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11. Kapitel.
Scheinbeweise.

Vier Schutzleute hielten die vordrängende Menge ab, ihren Flüchen und Verwünschungen gegen den vermeintlichen Mörder tatkräftigen Ausdruck zu geben, als Lange den Wagen verließ und in das Haus geführt wurde, welches das stille Glück der armen Witwe geborgen hatte, die jetzt fernab von aller Zwietracht der Welt in ihrem ewigen Schlafe lag. Ein zweiter Wagen fuhr vor, welchem der Untersuchungsrichter, sein Protokollführer, der Staatsanwalt und Witte entstiegen. Kriminalkommissar Meißner hatte mit Hilfe von zwei Schutzleuten den Gefangenentransport geführt. Kriminalkommissar Meißner übernahm es, den Herren seine Ansicht über die Tat und ihren Täter noch einmal anschaulich vorzuführen. Jetzt richtete er sich befriedigt auf und trat als stiller Beobachter zur Seite.

»Nun, Angeklagter, wollen Sie sich an dem Orte der Tat nicht zu einem Geständnisse bequemen? Nach Lage der Sache kann es sich allem Anscheine nach nicht um einen vorbedachten Mord handeln. Die Geschworenen werden jedenfalls auf Totschlag erkennen, wenn Sie es vorziehen, der Wahrheit die Ehre zu geben.«

Lange, der mit gefesselten Händen abseits stand, schenkte den Auseinandersetzungen der Herren keinerlei Beachtung.

»Ich habe nichts zu gestehen, als was ich Ihnen bereits gesagt habe. Ich bin an dem fraglichen Abende hierhergegangen, in der Absicht, Frau Schrader um Verzeihung zu bitten und habe längere Zeit vor dem Fenster dort gestanden, was ich weder leugnen kann, noch will. Ich habe aber keinen Mut fassen können, habe meinen Besuch auf den nächsten Tag, also gestern, verschoben und bin dann nach Hause gegangen. Ich kann nur immer und immer wiederholen, daß ich es nicht getan habe. Ich bin unschuldig an dem Mord, und kann Sie nur bitten, den wahren Mörder zu suchen und nicht die kostbare Zeit damit zu verschwenden, einen Unschuldigen festzuhalten und zu quälen, während sich der wirkliche Täter seiner Freiheit und seines Lebens erfreut und sich ohne Uebereilung in Sicherheit bringen kann.« Bitter klang dies von den Lippen Langes, aber der Richter hatte keinen Sinn für das Aufbäumen der gemarterten Unschuld.

»Wahren Sie Ihre Zunge, Angeklagter, und enthalten Sie sich aller Kritik. Wir brauchen den Mörder nicht zu suchen, denn wir haben ihn gefaßt, früher, als er geglaubt hatte und zu früh jedenfalls, als daß er die verräterischen Spuren beseitigen konnte!« herrschte ihn der Untersuchungsrichter an.

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Untersuchungsrichter,« sagte da der Angegriffene, »wenn ich den Mord wirklich begangen hätte, so würde ich wohl auch Zeit genug gehabt haben, den blutigen Rock und das Taschentuch zu verbergen oder zu verbrennen. Auf das Taschentuch habe ich ja den Herrn Kommissar selbst aufmerksam gemacht.«

»Das ist eine schlechte Verteidigung, denn das Taschentuch hätten wir ohne Ihre Hilfe auch gefunden. Und was das Vernichten des Kleidungsstückes anbetrifft, so hatten Sie wohl kaum die Befürchtung, daß wir so schnell die Hand auf Sie legen würden. Wenn Sie keine anderen Beweise anführen können, so steht Ihre Sache sehr schlecht. Ich kann Ihnen nur nochmals raten, sich das Wohlwollen Ihrer Richter durch ein offenes Geständnis zu erwerben.«

»Ich habe nichts zu gestehen, ich bin unschuldig.«

»Gut. – Meißner, führen Sie den Gefangenen in das Untersuchungsgefängnis zurück.«

Die Zurückbleibenden erörterten noch einmal lebhaft die Verdachtsgründe, die gegen den Verhafteten vorlagen, dann wandte sich der Untersuchungsrichter an Witte.

