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VI.

Durch das bunte Altarfenster in Kirkebys Dünenkirche fiel ein Sonnenstrahl.

Auftauchend aus den östlichen Meeren, war er in schwindelnder Schnelle über Länder und Städte geflogen. Tausende von Meilen zählt sein Feuerweg, nun, da seine letzten Funken sterbend das auf Glas gemalte Bild des Gekreuzigten neben der Holzkanzel übergossen mit lichtem Schein, um als eine Krone von gelbem Messing Jens Lies und Silkes Stirn zu kränzen, die, die Köpfe gesenkt, Hand in Hand vor Praest Petersen unten am Altar knieten.

Zu ihren Häupten flackerten Kerzen. Schwer zog der schwelende Wachsgeruch in krausen Wolken zur geraden Decke, die altersgeschwärzt ihre dicken Balken quer über das ganze Kirchenschiff reckte.

Das war gefüllt bis in die dunkelste Ecke hinein. Wuchtig, erdrückend fast standen der Schiffer Hünengestalten eng aneinandergepreßt in dem kleinen Raum. Ihre verwitterten, steif pergamentenen Seemannsgesichter leuchteten geisterhaft in der Dämmerung neben dem weißgestärkten Kopfputz der Frauen, der Flügeln gleich über den Haaren sich wiegte und seltsam abstach von jenen zahllosen schwarzen Tafeln, die, oval in der Form, mit Kreuzen versehen, die Namen der Inseltoten enthielten. Mannshoch hingen diese Erinnerungszeichen an den gekalkten Wänden rings im Kreis, einem riesigen, steinernen Trauerflor gleich die Gemeinde umgebend mit düsterem Gewinde.

Jetzt zog ein Rauschen durch die starrende Menge, wie wenn der Wind übers Schilf hinfährt und mit den schwankenden Rohrkolben spielt, daß sie unruhig wispernd die Hälse recken. Denn Praest Petersen hatte soeben das Paar eingesegnet, und unter dünnpfeifendem Orgelklang gingen die Neuvermählten den schmalen Gang zwischen den Kirchenstühlen hindurch ins Freie hinaus. Vor ihnen her glitt flimmernd der Sonnenstrahl bis zum Portal am Ende der Kirche. Hier ließ er noch einmal sein Feuer spielen um tanzender Lichtstäubchen schlanke Säulen. Dann war er verschwunden. An seinerstatt übernahm ein Falter die Führung, der gaukelnd sich in die Frühlingsluft schwang.

Hell schrieen die Möwen am Strande, als auf dem Kirchplatz der Brautzug sich ordnete.

»Hört ihr sie kreischen? Sie wittern den Festbraten.«

Peer Olsen, der Wirt, rieb sich die Hände mit listigem Lächeln. Er zählte im Geist die silbernen Kronen, die ihm diese Hochzeit einbringen würde. Denn sparsam und nüchtern an Wochentagen, ging es bei festlichen Anlässen doppelt hoch her auf der Insel, und mancher ließ seinen Jahreslohn in Peer Olsens fettiger Tasche zurück, wenn er trunken von Liebe und Wein Flasche auf Flasche den Garaus machte, um schließlich mit gewaltiger Tatze Möbel und Fenster auf ihre Festigkeit hin zu prüfen.

Wohlwollend schlug der Wirt Jens Lie auf die Schulter, der, feierlich angetan mit seinem blauen Jacket, dem weichen Seidentuch und der Schiffermütze, an der Seite seines jungen Weibes die glückwünschenden Händedrücke der Brautgäste entgegennahm.

Sie mochten ihn alle, den Sohn Aage Lies, mit seiner fröhlichen Jugendkraft, und der Umstand, daß Silke, die Vielumworbene, sein eigen geworden, hatte ihm eine gewisse populäre Berühmtheit verschafft, die ein guter Geschäftsmann, wie Peer Olsen, für seine Spekulationen nicht unberücksichtigt ließ.

»Nur zu, mein Junge!
Naar man har sagt A, maa man ogsaa sige B.
Wer A sagt, muß auch B sagen.«

Es war dies des Wirtes Lieblingsspruch, den er immer bei solchen Gelegenheiten an den Mann brachte, indem er – und nicht ohne Unrecht – der Meinung war, daß dort, wo der Priester das Recht verloren, sein Reich beginne und seine Herrschaft, daß sich aus der kirchlichen Zeremonie mit unumstößlichen Argumenten die Notwendigkeit der weltlichen herleite. Und diese weltliche Zeremonie lag eben in Peer Olsens bewährten Händen, der sie als sein gutes Recht betrachtete, wie der Pfarrer Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse.

