Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel.
Schraders Besuch.

Witte hatte strengste Anweisung gegeben, keinen Menschen außer Schrader vorzulassen, den er seiner Haushälterin genau beschrieben hatte.

Es war drei Uhr geworden, als endlich die Korridorglocke ging und Frau Engels, die Wirtschafterin, ins Zimmer trat und ihm augenblinzelnd bedeutete, daß ihn ein Herr zu sprechen wünschte. Befriedigt leuchtete das Auge des Detektivs auf, dann ließ er den Herrn bitten, näher zu treten. Nach kurzem Anklopfen öffnete der Angemeldete die Tür und betrat das Zimmer. Lauernd überflogen die Augen des etwa dreißigjährigen Mannes den Raum, um sie dann forschend auf den Detektiv zu richten.

»Sie verzeihen, mein Name ist Schrader, Rudolf Schrader. Ich komme heute von einer längeren Reise zurück und höre erst jetzt von dem schrecklichen Drama, dessen beklagenswertes Opfer meine teure Stiefmutter geworden ist. Gleichzeitig wurde ich auf eine Notiz aufmerksam, aus der ich entnahm, daß Sie meiner geliebten kleinen Schwester Eva gütigst ein Heim gewährt haben. Es ist mir nun eine Freude, Ihnen, mein Herr, meinen Dank aussprechen zu können, für Ihre teilte, mit der Sie sich der armen Waise angenommen haben. Sie werden es aber wohl begreifen, daß Eva jetzt, wo sie einen natürlichen Beschützer in der Person ihres Bruders gefunden, kein Recht mehr hat, Ihre dankenswerte Güte noch weiter in Anspruch zu nehmen.«

Trotz der Verbindlichkeit der Worte berührte die Redeweise des Mannes unsympathisch.

»Sie sind im Irrtum, Herr Schrader, wenn Sie fürchten, daß ich die Anwesenheit Ihrer kleinen. Schwester als eine Belästigung empfunden habe. Ich habe im Gegenteil eine Freude bei dem Gedanken empfunden, die Kleine gänzlich an Kindesstatt anzunehmen und später zu adoptieren. Ich hätte die Zukunft der Kleinen gern sichergestellt. Ich werde Eva herholen und soll dann das Kind selbst entscheiden. Ich fürchte allerdings, daß die Entscheidung nicht zu meinen Gunsten ausfallen wird, denn die Bande des Blutes sind heilig und unverletzlich.«

Unter den letzten Worten bebte der Besucher unwillkürlich zusammen und forschend suchte er in den Augen des vermeintlichen Rentiers eine geheime Absicht, die ihn diese Worte aussprechen ließ. Aber das sorglose, gutmütige Aussehen des Detektivs beruhigte ihn über dessen Harmlosigkeit.

Witte befahl der eintretenden Frau Engels, die kleine Eva herbeizuholen. In der Zwischenzeit plauderte er über den Mord, über den sich Schrader natürlich gewaltig empörte und versuchte, den Besucher über seine allgemeine Tätigkeit und Lebensstellung auszuforschen. Schrader wich allen dahinzielenden Fragen gewandt aus und ließ nur so durchblicken, daß er verschiedene Vertretungen habe, die ihn bisher fast das ganze Jahr zum Reisen zwangen. Er stehe jetzt aber im Begriff, eine größere, sehr lohnende Platzvertretung zu übernehmen, was ihm im Interesse seiner Schwester sehr lieb sei. Die indiskreten Fragen seines Wirtes waren dem Besucher anscheinend ziemlich unangenehm, und er war froh, als der Eintritt Evas ihm einige Zeit zur Sammlung ließ.

»Ah, da bist du ja, Kind,« wandte er sich an Eva, die scheu und zögernd nähertrat und dem Bruder verschüchtert die Hand reichte. Aber Schrader zog die Kleine näher heran und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn, einen Judaskuß, wie Witte schaudernd empfand.

»Nun, freust du dich gar nicht, deinen Bruder wiederzusehen?« fuhr er heuchlerisch fort, als er die ängstliche Miene der Kleinen bemerkte.

Witte überhob das arme Kind der Antwort, indem er Eva mitteilte, daß ihr Bruder erst jetzt den Tod der Mutter erfahren habe, da er auf Reisen gewesen und nun komme, um sie zu fragen, ob sie dem Bruder folgen wolle.

»Es ist doch wohl selbstverständlich, Eva, daß du mit mir gehst!« fiel Schrader hastig ein, als fürchte er, das Kind könne den Wunsch aussprechen, lieber hierzubleiben. »Ich bin doch dein Bruder und den teuren Eltern, die leider so früh verstorben sind, für dich verantwortlich,« setzte er mit einem gottergebenen Augenaufschlage hinzu.

Dem Detektiv begann es in den Fingerspitzen zu kribbeln, und er beeilte sich, der Situation, die ihn anzuwidern begann, ein Ende zu machen. Er blinzelte Eva vielsagend zu, und diese erklärte leise, daß sie dem Wunsche des Bruders beistimme. Rudolf Schrader machte gar keinen Versuch, seine Freude über ihren Entschluß zu verbergen.

Kaum hatte sich die Tür hinter dem Besucher und der kleinen Eva geschlossen, als der Detektiv an das Fenster trat und hinunterwinkte. Ein Chauffeur nickte, stieg schnell auf seinen Wagen und folgte den Geschwistern, die an der Ecke eine Droschke bestiegen.

Auf dem nächsten Postamte ließ sich der Chauffeur mit Witte verbinden und teilte ihm mit, daß Rudolf Schrader unter dem Namen Erich Winter eine Wohnung von zwei Zimmern im Hinterhause Novalisstraße **** innehabe. Näherer Bericht würde folgen. Der zweideutige Besucher hatte seine Adresse ›Schöneberg, Pallasstraße ****‹ angegeben.

»So, Herr Erich Winter!« dachte Witte, »Ihren Fuchsbau haben wir aufgespürt, jetzt gilt es, alle Ausgänge zu verstopfen und den Bewohner auszuräuchern.«


 << zurück weiter >>