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IV.

Wenn Friedrich der Geschichte seines Volkes nachging, dünkte es ihm, als sähe er Reitergeschwader, die glänzend aus einem Walde brechen. Der Boden zittert unter der Last der Rüstungen und Rosse. Ein goldener Staub umwogt Banner und Standarten, und Siegesfanfaren gellen durch die Luft, die voll ist vom Glorienschein des Ruhms.

Da neigt sich das Feld zu moorigem Gerinnsel, Gräser schwanken über trübem Grund. Die Masse stutzt, doch ehe sie Zeit gehabt, zu wenden, öffnet sich vor ihr der Sumpf.

Aufbäumend drängen die Vordersten zurück: ihr Schrei verhallt im Donner nachstürzender Regimenter. Ein Brüllen rollt die Linie entlang, ein Splittern von Lanzenschäften, und überritten, zerquetscht und gegenseitig sich erwürgend, sinkt Fähnlein um Fähnlein in den Schlamm, bis über grauen Wasserblasen der letzte Ruf einer Trompete zittert.

Seit dem Hinsterben der Jagellonen war es abwärts gegangen mit der Republik. Wahlkönigtum, Pacta conventa und Liberum veto schwächten das Reich bis zum Verfall. Der aufbrausende Stolz des Adels zerschlug sich in Konföderationen, Teilungen spalteten das Land, und nichts blieb übrig als die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit, aus der die Namen Sobieski und Kosciuszko gleich Sternen an einem schwarzverhangenen Himmel glühten.

Wo waren die Tage, da beim Bankett der Ritter seiner Dame zutrank, in samtenem Kontusz, die Hand am Knauf des damaszierten Krummsäbels sein Knie bog und ein winzig roter Saffianschuh die Stelle des Pokals vertrat, mit Perlen bestickt und würdig, dafür in den Tod zu gehen?

Ein kalter Wind blies über die verlassenen Ebenen, Birken und Fichten trauerten am Horizont. Der Schmerz der Jahrhunderte vererbte sich in Liedern, die dem Neugeborenen an der Wiege sangen, daß ein Volk elend ward, unfrei und zum Martyrium bestimmt.

Alles dies bewegte Friedrichs Herz, strömte gleich verzweigten Bächen durch den Grund seiner Empfindungen und floß in jenem einen Wort zusammen, das ihm Kummer, Reue, Haß bedeutete, dem Ausdruck:

» Zal.«

 

Stunden glühendsten Versunkenseins reiften in Friedrichs Seele den Entschluß, das nationale Moment zum Gipfel künstlerischen Schaffens zu erheben. Wie Mickiewicz in seinen Dichtungen das Volksepos gestaltet, wollte auch er polnischer Größe ein unvergänglich Denkmal setzen, und »Pan Tadeusz« war gleichsam der Punkt, bei dem seine Arbeit ihren Anfang nahm.

Von jenem »Zwölften Gesange« inspiriert, der mit der »Polonaise aller Polonaisen« endet, sah er Nohants Kamine sich in vielzinnige Türme wandeln. Ein hoher Saal, mit kostbaren Teppichen verkleidet, öffnete seine Kerzenfront zum Park. Silbergeschirre blinkten an den Wänden, Rüstungen und eroberte Fahnen, die zu Häupten der Janitscharenkapelle majestätisch rauschten.

In glänzendem As-dur begann der Vortänzer den Reigen. Die Aermel des Kontusz leicht zurückgestreift, schritt er in einem Zupan aus blauem Venetianersammet sporenklirrend über das Parkett. Der Knauf seines Säbels funkelte blutrot als ein geschliffener Rubin, und weiße Reiherfedern nickten über der pelzverbrämten Mütze.