So und nicht anders war es auch zu erklären, daß er von Praest Petersen stets als von »seinem Kollegen, dem Pfarrer« sprach. Sie waren sich beide ein Dorn im Auge, und der milde Knecht Gottes flammte oft auf in hellloderndem Zorn, wenn er an dieses unbotmäßige Schal der ihm anvertrauten Herde gedachte.

»En avant, mes braves«

Oh, war er nicht gebildet, war er nicht international, er, Peer Olsen, der Wirt von Strandby?

Und die bekränzte Stange schwenkend, von deren Spitze ein zierliches Schiff Segel und Wimpel wehen ließ, warf er sich in die Brust und eröffnete stolz den Hochzeitszug. Der wand sich zwischen den Dünen hindurch als eine schillernd bewegte Schlange. Drei Musikanten marschierten am Kopf dieses langsam kriechenden Riesenwurms. Sie trugen schäbige, schwarze Röcke, die seltsam um ihre Kniee schlugen, und hielten mit festlich zitternder Hand ihre blitzend verschlungenen Blasinstrumente.

Bekannt war allen, was diese drei spielten:

Es war das alte Hochzeitslied, seit Menschengedenken das Lied dieses Tages. Es war die prickelnd süße Weise, der Braut und Bräutigam sehnend gelauscht, wenn sie als halbe Kinder noch mit bloßen Füßen und flatterndem Haar hinter den Großen herliefen, die von der Kirche zur Schenke gingen.

Nun klang zu ihrer Ehre das Lied, nun standen sie selber am Tore des Glücks, das damals sie nur aus der Ferne gesehen, und manches Weiblein, runzlig, gebückt, manch rauher Schiffer, alt und zermürbt, gedachte heute vergangener Zeiten, da sie an jener Stelle geschritten, die nun Jens Lie und Silke einnahmen, und eine eigentümliche Weichheit glomm in den harten Augen der Leute auf, als habe längst vergessene Jugend die unter Not und Kampf erstarrten Gesichter berührt mit leise rauschendem Flügel.

So zogen sie ein ins Strandbyer Wirtshaus, Paar auf Paar, in nicht endenwollender Kette, und die als erste am Ziele waren, sahen die letzten der Kirche entquellen, die, auf der schmalen Landenge zwischen den beiden Rundteilen der achtförmigen Insel durch Dämme geschützt, dem Ansturm der Flut widerstand bis zu diesem Tage. Denn oft schon hatten weißmähnige Riesen den Durchbruch versucht in nächtlichem Überfall und waren stets zum Rückzug gezwungen worden durch der Menschen luchsäugige Wachsamkeit, die überall da, wo Breschen sich zeigten, mit wütender Anstrengung Säcke und Steine in die Lücken gestopft, daß ohnmächtig brüllend die Wasser den Ansturm aufgaben und flüchtend entschwanden beim Morgengrauen.

Doch an solche Nächte voll angstvollen Ringens dachte kein Mensch heute unter allen denen, die rings um die längliche Tafel saßen im niedrigen Schenkraum von Peer Olsens Wirtschaft.

Ein Lebensfest war es, das man feiern wollte.

Drum blank die Augen, sprühend und hell die Herzen!

Und diese Jessens und Holks und Larsens, die Christensens und wie sie sonst noch hießen, die zu Jens Lies und Silkes Hochzeit gekommen waren, sprachen bedächtig dem Porter zu, der dick und schäumend die Gläser füllte, und bald versank der Männer altvaterische Steifheit in tollen Ausbrüchen einer gemütlich lärmenden Laune.

»Skaal, Jens Lie!«

»Skaal, Peter Jessen!«

Zwei Arme reckten sich in die Höhe und setzten krachend die Flaschen nieder, aus denen man jetzt schon zu trinken begann, »der Bequemlichkeit halber,« wie Sindal, der Lotse, gemeint, dem gar zu schnell der braune Saft durch die Kehle rann.

