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II.

An einem Morgen war es um drei, daß die Wache im Ausguck Land gesichtet und man das Hämmern der See vernahm, die an die Bretonischen Felsen schlug.

Nun lag auch das schon Tage zurück. Die »Dronning Marie« hatte Brest hinter sich und stampfte schwer den Kanal hinauf, der, zerrissen, gepeitscht von heulenden Böen, trübselig, grau seine Wogen wälzte. Die sprangen wie Hunde den Schiffsleib an, bald war es eine, bald hundert und tausend. Dumpf stöhnte die Bark unter ihrer Last und bohrte tief den Schnabel hinein in die bellenden Ungetüme, daß bis zu den Hüften die Mannschaft in eisigem Wasser stand, festgebunden mit armdicken Tauen, und unter den Füßen den Boden wegschwimmen fühlte, als käme das Schiff nicht wieder hoch.

So kämpfte sie Wochen, die »Dronning Marie«, kämpfte sich durch die Nordsee hindurch, und eines Abends, als purpurn der Sonnenball in Dämpfen und Gischt versunken war, sahen die todmüden Menschen ferne im Nebel die Lichter der Insel blinken und schwenkten brüllend ihre fettigen Ölkappen. Waren es doch die Augen der Heimat, die dort gleich Sternen im Dunkel glänzten. Waren es doch die Kerzen und Lampen, bei deren knisternd schwelendem Schein verhärmte Frauen und Kinder die Nächte durchwacht, einsame Nächte voll Kummer und Angst, in denen die Herzen zitternd sich sorgten um den Vater, den Mann, den Sohn und den Bruder, die alle dem Meere gehörten mit Leib und Seele, im Leben und auch im Sterben.

Wie ein Phantom glitt die Heimat vorbei den sehnsuchtsverlangenden Blicken der Mannschaft. Noch harrte ihrer manch schwierig Manöver, denn Skagerrak und das Kattegat stellten des Schiffes Kraft auf die Probe und hätten es gern an die Küste geschmettert, die »die Eiserne« heißt im Munde des Volks um der zahllosen Opfer der Sandbänke willen.

Doch tapfer hielt sich die »Dronning Marie«. Schon spielten die Wasser des Oeresund in zartem Anschlag um Flanke und Bug, zur Rechten dämmerte Helsingör mit seinem sammetgrünen Wälderkranz, und als nach wenigen Stunden die Anker fielen bei der Spitze der Insel Amager, da reckten sich stolz im Abendrauch die goldenen Türme von Kopenhagen, herüber scholl dunkel ihr Glockenspiel, und vor den spitzgiebeligen Häusern der Hafenstraßen drängte sich dicht ein Wald von Masten, die aller Nationen Flaggen trugen.

Nun war sie am Ziel, die »Dronning Marie«, nun flog die Mannschaft an Land mit dem ersten Boot, ein toller Schwarm von lockeren, sinnetaumelnden Vögeln. Die fielen her über Weiber und Wein mit jener unersättlichen Gier, in der ein Glimmen von Rache war für all die öden, enthaltsamen Tage, die sie an Bord ihres Schiffs verbracht während der monatelangen Reise.

Jens Lie allein war nicht unter diesen Vögeln. Vor seinen Augen stand Silkes schmales Bronzegesicht mit den blaßroten, halbgeöffneten Lippen. Er meinte den Duft dieser Lippen zu spüren und strich in Gedanken über das schwarze Haar, das als ein knisterndes Seidentuch um des Mädchens Stirne gebreitet lag. Denn Silke war nicht wie die andern Frauen daheim auf der Insel starkknochig und blond, sondern hatte des Südens Blut in den Adern.

Das stammte von ihrer Mutter, der Juanita, die Kapitän Lund unten in Cadiz zum Weibe genommen und ein Jahr später wieder begraben auf der Höhe von Kap Finisterre, nachdem sie Silke das Leben gegeben.

Die wuchs bei ihrem Vater heran, blühte auf inmitten der Mädchen der Insel als eine fremde, seltsame Blume und trug ihre dunkle Schönheit verborgen unter den groben Kleidern des Volks, äußerlich sich durch nichts unterscheidend von alle den andern, als durch ihr Haar und die großen Augen, aus denen ein Funke spanischer Sonne den Burschen der Insel entgegenflammte, wenn sie das Mädchen beim Kirchgang trafen oder beim Tanz im Strandbyer Wirtshaus.

Und konnte sich keiner von ihnen rühmen, daß Silkes Blick auch nur eines Herzschlags kurzen Augenblick wärmer auf ihm gehaftet, als auf den Genossen. Auch Steuermann Tymme konnte das nicht, trotz seiner stiernackig steifen Grandezza und schön gesetzten, schmeichelnden Reden.

Das währte wohl geraume Zeit, bis an einem Märztag im Frühling Jens Lie auf der Insel erschien, um nach zweijähriger ostasiatischer Fahrt die Freuden der Heimat auszukosten mit durstigen Zügen.

