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Während zweier Monate waren sie Mann und Frau. Und diese zwei Monate rannen dahin traumflüchtigen Tagen gleich, Tagen, die in ihrer Fülle von jäh sich folgenden, ewig neuen Bekenntnissen einer zärtlichen Leidenschaft Jens Lie und Silke wie Stunden erschienen, Stunden, die schneller denn der Gedanke wieder verflogen im Kreislauf der Zeit.
So kam es, daß beiden die Welt versank, daß sie nicht Tag noch Nacht unterschieden, geblendet durch das flackernde Licht ihrer jungen Liebe, und kaum das Schwinden des Frühlings bemerkten, der in des Sommers Armen zur Ruhe gegangen.
An Stelle des schmutzig grauen Gewandes, das Insel und Wasser getragen noch vor wenig Wochen, lag nun die Düne in schimmerndem Weiß, und zwischen frischgrünen Strandhaferkuppen sah man das Meer weithin leuchten in jenem milchig hellen Blau der geschliffenen Türkisen aus Samarkand.
Auch fehlten die Perlen von Ormuz nicht, die, hie und da verstreut auf der Flut, der fernen Schiffe windgefüllte Segel kündeten, und die sternfunkelnden, warmen Juninächte erhöhten den südlichen Eindruck dieses nordischen Sommers, der, ach, so kurz nur dem auf der Insel weilenden Mannsvolk beschieden war.
Denn wen nicht das Alter zu Hause hielt oder Siechtum, das, in Ausübung eines schweren Berufs erworben, den kranken Körper zur unnützen Last gemacht, der zog nach hastig genossener Rast bald wieder von dannen, um Heuer zu nehmen für große Fahrt und auf den Schiffen der transatlantischen Reeder an fremden Küsten das Brot zu verdienen, das Eltern und Braut, das Frau und Kinder daheim auf dem Eiland beim Fischfang nur spärlich fanden.
Auch dies Jahr hatten die meisten bereits die Insel verlassen, und selbst der den Abschied begleitende Lärm, die schmerzdurchbebte, gewaltsame Lustigkeit der ausfliegenden Vögel und der Zurückbleibenden tränenvergrämtes Lächeln, all das war Jens Lie und Silke entgangen, als gäbe es nichts mehr auf dieser Erde, das sie zu stören vermöchte im Taumel ihres schattenlosen Glücks.
Und schattenlos war es wirklich zu nennen, da auch die letzte Trübung verschwunden, die seit jenem Ereignis am Hochzeitsabend als quälendes Angstbild vor Silkes besorgter Seele gestanden.
Denn Steuermann Tymme schien endlich des ohnmächtig Zwecklosen seiner Bemühungen gewahr und weiterer Kämpfe müde geworden zu sein. Wenigstens hatte er sich nicht wieder gezeigt in Strandby während der letzten Wochen. An Bord eines Vollschiffs war er in See gegangen, wie Peer Olsen, der Wirt, aus sicherer Quelle zu wissen behauptete, und weil die Tatsachen für ihn sprachen, glaubten ihm Silke und auch Jens Lie.
Und was die Ausreise anbetraf?
Ach, lag sie nicht noch in weiter Ferne?
Wohl dachte Jens Lie mitunter daran, daß er, die alte Heuer behaltend, bei der Mannschaft der »Dronning Marie« geblieben, er und mit ihm Niels Skaffer, sein Freund.
Doch ehe das Schiff nach der langen Fahrt gehörig kalfatert und ausgeflickt wäre, um neue Stürme heil zu bestehen, darüber konnten noch Monde vergehen, und das war kein Grund, sich jetzt die Laune verderben zu lassen!
So traf es ihn denn wie ein Keulenschlag, den der Stier dumpf röchelnd empfängt, um mit wankenden Knieen des zweiten tödlicheren zu harren, als Peer Olsen, plötzlich auftauchend an einer Biegung des Dünenweges nach Kirkeby, den in sich versunken Dahinschlendernden anrief mit täppischer Rauheit:
»God Dag, Jens Lie.
Niels Skaffer ist da!«
»Niels Skaffer?«
Eine verzweifelte Ahnung schrie aus den laut herausgebrüllten Worten Jens Lie's dem Wirte entgegen.