»Ein schönes Weib hast du dir gewonnen, Jens Lie.«

»Und will es halten bis an mein Ende!«

Jens Lie griff unter dem Tisch nach Silkes heiß brennender Hand und drückte sie heimlich, strich zärtlich über den knisternden Stoff, der eng anschließend Hüften und Kniee verhüllte.

Dann tauchten tief ihre Blicke ineinander, scheu sich umklammernd in seliger Vorahnung, und in sich versunken saßen die beiden, kaum mehr das Getriebe beachtend, daß wie durch dunstige Nebelschleier als eine ferne Brandung dumpf nur an ihre Ohren schlug.

Doch plötzlich erstarben auch diese Klänge, die sie mit halbem Bewußtsein in ihr taumelndes Denken herübergenommen. Ein jähes Schweigen brauste um sie, in seiner tonlosen Stille lauter denn tausend Posaunen, den Atem beklemmend, das Hirn durchrasend in fürchterlicher Schnelligkeit, und wie einer, der fällt im Traum mit schwindelndem Sturz und fällt und fällt und blaß zitternd erwacht, so starrten Jens Lie und Silke über Tafel und Brautgesellschaft hinweg zur Türe hin, die, weit geöffnet, Ströme von eisiger Nachtluft in die stickige Wärme des Schenkraums ergoß, daß schwarze Rauchbänder den Lampen entfuhren und eine düstere Helligkeit ihren fahlen Schein um die Köpfe warf.

Auf der Schwelle der Holzpforte stand ein Mann. Dunkel war sein Mantel, dunkler noch, als der sternenlose Himmel in seinem Rücken. Den Hut in die Stirne gedrückt, grüßte er mit verzerrtem Lächeln die schreckhaft verstummten Menschen.

War das der Tod, der hier auf dem Feste des Lebens erschien, um mit einer der blonden Brautjungfern grinsend den Reigentanz zu eröffnen?

Und bei diesem Gedanken schrie die kleine Hella Andersen neben dem jungen Holk von Lyngby schrill auf und barg ihr Gesicht in dem Schoß des stämmigen Burschen an ihrer Seite.

Doch wie eine Erlösung wirkte der Schrei. Die Männer sprangen von den Bänken auf und stürzten dem Fremden entgegen, der sie unbekümmert herankommen ließ. Dann hob er zur Abwehr die rechte Faust:

»Kennt ihr Steuermann Tymme nicht mehr, Ihr Dummköpfe?«

»Steuermann Tymme?«

Silke rief es mit flackernder Stimme und stellte wie schützend sich vor Jens Lie, seinen Leib versteckend hinter ihrer Brust. Doch ruhig machte der sich los von den Armen seines Weibes und sah dem tückischen Gegner ins Antlitz, der mitten durch die unwillig murmelnde Menge den Weg sich bahnte, bis er, getrennt auf Tischesbreite, drohend sich aufpflanzte vor dem jungen Paar.

»Hab' nicht bedacht, daß dir's so eilig wäre mit der Hochzeit, Jens Lie.«

Zischend fast kamen die Worte heraus, unterbrochen von röchelnden Atemzügen.

O, wie er ihn haßte, diesen glattzüngigen Kerl! Welch unselig quälende Leidenschaft erregte aufs Neue in ihm das blasse Madonnengesicht mit den Glutaugen, das ihm nun für immer verloren war.

Für immer?

Oder konnte dies »immer« ein Ende haben, reichte es nicht bis zur Ewigkeit?

Und während finstere Pläne sein Hirn durchflogen, Sturmvögeln gleich, die aufziehende Wetter verkünden, riß seine Hand ein Glas von der Platte auf, das war voll roten, funkelnden Weines.

»Ein später Gast, komm ich heute, Jens Lie. Havarie unterwegs dank ich die verwünschte Verzögerung. Doch komme ich immer noch zeitig genug, um dir wie die andern den Brautwunsch zu bringen:

»Auf deinen Tod, Jens Lie!«

Schmetternd schleuderte seine Hand das Glas auf den Tisch, daß zwischen klirrenden Scherben eine häßliche, rote Lache des Linnentuchs schneeige Weiße verschlang und zackige Blutstropfen, purpurfarben, gesprenkelt Jens Lies und Silkes Kleider bedeckten.

