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12. Kapitel.
Der Mann am Grabe.

Die Beerdigung der Frau Anna Schrader fand unter großer Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung statt. War die arme Frau auch zu Lebzeiten den meisten fremd gewesen, so forderte doch ihr tragisches Schicksal die Teilnahme aller heraus. Hinter dem Sarge ging schluchzend die kleine Eva in Begleitung Hans Langes und einer älteren, ärmlich gekleideten Frau. Es war dies die Mutter einer Schulfreundin von ihr, die der so jäh Verwaisten ein Heim geboten hatte, bis das Vormundschaftsgericht über sie verfügt hatte. Fest und vertrauensvoll ruhte ihre Hand in der des jungen Hans, als sie nun hinter dem Sarge ihrer toten Mutter dahinschritt. Es war gut, daß der Name des jungen Mannes nicht bekannt geworden war, denn der Ingrimm der gereizten Menge hätte sich fraglos Luft gemacht, wenn man in seiner Person den Sohn des als des Mordes verdächtigten Hugo Lange vermutet hätte. Etwas weiter zurück schritt Witte, der aufmerksam den Gesprächen folgte, die sich naturgemäß alle um die Person der Toten und ihres Mörders drehten.

Jetzt stand man vor dem Grabe. Während der kurzen, aber warmherzigen Rede des Geistlichen ließ der Detektiv seine Blicke vorsichtig beobachtend umherschweifen. Vielleicht, daß der Mörder, gelockt von seinem bösen Gewissen, sich unter den Leidtragenden befand und seinem Opfer das letzte Geleite gab. Auf den Mienen der Umherstehenden war aber außer Trauer und Mitgefühl nichts zu entdecken, was seinem Argwohne Stoff gegeben hätte.

Unweit des Grabes stand ein etwa dreißigjähriger Mann, den Hut zwischen den gefalteten Händen und das Haupt gesenkt, gleich dem der übrigen, aber sein von Zeit zu Zeit unter den buschigen Brauen über die Umstehenden blitzender Blick widersprach der trauernden Haltung. Etwas Tückisches und Lauerndes prägte sich dagegen in seinen Augen aus. Einer dieser Blicke fiel dem spähenden Detektiv auf, ebenso das Gesicht des Mannes, das ihm bekannt vorkam.

Wo hatte er dieses Gesicht schon gesehen?

Während sich die Menge zerstreute, gesellte sich Witte zu Hans und Eva, die in dem Schmerz um die teure Mutter alles um sich her vergessen hatte. Verabschiedend reichte sie Hans die Hand, als ihre bisherige Begleiterin sie liebevoll bat, den Friedhof zu verlassen. Witte aber war dem bittenden Blicke Hans' begegnet und trat schnell dazwischen.

»Liebe Frau,« sagte er zu der Drängenden, »ich danke Ihnen im Namen der Verblichenen für die liebevolle Fürsorge, mit der Sie sich der Verwaisten angenommen haben, aber, wenn Sie gestatten, so wird die kleine Eva jetzt ein Heim bei mir finden. Mein Name ist Witte. Wenn Sie die Kleine dann und wann besuchen wollen, steht dem nichts im Wege, Die notwendige Anzeige bei der Vormundschaftsbehörde werde ich sofort erledigen.«

Die Fran überließ dem Vertrauen erweckenden Detektiv widerspruchslos das Kind, nachdem sie sich zärtlich von ihm verabschiedet hatte und Witte bestieg mit Hans und der kleinen Eva eine Droschke, die sie bald in seine Privatwohnung im Westen Berlins beförderte.

Während der ganzen Fahrt wurde von den Insassen kein Wort gesprochen. Eva weinte still vor sich hin und klammerte sich nur krampfhaft an Hans, der neben ihr saß und des armen Vaters gedachte, der unschuldig im Gefängnisse schmachtete. Witte aber zerbrach sich den Kopf vergeblich, wo er den Mann schon gesehen hatte, dessen lauernder Blick am Grabe ihm so aufgefallen war. Das Halten der Droschke machte dem allseitigen Grübeln jäh ein Ende.

