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IV.

Jens Lie, Sohn des Steuermann Aage Lie, der verloren im Meer bei Skagenshorn.«

Praest Petersen legte die Feder hin und stützte müde den Kopf in die Hand, seine Augen beschattend, als sänne er alten, vergangenen Bildern nach, die urplötzlich vor seiner Seele erstanden, da er das Paar in die Pfarre treten gesehen und von Jens Lie den Zweck seines Kommens erfahren.

»Ein braver Mann, dein Vater! Und war jung, als er starb, blutjung.«

Praest Petersens Stimme zitterte leicht, Jens Lie wußte nicht, war es vor Schwermut oder vor Altersschwäche. Denn an siebzig Jahre zählte der Greis, und seine grauen, dünnfließenden Haarsträhnen waren verblaßt in der salzigen Luft während des harten, einsamen Lebens, das er fern von der großen Welt verbracht auf der Insel seit Menschengedenken.

Nun sah er den Kindern derer ins Auge, die er selber getraut vor Jahrzehnten in Kirkeby und deren armselig kurze Ehe der Tod getrennt mit eiserner Faust. Nun kamen die Jungen zu ihm in derselben sprühenden Liebeshoffnung, wie einst vor vielen Sommern die Alten, und trübe schüttelte er den Kopf, da er ans Ende all derer gedachte, die er schon leben und sterben gesehen.

Denn Praest Petersen und der Tod, die standen über dem Werden und Schwinden jedweden Geschlechtes hier auf der Insel!

»Er war mein Freund, dein Vater, Jens Lie, einer der wenigen, die zu mir hielten und dem Worte Gottes. Drum hatte ich ihn lieb und trug eine stille Trauer um ihn. Monate blieb er verschollen für uns. Kein Schiffer weit und breit in der Runde fand Spuren der ›Göteborg‹ längst der Küste, bis uns das Meer seinen letzten Gruß bei einem Sturm auf die Sandbänke warf, die Worte, die er geschrieben in jenen Sekunden, da er vor den Toren der Ewigkeit stand.«

Praest Petersen ging zu dem hohen Schrank, der, braun und rund wie die übrigen Möbel, aus Treibholz von Schiffern gezimmert war, und nahm aus einem der dunklen Fächer die kleine, dreikantig grüne Flasche, die Aage Lie's Abschied vom Leben enthielt. Ein schmaler Zettel, feucht und vergilbt, darauf in tanzenden Buchstaben eine erstarrende Hand gekritzelt:

»Gott helfe uns! Wir gehen unter.
An Bord der ›Göteborg‹. Skagenshorn.
Steuermann Lie.«

Stumm blickten die drei Menschen das grause Vermächtnis an, das in so unerbittlicher Kürze die Sprache des Todes redete, und Silke, die nie bisher an den schweren Beruf des Geliebten gedacht, fühlte ein tonloses Schluchzen aufsteigen, das krampfhaft den Körper zu schütteln begann. Hier zeigte sich ihr zum erstenmal die ganze Ungeheuerlichkeit eines gewaltsamen Endes, sie wähnte den langen, röchelnden Schrei zu hören, der, tief aus wassergefüllter Lunge quellend, nicht mehr den Weg zu den Lippen fand, sie wähnte zwei Arme sich strecken zu sehen in wilder Verzweiflung nach Weib und Kind und stöhnend barg sie ihr blasses Gesicht an Jens Lie's breiter, schützender Brust.

Der wünschte den Pfarrer zu allen Teufeln.

Was sollte der Tod auf dem Wege zur Hochzeit?

War es denn nicht natürlich so, daß man starb auf dem Meer, dem man Leben und Sein verdankte?

Fast hielt er es unter der Würde des Seemanns, in Stroh und Bettstatt auf das Ende zu warten. Und kam das alles nicht später von selbst? Wozu jetzt daran denken, jetzt, da ihm Silkes Brautkranz winkte mit bunten Bändern und Blumen der Nacht?

Und mit einer herrischen Handbewegung schob er Flasche und Zettel beiseite, als wolle er jenes düstere Gespenst aus dem Kreise seiner Gedanken verbannen, die, der gegenwärtigen Stunde enteilend, unaufhaltsam, taumelnd wie Schmetterlinge dem Tage zuflogen, da Silke sein eigen werden würde mit Seele und Leib.

»Hier sind die Papiere, Praest! Seht zu und prüft ihre Richtigkeit.«

Er zog ein paar Bogen aus seinem Jackett und breitete sie auf dem Tische aus mit ängstlicher Sorgfalt, als hänge ein gewichtiger Urteilsspruch von diesen Stempeln und Urkunden ab, die grau, verwischt seinen Fingern entglitten.

Praest Petersen studierte sie langsam, bedächtig durch, dann tauchte er nochmals die Feder ein und fuhr mit harten, kratzenden Zügen über die grobfaserigen Blätter des Kirchenbuchs. Die beiden Menschen standen eng aneinandergeschmiegt, mühsam ihren Atem verhaltend, und sprachen halblaut die Worte nach, die des alten Priesters knochige Hand schwerfällig malend aufgezeichnet:

»Jens Lie, Sohn des Steuermanns Aage Lie, der verloren im Meer bei Skagenshorn, und Silke Lund, Tochter des Kapitän N. C. Lund, tot auf der Reede von Hongkong am gelben Fieber.«

Darunter setzte Praest Petersen Tag und Jahr der Geburt der Brautleute, und es ergab sich seltsamerweise, daß sie zugleich ihr Leben begonnen, daß gleich ihre Kraft und glühende Jugend.

Denn beide gingen hinein in den letzten Frühling ihres zweiten Jahrzehnts.


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