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II.

Der Nacht des Geschickes folgte ein Morgen unseligen Erwachens. Furchtbare Neuigkeiten waren da, Friedrich durch Stanislaus Kozmian voll Bestürzung überbracht: die Reorganisation in eine Demarkation einzelner Kreise umgewandelt, darob Aufruhr im Großherzogtum, ein kurzer, hoffnungsloser Kampf, preußische Truppen im Solde des Zarismus, und statt, wie heiß ersehnt, Rußland mit deutscher Hilfe zu bezwingen, von jenen der letzte Rest polnischer Selbständigkeit vernichtet.

Friedrich ertrug auch diesen Schlag als einer, den der Schmerz des Lebens abgestumpft.

»Unheil über Unheil,« schrieb er an Albert Grzymala, »ich habe im Innersten zu nichts mehr Lust … Trauriger werden, als ich es bin, kann ich nicht mehr … Ich fühle gar nichts, vegetiere nur und warte geduldig auf das Ende.«

Allein, wann kam Tod je, da man ihn gerufen? Die Season neigte sich dem Schluß, ein Guthaben war erspielt, mit dem man wohl ein Jahr in Florenz, nicht aber in London leben konnte, und da es ihm gleich schien, wo er hustete, erstickte, Einladungen zudem in Menge ihn umwarben, nahm er die Aufforderung der Schwestern Stirling an, in Schottland auf Calder House den Sommer zu verbringen.

Es war am Abend eines bläulichen Augusttages, als er, von Edinburgh kommend, das Schloß erblickte, ein steinernes Castell in einem Riesenpark mit hundertjährigen Bäumen, Mauem von acht Fuß Dicke, Rundlöcher und bleigefaßte Scheiben, die gleich Pechfackeln in einer düsteren Röte brannten.

Zwei Diener in schokoladenfarbener Livree beugten sich vor dem Wagen bis zur Erde, und da Friedrich, hinausgehoben, in die Halle trat, die braun getäfelt, mit dunklen Ahnenbildern in den Galerien, drei Stockwerke als ein schwarzer Schacht durchlief, sah er sich einer Gruppe von Personen gegenüber, deren eine, ein hochragender Siebziger, in blauem Frack mit Goldknöpfen, Nankinghosen und weißseidenen Strümpfen, sich loslöste und ihm entgegenschritt.

Lord Torphichen, Schwager Frau Erskines und Jane Stirlings, war Friedrich von London wohlbekannt. Er schüttelte dem Gast die Rechte und sagte mit einem wohlwollenden Blick nach rückwärts:

»Willkommen in Calder House! Die Damen erwarten Sie voll Ungeduld.«

Friedrich schien angenehm berührt.

»Zuviel Ehre, Mylord,« erwiderte er und hielt, nachdem er Katherine Erskine freundschaftlich begrüßt, Janes schmale Finger in den seinigen.

Das kühle Blond ihres Madonnenscheitels wölbte sich über einer alabasterfarbenen Stirn. Graue Augen strahlten mütterliche Zärtlichkeit. Ein Kleid von blaßgrünem Musselin umfloß den jugendlichen Körper, und nur die herb gesenkten Mundwinkel verrieten, daß ihre Jahre die Vierzig überschritten.

»Gott segne Ihren Eingang,« sagte sie mit klarer Stimme.

»Sie hatten eine leichte Fahrt?«

Friedrich verbeugte sich.

»Dank Ihrer und Broadwoods Güte! Er sandte mir Luftkissen und elastische Matratzen, Ihr Wagen holte mich in Edinburgh, und so bin ich, wenn auch etwas ermüdet, hier.«

Jane verstand die leise Mahnung.

»Daniel, die Koffer für den Herrn!«

Und lächelnd fügte sie hinzu:

»Ich hoffe, daß Ihnen Calder House gefallen wird. Wir haben den Himmel und Maria Stuart, schottische Lieder und Walter Scott. Die Korridore sind voll historischen Gerümpels, und in dem Zimmer über Ihnen erneuerte John Knox das Abendmahl …«

 

Der erste Eindruck blieb maßgebend für die Folge dreier Wochen: Gastlichkeit, die erdrückend wirkte, da man sich ihr nicht verschließen konnte, Stammbäume bis zur Normannenzeit, dazu Gespräche, deren stete Wendung ins Genealogische fast an das Evangelium grenzte, und ein streitbares Puritanertum, dem Duldsamkeit eine unbekannte Tugend.

Um zwei Uhr aufgestanden, von Daniel gekleidet und frisiert, keuchte Friedrich bis zum Supper, nach dem er im Herrenkreis bei Tische saß und, da er des Englischen nicht mächtig, zusah, wie jene redeten und tranken. Tödlich gelangweilt, begab er sich hierauf in den Salon, und es bedurfte seiner ganzen Seelenkraft, Bitten um Spiel nicht abschlägig zu bescheiden.

