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Mit den Zugvögeln langte Jens Lie auf der Insel an.
Es war ein warmer Tag im April, die Möven schrieen über den Bänken und strichen kreischend um die gelbschmutzigen Sandhauben, die Haide und Dünen aufgesetzt, während der Schnee auf der Insel schmolz und unten am Strande das Grundeis barst mit dumpfem, rollendem Knall.
Noch schwammen vereinzelt in glasgrüner See zackige Schollen, alt und zermürbt; noch trugen die Fenster der Fischerhäuser dichthüllende Kappen von Holz und Werg. Doch schon ward locker und weich die Erde, schon liefen spitzschnäblige Wattenläufer mit zierlichem Stelzschritt durch Tümpel und Schlick, und dort, wo geschützt ein Fleckchen lag, versteckt in den Hügeln am Westrand der Insel, dort reckte der Strandhafer kühn seine ersten Sprossen, die winzig, mattgrün sich abhoben von dem toten Gras des vergangenen Jahres.
Und waren sie zart, diese Farben des Frühlings, in denen Insel und Meer erglänzten, so war es des Sommers reifblühende Schönheit, die Silke trug in ihrer Erwartung, in ihrer Sehnsucht und dunklen Ahnung von kommenden Tagen, von Brautstand und Hochzeit.
Sie hatte das Wiedersehen ausgeschmückt mit brennend phantastischen Liebesgedanken, sie hatte sich Worte erdacht zur Begrüßung, stammelnde Worte voll schluchzender Leidenschaft, und nun, da die Stunde gekommen war, sah man Silke am Ausgang der Brücke stehen in zitterndem Schweigen neben Jens Lie, als wenn kein Wort ihr würdig genug, das erste zu sein nach der langen Trennung.
Jens Lie verstand dies zitternde Schweigen. Es ergriff ihn mehr, als die heiße Umarmung, die er sich erträumt in wachen Nächten, und seine Seele beugte sich ehrfürchtig, schauernd vor der süßen Hingabe, die aus Silkes stummem Gesichte sprach. So brachte auch er nichts weiter heraus, als ein rauhes »Komm!«
Dann schritten sie beide hinunter zum Strand und schlugen den Weg nach Kirkeby ein. Der lief als ein vielfach verschlungenes Band in zahllosen Windungen durch die Haide, verwachsen oft, bedeckt mit Gestrüpp, das hemmend, zäh um die Füße schlug, Wegegeld heischend von jeglichem Wanderer.
Denn bunte Fäden und Fetzen aus Tuch, gebleicht von Sonne und Winterstürmen, hingen gespenstisch zur Rechten und Linken, als habe das Strauchwerk seiner Glieder Fahlheit zu decken gesucht mit Flitterfähnchen, wie Dirnen es tun, wenn sie alt geworden.
Jens Lie und Silke sahen das nicht. Hand in Hand kämpften sie gegen den böigen Wind, der in wilder Brunst über die Haide schrie und, sich verfangend in Kleidern und Haar, schwül atmend um die Gesichter spielte, daß sie dunkel wurden von rotem Blut, dunkel und warm unter dem Liebeshauch, den die Heimat ihren Kindern als Morgengruß bot.
Und hier war es, daß plötzlich Jens Lie die mühelos getragene, bauchige Seekiste mit einem Ruck auf den Boden stellte und hastig das Schloß zu öffnen begann. Er suchte wühlend die goldene Kette hervor, das seidene Brusttuch und den wolligen Stoff, aus dem man auf der Insel das Brautkleid fertigt. Alles das breitete er mit bebenden Fingern vor Silke aus, die neben ihm kniete im feuchten Sand, und über diesen bescheidenen Gaben, deren Bestimmung Lichter der Freude entzündete in den Augen der beiden Menschen, hielten sie fest sich umklammert, Brust an Brust, Lippe an Lippe den ersten Tropfen des Glückes trinkend, dessen Verheißung ihnen geworden an jenem Abend in Strandby.
Dann machte sich Silke langsam frei aus Jens Lies kräftigen Seemannsarmen und meinte, es sei wohl jetzt an der Zeit, daß man nach Kirkeby weiter ginge. Denn das Leben sei kurz und nahe der Tod. Auch seien doch die Papiere noch gar nicht in Ordnung, und darin verstände Praest Petersen keinen Spaß. Der habe seit langem kein Paar verbunden, bevor es nicht rechtmäßig aufgeboten, und wenn man den heutigen Tag versäume, so könne am Sonntag nicht Hochzeit sein.
»Nicht Hochzeit? Das wäre!«
Jens Lie lachte los in überquellender Lustigkeit, die jäh an Körper und Muskeln zerrte.
»Sieh, wie die Alte sich aufgeputzt hat!«
Er wies mit der Hand nach den flatternden Fähnchen, die quer durch die Insel den Pfad einsäumten als eine zackig gefranste Naht.
»Schon trägt die Heimat ihr Hochzeitsgewand und wartet auf uns. Wie können wir warten?«
Und er beugte sich nieder zu Silkes Ohr und flüsterte wirr berauschende Worte, die ihnen beiden den Atem benahmen.
So trieben sie es den ganzen Weg, bis über den Dünen der stumpfe Turm mit seinem rostigen Wetterhahn die Nähe des Kirchdorfs verkündete, das, ihrer Wanderung Ziel, sie zwang, förmlich und steif nebeneinander zu gehen, wie sie es als ehrbare Brautleute sich und dem Ernst der kommenden Stunde schuldig waren.
Denn heute sollten zum erstenmal ihre Namen zusammen im Kirchenbuch stehen, eingetragen zu steter Gemeinschaft, unauflösbar vor Gott und den Menschen.