Jedesmal, wenn er an diesen ersten Abend in Strandby dachte, ging schwer seine Brust, und eine heiße Welle von Rot flog über sein scharfes, wie aus Teakholz geschnittenes Seemannsgesicht. So hatte ihn Silke gesehen, die, in einer Ecke gleichgiltig zwischen den Frauen stehend, gleichgiltig erst, dann immer gespannter ihn mit den Augen gemustert, wie er Umschau hielt unter den Mädchen und keine ihm zu gefallen schien. Da hatte sie lässig die Hüften gewiegt und gedacht:

»Wenn er dich nähme, du gingst mit ihm! Aber der ist zu stolz, der beachtet dich nicht.«

Und eben die gleiche Meinung hatte Jens Lie von Silke gehabt, als er sie hinten entdeckt bei der Ofenbank.

»Eine feine Dirne, aufrecht und schlank. Wie ein Fräulein sitzt sie neben den andern Weibern!«

So hatte dies Sehen und doch nicht Sehen, dies heimliche Suchen und doch nicht Suchen gedauert während des ganzen Tanzes.

Als der Aufbruch begann, ging Silke unter den letzten der Gäste. Unruhig zog sie die Schultern ein, fröstelnd trotz der lauwarmen Luft, und lauschte erregt den Geräuschen der Nacht, die mondhell über dem Meere stand.

Klangen nicht Schritte dicht hinter ihr, schlürfend durch den fließenden Sand?

War es Jens Lie, der ihr nachgeschlichen mit plötzlichem Entschluß?

Zitternd wandte sie sich herum. Da ward sie umspannt von stählernen Muskeln. Ein eisgrauer Bart streifte stechend die Wange, und tierische Augen funkelten grell vor ihrer Stirne.

War das Jens Lie?

Nein, das war nicht Jens Lie! Das war Steuermann Tymme, der mit roher Gewalt zu erzwingen gehofft, was Silke ihm freiwillig nie gegeben.

In diesem Augenblick wußte sie, daß sie ihn haßte von ganzer Seele und daß ihr Herz nur einem zuschlug, dem einen, den sie heute gesehen zum erstenmale im Tanzsaal von Strandby. Und gellend rief sie:

»Zu Hilfe, Jens Lie!«

Der kam, wie ein Wolf anspringt, mit gewaltigen Sätzen durch die Dünen gelaufen, packte Steuermann Tymme am Nacken und schleuderte ihn in weitem Bogen zur Erde, wo er, betäubt von der Wucht des Falles, liegen blieb mit geschlossenen Augen. Dann schlang Jens Lie seinen Arm um das Mädchen in unbeholfen schüchterner Zartheit und führte es stützend den einsamen Weg. Rings war es still. Das Meer schlug silbern kreisende Ringe, und droben unter den Sternen pfiff melancholisch der Frühlingswind.

War es nun Silke oder war es Jens Lie, der als erster des anderen Mund geküßt?

Sie wußten es beide nicht mehr genau, waren sich wohl auf halbem Wege entgegengekommen in jenem keuschen Naturgefühl, das Menschen stets zu einander treibt, wenn noch so winzig ein Funke der Leidenschaft gefallen in die schlummernde Seele.

Und jener Funke war aufgeglüht während der monatelangen Trennung zu einer heißen, lodernden Flamme, die an dem Tage leuchten würde als Hochzeitsfackel, da sie, in Kirkeby's Dünenkirche getraut von des alten Praest Petersen welker Hand, heimfliegen würden ins eigene Nest, in das kleine Holzhaus hoch über dem Meere.

Dies alles fuhr Jens Lie durch den Sinn, es war eine Flut von berauschenden Bildern, und wie ein Trunkener schritt er quer durch die Havne- und Tordenskjoldsgade hinüber zum Kongens Nytorv, dem breitrunden Platz, um dort in einem der schimmernden Läden die goldene Halskette zu erstehen, die er Silke als Brautgabe zugedacht, die goldene Kette, das Seidentuch für die Brust und jenen dunklen, wolligen Stoff, den man auf der Insel als Festkleid trug.

Er wählte wie einer, den Liebe quält, mit schwerem Bedacht und ließ sich Zeit. Dann packte er sorgsam die Sachen zusammen und machte sich eiligst zum Hafen auf. Hier suchte er musternd die Schiffe ab, ob nicht eines heute noch ginge nach den Inseln der Westküste, und fand einen kleinen, schmalleibigen Schoner, der eben die Anker zu heben begann.

In einer rasch gemieteten Jolle ruderte er an Bord, drei Stunden später schwammen sie draußen im Oeresund. Stolz stand Jens Lie auf dem Vorderdeck und ließ die Zipfel des Tuches wehen, das rotweiß, in den Farben des Danebrog den Ausschnitt seines blauen Jackets verdeckte mit kunstvoll gelegten Falten.

Denn diesmal fuhr er als Passagier und kam sich vor als ein König der Sage, der über das Meer zieht zu Hochzeit und Abenteuern.


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