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18. Kapitel.
Auf dem Friedhofe.

Der Ohlsdorfer Friedhof ist die schönste aller Anlagen in der Umgebung Hamburgs; das großartigste Denkmal moderner Gartenkultur.

In Abständen von fünfzig Metern ist das Terrain in Gevierte geteilt, deren Schnittpunkte von Westen nach Osten mit Zahlen, von Süden nach Norden mit Buchstaben bezeichnet sind.

Durch die nachtschwere Dunkelheit schlich ein Mann, sich möglichst im Schatten der Bäume haltend. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte. Alles war ruhig und die Schläfer dort unten störten den Frieden auch nicht. In der Nähe einer Kapelle machte er Halt und versuchte, sich mit Hilfe einer elektrischen Taschenlaterne zu orientieren. In der linken Hand hielt er einen kleinen Spaten. Der Mann leuchtete, von Grab zu Grab huschend, die kleinen Tafeln ab und blieb endlich an einem kleinen Hügel stehen, der sich außer der Nummer durch nichts von den anderen unterschied. Noch einmal spähte das Auge in die Dunkelheit, dann begann er, neben dem Hügel ein Loch zu graben. Er mochte schon einen Meter tief gekommen sein, als er sich stirnrunzelnd aufrichtete. Der erwartete Erfolg war ausgeblieben. Jetzt holte er aus seiner Brieftasche ein vergilbtes abgegriffenes Zettelchen, ließ die Lampe aufflammen und verglich die Lage des gegrabenen Loches mit einer Zeichnung, die sich auf dem Zettel befand. Das Resultat schien ihn zu befriedigen. Schnell schüttete er das eben gegrabene Loch wieder zu und stampfte es fest. Dann begann er einen Fuß weiter seine Arbeit aufs neue. Nach kurzer Zeit schon stieß die Schaufel auf Widerstand. Schnell warf er den Spaten beiseite und wühlte mit zitternden Händen in der Erde. Ein kurzer Ruck und mit einem Freudenlaute sprang er auf, in der Hand eine kleine, eiserne Geldkassette haltend. Mit trunkenen Augen beobachtete er den schmutzigen Kasten, und aus tiefer Brust rang sich ein befreiender Seufzer.

»Endlich!«

»Ja, endlich, du Schurke!« klang es da hart und drohend neben ihm.

Völlig gelähmt vor Schreck, ließ der Mann den gefundenen Kasten fallen.

»Gnade!« stammelten seine Lippen.

»Gnade mit dir, du schändlicher Mörder? Das Blut deiner Stiefmutter schreit zum Himmel und ruft Rache auf dein schuldiges Haupt!«

Wie die eherne Stimme der Rachegöttin klang es dem Entsetzten in die Ohren. Die Knie zitterten ihm. Der Elende sank haltlos zu Boden.

»Gnade, Gnade! Ich wollte sie ja nicht töten, nur das Geld wollte ich besitzen. Ich schlug sie zu Boden, weil sie mich überraschte. Aber ich wollte ihren Tod nicht, bei meiner armen Seele – –«

»Rudolf Schrader, Sie sind mein Gefangener. Sie sind überführt, die Frau Anna Schrader ermordet zu haben. Ihr eigenes Geständnis hat Sie gerichtet. Fesselt den Schurken!«

Einige Häscher fielen über den Verbrecher her, der keinerlei Widerstand versuchte. Man mußte ihn tragen, er hatte die Besinnung verloren. Vor dem Hauptportal des Friedhofes hielt ein Wagen. Die Kriminalbeamten hoben ihre Last hinein, und fort ging es, dem Untersuchungsgefängnisse zu.


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