge, die uns die Kleine da erzählt –! Wo wohnt denn der Onkel Lange?«
»Müllerstraße ****,« entgegnete sie.
»Der Sache werden wir gleich nachspüren,« sagte da der Untersuchungsrichter zu dem Kriminalkommissar. Dann wandte er sich Eva wieder zu.
»Weißt du sonst noch etwas, Kind?«
»Nein. Nur ist Onkel Lange seitdem nicht wiedergekommen – und Hans auch nicht.«
»Wer ist denn Hans?«
»Das ist der Sohn von Onkel Lange. Der kam öfter Sonntags her und war immer so nett zu mir, ganz anders als Onkel Lange. Aber seit vierzehn Tagen ist er auch nicht hier gewesen.«
»Na, tröste dich, Kind, er wird schon wiederkommen. – So, dann wären wir wohl vorläufig fertig, Herr Kommissar?«
»Ja, Herr Untersuchungsrichter. Der Photograph wartet schon, und wenn seine Arbeit beendigt ist, können wir die Leiche nach dem Schauhause schaffen lassen. Ich werde mich während der Zeit mal mit dem Herrn Lange befassen, der sogar schon im Kittchen gesessen hat. Der Mann erscheint mir sehr verdächtig. Von den Fußabdrücken werde ich Gipsmodelle abnehmen, und wenn der Herr Lange zufällig mit dem nächtlichen Besucher eine Schuhnummer gemeinsam haben sollte, so werden wir wohl den Mörder nicht allzu lange zu suchen haben.«