Die schnell instruierte Wirtschafterin Wittes richtete eiligst ein Stübchen für Eva her und brachte dann die Kleine zu Bett, die, von Tränen erschöpft, bald in erquickenden Schlaf versank.

Der Detektiv bat Hans, es sich bequem zu machen und ließ sich mit seinem Bureau verbinden, um die laufenden Geschäfte zu erledigen und notwendige Anordnungen zu treffen. Dann kehrte er zu Hans zurück, bot diesem eine Zigarre an und setzte sich Hans gegenüber in einen Sessel.

Mit Wohlbehagen zog er den Dampf der Havanna ein, schlug ein Bein über das andere und begann nunmehr zu berichten.

»Also, lieber Herr Lange, die Dinge stehen gut. Ich kenne den Mörder und seine eigentlichen Motive nicht, habe aber, was das letztere anbetrifft, von vornherein meine Idee gehabt. Was für mich bis jetzt feststeht, ist die Tatsache, daß Ihr Vater keinesfalls der Täter ist. Weiter mutmaße ich, daß der wirkliche Mörder der Toten irgendwie nahestand und vor einigen Monaten schon einmal einen Einbruch bei Frau Schrader verübt hat. Erfolg hat er indessen damit nicht gehabt, weshalb er denselben noch einmal mit dem uns bekannten traurigen Resultate verübte. Ueber die Person des Täters weiß ich nichts weiter, als daß derselbe das Geheimnis kannte, das Ihren Vater mit Frau Schrader verknüpfte, wir brauchen also den Kreis nicht allzu groß zu ziehen. Es kommen eigentlich nur wenige Personen in Betracht. Sie, Ihr Vater, die kleine Eva und unser großer Unbekannter, der jedenfalls ein naher Bekannter ist.«

»Ein Geheimnis, das auch ich kenne? Was sollte das sein?« fragte Hans unruhig.

»Nun, es handelt sich um die 150 000 Mark, die Schrader kurz vor seiner bevorstehenden Verhaftung vergraben hatte und deren Versteck nur der Ermordeten bekannt war.«

»Woher wissen Sie das?« fragte Hans erstaunt.

»Nun, aus der sichersten Quelle: von Ihrem Vater selbst. Ich erwirkte mir eine Unterredung mit ihm, die sehr dramatisch verlief. Nachdem mir Ihr Vater seine Unschuld versichert hatte, erzählte er mir alles, was er vor Gericht zu Protokoll gegeben hatte, mir also schon bekannt war. Als ich nun absolut den Grund wissen wollte, warum er die Drohungen gegen Anna Schrader ausgestoßen hatte, wollte er zuerst absolut nicht mit der Sprache heraus. Als ich aber dringender wurde und ihm auseinandersetzte, daß es um seinen Kopf, im besten Falle um jahrelange Zuchthausstrafe ginge, und daß ich meine Hilfe versagen müßte, wenn er sein Stillschweigen nicht aufgeben würde, bequemte er sich endlich zu einer Aussage. Ich mußte ihm allerdings versprechen, der Untersuchungsbehörde davon keine Mitteilung zu machen. Um was es sich handelt, wissen Sie ja ebenso gut, denn durch Sie hat er es ja erst erfahren. Die Geschichte ist einfach die: Schrader hat seiner Frau eine Aufzeichnung übergeben, an welcher Stelle er das Geld vergrub, sie mußte ihm aber zuvor schwören, das Geld weder der Behörde noch dem rechtlichen Besitzer auszuhändigen. Die brave Frau beschloß nun, den Schwur zu halten, aber das Geld nicht zu heben, sondern es als des Toten Eigentum anzusehen und an dem Orte zu belassen, an welchem es lag. Kaum erfuhr Ihr Vater von der Sache, als er Frau Schrader bedrängte, ihm den Plan auszuhändigen. Er wollte den Schatz heben und mit ihr teilen. Die brave Frau widerstand aber den Versuchungen und schwor, mit ihrem Willen sollte das Geld nicht angerührt werden. Ihr Vater versuchte immer und immer wieder sein Heil bei der Witwe und ließ sich endlich, erregt über seine Mißerfolge verleiten, ihr Drohungen in das Gesicht zu werfen. Ihr Vater hat sehr unrecht gehandelt und muß das jetzt schwer büßen.«