Die Paare folgten in kriegerischer Prozession. Mit stolzen Tritten den Rhythmus der Musik belebend, schlangen sie kunstvolle Figuren durch die Galerien, und als der Zug nach einem Trompetenintermezzo kühn daherjagender Reiter durch Hallen und Gänge in den Saal zurücktrat, Krummhörner schmetternd einfielen und die Kesselpauken taktmäßig erdröhnten, steigerte sich der Triumph des Themas zu heldisch kolossalem Ausmaß.

Friedrich beschwor diese Visionen, nicht ohne im Innersten erregt den tiefen Abgrund zu empfinden, der Gestern und Heute voneinander trennte. Und so war es denn nur eine Fortsetzung des begonnenen Werkes, wenn er in einer Phantasie tragischen f-moll's den Glanz der Vergangenheit zu Grabe trug.

Ein Tempo di Marcia führte durch Irrgärten prächtig blühender Violen zu einem Aufbäumen empörter Leidenschaft. In rasendem Es-dur stürmten die Oktaven auseinander. Noch einmal sang es von Ruhm und Waffenehre. Dann aber neigten sich demütig die Schwerter, und auf den Flügeln eines mählich emporschwellenden Dreiklangs stieg Ergebung zum Thron der Königin des Himmels.

Als Abschluß jedoch und gleichsam zur Krönung des Vorangestellten dachte sich Friedrich eine große, heroische Sonate, deren erschütterndes b-moll den Untergang vollenden sollte. Klassisch zu werden im Sinn der alten Meister, sich der Form als Herren aufzuzwingen, deuchte ihn würdig des riesenhaften Vorwurfs.

Voll brennenden Glückes fühlte er, daß, wenn sein Plan gelinge, ein Monument erstehen werde dauernder als Erz, eine Trilogie von Leben, Kampf und Tod, ein Dreigestirn der nationalen Phantasie.

 

Während Friedrich sich mit einer Skizze der Polonaise und der Phantasie begnügte, die Ausführung aber späteren Zeiten vorbehielt, warf er sich voll Ungestüm auf die Sonate. Ein Trauermarsch, noch in Majorka konzipiert, stützte als Grundpfeiler den Bau. Um jenen gruppierte er die andern Teile.

Sein Zimmer wurde der Schauplatz eines wilden Ringens. Bruchstücke schwirrten gleich klingendem Eisen durch die Fenster und mischten sich dem Duft der Rosenbüsche, die vor dem Hause in schwerer, sommerlicher Blüte standen.

Friedrich selbst, unordentlichen Haares, das Halstuch gelockert, und scharfe Linien in die Blässe des Gesichts gegraben, lief keuchend vor dem Pianino auf und ab.

Seine Hände ballten sich im Zorn.

Er schrie:

»Was schuf mich Natur zu einem Stümper? Ist es wahr, daß Meisterschaft nur durch Geburt erworben wird? Die Stimmung reißt mir gleich einem seidenen Gewebe, sobald ich ans Zerlegen gehe!«

Dann sprach er sich widerwillig Mut ein:

Es sei nicht jedem gegeben, leicht zu produzieren. Ewigkeitswerte würden nicht in einem Tag gestaltet, und bekunde nicht gerade das Genie die Fähigkeit, sich einer unendlichen Mühe zu befleißigen?

Mit neuem Eifer stürzte er sich auf die Ausarbeitung. Er betete, weinte, zerbrach an ein Dutzend Federn und strich ebenso viel, als er schrieb.

Doch wie nach Tagen peinlichsten Feilens Takt um Takt ihm dastand, das Werk sich in vier Sätzen aufbaute und er, zerschlagen von Mattigkeit, in letztem Anlauf das Finale fügte, wichen Angst und Zweifel einer frohen Zuversicht.

Die Schuld war abgetragen, eine Last von ihm genommen zu herrlicher Befreiung!

Und wie verjüngt trat er zum Spiegel und machte seit Wochen zum ersten Mal wieder Toilette.

