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Blumen, die er als Lebender geliebt, umgaben den Meister auf dem Sterbelager. In einem Garten schien er zu ruhen, von weißem Flieder überhangen, Camelias und Rivieraveilchen sich zu Füßen, darob Wachskerzen mit goldenen Gloriolen brannten.
Die das Paradebett umstanden, sahen ihn in der Reine eines Jünglings, frei von Verderbnis, Krankheit, Schmerz und so im Frieden eines tiefen Schlafes, als sei ihm wohl nun nach neununddreißig mühevollen Jahren.
Wie er gewünscht, umschloß ein schwarzer Kaschmirrock den Körper, ein seidenes Gilet den Hals, darüber gleichsam aus Marmor gemeißelt das kühn geschnittene Profil sich schwang. Haare fielen ihm rückwärts von der Stirn, und so zeichnete ihn Kwiatkowski, worauf Clésinger, der mit Solange gerufen, ihm die Totenmaske abnahm.
Es war ein Kommen und Gehen, ein Flüstern schmerzerstickter Stimmen. Paris wallfahrtete zu dem Verblichenen le grand monde unter Tränen glitzernd, und an der Place Vendôme stauten sich die Equipagen.
Louise, die, auf Franchomme gestützt, seitlich des offenen Sarges lehnte, betrachtete den Bruder lange. Wie er auszog, das Wissen zu erjagen, fuhr ihr durch den Sinn, und plötzlich erinnerte sie sich der Worte, die sie zum Abschied ihm gesagt:
»Daß Wissen Tod ist …,« murmelte sie unwillkürlich.
Und ein Hauch antwortete ihr:
»Daß Tod Wissen ist …«
Die Leichenfeier ward auf den 30. Oktober angesetzt. Es war ein Tag von hellem Blau, darin die Blätter der Kastanien wie aus Gold gewoben flatterten. Ein leichter Nebel hing über Paris, der mählich der steigenden Sonne wich.
Das weiße Säulenwerk der Madeleine erstand als eine schimmernde Akropolis. Sterngleich zeigte sich der Platz, die Boulevards strahlenförmig ausschießend, und von der Tempelhöhe sah in großartiger Plastik Lemaires »Jüngstes Gericht«.
Samtstreifen verkleideten das Hauptportal, auf düsterem Schwarz die Initialen des verstorbenen Meisters, ein silbernes »F. C.«, von Lorbeer umkränzt und reicher Stickerei, die über die Falten schwer herabsank.
Viel Volks lagerte um die Marmortreppen, und als nun Wagen über Wagen anfuhr, Diener in prächtiger Livree vom Bocke sprangen und Uniformen, Fräcke, Toiletten den Damastkissen sich entrafften, da lief es wie ein Ahnen durch die Menge, daß ein Großer hier begraben werde, ein Fürst, ein König im Reiche der Musik.
Um elf Uhr taten sich die Kirchentüren auf. Das Innere ward sichtbar, mit seiner Ornamentik, seinen goldenen Skulpturen, der weite Raum bis auf den letzten Platz gefüllt, Flügel und Galerie von Menschen wogend, die Liebe und Neugier dort vereinigt hatten.
Mitten im Schiff war ein anstrebender Katafalk errichtet, der Kalbkreis hinter dem Altar mit einer Draperie von schwarzem Tuch verhängt, durch die man zu ebener Erde aufgestellt Chor und Orchester warten sah.
Als der Sarg langsam hereingetragen ward, erklang des Meisters Trauermarsch, von Henri Reber zu dem Zweck instrumentiert. Ein ungeheures Weinen ging durch die riesige Versammlung, und sie erhob sich wie ein Mann.
Danach begann das Requiem, Mozarts unsterblich hohe Schöpfung, von Schatten des Todes umdunkelt und doch entrückt zu himmlischer Befreiung. Die Stimmen der Sänger schwangen sich zur Kuppel und sanken mit dem Licht, das farbig durch die Linsen fiel, als eine Regenbogenwolke über die Erschütterten.
Glocken dröhnten, die Messe war beendet. Gleich einem Cello hallte das vibrierende Organ des Geistlichen:
» Requiescat in pace …«
Dann setzte dumpf die Orgel ein.
Ein Meer in grauem h-moll rauschte über die Gemeinde, jenes Prélude, das Friedrich auf Majorka komponiert. Töne rannen, sich in Tropfen wandelnd, und eine unendliche Klage erfüllte die Stygischen Gewässer, der letzte Gruß des früh verklärten Meisters.