»Mein armer, verblendeter Vater glaubte, mir mit dem Gelde eine Existenz ermöglichen zu können, aber ich schwöre es Ihnen, Herr Witte, daß ich keinen Pfennig dieses unseligen Geldes angenommen hätte!«

»Ich bin davon überzeugt, Herr Lange.«

»Ich ließ meinen Vater über diesen, meinen Entschluß auch keinen Moment im unklaren, als ich den Grund des Streites erfuhr, und ich nehme an, daß mein Vater mit dem Augenblicke alle diese Pläne fallen ließ und an nichts weiter dachte, als sich mit der beleidigten Frau wieder zu versöhnen.«

»Auch das hat mir Ihr Vater überzeugend versichert. Aber wir haben keine Beweise dafür. Daher heißt es für uns, den wahren Täter finden, und es muß, wie gesagt, einer sein, der das Geheimnis kannte.«

»Rudolf Schrader!« schrie Hans heraus, »Rudolf, er und kein anderer konnte von dem vergrabenen Geld etwas wissen!«

»Wer ist Rudolf Schrader?« fragte der Detektiv gespannt den Erregten.

»Rudolf ist der Sohn Schraders aus erster Ehe. Ein Taugenichts und ein Tagedieb, wenn nichts Schlimmeres. Er machte seinem Vater und vor allem seiner Stiefmutter schwere Sorgen, da er lieber mit allerhand Strolchen sich umhertrieb, statt zu lernen. Rudolf Schrader, daß ich jetzt erst darauf komme!«

»Kann dieser Rudolf etwas von dem vergrabenen Gelde erfahren haben?«

»Aber natürlich. Er hat sicher seine Eltern belauscht und hat, wenn auch nicht alles, so doch genügend aus den Reden seines Vaters kurz vor dessen Selbstmord vernommen, um sich ein klares Bild machen zu können.«

»Sie haben recht, lieber Hans, und ich habe den vermutlichen Mörder in Griffweite gehabt und habe ihn entwischen lassen.«

»Rudolf? Wo?«

»Am Grabe seiner Stiefmutter, keine zwei Schritte ab von mir stand er mit heuchlerisch gesenktem Blick. Aber die unruhig suchenden Augen fielen mir auf und plötzlich war mir, als hätte ich das Gesicht schon irgendwo gesehen. Nur kurze Zeit, aber mit demselben unstet verzerrten Gesichte. Jetzt weiß ich es – die Aehnlichkeit mit dem toten Vater war es, dem Defraudanten, die mir auffiel. Aber er soll uns nicht entwischen und das beste Zugmittel haben wir hier im Hause.«

»Wen?« fragte Hans verwirrt.

»Die kleine Eva!« triumphierte Witte, »Gott selbst gab mir den Gedanken ein, das Kind hierherzubringen. Mich dauerte die arme Waise und dann tat ich es Ihnen zuliebe, da Sie ja als Sohn des Angeklagten nicht das Kind zu sich nehmen konnten. Und dieses arme Kind soll helfen, den Tod seiner Mutter zu rächen, die kleine Eva soll das Werkzeug sein, das uns den wahren Mörder ausliefert!«

»Ja, aber wie wollen Sie das möglich machen?«

»Das Wie lassen Sie nur meine Sorge sein. Verlassen Sie sich darauf, Rudolf wird selbst hierherkommen und sich seinem Verfolger überliefern. Ich will ihm morgen ein Netz spinnen, in das er hineintappen soll und wenn er zehnmal klüger wäre, als er ist. Leben Sie wohl, lieber Freund, ich habe noch zu tun, und es ist spät geworden.«


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