Dann, wenn die Flamme seines Lebens zu erlöschen drohte, trug Daniel ihn wieder in das Schlafzimmer, wo er bei brennender Kerze hustete und träumte, glücklich, aller Gegenwart entrückt zu sein, bis der Morgen ihn zu gleicher Qual erweckte.

Auch Janes fürsorgliche Tätigkeit vermochte an dieser Stimmung nichts zu ändern. Pariser Journale wurden täglich ihm gebracht, zwei Flügel dienten dem Meister zur Benutzung.

Indes, was halfen ihm die Instrumente, da er, jedes musikalischen Gedankens bar, zum Produzieren nicht imstande war, sich außerhalb seines Geleises fühlte und gleich der Saite einer Violine auf dem brutalen Körper eines Kontrabaß vibrierte?

»Ich lohne Ihnen Ihre Freundlichkeiten schlecht,« sagte er eines Nachmittags zu Jane, als er mit dieser und Frau Erskine im Schatten der Wälle auf und ab ging. »Niemand lebt mir zu Dank, mein Herz ist tot und Harmonie dahin wie meine Jugend!«

Jane griff nach dem Kreuz auf ihrer Brust.

»Lasen Sie nie in der Bibel?« fragte sie.

»Ja doch, ich las darin.«

»Und heißt es nicht: Ich bin so müde von Seufzen; ich schwemme mein Bette die ganze Nacht, und netze mit meinen Tränen mein Lager. Meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, und ist alt worden; denn ich allenthalben geängstet werde. Weichet von mir, alle Uebeltäter; denn der Herr höret mein Flehen; mein Gebet nimmt der Herr an?«

Friedrich wehrte ungeduldig ab.

»Ich weiß, ich weiß: Psalm sechs, Vers sieben bis zehn. Belieben Sie die Fortsetzung?«

»Psalm vierzehn,« erwiderte Frau Erskine heftig. »Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott. Sie taugen nichts und sind ein Greuel mit ihrem Wesen; da ist keiner, der Guts tue!«

Jane strich besänftigend über ihren Arm.

»Er ist verbittert, Katherine. Laß uns allein, ich werde mit ihm reden.«

Sie atmete ein wenig rascher und fuhr, als ihre Schwester um eine Steintreppe verschwunden, fort:

»Es gibt noch ein anderes Wort, das ich Ihnen sagen möchte, Friedrich: Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel!«

Ein dunkles Schluchzen tönte zurück.

»Ich meine es gut mit Ihnen,« flüsterte sie, und da sie sich abwandte, glomm in ihren Augen die Träne einer späten Liebe.

 

Friedrich stand auf der Höhe der Umwallung, die das Land gleich einer Zwingburg rings beherrschte. Eichen reckten knorrig ihr Gezweig, Felsgründe starrten, und der Abend sandte seine bleichen Nebel, die das Tal in einen See verwandelten.

»Sie wollen mich mit ihr verheiraten,« murmelte er, »Grzymala hat die Hand im Spiel!

»Kann man sich mit sich selber küssen? Freundschaft bleibt Freundschaft! Wem gefällt es, sie in Liebe umzudeuten? Und so ich auch liebte, dürfte ich dem Ehebett mich verkaufen?

»Reiche suchen Reichtum, und wenn schon Armut, doch nicht Krankheit!

»Warum tötet Gott so langsam?

»Abreisen, Friedrich! Um Beifall lächeln und mit den Sternen gestürzt!!«

 

Als Virtuos fuhr er durch England, schleppte von einem Herzog sich zum andern, spielte in Manchester, Glasgow, Edinburgh, mit einem Ausdruck peinlicher Schwäche, in Gang und Haltung einem Dreißiger vergleichbar, den Siechtum vorzeitig gealtert.

Der Adel der Umgegend drängte sich zu den Konzerten, Equipagen in nie gesehener Zahl bevölkerten die Städte, und wo die Erträgnisse des Abends zweifelhaft, griff Jane Stirling, ihm selbst verborgen, ein und kaufte für etwa fünfzig Pfund Billette.

So kam es, daß Friedrich mit einem Sparpfennig in London eintraf, der seine Erwartungen weit überstieg. Die Wohnung achtzehn Tage nicht verlassend, kämpfte er mit der Folge der Strapazen, von Kopfschmerz geplagt, Atemnot und frisch erworbenen Neuralgien, die die Aerzte nicht verbannen konnten.

Es war kaum noch, daß er von seinem Bette sich erhob. Wenn er sich aufraffte, sank er in einen leeren Raum.

Die Welt entschwand ihm seltsam.

Wußte er sich zu erinnern, wie die Lieder seiner Heimat klangen?