»Na, Herr Witte, sind Sie nun überzeugt?«

»Jawohl, Herr Untersuchungsrichter. Fest überzeugt, daß Lange – nicht der Täter ist!«

Aergerlich zogen sich die Brauen des Richters zusammen.

»Und worauf, Herr Witte, stützen Sie Ihre kühne Behauptung, wenn man fragen darf?«

»Vor allen Dingen auf die Beweise, die Herr Meißner zusammengesucht hat und die mehr für als gegen den Angeklagten sprechen. Vor allen Dingen bedarf doch wohl der Besitz des Schlüssels zur Haustür dringend der Aufklärung. Erstens werden Sie vergeblich nach Spuren am Schloß suchen, die ein Wachsabdruck ohne Zweifel zurückläßt. Angenommen aber auch den Fall, es sei ihm möglich gewesen, diese Spuren vollkommen zu verwischen, so hätte es ihm absolut an Zeit gefehlt, sich einen Schlüssel dennoch herzustellen. Es ist fraglos erwiesen, daß Lange kurz nach neun nach Hause gekommen ist und sofort das Bett aufgesucht hat …«

»Dafür kann Lange nur das Zeugnis seines Sohnes anführen, das für uns ganz und gar nicht maßgebend ist.«

»Für mich aber, Herr Untersuchungsrichter! Ich kenne Hans Lange genau und weiß, daß jedes Wort wahr ist, das er gesprochen. Zudem haben Sie ihn ja noch gar nicht vernommen. Weiter aber: Die Anklage behauptet, Lange habe die Wohnung verlassen, nachdem sein Sohn sein Zimmer aufgesucht habe. Die Annahme hat etwas für sich. Lange konnte die Wohnung verlassen, ohne daß sein Sohn etwas merkte, zugegeben. Zum mindesten mußte aber der Vater doch eine kurze Zeit warten, bis er annehmen konnte, daß der Sohn eingeschlafen war. Rechnen wir dazu die Zeit, die er brauchte, um sich auszukleiden, so müssen wir unbedingt dahin kommen, daß er vor ein Viertel nach Zehn die Wohnung nicht verlassen konnte. Welche Zeit blieb ihm da noch zur Herstellung des Schlüssels?«

»Es ist ja nur eine unmaßgebliche Annahme Meißners, daß der Mörder die zwei Stunden, die zwischen seinem Aufenthalte vor dem Fenster und seinem Einbruche liegen, zur Herstellung des Schlüssels verwendet hat. Er kann ja den Schlüssel auch schon längere Zeit im Besitz gehabt haben. Gelegenheit genug hatte er, um einen Abdruck zu nehmen, denn er war ja bis vor vierzehn Tagen ständiger Gast im Hause. Er kann ja die Anfertigung des Schlüssels am Mordabend auch einem dritten übertragen haben. Daß wir den Schlüssel nicht gefunden haben, ist auch kein Beweis für die Unschuld des Verhafteten, denn eines so schwerwiegenden Beweisstückes würde er sich natürlich sofort entledigt haben.«

»Ihre Darlegung hat etwas für sich, ist aber kein Beweis, Herr Untersuchungsrichter. Was sagen Sie aber hierzu?« Witte zog die erbrochene Schublade des Schreibtisches heraus und wies auf die kaum wahrnehmbaren Spuren eines Einbruchswerkzeuges, die sich an demselben befanden. »Hier haben Sie den Beweis dafür, daß dieser Kasten vor mehreren Monaten schon einmal erbrochen worden ist. Sie hat Lange nach wie vor empfangen, hatte also keinerlei Verdacht auf ihn. Nein, der Mörder ist ganz wo anders zu suchen, Herr Untersuchungsrichter, und ich werde ihn finden! Darauf gebe ich Ihnen mein Wort! Auf Wiedersehen, meine Herren.«


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