 

Gäste waren aus Paris gekommen: Graf Albert Grzymala, von Friedrich mit Ungeduld ersehnt, Gutmann, Franchomme und, das Feuer des Genius um sich verbreitend, Eugène Delacroix, der Führer des Romantizismus in der Malerei, zerwühlt durch Krankheit, mit buschigen Brauen und Augen, die die Schönheit seiner Seele melancholisch spiegelten.

Man saß beim Nachtisch. Das Gelb der Früchte schimmerte auf roten Glastellern, die George aus Venedig mitgebracht. Wein glühte in hochgeschwungenen Pokalen, und Rosen, zwanglos auf dem Damasttuch verstreut, gaben dem Mahl ein festliches Gepräge.

Friedrich sprach als ein König unter den Getreuen. Während Delacroix schweigsam beobachtete, Franchomme freundlich wie immer George einen Apfel schälte und Gutmann ehrfürchtig an seines Lehrers Munde hing, schalt er Grzymala ob dessen kapriziösen Säumens, gefiel sich in tausend Neckereien und wirkte durch Liebenswürdigkeit bezaubernd.

George betrachtete ihn staunend.

»Deine Arbeit ist fertig?« fragte sie, die Qual der letzten Wochen nachschmeckend.

Friedrich erwiderte mit einem stolzen: »Ja!«

»Du wirst sie uns vorspielen?«

»Sobald ihr gegessen habt …«

Sein Wort erregte ein freudiges Getümmel. Es war nicht oft, daß er sich dazu bestimmen ließ, und so rief man der Dienerin, damit sie abtrage, rückte das Instrument zum Fenster und löschte die Leuchter bis auf zwei.

Der Raum vermählte sich dem Garten. Die Goldflamme der Kerzen spielte auf dem blauen Samt des Mondscheinparks, in dessen Widerschein Friedrich gleich einer lichtumflossenen Vision am Flügel lehnte.

»Was ist es, das wir hören sollen?« fragte Grzymala aus dem Dunkel seines Polsterstuhls.

»Die b-moll-Sonate«, entgegnete Friedrich und begann.

Eisen schlug an Eisen.
Die Nacht dröhnte wie von einem Mann, der fällt. Und ich schrie:
»Aufgesessen!«
Da stürmten die Pferde von den Zeltpflöcken.
Leben im Rücken, Tod vor Augen, hetzten wir, eine Meute freudloser Gespenster.
Und ich voran.
Der Wald streckte seine Zweige nach uns aus. Gleich einer Witwe, die den Sohn nicht lassen will, hing er sich traurig schwarz an unsere Sättel. Wir aber ritten, unbarmherzig ihn zertretend, schaumbeflockt und Sporen voll Blut. Hinter mir jemand:
»Der Tag ist nahe …«
Ein Flammenstreif, rings um den Horizont gewoben, die Pferde im Trab, langsamer, langsam.
Da brach meine Stimme hervor wie ein Bergstrom, der aus dunklen Felsenklüften quillt, Sonne empfängt und golden aufsprüht. Gebet halb und halb adelige Weise sang ich den Ruhm des Vaterlandes, und es war Liebe über blanken Schwertern.
Die Rosse stampften flüchtig den Grund. Ihr Hufschlag ward zur stolzen Galoppade, denn sie fühlten unserer Schenkel Kraft.
Plötzlich ein dumpfes Klirren aus der Ferne.
Wer sprach das Wort:
»Mutter?«,
wer gedachte eines Weibes Kuß, wer jener Abende im Frühling, da die Bäume in den Himmel glänzen und Vögel Silberbogen ziehn am Purpurblau des Firmaments?
»Drauf!«
Ein Schrei verschlang unsere Erinnerungen.
Im Bügel stehend, rasten wir mit gefällten Lanzen an den Feind.
Und alle sangen wir den Ruhm des Vaterlandes, das Lied vom Adler im roten Schilde, und der Klang unserer Trompeten war wie Eis auf morgendlichen Gletschern.