Sekundenlang blieb es atemlos still, so still, daß einer des anderen Herzschlag zu hören wähnte und doch nur das Knistern der Lampen vernahm, die flatternd, erschreckt am Erlöschen waren. Dann aber rang sich aus den gelähmten Kehlen der Menschen ein weithin hallender Schrei der Entrüstung, dunkel und zornig, und über diesem grollenden Racheschrei erhob sich durchdringend, scharf, wie das Horn eines Feldhauptmanns beim Angriff feindlicher Fähnlein, die Stimme Jens Lies.

Der setzte grade zum Sprunge an, um Steuermann Tymme zu Leibe zu gehen.

»Haltet den Kerl, daß ich ihn fasse!«

Und er packte die Tischplatte mit kräftiger Hand und wollte sich eben hinüberschwingen, als Silke ihm flehend den Weg vertrat, geängstigt durch die Aussicht eines fast unvermeidbaren Kampfes.

»Nicht heute, Jens Lie.«

Einen Augenblick nur schwankte Jens Lie, lauschend dem Streite in seiner Brust, den Haß und Liebe gegeneinander ausfochten mit blitzenden Waffen. Doch dies kurze Schwanken benutzend, brachte sich Steuermann Tymme durch ein paar gewaltige Sätze aus dem Machtbereich seines glücklichen Rivalen.

»Wir treffen uns später!«

Jens Lie rief es ihm nach mit dröhnendem Ton, aus dem Wut und Schmerz über die rohe Entweihung eines auch von den Rohesten geheiligten Brauches sprach.

Dann flog Steuermann Tymme, von schwieligen Fäusten befördert, zur Türe hinaus, die Sindal, der Lotse, hinter ihm schloß mit grimmigem Knurren.

»Welch ein Vieh.«

Gar manches schon hatte Sindal gesehen in seinem langen, bewegten Leben; aber etwas wie dieses war ihm noch nie begegnet bisher. Und so spie er verächtlich auf die sandbestreuten, sauberen Planken des Fußbodens und wandte sich teilnehmend wieder herum, um seine Ansicht über den Fall Jens Lie und Silke gegenüber noch einmal zu bekräftigen mit eben denselben kernigen Worten, die er Steuermann Tymme vor ein paar Sekunden zum Abschied mitgegeben.

»Welch ein Vieh!«

Doch kaum hatten die Lippen sich über diesem Erguß bärbeißiger Sympathie geschlossen, da lief eine stille Heiterkeit durch die zahllosen Falten und Fältchen in Sindals feistrundem Mönchsgesicht. Er tat einen hellen, zufriedenen Pfiff und versenkte sich angelegentlich in die Betrachtung des vollen Glases, das dicht vor seinen Augen goldbraune Lichter tanzen ließ.

»Ha ha, die beiden, seht doch an!«

Und er schielte vergnüglich nach den leeren Plätzen des Paares hinüber, das, die Verwirrung nutzend, verschwunden war, im Getümmel die Stube verlassend auf dem Weg durch Küche und Hinterpforte, den alle die Neuvermählten – auch Sindal nicht ausgenommen – zu wählen gepflegt, wenn sie zu vorgerückter Stunde die Hochzeitsgesellschaft verließen.

Und der Alte hatte so unrecht nicht mit seinem spitzbübisch weisen Lächeln, denn weit fort schon waren Jens Lie und sein junges Weib.

Sie liefen verschlungen die Dünen hinan, strauchelnd oft in der Finsternis, die undurchdringlich, ein schleppender Vorhang, tief über Himmel und Erde sich breitete. Ein kalter Wind kam vom Meere her, in schweren Stößen den Sand aufwirbelnd, daß hart er Stirne und Wange peitschte.

Jens Lie und Silke deuchte er mild, sie sahen Dinge, die keiner sah.

Waren es gelbe Weizenfelder, Jütlands ruhlos wogende Halme, die rieselnd um ihre Körper schlugen, auf und nieder die Kronen senkten, blitzende, tautropfenfunkelnde Kronen?

War es wohl jener süße Duft, der von Syringen und Schneeball hinzieht über das weiche Gras, das Kissen gleich der Liebenden Körper aufnimmt, wenn sonnenflimmernd die Ebene schweigt?

Ach, wie sie glücklich waren, die zwei!

Dornbusch und raschelnde Strandhaferrispen zerrten unwirsch an Kleider und Händen, den hastenden Fuß hielt tückisch der Strand, und Seenebel stiegen aus lichtlosen Gründen, ein schwankender Chor steingrauer Leichengesichter.