In herrlichem Aufschwung der Trompeten trugen sie den Purpur seines Ruhms zu Gott, die Pferde mit silbernen Schabracken vor dem Wagen gehend, quer durch die Stadt, auf einem Weg von drei englischen Meilen Länge, über die Boulevards zum Père-Lachaise.
Freunde und Schüler folgten unbedeckten Hauptes, die Blüte fremden Künstlertums hinter dem Sarg, darauf die Schülerinnen, le grand monde in Equipagen, die unabsehbar im Stadtbild sich verloren.
Fürst Adam Czartoryski eröffnete mit Meyerbeer den Zug, Delacroix, Fürst Alexander Czartoryski, Gutmann und Franchomme hielten die Zipfel des Leichentuches.
Unweit Bellinis, Cherubinis war das Grab gerichtet, Lehm sauber unter Tannengrün gehäuft. Fruchtbäume standen umher, dunkle Zypressen und tiefhängende Weiden, in deren hellem Zweigicht der Wind wie mit Frauenhaaren spielte.
Tod war hier Triumph, Sterben: Ausruhn vom Mühen des Genies, und wer die herbstlichen Einschnitte der Täler sah, glaubte sich in einer Landschaft der Touraine, so parkartig, heiter, wechselnd führte ihn das Netz der Wege.
Und dann die Hügel, o, die Hügel! Dort lagen sie, die toten Meister, das Antlitz den Sternen zugewandt, eines Leibes mit allen, die die Kunst erhöht, deren Namen Marmortafeln ferneren Geschlechtern kündeten, und die nun schliefen im Schatten ihres Ruhms, der, auf den Lippen von Tausenden, Paris zum Echo ihres Werkes machte.
Als man den Sarg an Seilen in die Gruft gesenkt, trat Grzymala aus dem Kreis der Freunde. Ein silberner Pokal, bis zum Rand mit polnischer Erde gefüllt, der nämliche, den man dem Meister einst in Wola überreicht, bebte in Graf Alberts Hand.
»Wo du bist, ist Polen!« sagte er und schüttete die braune Ackerkrume über den Verblichenen.
Ein rauhes Schluchzen stieg zum Himmel. In feierlicher Haltung defilierten Friedrichs Landsleute, Fahnen und Kränze niederlegend. Auf Blumen ruhte er im Vaterland.
Der Friedhof hatte sich geleert. Wagen rollten mit dumpfem Getöse nach der Stadt. Die Sonne neigte sich dem Abend, und gelbe Blätter schwebten um die Monumente, die in geisterhafter Starre aus des Laubes Welkheit schimmerten.
Vor dem Portal am Boulevard de Ménilmontant lehnte Delacroix, mit Grzymala und Gutmann rückschauend nach dem Teuren, den die Erde ihrem Blick entzog.
»Er ist nicht gestorben, er wird leben!« rief er, und sein Auge leuchtete in warmem Glanz.
»Nie übte ein Künstler weisere Beschränkung! Ein anderer, im Besitze seiner Gaben, hätte Pauken getürmt, Fagotte, Klarinetten, Hörner und Trompeten. Er aber wählte das Klavier und, alle Sehnsüchte des Herzens widerspiegelnd, durchglüht von der Bedeutung seines Instruments, brachte er es zu edelstem Erklingen.«
Gutmann fuhr sich mit der Hand über die Wimpern.
»Glücklich die Nation, deren Priester er war!«
Und Grzymala, der jenes Spieles in b-moll gedachte, fügte hinzu:
»Gebet halb und halb adelige Weise sang er den Ruhm des Vaterlandes, und es war Liebe über blanken Schwertern …«
Der Dichter baute auf den Ergebnissen der Forschung. Wem er den Helden näherbrachte, vergleiche als Quellen: Karasowski, »Friedrich Chopin«, Dresden 1878; Niggli, »Friedrich Chopins Leben und Werke«, Leipzig 1879; Niecks, »Friedrich Chopin als Mensch und Musiker«, Leipzig 1890; Kleczynski, »Chopins größere Werke«, Leipzig 1898; Leichtentritt, Frédéric Chopin«, Berlin 1905; Koczalski, »Frédéric Chopin«, Leipzig 1909; Liszt, »Friedrich Chopin«, Leipzig 1910; La Mara, »Friedrich Chopin«, Leipzig 1911; Scharlitt, »Friedrich Chopins gesammelte Briefe«, Leipzig 1911; Weißmann, »Chopin«, Berlin und Leipzig 1912; George Sand, » Oeuvres complètes«, Paris 1857 f., »Geschichte meines Lebens«, Leipzig 1863.