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XX.

Brandgelber Lichtschein sprüht durch die Nacht, dem Schneesturm trotzend über den Dünen. Die Strandbyer nahen, mit Fackeln bewehrt, und Führer des Zugs ist Praest Petersen.

Sein Auge gleitet über die Schar, die seiner Obhut anvertraut, und wo ein Weib vor Erschöpfung ächzt, ein Kind jammert oder ein Alter stürzt, da ist er fliegenden Schritts zur Stelle, ein Hirt, der treu seine Herde bewacht, daß niemand fehle unter dem Volk, wenn es die rettende Höhe erreicht.

»Bleibt fest, ihr Leute! Minuten noch sind's, und sichereres Land betritt euer Fuß. Hab' selber mehr solcher Nächte erlebt, und nie verließ mich, der über uns ist!«

Praest Petersen spricht den Ermattenden zu und treibt die Letzten zur Eile an. Denn wer am Wege jetzt liegen blieb, dess' harrte sicherer Tod im Meere, das weit schon über Strandby hinaus seinen weißen Saum nach dem Damm zuschob und Schritt für Schritt dem Haufen folgte, abschneidend ihn von den Häusern des Dorfes.

So kämpfen sie stumm sich durch den Sturm, die Männer voran, dahinter die Weiber, und kommen am Grunde des Hügels an, auf dessen Kuppe die Kirche steht.

Sekunden schleichen grambeschwert. Einen Augenblick rasten die keuchenden Lungen. Dann klimmt die Schar von neuem empor den letzten ragenden Steilabhang, klimmt aufwärts an der eisglatten Wand, sich einkrallend mit der Kraft ihrer Hände, und allen voran, kaum sichtbar mehr, samt seinen Gesellen Steuermann Tymme.

»Macht schnell, Jungens, schnell. Nicht wartet die Flut.«

Er ruft es heiser den nächsten zu und steigt als erster die Böschung hinauf. Doch plötzlich zögert sein jagender Fuß. Still steht sein Herz, von Grauen berührt.

Das war doch nicht das Ende des Damms, das wirbelnd, hell aus dem Dunkel quoll?

So schmutzig bleigrau blinkte kein Schnee, kein Windstoß schüttelte so den Wall, daß rollend sich der Boden bewegte. Und dieses Dröhnen hinter der Kirche, klang das nicht schleudernden Fällen gleich, die über Steinbarrieren stürzen?

Zwei Sätze quer durch die Friedhofskreuze, und Steuermann Tymme hält am Rand eines zackigen Abgrundes, tief gespalten, in dessen rund gewölbter Höhle ein Gischttanz sprudelnder Wasser kocht, Erdmassen losreißend, Mörtel und Steine.

Da bricht ein gellendes Angstgeheul aus Steuermann Tymme's Kehle hervor.

Das ihm jetzt, das, in der Stunde des Siegs?

So rächte der Himmel selber den Mord, den er begangen mit seinen Genossen, und furchtbar würde die Sühne sein. Denn ein Ende war da, dem keiner entrann. Die Schuldlosen starben den Schuldigen nach. All, aller ward der Lohn ihrer Taten in dieser düsteren Gruft voll Schlamm!

Und wieder hallt sein verzweifelter Schrei, gemischt mit wilden, lästernden Flüchen, schrill über den stillen Gottesacker, den reuegehetzt seine Gesellen verlassen, die Spur einhaltend des Wegs, den sie kamen.

»Zurück, zurück! Es riß der Damm.

Die Strafe Gottes ist über uns!«

Sie rasen die Dünenplatte entlang und prallen wie blind auf Praest Petersen ein, der just mit den Seinen den Damm erklommen.

Auf weint der Alte, da er sie erblickt, und schlägt die Hände vor das Gesicht. Schlohweiß weht zwischen den Fingern sein Haar.

»Herr, wie du willst, mein Leben nimm. Doch schone dieses armen Haufens.«

Er öffnet tränennaß das Auge und läßt es weilen über dem Volk, das totgeweiht seinen Führer umdrängt. Die Frauen schluchzen. Stumm brüten die Männer. Ein Greis hebt an mit dünner Stimme:

»Kyrie eleison.« –

»Kyrie eleison.«

Der Chor fällt ein und steigt, ein dumpfes Sterbelied, empor zum schwarzverhangenen Himmel, indeß die Wogen rings sich schließen zum eisernen Ring um den Dünenhügel.

Brandgelber Lichtschein sprüht durch die Nacht. Die Strandbyer ziehen der Kirche zu und tragen Fackeln in den Händen, lebender Menschen Totenlichter.


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