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XVII.

Es war um dieselbe Stunde der Nacht, daß Silke aus unruhigem Schlaf erwachte, der ihrer sehnsuchtszerrissenen Seele im Nebel ferne Jens Lie gezeigt, wie er mit sonderbar stillem Lächeln in ihren ihn stützenden Armen gelegen. Sie rieb sich verstört die umränderten Augen und ließ ihre Blicke die Kammer durchschweifen.

Der alte Stuhl hier, in dem sie saß, das Fenster dort mit der brennenden Kerze und über dem Herde das Messinggerät – – nein, nein, es war nur ein Traum, so gewiß als sie selbst auf dem Schoß ihr Nähzeug hielt und zwischen den Fingern die Stahlnadel spürte, die glatt und kalt an der Haut sich rieb.

Sie nahm das Kinderhemdchen zur Hand, an dessen Saum sie zuvor gearbeitet, und fügte apathisch Stich an Stich, indeß eine schwere Träne ihr hinunterrann auf das graugelbe Linnen, das bald ein neues winziges Wesen in seinen Falten bergen sollte. Denn nicht mehr ferne war ihre Stunde, und eine traurige Zärtlichkeit erfüllte Silkes Herz für das ihrer Liebe bestimmte Kind, dess' erster leise jammernder Ruf eine Klage sein würde um jenen Mann, den weit sein Beruf übers Meer geführt.

Und wieder sank schlaff ihr Kopf auf die Brust, die Hände ließen die Nadel los, mit mattem Griff nach der Stuhllehne langend, als eine das Haus anpackende Bö laut aufheulend sich in den Rauchfang stürzte und in einer Wolke von Ruß und Qualm die Helle der Stube verschüttet ward.

Zugleich brach klirrend das Eisenband, das über dem rostigen Riegel lag. Gespenstisch glitt die Türe zurück, die Silke am Abend sorglich verwahrt.

»Wer ist hier?«

Silke fuhr schlaftrunken auf.

Kein Laut gab Antwort auf ihre Frage.

Und doch, sie hatte es deutlich gefühlt, ein grausiges Etwas war in der Stube, das sie mit eisigem Hauch berührt.

Da streifte ihr Auge das Licht am Fenster.

Sie wollte schreien und konnte es nicht. Ein unsäglich dünner, pfeifender Ton stieg aus der Tiefe der Kehle empor.

»Jesus, Jesus!«

Des Dochtes Flamme wand sich in Krämpfen. Langbeinigen Spinnen gleich liefen die Schatten wie rasend über die Balkenwände, schnell, immer schneller, im Kreise sich drehend, ein Rad, das unter den ehernen Reifen Silkes wirre Gebete begrub, die plappernd sie seinem entsetzlichen Rollen vergeblich, ach, in die Speichen warf.

»Herr, rette Jens Lie!«

Silke rief es in Todesangst und brach in die Kniee. Das Rad stand still. An der erlöschenden Kerze glimmte ein letzter Funke noch auf. Doch auch er verging in kürzester Frist.

Schwarz lag der Raum. Uber die Schwelle fegten die Schneefransen.

Eine Weile blieb Silke bewegungslos. Dann schwankte sie langsam die Dielen entlang der breiten Öffnung der Türe zu, die mit einem zinnobergestreiften Tuch verhängt schien ihren schmerzmüden Augen.

War das der rote Novembermond, der über den Westerbänken flammte? Und wenn er es nicht war, wer schürte die Glut, die eben weithin die Wasser erhellte?

Doch während sie sich vergeblich bemühte, die Bedeutung des seltsamen Lichts zu enträtseln, sah sie ein anderes Etwas noch, das ihr Herz wie der Stich eines Messers traf, sah sie Sekunden, gleich einem Phantom, den entmasteten Rumpf eines fremden Fahrzeugs hoch auf den Spitzen der Wogen schweben, vernahm ein markerschütterndes Knirschen, ein Splittern und fernes Menschengewimmer, das, vom Sturm übertönt, im Meere verklang.

»Skibbrud, Skibbrud.« –

Ihre Stimme schlug um in hilfloses Weinen.

»Ein Schiff ist gescheitert!«

Den Wollschal über die Schultern werfend, floh Silke schreiend der Nordspitze zu, quer durch die schneetiefen Täler der Dünen. Sie achtete nicht der eisigen Nässe, die durch den leichten Rock, den sie trug, knieaufwärts drang bis zur Rundung der Hüften. Sie merkte es nicht, daß das Dorngestrüpp, an dem sie sich hielt, wenn im Schnee sie versank, ihr zackig blutende Wundmale riß, die kälteschneidend die Haut durchkreuzten.

Ihren Schritten voraus flog gehetzt ihre Ahnung, irr, tränenblind, jeglichen Hoffens bar, dem Nachtgeheimnis der Küste entgegen, die nun, da nach fast einstündigem Lauf sie keuchend die letzten Hügel erklommen, sich vor ihr breitete glutübertaut.

Ein Feuer brannte lodernd am Strand. Sie stand geblendet von seinem Schein, blitzschnell begreifend den Zweck, dem es diente, betäubt, unfähig, das Bild zu ertragen, das ihr jene Schar von Männern bot, die fünf an der Zahl mit trunkenem Johlen um Holzfässer lagen, der Brandung entrissen, indes ein anderer finster sich über das stumme Haupt eines Menschen beugte, den just eine Woge an Land gespült.

Silke verwehrten die Füße den Dienst. Sie versuchte zu gehen und schlug auf den Boden. Denn in dem nämlichen Augenblick fachte ein Windstoß die Flammen an, daß taghell sie die Dämmerung verdrängten, und dieser Augenblick hatte genügt, um Silke den grimmen Triumph zu zeigen, der aus des Mannes Zügen sprühte, den sie als Steuermann Tymme erkannt.

Und dann, wenn sie nicht alles täuschte.

— — — — — — —

Sie kroch ein wenig näher heran, leis winselnd, ein Hund, dem das Junge genommen, kroch sie den eisglatten Strand hinab, gewahrte stückweis ein blaues Jacket mit Knöpfen unter den Fetzen des Ölrocks, sah eine Hand zur Faust geballt, ein schmerzhaft verzogenes, blasses Gesicht und taumelte hoch.

»Mörder!«

Schrill klang das Wort in der Männer Ohr, der Stimme gleich aus einer anderen Welt.

»Mörder!«

Über den triefenden Körper Jens Lie's fiel Silke bewußtlos, mit letzter Kraft seinen starren Leib umfangend in ihren Armen.


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