 

Aus solchem Hindämmern geweckt, mit leichter Röte auf den Wangen, ja fieberischen Lebens voll, traf ihn Mitte des Monats Doktor Mallan, der Friedrich seit dessen Wiederkehr behandelte. Zwei Zeitungsblätter, dem Eintretenden in die Hand gedrückt, erklärten jene plötzliche Veränderung:

» Daily News, 1. und 16. November. Ein polnischer Ball soll nebst Konzert am 16. in Guildhall stattfinden. Die Ausschmückung des Saals vom Lord-Mayors-Tage wird beibehalten. Mitwirkung berühmtester Gesangskräfte. Karten für einen Herrn zu 15 sh., für eine Dame zu 10 sh. 6 pence …«

Friedrich umklammerte des Doktors Arm.

»Sie müssen mich herstellen!« rief er erregt. »Ich bin gebeten worden, dort zu spielen. Es ist ein wohltätiger Zweck, Freunde und Vaterland bedürfen meiner!«

Doktor Mallan sah ihn prüfend an.

»Wille macht viel bei Kranken Ihrer Art. Ich werde Ihnen ein Opiat verschreiben. Wenn Sie die Nacht geschlafen haben, bleiben Sie bis zum Lunch im Bett. Dann eine kräftige Bouillon, ein Huhn, ein Glas Madeira. Um zwei Uhr mit Daniel eine kurze Wagenfahrt, hierauf Toilette, und – die Sache könnte gehen.«

Friedrich legte beruhigt sich zurück.

»Sie wird gehen!« erwiderte er heiser und unterwarf sich den Verordnungen des Arztes …

Als er am anderen Nachmittag zum Spiegel trat, schrie er in einem Anfall schmerzlichen Erschreckens. Die Augen glühten umrandet in den Höhlen, Kinn und Nase sprangen wie aus Pergament hervor, und so steinähnlich dünkte ihn die Blässe, daß er zitternd nach dem Schminkstift griff und, Rot auftragend, den Eindruck zu verwischen suchte.

»Ein Leichnam würde nicht mehr Farbe haben,« sagte er zu Daniel, der ihn voller Angst betrachtete. »Gib mir den Frack! Ja, im Gesellschaftsanzug soll man mich begraben!«

Daniel küßte schluchzend ihm die Hand, und nachdem er ihm den Mantel umgehangen, wickelte er seinen Herrn in eine Decke und trug ihn, dessen Schwere nur noch einem Kinde gleichkam, zu dem am Haustor wartenden Coupé.

Es war ein schmales Vis-à-vis mit Lackwänden und gefältelten Gardinen. Die Scheiben blitzten in geschliffenem Kristall, und Friedrich dachte wehmütig des Wagens, den er zu den Konzerten in Paris benutzt.

Wie schien ihm Ehrgeiz fern, wie jenes Prickeln nervöser Bangigkeit, das ihn die Köpfe der Loretten zählen ließ! Gleichgültig lag er in den Seidenkissen, von Husten durchbebt, und fühlte die Schauer einer letzten Fahrt.

 

Guildhall war bis zu den Dachreitern erleuchtet, der große Saal, darin die Kolossalfiguren Gog und Magog drohend auf die Menge schauten, ein Farbenmeer von Rot und Gold. Die Patronessen heimischer Wohltätigkeit glänzten im Schmucke ihrer Diamanten, ein Streichorchester spielte Walzer und Galopps: der Abend näherte sich dem Zenit.

In einem Nebenraum, zu dem die Tanzenden erhitzt sich drängten, um nach einer Atempause sich der Great Hall wieder zuzuwenden, war unter Teppichen ein Podium aufgeschlagen, und hier saß Friedrich, von den Flammen einer Lichterkrone scharf umrissen, unirdisch weiß, das hagere Profil über die Klaviatur geneigt, ein Sterbender, am Fortepiano.

Sein Auge war rückblickende Passion. Gleich jenen Heiligenlampen, die brennend über Menschenaltern wachen, spiegelte es die durchlebten Schicksale, alles erzählend, nichts beschönigend, eine Beichte und letztwillige Verfügung.

Er merkte nicht, daß seine Finger, kraftlos und spinnendünn, die Tasten schwächer niederdrückten, daß Stimmen im Kreise sich erhoben, die sein Auftreten als einen Mißgriff zu bezeichnen wagten. Denn plötzlich befiel ihn ein erschütterndes Gesicht.

Ein Mann in weitem Mantel trat auf die Höhe der Estrade, schwang steil den Arm, Tänzer und Tänzerinnen standen jäh. Die Instrumente bliesen schneidend, da unter dumpfem Paukenwirbel der Tod über die Bühne schritt, in einem Wams von fahlgelbem Atlas, die Lippen purpurrot geschminkt, und sein Eishauch die Kerzen löschte, daß es Nacht ward im Saal, Nacht ward um Friedrich, der ohnmächtig in seines Dieners Hände sank.


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