Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Der Brief aber, den Jens Lie geschrieben, kam nie in Silkes Hände.

Das Postschiff trug keine Schuld daran. Es hatte ihn schnell und sicher befördert, bis er in der schwarzen Tasche des Boten, der einmal im Monat vom Festland aus hinüberfuhr zu den Küsteninseln, nebst zahllosen Schreiben der anderen Seeleute Strandby erreicht m Novemberanfang.

Doch gerade die Menge der Reisegenossen ward zum Verhängnis dem Briefe Jens Lie's. Denn der Bote, ein alter, vergeßlicher Mann, der in den Wogen stark duftender Grogs, gebraut von Peer Olsens kundigen Fingern, den winzigen Rest des Gedächtnisses ertränkt, das in seinem spritfeuchten Schädel noch glimmte, bemerkte es garnicht, daß unter den Sendungen, die er mit trübe schwimmenden Augen verteilt an die Schar der beglückten Empfänger, just jene abhanden gekommen war, die Silkes Namen als Aufschrift geführt.

Nur zweie wußten um das Verschwinden des an Jens Lie's Frau gerichteten Schreibens, und einer davon war Steuermann Tymme.

Er hatte, geschüttelt von trunkenen Fiebern, – wie immer fast in der letzten Zeit –, ein reißendes Tier, das der Käfig hält, mit jagenden Schritten die Kammer durchmessen, die er in Peer Olsens Wirtschaft bewohnte, als Sören plötzlich, derselbe Mann, den Sindal er auf die Fersen gehetzt, dumpf polternd über die rauchige Treppe hinaufgestürmt kam durch den dunklen Gang und seinen breiten, eckigen Rotkopf mit hämischem Grinsen zur Türe hineinschob.

Steuermann Tymme verstand sich gut auf diesen Ausdruck in Sörens Gesicht. Er hatte ihn klar noch in seiner Erinnerung von jenem Tag im September her, da Sören ihm die Nachricht gebracht von Sindals eben erfolgter Abfahrt und, was die Hauptsache für ihn gewesen, von der schon lange ersehnten Tatsache, daß Silke sich ohne jede Begleitung hinausgewagt in die einsame Haide.

So war es nicht weiter verwunderlich, daß Steuermann Tymme wie gebannt den vollends jetzt in die Stube getretenen Sören anblickte, ohne auch nur einen Ton zu verlieren, als jener ruhig die Türe schloß und umständlich horchend Gewißheit gewann, daß auf dem Gang keine Menschenseele, die sie zu belauschen im Stande wäre.

»Was gibt es, Sören?«

Der Steuermann war es, der, endlich abstreifend seine Starrheit, mühsam die Worte herausgebracht aus enger, erwartungsgepreßter Brust.

»Was gibt es, Tymme?«

Sören sprach nach, was der andere gesagt, indem er, den Sinn der Frage umdeutend, mit einer nicht mißzuverstehenden Handbewegung die Gebärde des Geldzählens zu machen begann.

Doch Steuermann Tymme lachte gereizt, und es schwang so viel Drohung in diesem Lachen, daß Sören, der, wenn auch ein kräftiger Kerl, insgeheim vor des Steuermanns Faust sich fürchtete, es für geratener halten mochte, dessen Geduld nicht über Gebühr auf die Folter der Ungewißheit zu spannen.

»Der Brief hier, ich nahm ihn, als keiner es sah, aus der Tasche des Boten, der trunken war.«

Steuermann Tymme horchte auf.

»Du nahmst einen Brief? Für wen ist er bestimmt?«

Sören zögerte einen Moment, als wolle er, seines Erfolges sicher, der Minute Triumph um ein weniges länger noch genießen. Dann gab er Tymme das grobe Papier und wies auf die Siegel hin und die Aufschrift.

»Seht selbst, ob sich's lohnte. Es ist ein Brief aus Brest, bestimmt für die Frau Jens Lie's.«

»Für die Frau Jens Lie's?

Von ihm selbst ohne Zweifel!«

Tymme schlug Sören schwer auf die Schulter, während sein Atem stoßweise ging, daß zwischen kaum verständlichen Lauten einzelne Silben, jäh überschrien, der hölzernen Kammer Widerhall weckten.