Doch alles dieses schreckte sie nicht, schien ihnen tausendmal schöner noch, als des Festlands blendende Frühlingspracht, als weißer Kirschblüten fliegende Flocken, als mattviolette Krokus und jene Beete von Hyazinthen, die in den Gärten der Herrenhäuser mit Schneeglocken und mit den hochmütig steifen, blaugeäderten Narzissen Grüße tauschen, wenn auf den Höfen der Maisang erklingt.

»Jens Lie!«

»Silke?«

»Unser Haus! Wir sind da.«

Unsicher tasteten beider Hände nach dem Eisenschloß an der Bohlentüre.

»Unser Haus!«

Jens Lie sprach es andächtig, langsam nach; dann faßte er mit einem unterdrückten Jubelruf den Arm seiner jungen Frau und zog sie über die Schwelle hinweg in das Innere der Stube, die von nun an ihre gemeinsame Heimstatt sein sollte. Ein warmer Atem drang ihnen entgegen, denn in dem Bauche des Kachelherdes glimmte verstohlen letzte Glut, Leuchtkäfern gleich kurzsprühende Funken emporsendend zu dem gähnenden Rachen des Rauchfangs, der in einer Ecke schräg an der Wand mit rundem Leib zur Decke sich zog. Hier stand auch die breitlehnige Ofenbank, und auf sie bettete Jens Lie behutsam und zart die lebende Last, deren wehrlose Mädchenmüdigkeit sein Herz mit wildem Entzücken erfüllte.

Dann kehrte er Silke den Rücken zu und tappte im Dunkel des Zimmers umher wohl eine geraume Zeit, um den Leuchter zu finden und jene Schachtel schwedischer Hölzer, die, wie er wußte, gewöhnlich am Ende des Tisches zu liegen pflegte. Nach langem Suchen fand er die Hölzer. Eins, zwei strich er vergeblich an. Sie zerbrachen unter dem Druck seiner ungeduldigen Finger. Da flammte endlich das dritte auf, blitzschnell den Raum erhellend, um eben so rasch wieder zu erlöschen.

Aber der winzige Augenblick, den das Licht geweilt über den Köpfen der beiden Menschen, hatte Jens Lie ein Bild gezeigt, wie er noch keines bisher geschaut:

Silke, die, ledig des Brautstaats, schlank und schmal in fließendem Leinengewand mitten im Zimmer stand. Die Hände verschränkt hinter Kopf und Haar, das seidenschwarz auf die bloßen Schultern hinunterrann, sah sie mit sehnsüchtig weiten Augen zu dem Manne ihrer Liebe hin. Korallenfarben lagen die Lippen in ihrem jasminblütenblassen Gesicht, und ihre opalisierenden, großen Pupillen hatten den Glanz von Sternen aus Jett.

War Silke es wirklich, diese seltsam kostbare Blume, und war er denn überhaupt Jens Lie, der sie zu eigen gewonnen mit ihrem Willen?

Und unter dem Eindruck ihrer fremdartigen Schönheit wurde er irre an alle dem, was seit jenem Abend in Strandby geschehen war bis zu dieser Nacht.

Aber dann fühlte er plötzlich ihren warmen Körper dicht an dem seinen, er küßte dürstend einen schwellenden Mund, der sich ihm bot mit heißem Verlangen, und wußte, daß es kein Traum sei, sondern traumtiefe Wahrheit, und dieses Wissen gab ihm die Sinne zurück.

»Silke!«

Er preßte den Namen heraus wie einer, der jäh versinkt in einem Meere von trunkenen Wundern. Dann ward es still.

Durch die Fenster des kleinen Hauses schlich ein rosengoldenes Licht. Der Mond, der hinter der düsteren Wolkenbank unter den Wassern verborgen gewesen, stieg feierlich aus der Tiefe empor. Gelbrote Bänder zischten hin und wieder am Saum seines zerfetzten Mantels auf, sich mehrend, bald ineinanderfließend zu einer breiten, brennenden Borte, die, unaufhaltsam wachsend, allmählich die Schatten umfaßte, bis sie vergingen in loderndem Feuer, das von des Mondes uralter, ewiger Hochzeitsfackel zur Erde fiel.

So wurde Silke das Weib Jens Lie's.


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