Hämmernder Stahl:
Viermal durchritten!
Schüsse, Gebrüll:
Arbeit des Sterbens!
Und das Feld ein Ballsaal
und der Kampf ein Fest.
Wie im Dorf der Geiger seinen Boden hebt, die Paare wirbeln und Feuer von den Saiten rinnt, so spielte Tod zu ehernem Mazurek.
Mein Leben aber wurde Vergangenheit …
Denkst du, Mädchen, wenn die Blüte deiner Lippen welk wird und der Schmelz deiner Glieder abfällt,
des Gefährten, der die Küsse deiner Jugend nahm?
Wir standen im Park, die Malven umrauschten uns
mit samtenem Blattwerk, eine Flöte lockte
zärtlich in den Mond.
O Seufzer, emporgeschwellt gleich einem Hauch.
O Lächeln der Springbrunnen auf Rosenwangen.
Du faßtest den Zügel meines Pferdes, unsere Hände berührten sich, und wir sanken
wie die Sterne in den blauen Abend.
Mein Leben aber schreckte zur Gegenwart …

Hämmernder Stahl:
Viermal durchritten!
Schüsse, Gebrüll:
Arbeit des Sterbens!
Und das Feld ein Ballsaal
und der Kampf ein Fest.
Wie im Dorf der Geiger seinen Bogen hebt, die Paare wirbeln und Feuer von den Saiten rinnt,
so spielte Tod zu ehernem Mazurek.
Da ein Schlangenblitz ob meinen Augen,
ein Schrei von Tausenden:
»Der Adler, der Adler und
die Fahne …!«
Ich hielt den Schaft,
und der Adler war ich,
und ich war die Fahne
und war rot wie sie.
Die Gräser wuchsen karminen mir entgegen,
ich fühlte Heimatboden,
griff schwarze Erde …
Denkst du, Mädchen, wenn die Blüte deiner Lippen welk wird und der Schmelz deiner Glieder abfällt,
des Gefährten, der die Küsse deiner Jugend nahm?

Man erhöhte mich auf einem Katafalk, und Fürsten trauerten an meiner Leiche. Der Tag verbarg sein Antlitz hinter Wolken, das Land
schlug Glockenerz und Trommelklage.
Denn mein Tod war der Tod eines Volkes,
über das die Sichel hinging,
daß es fiel und starb.
In herrlichem Aufschwung der Trompeten
trugen sie den Purpur meines Ruhms
zu Gott.
Ich aber ließ sie in Kummer
und unsäglicher Bitternis …
Blumen, deren Düfte ich belebte, prächtige
Schatten, die ich beschwor, tönet süßes
Echo über meinen Frühlingshügel!
Wenn der Abend in Silberschuhen kommt und die Mägde bei den Brunnen stehen, dann wird, dann mein Ohr den Laut der Muttersprache trinken, und ich werde ihr sein und ihr ich.
Denn mein Grab ist das Volk eines Volkes,
über das die Sichel hinging,
daß es fiel und starb.

Ein Wind wird nächtlich sich erheben,
die Almen werden ihre Zweige schütteln
und Blätter unsere Verwesung teilen.
Gestorbene,
suchen wir dennoch den Menschen
mit unendlicher Schwermut.
Er aber wendet sich schaudernd,
und wir bleiben einsam,
ein verfluchtes
Geschlecht.

Friedrich hatte geendet. Sein Spiel zerbrach mit einem klirrenden Akkord, der wie das Springen einer Harfe in die bleiche Stille fiel.

Und da geschah etwas Unerwartetes. In dem Augenblick, wo er schlaff die Arme sinken ließ, erhob sich Delacroix und mit ihm, zu Tränen erschüttert, Grzymala, Gutmann, George und Franchomme.

»Meister …,« sagte er, sich bis zur Erde beugend.

Friedrich zog ihn wortlos an die Brust.

Sein Schatten wuchs riesengroß über den mondbeschienenen Kies.


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