Erschrocken sahen beide sich an. Dann schlichen sie Seite an Seite zur Tür.

»Teufel, wenn einer uns jetzt gehört!«

Aber niemand war da. Der Gang stand schwarz in regungslos nächtlicher Finsternis. Nur eine verspätete Ratte lief mit raschelndem Trippeln über die Dielen, und als ein fernes Dröhnen klang der Lärm aus dem Schenkraum die Treppe herauf.

Steuermann Tymme nahm Sörens Hand und drückte sie fest zwischen seinen Fingern, indem er ein Geldstück hineingleiten ließ, an dem der gerissene Matrose bemerkte, daß es zu klein für ein Kupferör und für eine Silberkrone zu groß sei.

»Gold also«, schoß es ihm durch den Sinn, und er trat befriedigt den Rückzug an, nachdem der andere ihm Schweigen geboten und flüsternd zuletzt das Versprechen gegeben, ihm diesen Dienst nie vergessen zu wollen.

Steuermann Tymme war nun allein, allein mit sich und dem Schreiben Jens Lie's, das, ein Geheimnis noch seinem Hirn, unheimlich weiß auf der Tischplatte lag. Er streifte den Umschlag scheu mit den Augen und suchte vergeblich sich vorzustellen, ob in der Hülle ein Etwas enthalten, das seinen Plänen förderlich sein oder mitleidlos sie zerstören könnte.

Und diese Erwägungen für und wider, traumschnell gesponnen, traumschnell verflogen, hetzten sein Blut in den Kopf hinauf, daß er, zu kühlen die rote Glut, die Läden aufriß und seine Stirn dem eisigen Hauche der Luft preisgab.

Ein Geruch wie von Neuschnee zog durch die Nacht. Der Himmel rundete stahlblau sich mit Sternenbündeln blanker als Glas, und winterlich klar stand der Mond darin, der seine Spitzstrahlen Schwertern gleich, die eisengeschliffen sich kreuzen im Kampf, in das Zwielicht der Kammer hineinschleuderte.

Aber Tymme achtete alles dess' nicht. Er trat vom Fenster zurück in die Stube und, den Brief aufgreifend mit jähem Entschluß, riß er Siegel und Umschlag in tausend Fetzen, um fliegenden Blicks die Zeilen zu lesen, die höhnisch, schwarz ihm entgegendrohten.

Und schon nach den ersten wenigen Worten, die grollend er zwischen den Zähnen behielt, sprang aus seinen Augen ein düsteres Feuer, und über den Schläfen krümmten die Adern sich, aufbäumend, dick wie gesättigte Schlangen.

Auf dem Meeresgrund lag die »Dronning Marie« mit der Hälfte der ganzen Mannschaft begraben!

Und jener lebte, jener, für den ein zweifacher Tod ihm noch nicht genug? Lebte nicht nur, sondern kam hierher in den nächsten Tagen, Stunden vielleicht?

Steuermann Tymme war nahe daran, mit einem wilden Fluch das Papier zu zerstückeln, als plötzlich er die Nachschrift bemerkte, die ihm bisher noch entgangen war.

»Die ›Marguerite‹ ist ein schlankes Schiff, trägt Schonertakelung, Farbe hellgrau, und führt – du kannst sie erkennen daran – einen roten Stender im Vordertopp.«

Ein – zweimal sprach Tymme die Worte sich vor, abwesend fast, mechanisch sie herleiernd, als wolle er seinem Gedächtnis sie einprägen unauslöschlich für immer, indem er sie lernte wie nautische Regeln.

Dann aber glomm ein plötzliches Licht ingrimmiger Freude in seinen scharf arbeitenden Zügen auf. Er barg den zusammengeknitterten Bogen, ihn vorsichtig glättend, in seiner Tasche und schritt, die Faust geballt um den Brief, der Türe zu, deren Klinke er faßte.

Auf der Schwelle wandte er kurz sich herum. Der Mond schien fahl in sein graues Gesicht.

»Ich werde sie kennen, die ›Marguerite‹, bei Tag und bei Nacht, ich werde sie kennen, als wäre ich selber auf ihr gefahren!«

Mit ächzendem Krach schlug die Türe ins Schloß, Steuermann Tymme war gegangen.


 << zurück weiter >>