»Niels Skaffer? Was will der schon heut auf der Insel?«
»Was er will, mein Junge?
Dich will er mitnehmen, wie ihr es ausgemacht untereinander. Die ›Dronning Marie‹ geht in See am fünfzehnten Juli. Da habt ihr von heute an zwölf Tage Zeit. Aber Eile tut not, sonst kommt Ihr zu spät.«
Jens Lie sagte es vor sich hin mit erloschener Stimme. Dann ließ er den über die Wirkung seiner Nachricht gänzlich verblüfften Schenkwirt ohne jede Erklärung im Sande stehen und lief quer durch die Haide dem kleinen Haus auf der Düne zu mit langen, stolpernden Galoppsprüngen, als wolle er keine Minute hinfort mehr verlieren, keine Sekunde jener winzigen Spanne Zeit, die ihm noch blieb, um zusammen zu sein mit der, die für ihn das Leben bedeutete.
Warum nur hatte er Silke getäuscht mit liebevollen Versprechungen, die er zu erfüllen nie und nimmer im Stande war, warum sie nicht längst auf die drohende Trennung vorbereitet, die nun als eine ungeheuerliche Wahrheit mit zwiefacher Wucht das Hoffen der Ahnungslosen zerschmettern mußte?
Aber hatte er selber nicht geglaubt, daß zum Abschiednehmen immer noch Zeit genug, daß viel, viel später, als es der Fall, die »Dronning Marie« seeklar sein würde?
Und während diese Gedanken sich seinem armen Hirne einbrannten gleich glühenden Eisen, stürzte er über Schollen und Steine, durchbrach gewaltsam blühende Hecken, stacheliges Gestrüpp, und lief und lief – – – – – – – – –
Silke, die ihrer Gewohnheit gemäß Jens Lie's Abwesenheit dazu benutzt, um den Glanz des Messinggeräts über dem Kachelherd durch Putzen und Reiben zu einer staublos spiegelnden Fläche zu gestalten, hatte verwundert von ihrer Arbeit aufgeblickt, als ein Fremder, seines Zeichens ein Seemann, mit höflichem Gruß in die Türe trat und sich mit ebenso höflichen Worten nach ihrem Manne, Jens Lie, erkundigte.
»Er ist nicht zu Haus, mag wohl in die Dünen gegangen sein oder auch in Peer Olsen's Wirtschaft am Wasser.«
»Dort ist er nicht! Komm ich doch eben daher.«
»Dann saht Ihr euch um auf dem Wege nach Kirkeby?«
»Noch tat ich es nicht; doch will ich's versuchen.«
»Und falls Ihr ihn fehlt?«
»So sagt ihm dies: Niels Skaffer sei da, ihn zu holen zur Abreise. Die ›Dronning Marie‹ gehe in See nach dem Mondwechsel. Wir müßten fort mit dem Dämmergrau des morgenden Tages!«
»Des morgenden Tages?«
Es war das heisere Keuchen des Tiers, dem des Jägers mörderisch rohe Hand den Gefährten jäh von der Seite reißt, daß sich mit dem Liebes- der Todesschrei paart.
Erstaunt sah der Fremde hin auf die blasse Frau, die mühsam sich an der Ofenbank hielt.
»So sagte Jens Lie euch nicht, daß er Heuer genommen, bevor er heimfuhr, auf der ›Dronning Marie‹? Er sagte es nicht?«
Und kopfschüttelnd stapfte Niels Skaffer wieder die Dünen hinunter, aufs neue den Grundsatz bestätigt findend, daß das Weibsvolk wie keines geeignet sei, auch den tüchtigsten Kerl zum Lappen zu machen.
Silke aber, die seine letzten Worte kaum mehr verstanden, schleppte sich schwerfällig hin zum Fenster und spähte mit starren Augen aus nach Jens Lie.
»Eine Nacht, mein Gott! Nur noch eine Nacht!«
Krampfhaft umspannten die Finger den Messingriegel, daß fast das Blut den Nägeln entsprang.
Vom Meere her lohte es dunstig rot wie eine riesige Feuersbrunst. Gleich brennenden Mauern standen die Sandbänke.
Mit lässiger Trägheit ging eben die Sonne unter.